Literaten und Dichter entdeckten Rothenburg immer wieder neu. Heute gibt es erfreuliche Tabubrüche. Der Versuch eines unvollständigen Überblicks des Schöngeistigen

Künstler und Literaten hinterließen im Hotel "Eisenhut" ihre speziellen Visitenkarten

Künstler und Literaten hinterließen im Hotel “Eisenhut” ihre speziellen Visitenkarten

Von Wolf Stegemann

Schriftsteller haben in allen denkbaren Zeiten zu Rothenburg eine eigentümliche Affinität entwickelt, waren vom morbiden Charme des früheren Rothenburgs verzaubert wie von der heutigen Disney-Stadt abgestoßen. Solche Lieben kennt man – auch auf anderen Gebieten. Wer ohne nachzuforschen wissen will, welche großen und kleinen Dichter der Stadt ihr Herz öffneten, braucht nur im „Eisenhut“, jenes Prunkhotel früherer Zeiten, in dem der Führer („Mein Kampf“) ebenso verkehrte wie sein Widersacher Thomas Mann (1875-1955; „Die Buddenbrocks“), Gustav Meyrink (1868-1932; „Der Golem“) und Eugen Höflich, der dann als Moscheh ben Gawriël („Kamele trinken auch aus trüben Brunnen“) in Jerusalem lebte. Erich Maria Remarque, Erich Kästner und Johannes Mario Simmel stehen auch im Gästebuch des Hotels. Der Rothenburger Gebr. Holstein-Verlag, ein leider verschwundenes Kleinod der Literatur, brachte 1964 seinen Lyrikband „Die Gedichte“ heraus, in dem ben Gawriël (1891-1965) auch seine Rothenburg-Gedichte veröffentlichte. Dieter Höss’ (geb. 1935) humorvolles Gedicht über Rothenburg erschien 1971 in der Süddeutschen Zeitung.

Literaten-doerdelmann-titelBernhard Doerdelmann und Kollegen

Einer der sich in Rothenburg um die preziöse Literatur große Verdienste erworben hatte, war der Recklinghäuser Journalist, Erzähler und Lyriker Bernhard Doerdelmann (1930-1988; „Bis auf Widerruf“, „Einladung -Anthologie eines Gedichts“). Er war Cheflektor im Gebr. Holstein-Verlag. Ihm gelang es, in Rothenburg große Autoren und wunderbare Texte in bibliophilen Ausgaben zu veröffentlichen und Kontakte zur jüdischen und israelischen Gegenwart zu finden. Der Autor dieser Betrachtung über Rothenburgs Literatur und Literaten, Wolf Stegemann (geb. 1944; „Schreibmaschinentypen und sonst nichts“), damals Herausgeber von „standorte – Gelsenkirchener Zeitschrift für Literatur und Kunst“, traf sich Ende der 1970er-Jahren mit dem Journalisten und heutigen Chefredakteur des „Fränkischen Anzeigers“, Dieter Balb, mit Bernhard Doerdelmann und dem Rothenburger Lyriker und Mundart-Dichter Wilhelm Staudacher (1928-1995; „Des is a deitsch – Gedichte in Rothenburg“) mehrmals zu  Gesprächen über Literatur in einer Rothenburger Weinstube in der Herrngasse.

Geburts- und Wohnhaus Wilhelm Staudachers; Foto: Stegemann

Geburts- und Wohnhaus Wilhelm Staudachers; Foto: Stegemann

Wilhelm Staudacher erschrieb sich mit seinen unverkennbaren Mundart-Gedichten einen guten Namen in der Region und darüber hinaus. Und einer, den Staudacher und Doerdelmann gut kannten, war G. Harro Schaeff-Scheefen (1903-1984), Gründer des Autorenverbandes Franken und Namensgeber des vom Autorenverband ausgelobten Literaturpreises, der 2010 erstmals vergeben wurde. Im selben Jahr richtete der Autorenverband in Rothenburg seine Jahrestagung aus. Während der abendlichen Lesung gab es einen Faupax, als der damalige Vorsitzende des Autorenverbands die von ihm umgedichtete „Todesfuge“ Celans öffentlich vortrug. Aus dem Konzentrationslager machte er ein Fußballstadion. Aus dem Leid der Opfer ein Fußballspiel (siehe „Todesfuge“ in dieser Dokumentation).

Literarische Liebeserklärungen an die Stadt und ihre Geschichte

Literaten-LiebesfahrtG. Harro Schaeff-Scheefen verband eine große Liebe zu der Tauberstadt. Der Holstein-Verlag gab viele seiner Bücher heraus, nicht nur jene, die sich mit Rothenburg befassten. Der Autor war ein unverbesserlicher Romantiker, der – lebte er heute noch – die von ihm beschriebene und tief empfundene Romantik („Liebesfahrt im Taubergrund“) auf den Prüfstand legen würde.

„Hinter dem tief eingeschnittenen Tal lag drüben auf der Höhe, von den Strahlen der flach beleuchtenden Sonne beglänzt, die alte Reichsstadt. Das Bild war anzuschauen wie eine Krone und die Zacken waren ihre vielen Türme. Als Kleinod dieser Krone in deutschen Landen aber ragte der gewaltige Westchor der Jakobskirche mit den zwei Türmen in den Himmel, auf dem weiße Wolkenschiffe dahinsegelten. Es war ein Anblick von wahrhaft überwältigender Schönheit, wie er nicht oft zu sehen ist.“  (Aus: „Liebesfahrt im Taubergrund“)

Mit einer solchen Romantik hatte die Kindheit und Jugendzeit der Rothenburgerin Irmi Kistenfeger-Haupt (geb. 1947) nichts zu tun, wohl aber mit einer tiefen Empfindsamkeit, mit der sie in ihrem Buch „Unterm Schnee“ (2008) ihre Mädchenjahre in den so sperrigen 1950ern in der Tauberstadt beschreibt. In den Episoden nähert sie sich der heute verstandenen Realitätsromantik der Stadt an, wenn sie von engen Gassen und Mauern in engen Köpfen spricht, von dem Mief und der geistigen Enge jener Jahre in ihrer Heimatstadt.

LIteraten-Tauberesel60 Jahre früher legte der Hädeke-Verlag ein Buch über den in Rothenburg lange Zeit gelebten und dort 1945 verstorbenen Maler und Dichter P. Philippi vor mit dem bezeichneten Titel  „Die kleine Stadt und ihre Menschen“ (1949).

Blick in die Geschichte

Als literarische Liebeserklärung ist die Beschreibung der Stadt durch Hermann Uhde-Bernays im 4. Band „Stätten der Kultur“, zu bewerten, die sich Anfang der 1920er-Jahre mit der Tauberstadt befasst. Kaum sind die verschiedenen Auflagen und Aufmachungen des Romans „Der König von Rothenburg“ (1910) zu zählen, in denen Paul Schreckenbach (1866-1922) sich der Geschichte des mächtigsten Bürgermeisters der Stadt, Heinrich Toppler, widmet. In Weimar erschien Anfang der 1930er-Jahre die Erzählung „Der Hegereiter von Rothenburg“, die Wilhelm Arminius (eigentl. Wilhelm Hermann Schultze, 1861-1917) im 15. Jahrhundert angesiedelt hatte. Mit „Des Türmers Töchterlein von Rothenburg“ setzte Friedrich Lampert  (1829-1902) 1873 die Tradition fort, kleine Erzählungen über Rothenburgs Geschichte aufzuschreiben. Das Büchlein legte der renommierte Münchener Beck-Verlag vor. 23 Jahre vorher erschien die Sammlung „Deutscher Volks- und Jugendschriften“, in der erstmals „im Rahmen der Dichtung den Preis und Ruhm der halbvergessenen herrlichen alten Reichsstadt ob der Tauber wieder erwecken und verkünden und einen denkwürdigen Tag aus der Geschichte ins Gedächtnis rufen wollte“. Das Festspiel „Der Meistertrunk“ (1881) von Adam Hörber ist in dieser Tradition zu sehen.

Literaten-Scharfrichter„Deutsche Novelle“ – Ein Stück Literaturgeschichte in Rothenburg

Inzwischen sind viele Romane, Erzählungen, Gedichte um und in Rothenburg erstanden. Zu erwähnen ist noch Georg Scheurlins (1802-1872) „Der Scharfrichter von Rothenburg“ (1869), Gertrud Schubarts Anekdoten-Büchlein „Der Tauberesel“ (1978) und Hans Probsts „Die wunderliche Reise. Die Heldenprobe“ (1918). Die Liste wäre fortzusetzen.

Bemerkenswert ist das Buch des berühmten Schriftstellers Leonhard Frank „Deutsche Novelle“, deren Inhalt sich mit einer Liebes- und Gesellschaftsgeschichte im Rothenburg der ersten Jahre nach der Jahrhundertwende 1900 befasst. Dazu Thomas Mann: ein „kleines Meisterwerk“. Franks Bücher wurden 1933 verbrannt. Er ging ins Exil in die USA. In Hollywood schrieb er 1944 diese Novelle, die zehn Jahre später in der Nymphenburger Verlagshandlung München erschien. Sie wird mittlerweile als ein Stück Literaturgeschichte gewertet. Die Literaturwissenschaftlerin Jutta Hetyei hat darüber eine Arbeit geschrieben: „Leonhard Frank und die ,Deutsche Novelle’“, erschienen 2006 im Wissenschaftlichen Verlag Berlin (wvb).

Junge Literatur am Start

Die Literatur über Rothenburg und der Rothenburger Autoren hat sich gewandelt. Die Rothenburgerin Anne Schneider, wieder in ihrer Heimatstadt lebend, schrieb 2009 ihren Erstlings-Rothenburg-Roman „Die Seelengespielin“. Bei Frankfurt lebt der Rothenburger Schriftsteller Otto A. Böhmer (geb. 1949), der sich mit Gedichten, Essays und Romanen einen Namen machte („Sternstunden der Literatur“ „Sofies Lexikon“, „Möglichst Heine“). Bernd Gehringer (geb. 1949) legte bereits eine Reihe von Büchern („Lendenwirbel 1999; „Ein Hut gibt Auskunft“ 2004) vor.

Plumper Antisemitismus – in Literatur verpackt

Sieht man von Bernhard Doerdelmann ab, der im Holstein-Verlag ein kleines Refugium für jüdische Autoren und für israelische Belange geschaffen hatte, war die jüdische Geschichte der Stadt für Literaten jahrzehntelang tabu. Möglich, dass das bösartig geschriebene antisemitische Buch des nicht-Schöngeistes Martin Schütz „Eine Reichsstadt wehrt sich“ (1938) den Rothenburger Literaten wie ein Klotz am Bein hing. Und der Heimatdichter und Haus-Schriftsteller des Rothenburger Holstein-Verlags Georg Harro Schaeff-Scheefen (gest. 1984 in Kirchberg/Jagst) machte 1939 aus dem Judenhasser Teuschlin einen „mutigen Kämpfer gegen die Juden“. Dies trug er zum Ergötzen seiner Zuhörer im Verein Alt-Rothenburg vor (Joshua Hagen in „Preservation, Tourism and Nationalism“).

Literaten-FeuerflugIn letzter Zeit wurde diese literarische Zurückhaltung erfreulicherweise aufgegeben. Des Aachener Helmut Clahsens (geb. 1931) historischer Roman „… indem sie Feuer anzündeten und töteten“ befasst sich mit der Rothenburger Judenverfolgung; auch der Roman von Ernst Wilhelm Heine (geb. 1940) „Der Flug des Feuervogels“ (2000) hat Einsprengsel dieses Themas. Heine brachte 1990 bei Diogenes auch den Roman über Rothenburgs mächtigen Bürgermeister „Toppler. Ein Mordfall im Mittelalter“ heraus.

„Rührt dich, aufflammende Thora nicht das Schicksal der Trauernden an?“ 

Ein schon im 13. Jahrhundert in Rothenburg lebender Dichter war der jüdische Rechtsgelehrte Rabbi Meir Ben Baruch, der den Beinamen „von Rothenburg“ trug (um 1220-1293). Er war 1242 Zeuge einer der ersten großen Bücherverbrennung in Paris. 24 Wagenladungen Thorarollen und Talmudexemplare wurden verbrannt. Daraufhin schrieb er sein „Klagelied“: „Rührt dich, aufflammende Thora nicht das Schicksal der Trauernden an …?“

Rund 300 Jahre später entstand 1520 das „Rothenburger Hetzlied gegen die Juden“, in dem es im ersten Vers heißt:

„Da haben die Juden lange Zeit
Getrieben große Schand
Mit Wucherei und scharfer List,
Damit gar mancher frummer
Zu Grund verdorben ist“

400 Jahre danach brannten wieder Torarollen in Deutschland und die Menschen, denen sie gehörten, die sie lasen, wurden vertrieben, ermordet. Auch die orthodoxe jüdische Gemeinde besaß eine Torarolle. Sie ist bis heute verschollen. Eine blutige und grausame Spur führt durch die Jahrhunderte hin zum Dritten Reich, immer wieder in Versen beschrieben oder in der Literatur festgehalten. Auch in Rothenburg. In und über Rothenburg schrieben nur noch die, die sich dem Bösen andienten. In der Literatur erstrahlte Rothenburg mit seinen Türmen und Türmchen im Lichte des Nationalsozialismus. Brechts literarische Aussage, „die im Dunkeln sieht man nicht“, traf hier nicht zu. Man sah sie, weil sich das Böse damals im Hellen abspielte.

Literaten-KaminerKaminer wusste nicht, dass es so etwas wie Rothenburg gibt

Wladimir Kaminer (geb. 1967 in Moskau), ein Dichter der Gegenwart und jüdisch, besuchte Rothenburg, was in seiner Publikation „Mein deutsches Dschungelbuch“ (2003) Widerhall fand. Er bereist darin die Provinz und stellt fest, dass Deutschland in der Provinz anders ist als in Berlin, dass es viele Provinzen gibt und viele „Partikular-Deutschlands“, dass jedes Dorf eine eigene kleine Deutschland-Definition liefert. Nehmen wir „Kaminers“ Rothenburg ob der Tauber:

Rothenburg wäre eine schöne Stadt, wenn sie sich nicht irgendwann zur „Touristen-Hure“ gemacht hätte. Sie liegt in einer malerischen Landschaft, besitzt alte Stadtmauern, ein Folter-Museum und besteht hauptsächlich aus Sehenswürdigkeiten, die auch allesamt als solche ausgewiesen sind. Nach Rothenburg reisen viele Japaner und viele Amerikaner. Richtiggehend berühmt wurde der Ort, als Frank Steffel, der CDU-Spitzen-Kandidat bei den Berliner Senatswahlen, Rothenburg als die schönste Stadt Deutschlands pries. „Alle lachten, ich verstand das Ganze als eine Parodie auf das Spießbürgertum und lachte herzlich mit. Damals wusste ich nicht, dass so etwas wie Rothenburg ob der Tauber tatsächlich existierte“, erzählt Kaminer. Da fällt einem Bielefeld ein, die Stadt, von der nun schon seit Jahrzehnten behauptet wird, es gebe sie gar nicht. Kaminer erfuhr Rothenburgs Existenz früh genug, als er „in diesem als Stadt getarnten Spielzeugmuseum“ beim Goethe-Institut vorlas. Dabei beobachtete er aus dem Wirtshausfenster einen Japaner, der stundenlang eine Hauswand anstarrt. Und wundert sich: „Die Japaner waren so teuflisch mysteriös.“

Literat-GehringerBernhard Gehringer Reflexionen

Mit dem Leben seiner Eltern im Dritten Reich setzt sich der oben bereits erwähnte Bernhard Gehringer in seinem Roman „Und dann will ich dein sein. Eine Spurensuche“ auseinander. Mit ihm geht er, der in Rothenburg groß wurde, in die Zeit zurück, in der sich Mutter und Vater bei der Hitler-Jugend und BDM im Alter von 15 und 18 Jahren kennen lernen. „Zwei sehr idealistische junge Menschen“, sagt Gehringer. Der Vater ging zur Waffen SS, sie richtete ihr Leben nach ihm aus. Er, der Vater, war nach dem Krieg Lehrer und Mitglied im Stadtrat in Rothenburg (siehe „Bernhard Gehringers Familien-Saga“ in dieser Dokumentation). Eine literarische Fundgrube über Rothenburg ist das Buch von Helmut Ballis und Wilhelm Pfitzinger: „Zauberhaftes Rothenburg. Ein literarischer und photographischer Spaziergang Rothenburg“, o. J. (2011).

Wie die Dichter Rothenburg auch eingeschätzt haben mochten und einschätzen. Ich als Rothenburger, der vor nunmehr 50 Jahren meine Heimatstadt verließ, bin immer gerne dort. Warum? Weil es in dieser alten Stadt immer wieder Neues zu entdecken gibt – und seien es nur Details aus der alten und jüngeren Geschichte. Doch sie sind wichtig – zum Verständnis der hellen wie in den dunklen Zeiten der ach so sonnigen Stadt (siehe „Antisemitismus in der Rothenburger Geschichtsliteratur“ in dieser Dokumentation).


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