Von Ulrich Herz
Nach Abschluss seiner Entnazifizierung konnte der Gewerbelehrer und NS-Künstler Ernst Unbehauen langsam wieder an ein geordnetes, alltägliches Leben denken. Seine Bemühungen konzentrierten sich deshalb Anfang der 1950er-Jahre darauf, nach Rothenburg zurückzukehren und seine Beamtenposition wiederzuerlangen. […] Offiziell war die Stadt Rothenburg nach Kriegsende natürlich auf Distanz zu ihrem vormals so geschätzten Maler gegangen, die sie fast bis Mitte der 1950er- Jahre beibehielt. Als der Stadtrat 1953 erstmals einen ansehnlichen Betrag in den Haushalt einstellte, der zum Ankauf von Bildern Rothenburger Künstler verwendet werden sollte, waren unter den erworbenen Kunstwerken keine von Ernst Unbehauen, ebenso wenig wie im folgenden Jahr.
War Unbehauen der „Repräsentant des neuen Geistes“?
Auch wenn der Stadtrat formal noch Abstand hielt, war Ernst Unbehauen bereits 1950 keine persona non grata mehr. Wie sich der Zeitgeist nicht einmal fünf Jahre nach Kriegsende gewandelt hatte und wie weit die Bereitschaft, die dunklen Seiten der NS-Zeit zu verdrängen und zu vergessen, in großen Teilen der Bevölkerung fortgeschritten war, erhellt schlaglichtartig eine Episode, die sich im Frühjahr 1950 in Rothenburg abspielte. Im Januar dieses Jahres war die Topplerschule als eine Bildungsstätte, die den neuen demokratischen Geist atmen sollte, feierlich eingeweiht worden. Entsprechende Wandgemälde sollten diese demokratische Ausrichtung symbolisieren. Zu dem Zweck waren Stadtschulrat und Stadtbaumeister an die Rothenburger Kunstmaler Constantin von Collande und Hans Böhme herangetreten. Den Auftrag erhielt aber nach einem etwas dubiosen Vergabeverfahren schließlich Ernst Unbehauen, der zwei lebensgroße Fresken im Eingangsbereich der Schule und im Treppenhaus fertigte. Er hatte zugesichert, quasi zum Selbstkostenpreis zu arbeiten, was für die politisch Verantwortlichen angesichts beschränkter Finanzmittel den Ausschlag gab. Am 2. Februar nahm sich die von den Amerikanern in ihrer Besatzungszone herausgegebene „Neue Zeitung“ in einem umfangreichen Artikel des Themas an. Sie stellte den Sachverhalt dar, warf den Entscheidungsträgern und der Lokalpresse vor, sie hätten Absprachen getroffen, um die Entscheidung für Ernst Unbehauen nicht publik werden zu lassen, und warf schließlich am 2. Februar 1950 die Frage auf, ob Unbehauen mit seiner NS-Vergangenheit der richtige „Repräsentant dieses neuen Geistes“ sei.
Oberbürgermeister spielte den Überraschten und Unschuldigen
Der Bericht zeitigte vor Ort natürlich große Resonanz und Aufregung. Der „Fränkische Anzeiger“ und die „Fränkische Landeszeitung” verwahrten sich in längeren Artikeln gegen diese Vorwürfe. Der Rothenburger Künstlerbund, dem Ernst Unbehauen vor dem Zweiten Weltkrieg und dann wieder seit 1956 angehörte, votierte gegen ihn. Seine Mitglieder vertraten die Ansicht, „Unbehauen als auswärtiger Künstler hätte sich nicht einmischen sollen [, die] Bearbeitung des Auftrages [könne] von ortsansässigen Künstlern durchgeführt werden“. Auch im Stadtrat wurde ausgiebig diskutiert. Im Sitzungsprotokoll finden sich acht Stellungnahmen des Oberbürgermeisters, einzelner Stadträte und des Schulrats zu dieser Angelegenheit. Das Stadtoberhaupt bezeichnete die „Affaire“ als „äusserst bedauerlich“, weil der Stadt dadurch ein ,,ungeheuere[r] Schaden zugefügt“ worden sei, einzelne Stadträte artikulierten ihren Unwillen darüber, dass „das [Stadtrats-]Plenum nicht über den Gang der Verhandlungen informiert worden sei“, sondern über den Sachverhalt „lediglich dem 1. Ausschuss ganz formlos […] Mitteilung gemacht worden“” sei. Der Schulrat beteuerte, ihm sei es einzig darum gegangen, „der Bevölkerung und den Kindern dieser Stadt ein schönes Schulhaus zu erstellen“. Der Oberbürgermeister wies noch auf „einige irrtümliche Auffassungen des Artikelschreibers der NZ“ bezüglich der Auftragserteilung hin, die korrekt erfolgt sei. Zum Abschluss der Aussprache führte er aus, „dass den Initiatoren des NZ-Artikels der Vorwurf gemacht werden muß, daß sie nicht ein einziges Mal versucht haben, sich mit dem Stadtrat ins Benehmen zu setzen, der von sich aus gewiß bereit gewesen wäre, die Streitfrage in einer alle Beteiligten zufriedenstellenden Weise zu lösen“ – viel vermeintliche Unschuld, die sich von der „Neuen Zeitung“ zu Unrecht an den Pranger gestellt sah, dagegen wenig Selbsterkenntnis der politischen und moralischen Dimensionen der Affäre. Lediglich ein Stadtratsmitglied vertrat die Auffassung, „daß es politisch unklug gewesen sei, Unbehauen mit der Wandbemalung zu betrauen“. Mit Fragen der politischen Klugheit, die die Zeit des „Dritten Reichs” tangierten, wollte man sich anscheinend 1950 im Rothenburger Stadtrat mehrheitlich nicht mehr befassen. Die „Lösung“ des Problems kam schließlich von Ernst Unbehauen, der, wie der Stadtschulrat das Plenum informierte, darum „gebeten habe, diese Bilder sofort entfernen zu lassen“. Das nahm der Stadtrat „zufrieden“ zur Kenntnis „und beschloß, in dieser Angelegenheit vorerst abzuwarten“.
Vorbild der Wandmalerei von 1950: Hitlerjungen vor einer Burgruine
Unbeeindruckt von den Rothenburger Reaktionen legte die „Neue Zeitung“ am 12. März 1950 nach. Sie bekräftigte ihre Einschätzung der Dinge, indem sie die bis ins Jahr 1920 zurückreichenden Verbindungen des örtlichen Stadtschulrates zur NSDAP offenlegte und seine Reaktion auf die geäußerten Vorwürfe, teilweise wörtlich, zitierte:
,,[D]ie Stimmung des Volkes – einschließlich Nichtparteigenossen – sei diesen Dingen gegenüber schon jetzt eine andere und man werde das alles ,in einigen Jahren ganz anders beurteilen.“
Auch bezüglich Ernst Unbehauen wartete das Blatt mit folgender neuer Information auf:
„Um der Jugend in einem erzieherischen Fresko demokratische Ideen zu vermitteln, hat Unbehauen – wie er schriftlich erklärt – ein passendes Bild etwas umgestaltet“. Dieses ,passende Bild’ ist ein Gemälde von Arthur Kampff [sic!] ,Hitlerjungen vor Ruine’. Der Zynismus dieses Verfahrens sollte eigentlich bei den Beteiligten nichts als Beschämung auslösen.“
Dem Rothenburger Stadtrat warf die „Neue Zeitung“ angesichts dieser Sachverhalte eine etwas wehleidige, am Wesentlichen vorbeigehende Reaktion vor. Schulrat und Stadtrat hätten, so die Bilanz des Redakteurs, „ihrer Stadt einen schlechten Dienst erwiesen“ (NZ vom 12. März 1950). Die Episode belegt zweierlei. Sie zeigt zum einen, dass sich die maßgeblichen politischen Kreise in Rothenburg, ja selbst die lokale Presse, unterm Strich keines Fehlverhaltens bewusst waren. Es scheint, als habe man 1950 in der Tauberstadt die NS-Zeit fast vergessen bzw. erfolgreich verdrängt. Wirtschaftliche Überlegungen hatten Vorfahrt vor moralischen Bedenken, wenn denn solche bei den Entscheidungsträgern überhaupt existierten.
Die moralisch-historische Dimension des Vorfalls völlig verkannt
Richtet man den Fokus auf Ernst Unbehauen, so fällt auf, dass er in Rothenburg kaum etwas von seiner ursprünglichen Bedeutung eingebüßt hatte, handelte es sich bei der Topplerschule doch um „die erste, Versuchsvolksschule für demokratische Erziehung’“ (NZ vom 2. Febr. 1950), d. h. ein exponiertes Projekt mit Symbolcharakter. Dass sich Ernst Unbehauen angesichts dieser Ausgangslage ein bekanntes Gemälde des dem Nationalsozialismus sehr nahestehenden Historienmalers Arthur Kampf zum Vorbild für ein eigenes Fresko nahm, war über die Maßen unklug. Hier verkannte der Künstler die dem ganzen Vorgang zugrunde liegende moralisch-historische Dimension völlig – was aber wiederum sehr gut passt zu der Art und Weise, wie er sich zu seiner eigenen Entnazifizierung gestellt hatte. Allerdings war er es dann auch, der eine weitere publizistische Eskalation verhinderte, indem er dem von der „Neuen Zeitung“ ausgeübten Druck nachgab und von sich aus die Entfernung seiner Wandmalereien erbat. Oberbürgermeister und Stadtrat, die sich in dieser Kontroverse denkbar ungeschickt verhielten, mussten ihm für seinen Verzicht dankbar sein, weil er so weiteren Imageschaden von der Tauberstadt abwendete.
Ernst Unbehauen wurde 1955 wieder Beamter – Gewerbestudienrat
Es wird Ernst Unbehauen durch diese Kontroverse wohl klar geworden sein, dass in Rothenburg in den entscheidenden Gremien durchaus Leute saßen, die ihm wohlgesonnen waren. Zwar scheiterte 1950 Unbehauens offizieller Wiedereinstieg in das Kulturleben seiner Heimatstadt, aber die dort herrschende Stimmung dürfte ihm Hoffnung auf eine baldige Rückkehr gemacht haben, zumal sich auch die Gesetzeslage zu seinen Gunsten änderte.
Er profitierte nämlich von Art. 131 GG und einem entsprechenden Beschluss des deutschen Bundestages vom 10. April 1951, demzufolge Personen, die wegen ihrer Betätigung im NS-Staat nach dessen Ende aus dem Beamtendienst entfernt worden waren, sofern sie laut Entnazifizierungsverfahren nicht als Hauptschuldige oder Belastete eingestuft worden waren, wieder in den Dienst aufgenommen wurden. Die Zahl dieser im Volksmund „131er“ genannten Beamten belief sich insgesamt auf mehr als eine halbe Million. In Rothenburg bescheinigte der Stadtrat im Februar 1953 insgesamt neun „außer Dienst gestellten einheimischen Beamten“, die rechtlichen Voraussetzungen für entsprechende versorgungsrechtliche Zahlungen zu erfüllen. Unter ihnen war auch Ernst Unbehauen, dem seit 1. Februar 1953 die Zahlung von Übergangsgeld gewährt wurde (Stadtarchiv. Abt. NS 024.5). Im Oktober 1954 beschloss der Stadtrat einstimmig, Unbehauen ab dem 1. Dezember im Angestelltenverhältnis an der städtischen Berufsschule einzustellen. Selbiges wandelte er – wiederum einstimmig – mit Wirkung vom 1. Mai 1955 in ein Beamtenverhältnis auf Lebenszeit um und beförderte Unbehauen unter Schaffung einer neuen Studienratsstelle zum Gewerbestudienrat…
Mit Häuschen im Heckenacker in der jungen Demokratie angekommen
Im Sommer 1954 erwarb Ernst Unbehauen einen Bauplatz in Rothenburg am Heckenacker, wo er unverzüglich ein Haus mit Atelier und Einliegerwohnung für seine Schwiegermutter errichtete. Hatte er sich und seine gesamte Familie während seines Entnazifizierungsverfahrens noch als praktisch mittellos hingestellt und im Oktober 1950 beim Stadtrat Rothenburg die Gewährung eines Unterhaltsbeitrages beantragt, die dafür erforderlichen Angaben zu seinem Einkommen in der Folgezeit aber nur äußerst zögerlich bzw. eine entsprechende eidesstattliche Erklärung überhaupt nicht geleistet, so verfügte er jetzt anscheinend über die notwendigen Finanzen. Die Rückkehr von Wiesentheid nach Rothenburg steht somit symbolisch für das Ende der schwierigen Jahre: Ernst Unbehauen war endgültig in der Bundesrepublik angekommen.
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Sehr geehrter Herr Gußann, nachdem mich meine Freundin Petra Kröner auf Sie und ihren Arbeitsbereich beim Evangelischen Bildungswerk Rothenburg aufmerksam gemacht hat, habe ich stundenlang die Beiträge von “rothenburg unterm hakenkreuz” gelesen. Dabei sind mir viele Erinnerungen, Namen und Gespräche mit meiner Oma ( Mina Bodechtel, geborene Ohr aus Binzwangen) und meiner Mutter eingefallen (geboren 1921), mit deren Erlebnissen im Umfeld von jüdischen Viehhändlern und Gewerbetreibenden. Schon als größeres Kind hört ich mit großen Ohren auf diese Geschichten und sie interessieren mich bis heute. Da war von den Viehhändlern aus Colmberg die Rede, die ins Gasthaus Heller nach Binzwangen kamen und dort einkehrten und handelten. Meine Mutter nannte auch mehrere Namen von jüdischen Mitbürgern damals (Ada Steinberger?); sie erzählte mir, dass sie als Kind dann oft Bonbons von ihnen geschenkt bekam und diese irgendwann nicht mehr annehmen durfte. Noch in den sechziger Jahren, wenn ich mich recht entsinne, soll das Nachbarhaus – meinem Elternhaus in Binzwangen gegenüber – einer Ada Steinberger (?) gehört haben, die in den USA leben sollte, so erzählte meine Mutter. Dieses Haus wurde dann Ende 1960 oder Anfang 1970 von einer Familie aus Binzwangen gekauft. Mutter erzählte auch, dass die, die vorher darin gewohnt haben, das Geld immer in die USA schicken mussten… 0b dies so stimmt, weiß ich nicht. Eine weitere Geschichte ist, dass Großmutter und Oma, wenn sie in Ansbach zum Einkaufen waren (Kleider, Stoffe etc.) diess in einem jüdischen Warenhaus (Hertfelder?) taten. Mitte der 1930er-Jahre haben sie dann als Kundinnen dort erlebt, dass SA-Männer reinkamen und die Kundinnen von den Besitzern zur Hintertür hinausgelassen wurden, damit sie keine Schereien bekamen. Ich glaube sogar, dass in meinem Elternhaus in Binzwangen noch ein Bild vom Burggarten Rothenburg hängt, dass vom Maler Unbehauen stammt. Hier weiß ich, dass früher als sogenanntes Patengeschenk, wenn das Patenkind Konfirmation hatte, von diesem an die Paten ein Geschenk gemacht wurde. Ich muss mal nachsehen, ob auf dem Bild hinten ein Datum vermerkt ist oder von wem es meine Oma als Patengeschenk erhalten hat. Dieses Gemälde (Öl/das schöne Häuschen im Burggarten ist darauf abgebildet) hing seit ich denken kann in unserem Wohnzimmer über dem Schreibtisch meines Vater (der übrigens aus Gebsattel stammt).
Meine größte Hochachtung vor der Arbeit, die ich hier nachlesen und verfolgen konnte. Ich selbst bin beim Diakonischen Werk Coburg in der Erziehungs- und Familienberatungsstelle tätig. In meiner Arbeit erlebe ich auch immer wieder, wie über Generationen hinweg Muster, Leid, Traumata etc. weiter “vererbt” werden. Jedenfalls haben die vielen Erzählungen meiner Oma und Mutter, die ich als Kind und Jugendliche aufgesogen habe (anders als meine Geschwister, die davon gar nichts wissen oder erinnern), mich schon früh dazu gebracht, viel über Juden in Deutschland, den Zweiten Weltkrieg, über Flucht und Vertreibung zu lesen. So, das reicht nun. Herzliche Grüße nach Rothenburg – Erna Rank-Kern