W. St. – „Die Linde“ erscheint seit 1909 monatlich als heimatkundliche und wissenschaftliche Zeitungsbeilage im „Fränkischen Anzeiger“ Rothenburg. Übrigens haben nur wenige deutsche Lokalzeitungen noch eine solche Beilage.
Seit ihrem ersten Erscheinen 1909 informiert und unterhält die „Linde“ ihre Leser. Bis 1914 wurde sie vom Verleger Ludwig Schneider redigiert, von 1914 bis 1932 von August Schnizlein, königlich-bayerischer Gymnasialprofessor und Leiter der Rothenburger „Lateinschule“. Bis 1917 umfasste die „Linde“ jährlich 12 Hefte bei einem Gesamtumfang von 48 Seiten. Neben Forschungsergebnissen zur Rothenburger Geschichte wurden und werden kleine Beiträge über historische Persönlichkeiten, Geschehnisse oder Kuriosa, daneben Mundartliches veröffentlicht.
Mit Martin Schütz übernahm ein Antisemit die „Linde“
1932 konnte August Schnizlein die „Linde“ aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr betreuen; ihn vertrat ein halbes Jahr lang der Theologe Dr. Paul Schattenmann. Ab 1933 lag dann die Schriftleitung bei Dr. Martin Schütz, einem jungen Gymnasiallehrer, der zugleich als Schriftführer und dann als Kassier im Verein Alt-Rothenburg exponiert tätig war und sich auch ehrenamtlich als Stadtarchivar betätigte. 1938 veröffentlichte er das unsägliche antisemitische und geschichtsverdrehende Buch „Eine Reichsstadt wehrt sich“, das sich mit der Vertreibung der Juden aus Rothenburg im 16. Jahrhundert und mit „der Lösung der Judenfrage“ befasst. Verlegt hat das Buch die Schneidersche Buchdruckerei Gebr. Schneider in Rothenburg; Hermann Schneider war laut Impressum für die Bildauswahl verantwortlich. Während der NS-Zeit hat Schütz in den „Linde“-Ausgaben auch immer wieder Geschäftsberichte des Vereins Alt-Rothenburg veröffentlicht. In seiner Arbeit wurde er unterstützt von Ernst Unbehauen, der die antisemitischen Tafeln in „Stürmer“-Manier malte, die von der Kreisleitung der Partei 1937 an den Stadttoren angebracht wurden. Stadtamtmann Hans Wirsching übernahm 1940 von Schütz die Redaktion, der zum Kriegsdienst einberufen worden war.
„Die Linde“ im Dienste nationalsozialistischer Rassen-Ideologie
1937 war es auch, als Martin Schütz, der vom Gauleiter und „Stürmer“-Herausgeber wegen seines Antisemitismus’ hoch gelobt wurde, antisemitische Töne auch in die von ihm redigierte Beilage „Die Linde“ einbrachte. Dem Artikel „Was ein Jude im Jahre 1694 der Welt vorlog“, folgten noch weitere umfangreichere Arbeiten dieses Genres. Auch in einem Jahrbuch des Vereins Alt-Rothenburg schrieb Schütz antisemitische Beiträge. Darüber hinaus wurden die bereits erwähnten judenfeindlichen Tafeln von Ernst Unbehauen und Marta Faber in der „Linde“ abgebildet. Dazu schreibt Dr. Richard Schmitt auf der Homepage des Vereins Alt-Rothenburg, der seit Jahren immer wieder eine echte Aufarbeitung der nationalsozialistischen Zeit fordert, sie zugleich aber in Bezug auf den Verein Alt-Rothenburg relativiert, so auch in folgendem Text-Auszug:
„1937 ändert sich das Bild ein wenig, die Nazi-Zeit geht am Verein nicht spurlos vorbei. Martin Schütz setzt einen ersten kleinen antisemitischen Beitrag in die ,Linde’ (,Was ein Jude im Jahre 1694 der Welt vorlog’), dem 1938 bis 1940 weitere, umfangreichere folgen. Doch dabei blieb es. Abgesehen von Schütz, der der einzige überzeugte Nazi im Kreis der ,Alt-Rothenburger’ gewesen zu sein scheint, finden sich keinerlei Reminiszenzen an das NS-System in der ,Linde’.“
1950 wieder herausgegeben
1941 stellte die „Linde“ ihr Erscheinen ein. 1950 wurde die Herausgabe wieder aufgenommen. Als Dr. Ludwig Schnurrer die Redaktionstätigkeit 2009 nach 43 Jahren übergab, veröffentlichte er mit dem Artikel „100 Jahre ,Die Linde’“ einen Überblick dieses Jahrhunderts. Die NS-Zeit fand darin lediglich mit einem Satz Niederschlag, der lautete: „Aber ab 1933 hinterließ die NS-Ideologie ihre Spuren auch in der ,Linde’.“ Dr. Richard Schmitt resümiert über dieses Thema in der erwähnten Homepage (Stand 2011, geschrieben sicherlich früher):
„Gelegentlich erschienen auch Beiträge zur neueren Geschichte, d. h. zum 2. Weltkrieg und zur unmittelbaren Nachkriegszeit. Die Erforschung der nationalsozialistischen Zeit allerdings steht bis heute aus [Siehe redaktionelle Anmerkung unten]. Hier muss sich der Interessent mit der verdienstvollen Aufarbeitung zeitgenössischer Artikel aus der Lokalzeitung durch Dieter Balb („Fränkischer Anzeiger“ 1983) begnügen sowie mit verstreuten Forschungsergebnissen zum Schicksal der jüdischen Bürger, die schon vor der Pogromnacht 1938 die Stadt verließen bzw. verlassen mussten. Die von der Stadt in Auftrag gegebene Gesamtdarstellung der Jahre 1933 bis 1945 bleibt offenbar Fragment. – In der Rückschau erscheint es fast wie ein Wunder, dass die ,Linde’ sich in dieser Qualität halten konnte. Der Verlag hält – aus welchen Gründen auch immer – der ,Linde’ die Treue. Sie brachte immer wieder Beiträge, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, sie war und ist vielseitig, sie wurde kein reines ,Heimatblättle’, sie verkam auch nie zum Organ halbgebildeter, vorwiegend ,patriotischer’ bzw. lokalpatriotischer oder gar esoterisch angehauchter Sektierer, die in anderen Städten die ,Geschichtsforschung’ in ihrem Sinne betrieben und einen Mist auf den anderen stapelten. Dass dies in der ,Linde’ nicht geschah, ist natürlich ein Verdienst der jeweiligen ,Schriftleiter’ Schnizlein und Schnurrer …“
Heute gehören dem Redaktionsteam an: Dr. Oliver Gußmann, Dr. Hellmuth Möhring, Dr. Richard Schmitt, Ekkehard Tittmann sowie die Rothenburger Stadtarchivarin Angelika Tarokic (Stand 2013).
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