Vorbemerkung: Die folgende Darstellung stützt sich auf die Berichte, die zahlreiche Lehrer und Pfarrer des Landkreises und der benachbarten württembergischen Gemeinden dem Verfasser Wilhelm Dannheimer (1900-1975), Pfarrer in Schweinsdorf, für das von G. Harro Schaeff-Scheefen im Holstein-Verlag 1950 erschienene Buch „Rothenburg ob der Tauber. Schicksal einer deutschen Landschaft“ zur Verfügung gestellt hatten. Mit leichten sprachlichen Anpassungen wurde dieser Artikel diesem Buch entnommen. Diese Darstellung, so schreibt Schaeff-Scheefen in einer Vorbemerkung, soll einen Gesamtüberblick geben über die Verhältnisse und Ereignisse in der Umgegend von Rothenburg kurz vor, während und nach den Kampfhandlungen 1945. Die Einzelberichte stellte Schaeff-Scheefen damals dem Stadtarchiv Rothenburg zur Verfügung. Über die militärischen Verhältnisse gab Gottfried Pfeiffer aus Schweinsdorf Auskunft, der an den Kämpfen als 1. Ordonanzoffizier in einem Divisionsstab teilgenommen hatte. Die Redaktion von „Rothenburg unterm Hakenkreuz“ hofft, von Lesern mehr über die im Titel genannten Suizide zu erfahren.
Von Wilhelm Dannheimer
Damit waren die Kampfhandlungen in der Umgegend von Rothenburg zu Ende. Aufs Ganze gesehen, kann gesagt werden, dass im nördlichen und westlichen Teil unseres Gebietes infolge der Geländeverhältnisse die Kämpfe sich etwas länger hinzogen und deshalb auch größere Zerstörungen hervorgerufen wurden, während im südlichen Teil der rasche Durchzug der Truppen weit weniger schmerzliche Spuren zurückließ.
Die Verluste der deutschen Truppen waren während der Kämpfe im Rothenburger Land, wie bereits einmal angedeutet, verhältnismäßig gering. Schätzungsweise kamen gegen 140-150 deutsche Soldaten ums Leben. Die Zahl kann nicht genauer angegeben werden, weil vielfach die Amerikaner zusammen mit ihren eigenen Gefallenen auch deutsche Tote mit Kraftwagen wegfuhren und, wie sich später herausstellte, auf dem großen, schön angelegten Heldenfriedhof bei Bensheim an der Bergstraße beerdigten. Gegen 130 Gefallene sind teils auf den Gemeindefriedhöfen beigesetzt, teils ruhen sie in kleineren Gruppenbestattungen oder in Einzelfeldgräbern, die von der Bevölkerung liebevoll gepflegt werden. Wie man hört, ist die Zusammenlegung der in den Dorffluren verstreuten Soldatengräber durch den Volksbund für Kriegsgräberfürsorge für die nächste Zeit geplant. Etwas stärkere deutsche Verluste gab es am Rand der Frankenhöhe (Steinach: 14 Tote, Schweinsdorf ca. 12-15, Neusitz-Wachsenberg 9) und an einzelnen andern Orten, wo die Nachhuten sich etwas länger hielten (Bettenfeld 7, Herrnwinden 5, Finsterlohr 5, Spielbach 15). Drei deutsche Soldaten, darunter ein Oberstleutnant [Rosenau in Gebsattel], kamen durch eigene Minen ums Leben.
Tragische Todesfälle unter der Zivilbevölkerung
Die Verluste der amerikanischen Truppen sind unbekannt, denn es wurden sämtliche Tote sehr schnell gesammelt und weggebracht. Es ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, dass sie etwas hinter den deutschen Verlusten zurückstehen; entsprechende Beobachtungen wurden während der Kämpfe von der Bevölkerung gemacht. Eigene und deutsche Verwundete, auch Zivilisten, beförderten die Amerikaner nach Mergentheim, wo ein größeres Lazarett eingerichtet war.
Die Todesopfer unter der Zivilbevölkerung sind als gering zu bezeichnen – gegen 40 Personen ohne die Toten beim Luftangriff auf Neustett –, wenn man bedenkt, dass die Schutzmaßnahmen auf dem Lande gegen Artilleriebeschuss oft völlig unzureichend waren, dass nicht selten Löscharbeiten durch die Einwohner noch während der Beschießung begonnen wurden und dass sich einzelne auch oft sehr unvorsichtig verhielten. Einige Todesfälle sind besonders tragisch. Der Tod einer Mutter, die am Tage vor der Konfirmation der einzigen Tochter begraben wurde, während der Vater beim Heer stand (Ohrenbach); zwei Minenexplosionen bei Gebsattel und Rödersdorf, bei denen einmal der 80-jährige Großvater zusammen mit dem Enkel, das andere Mal drei Personen, darunter ein Vater mit seinem Sohn, ums Leben kamen; ein Fall in Neusitz, wo durch Volltreffer in einem Keller drei Gemeindeglieder getötet, ein weiteres tödlich verletzt wurde. –
Leichen der Soldaten bereits in Verwesung übergegangen
Die tödlichen Unglücksfälle durch Minen und sonstige Sprengkörper zogen sich bedauerlicherweise noch durch mehrere Monate hin. In der Verzweiflung über den deutschen Zusammenbruch begingen in Neusitz ein deutscher Unteroffizier und bei Tauberzell der Oberbürgermeister einer mitteldeutschen Stadt mit seiner Ehefrau Selbstmord. Für die Bergung der Toten war es misslich, dass von amerikanischer Seite der Zivilbevölkerung mehrere Tage das Verlassen der Ortschaften verboten war; daher kam es, dass die Leichen der Soldaten – die Tage waren bereits sommerlich warm – vielfach schon stark in Verwesung übergegangen waren. Nun war es sehr schwierig, die Toten wegzubringen und auch die Feststellungen der Person des Toten waren erschwert, ja teilweise unmöglich geworden.
Aus der Not das Beste machen
Es ist hier auch noch ein Wort über die allgemeine Haltung der Bevölkerung während der Kämpfe anzufügen. Man kann ohne Übertreibung und ohne falsches Lob sagen, dass sich unser Landvolk, aufs Ganze gesehen, in den Tagen der Not bewährt hat. An eine Flucht war nicht zu denken, weil die Unsicherheit überall gleich groß war; irgendwo musste man das Unwetter über sich ergehen lassen, und wenn es schon sein musste, dann war es immer noch das Beste, bei Haus und Hof zu bleiben. So wäre es auch ein heller Wahnsinn gewesen, die Kinder wegzuschaffen, wie es die Kreisleitung Rothenburg am 2. April angeordnet hatte. Sämtliche Knaben vom 13. und sämtliche Mädchen vom 10. Lebensjahr an sollten in die Gegend von Ingolstadt-Eichstätt verbracht werden, zu einer Zeit, wo fast jeder Eisenbahnzug von Tieffliegern angegriffen wurde, „damit sie nicht dem Feind in die Hände fallen“. Die Eltern waren vernünftig genug und leisteten trotz Bedrohung durch die Polizei dem Befehl keine Folge. Zum Bleiben entschlossen, richtete man in den besten Kellern behelfsmäßige Lagerstätten ein, auch lebensnotwendige Dinge und Wertgegenstände wurden dort geborgen.
Der Landwirt stets mit dem Boden verbunden
Der Gesamtschaden im Landkreis Rothenburg wurde amtlich auf 7,9 Millionen Reichsmark geschätzt. Nimmt man noch die erheblichen Zerstörungen in den Dörfern jenseits der württembergischen Grenze hinzu, so wird eine Schadensumme von 11 Millionen RM nicht zu hoch gegriffen sein. Am schwersten gelitten haben die Orte Linden, Brettheim, Hausen a. B., Herrnwinden, Wildenholz, Steinsfeld, Spielbach, Obereichenroth und Enzenweiler. Recht beträchtliche Schäden hatten auch Adelshofen, Bellershausen, Bottenweiler, Diebach, Erzberg, Gattenhofen, Leuzendorf, Lohr, Neusitz, Neustett, Nordenberg, Reichardsroth, Reusch und Steinach a.E. Ungefähr die Hälfte der Gemeinden hatte nur geringe Schäden, die im Verlauf von wenigen Wochen durch das örtliche Handwerk behoben werden konnten. Aber wie sollte es in den Dörfern werden, wo eine ganze Reihe von Häusern, Scheunen und Stallungen total verbrannt und zerschossen war? Der Bauer ist an seinen Grund und Boden gebunden; er kann nicht irgendwo eine neue Unterkunft suchen, sondern muss bei den Trümmern seines niedergebrannten Hofes aushalten, wenn ihm auch bei ihrem Anblick das Herz immer wieder blutet. Das Vieh braucht wieder eine Unterkunft, Futter und Feldfrüchte müssen irgendwie vor der Witterung geborgen werden. Da gibt es nur eines: möglichst schnellen Wiederaufbau des Zerstörten.
Bereits 1946 wieder mit dem Aufbau von Ställen und Scheunen begonnen
Man muss sagen, dass sich der Aufbauwille sofort nach Beendigung der Kämpfe regte und dass die bestehenden Schwierigkeiten tatkräftig gemeistert wurden. Not bereitete die Materialbeschaffung – Zement, Backsteine und Dachziegel waren kaum zu bekommen –, dann auch das Fehlen vieler Männer, die noch in Gefangenschaft waren. Außerdem verursachte die Zwangswirtschaft empfindliche Hemmungen. So ging man zuerst an die Ausbesserung der noch teilweise erhaltenen Gebäude. Notdächer aus Brettern wurden hergestellt, behelfsmäßige Stallungen eingerichtet. Die Ernte des Jahres 1945 konnte freilich nicht überall unter schützende Dächer gebracht werden, wenn auch manche Frucht in einer Nachbarscheune hilfsbereit aufgenommen wurde.
Bereits 1946 erstand eine ganze Reihe von Neubauten. Dörfer mit Gemeinde- und Privatwaldungen konnten sich dabei am besten helfen; Bauholz hatten sie selbst, weitere Holzeinschläge lieferten ein begehrtes Tauschmaterial, wofür dann Zement, Kalk, Ziegelsteine u. a. eingehandelt werden konnten. Auch nicht wenige Lebensmittel, manches Schwein, mancher Zentner Weizen verwandelten sich in Eisenwaren, in Glas, in Dachziegel und sonstige zum Bauen unentbehrliche Dinge. Man konnte es den Geschädigten nicht verargen, wenn sie zu solchen „Notmaßnahmen” schritten; sie taten es nicht aus Gewinnsucht, sondern aus wirklicher Not, denn die Zuweisungen von Baustoffen waren bei weitem nicht ausreichend und erfolgten viel zu langsam.
Ganze Höfe wurden an den Dorfrand verlegt
Nicht überall entstanden die Neubauten auf den Grundmauern der zerstörten Gebäude. In kluger Voraussicht vergrößerte mancher Bauer seine Stallungen und Scheunen oder nahm zweckmäßige Änderungen in der Anlage vor. Wo es zu einer gewünschten Ausdehnung der Hofanlage an Platz fehlte, wurden sogar ganze Höfe an den Dorfrand verlegt. Es entstanden teilweise recht stattliche Anwesen. Nach einer regen Bautätigkeit in den Jahren 1947 und 1948 wurde im Herbst 1949 der Wiederaufbau fast überall völlig zu Ende geführt. Auch die Schäden an den Kirchen sind alle beseitigt. Nur noch vereinzelte Ruinen – leider ist darunter auch ein historisch bedeutsames Bauwerk, der Rohrturm bei Brettheim – zeugen von der bösen Zeit, da die Kriegsfackel über unsern Dörfern leuchtete.
Siehe auch: Die Kriegsfackel über den Dörfern I