Erich Wintermeiers „Braune Kompanie“ – Komponist wohnte von 1944 bis 1953 am Marktplatz

Erich Wintermeier

Erich Wintermeier; Foto: privat

Von Wolf Stegemann

Vorbemerkung: Die Mutter des Verfassers war mit der Familie Wintermeier befreundet. Seine Mutter stammte – wie Frau Wintermeier – ursprünglich aus Berlin. Die geschilderten Verhältnisse kennt er aus eigenem Erleben als etwa fünf- bis zehnjähriges Kind, aus späteren Schilderungen der Mutter und der älteren Schwester sowie durch gegenwärtige Recherchen. Der Verfasser spielte als Kind mit den Kindern der Wintermeiers, wenn seine Mutter ihn mitnahm in jenes große und damals gruselige Haus am Marktplatz (Nr. 10), wo die Familie wohnte. Seine Mutter half so gut sie konnte, deren Kinder einigermaßen gut durch das Chaos des Wintermeierschen Familienlebens der Nachkriegszeit zu bringen. Allesamt ergibt dies ein abgerundetes, wenn auch faktisch nicht deutliches Bild. Erich Wintermeier war Komponist und Musikkritiker und stand während der nationalsozialistischen Zeit im Dienste der NS-Partei- und Staatspropaganda. Von 1933 bis 1945 hatte er zehnmal seinen Wohnsitz gewechselt, teils freiwillig und teils deshalb, weil die Partei ihm Schwierigkeiten machte. Nie hatte er sich bei einem Wohnungswechsel bei der Partei ab- bzw. angemeldet, so dass er mehrfach mit Geldstrafen belegt worden war.  Die Spruchkammer Rothenburg, vor der er sich 1948 wegen seiner NS-Vergangenheit zu verantworten hatte, reihte ihn nach Art. 13 des Gesetzes zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus in die Gruppe V – entlastet – ein (Az. 4103/Ro/Wi).    

Der Komponist Erich Wintermeier vertonte NS-Kampflieder

Im 2. Stock wohnten die Wintermeiers

Im 2. Stock wohnten die Wintermeiers

Erich Walter Wintermeier (1907-1982), der von 1944 bis 1953 in Rothenburg lebte, war Pianist, Komponist, Schriftsteller und (nomineller) Nationalsozialist. Der NSDAP gehörte er von 1932 bis 1944 an. Beim Reichssender Saarland war er in den 1930er-Jahren als Hauskomponist angestellt, im Krieg stellte er seine Kunst in den Dienst des Reichspropagandaministeriums. Er vertonte die Texte des wortführenden Nazidichters Heinrich Anacker (1901-1971), zum Beispiel das SA-Kampflied von 1933, er vertonte Marschmusik unter dem Plattentitel „Der Führer ruft“ (1936), „Verfemte Fahnen“, „Singe mein Volk“ (1935) und andere. Viele der Marschlieder, die in der Hitler-Jugend und anderen NS-Organisationen gesungen wurden, stammten von Anacker in der Vertonung von Erich Wintermeier. Heinrich Anackers größter Erfolg war das sentimental-unpolitische Seemannslied „Antje, mein blondes Kind“. In seinen Liedern betonte Anacker die totale Ausrichtung auf die Autorität Adolf Hitlers, etwa in folgenden Versen:

„Wir werdend Volk, wir sind der rohe Stein – / Du, unser Führer, sollst der Steinmetz sein; / der Steinmetz, der mit schöpf’rischer Gewalt / den Stein erlöst von seiner Ungestalt./ Schlag immer zu! Wir halten duldend still, / da deine strenge Hand uns formen will.“

Im Krieg in einer Frontbetreuungskompanie im Osten

Wintermeier-Noten (1)1937 erschien von Wintermeier ein Beitrag über Beethoven in „Deutsche Musikkultur“. Er veröffentlichte seine Kompositionen auch unter dem Pseudonym Erich Bach. Der Verfasser dieses Artikels interviewte für die Ruhr Nachrichten 1989 einen ursprünglich belgischen Volksdeutschen, Willem Hildebrand, der als Sänger und Musiker im Krieg Mitglied einer SS-Propagandakompanie war, die hinter den Fronten den Soldaten musikalische Unterhaltung brachte. In dem Gespräch nannte Hildebrand auch den Namen Erich Wintermeier und erzählte, dass er mit Wintermeier in einer Frontbetreuungskompanie der SS im Osten tätig gewesen war und mit ihm Liederabende für die SS veranstaltete, auch für das Wachpersonal in Konzentrationslagern. Lieder von Anacker, Löns und anderen standen dann auf dem Programm.

Im fränkischen Rothenburg zu jener Zeit ein klein wenig zu exotisch

Die Wintermeiers waren eine Familie, die von ihrem Habitus überhaupt nicht in das fränkische Rothenburg passte. Sie blieb auch nicht lange hier. Nur Mönke lebt weiterhin in Rothenburg. Will man diese Familie beschreiben, so treffen viele Wesensmerkmale zusammen, die womöglich anders waren, als die, welche vielen anderen Familien allgemeinen zugeschrieben werden. Denn Erich Wintermeier, der seiner Familie stets anmerken ließ, dass er das Familienoberhaupt war, war Musiker und Pianist, seine Frau Erika Schauspielerin. Beide hatten sechs Kinder. Bis auf Mönke, der glattes Haar hatte, waren die anderen blondgelockte kleine quirlige liebe Geschöpfe. Sie sahen nicht wie Rothenburger Kinder aus: mit ihren gelockten Pagenköpfen mehr wie Film-Kinder. Die so bezeichneten hießen Torsten, Mönke, Jens-Job, Soetkin (Mädchen), Hauke und die Nachzüglerin Antje.

Die 1944 aus Lothringen als Flüchtlinge nach Rothenburg zugewiesene Künstlerfamilie wohnte bis 1955 im zweiten Stockwerk der Marien-Apotheke am Herterich-Brunnen. In diesem historischen Gebäude gingen damals schwere breite Treppen nach oben und die geräumigen Etagen-Flure hatten dunkle Dielen und die Wände waren mit dunklem Holz getäfelt. Am Ende dieses Flurs waren drei Zimmer, die von den Wintermeiers bewohnt waren.

Seite aus dem Liederbuch "Singe mein Volk"

Seite aus dem Liederbuch “Singe mein Volk”

Mit Krapfenverkauf und Klavierunterricht über Wasser halten

Die Familie war stets in Geldsorgen. Doch wer von den Zugezogenen, Flüchtlingen und Zugewiesenen hatte diese in den ersten Nachkriegsjahren nicht. Um die Familie über Wasser zu halten, verkaufte Erika Wintermeier im Burggarten selbstgebackene Krapfen, während ihre Kinder dort spielten. Ihr Mann gab Klavierunterricht und auch Nachhilfe in Englisch und Französisch. Er saß stets im korrekten dunklen Anzug und weißem Hemd in seinem „Herrenzimmer“, die Kinder waren ihm oft lästig. Daher waren sie auch so häufig bei der Familie des Verfassers in der Würzburger Straße.

Erich Wintermeier war von Statur klein, hatte einen Gehfehler und war wegen eines Nervenleidens jähzornig aufbrausend. Obwohl die Familie mit den vielen Kindern oft wenig  zu essen hatte, ließ sich Erich Wintermeier in seinem „Herrenzimmer“ immer gut bedienen. Wollten die Kinder oder seine Frau sein Zimmer betreten, mussten sie anklopfen, wie das junge Dienstmädchen auch. Die Familie hatte drei Zimmer: In einem schliefen die sechs Kinder, im andern die Eltern, das dritte war das Herrenzimmer. In der Wohnung roch es immer nach Mäusen, weil in einer Kammer auf dieser Etage die Stadt Rothenburg Mehl aufbewahrte. Auf derselben Etage wohnte die Witwe des Rothenburger Malers Peter Philippi. Ab und zu schrieb Erich Wintermeier kleine Artikel über Belange der Kultur und Musik für die „Fränkische Landeszeitung“.

Erika Wintermeier geborene Riemann, aus einer Schauspielerfamilie stammend, war eine attraktive Frau. Sie wollte sich scheiden lassen, weil sie den Jähzorn und die Eigenheiten ihres Mannes, dem es unter seiner Würde war, Geld zu verdienen, nicht mehr aushalten wollte. In dieser Ehe-Phase wurde das jüngste Kind geboren: Erich Wintermeier wollte sich von seiner Frau nicht trennen. 1953 verließ Erich Wintermeier seine Familie. Nach Wegzug der Mutter mit den Kindern zwei Jahre später nach Frankfurt, ließ sich Erika Wintermeier von ihrem Mann doch scheiden und nahm ihren Familiennamen wieder an. Sie schaffte es nicht mehr, als Schauspielerin Fuß zu fassen. Sie wurde Sprecherin in der Rundfunkwerbung, wie beispielsweise mit dem Slogan „Wenn Petrus grollt, nimm Rachengold“. Sie starb 1993.

Nach Rothenburg zurückgekehrt

Sohn Mönke blieb in Rothenburg, war musisch Kunstpfeifer, trat oft live im „Bremer Hafenkonzert“ (Fernsehen) auf. Er besuchte die Oberschule, war verheiratet und betrieb lange Zeit das Touristengeschäft „Dürer-Haus“ am Weißen Turm. Mittlerweile wohnen auch seine Schwestern Soetkin und Antje wieder in Rothenburg.

Wintermeier-Noten (4)

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Quellen: Dieses Lied wurde aufgenommen auf einer „Telefunken“-Schallplatte vom 12. August 1933 mit dem Großen  Blas-Orchester; Dirigent: Carl Woitschach; Gesang: SA-Singschar „Rote Erde“. – Gespräch mit Soetkin Wintermeier (2013 und 2014).
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