Von Wolf Stegemann
Eine der schillerndsten Frauen in der Frühzeit von Adolf Hitler und Julius Streicher sowie deren „erfolgreichste“ Agitatorin und Verbreiterin eines ausgeprägten Judenhasses in Franken in den Jahren von 1920 bis 1923 war Andrea Ellendt. Sie trat auch in Rothenburg und Schillingsfürst auf, um ihre völkisch-antisemitischen Hetz- und Hasstiraden ihrem applaudierenden Publikum in vollbesetzten Sälen entgegen zu schleudern. Dabei stand sie dem Hetzredner Julius Streicher in nichts nach. Deshalb war Andrea Ellendt in jüdischen Kreisen besonders gefürchtet. Nach dem Historiker Uwe Lohalm (1970) gehörte sie zu den aktivsten Schutz- und Trutz-Bund-Agitatoren in Bayern und Franken, wobei sie dabei öfters mit Redeverbot belegt worden war. Judenfeindschaft bedeutete für sie „Befreiungstat“, aber auch „Racheakt“ und schließlich „Notwehr“. So hatte sie am 11. Mai 1922 in einer Versammlung für die NSDAP im unterfränkischen Marktbreit die „Ausschaltung und Beseitigung der Juden“ gefordert und an die Zuhörer appelliert: „Seit einig, wenn es gilt, Rache an den Juden zu üben!“ Die Gewalt gegen Juden wurde zu jener Zeit zunehmend gesellschaftlich akzeptiert.
New York Times berichtete 1922 über Andrea Ellendts Wirken in Franken
In den USA wurde die „New York Times“ auf die in Franken agierende Judenhetzerin aufmerksam. Das Blatt berichtete am 14. Dezember 1922 unter der Überschrift „,Bavarian Mussolini’s’ cause in Franconia is Led by a Woman said to be American…“:
„In Franconia Hitler’s cause is championed by a Mrs. Andrea Ellendt, an American, who is the widow of a German Captain killed during the war. Mrs. Ellendt has earned for herself the sobriquet ,America Joan of Arc’. She has established herself in Marktbreit on-the Main an has openly promised her numerous followers some fun in the near future in the shape of ,a jolly pogrom’. The Bavarian Governement is well aware of the Hitler-Ellendt movement, with its military features and its revolutionary character. But does not feel calles upon to interfere…”
In Rothenburg und Schillingsfürst trat sie als Rednerin des Kampfbundes „Reichsflagge“ im Dezember 1923 auf. Die Zuhörer kamen „in Massen“. Ihre Judenhetze, wiederum mit Applaus bedacht, forderte die jüdische Gemeinde in Rothenburg zu einem Leserbrief im „Fränkischen Anzeiger“ (4. Januar 1924) heraus, in dem die Lügen der Rednerin zurückgewiesen wurden (siehe Artikel „Reichsflagge, Reichskriegsflagge, Altreichsflagge und andere rechtradikale und antisemitische Verbände in Franken und Rothenburg ob der Tauber“ in dieser Dokumentation).
War sie eine Spionin?
Wer war Andrea Ellendt? Zur Zeit ihres Auftretens in Franken umgab Ellendt ein „dichtes Geflecht von Gerüchten und Mutmaßungen“: So soll sie die mexikanische Frau eines in Amerika hingerichteten deutschen Spions gewesen sein, die Witwe eines gefallenen Seeoffiziers oder eine in Bremen geborene Auslandsdeutsche aus Mexiko. Gesichert ist, dass Ellendt als Tochter eines wohlhabenden deutschen Ehepaars – Bernhard Emil Stallforth (1842–1893) und Anita Bonaventura 1890 in Hidalgo del Parral (Chihuahua/Mexiko) geboren wurde. Sie hatte noch fünf Geschwister und eine große Verwandtschaft, verteilt auf gang Deutschland (Augsburg, Bremen, Hamburg, München, aber auch New York, Mexiko-City), da ihre Geschwister nur deutsche Partner geheiratet hatten. Ihr Großvater war deutscher Generalkonsul in Mexiko. Ihr Ehemann, der preußische Kapitänleutnant Renatus Ellendt, starb im Oktober 1918 an einer Lungenentzündung. Sie selbst starb vermutlich 1931. Zwischendurch war sie verheiratet mit Hans Merklin.
Ihre Auftritte zwischen 1920 und 1922 in München und Franken
Nach ihrer Übersiedlung in das Deutsche Reich trat Ellendt als Rednerin auf vielen völkischen und auch nationalsozialistischen Versammlungen auf. Andrea Ellendt, auch als deutschvölkische „Wanderpredigerin“ charakterisiert, war laut Michael H. Kater „wohl die erste [Frau], die damals in großem Stil öffentlich und mit Erfolg für Hitler werben konnte“. Am 29. Oktober 1920 redete Ellendt auf einer NSDAP-Versammlung mit rund 350 Besuchern im Münchener Mathildensaal, auf der als erstes Adolf Hitler sprach. Nach einem Bericht des Politischen Nachrichtendienstes des Polizeipräsidiums München hielt sie am 5. November 1920 eine Rede auf einer von Anton Drexler geleiteten NSDAP-Versammlung mit 2.500 Besuchern im Münchner Kindl-Keller, auf der Hitler gegen den Völkerbund redete. Am 11. Mai 1922 erklärte sie in einer von der NSDAP organisierten, öffentlichen Veranstaltung im Münchener Bürgerbräukeller:
„Ich appelliere an Euch alle: Zeigt Mut, schließt Euch fester zusammen, die Zeit erfordert es! Wir fordern die Ausschaltung und Beseitigung der Juden. Nicht mit Worten können wir die Juden bekämpfen, wir müssen vielmehr zur Tat schreiten. Dazu seid Ihr aber alle berufen, alle die Ihr hier seid. Seid einig, wenn es gilt, Rache an den Juden zu üben!“
Der Historiker Mathias Rösch nennt die Äußerungen Ellendts ein Beispiel für die „unablässige Flut von in extrem beleidigender und gewalttätiger Sprache gepackten Vorurteile und Tatsachenverdrehungen, mit denen den Juden gedroht wurde“, bis hin zum „Aufruf zur Lynchjustiz“, wie sie bis 1923 zum „normalen“ Alltag in München gehörten.
Ihre Reden im Maindreieck und in Rothenburg 1922 und 1923
Im August des Jahres 1922 zog Ellendt von München nach Kitzingen; dort und in Unter- und Mittelfranken entfaltete sie – initiiert durch den Zahnarzt und späteren NSDAP-Gauleiter Otto Hellmuth – sofort eine Tätigkeit als Rednerin. Mit teils mehreren Reden pro Tag gab sie „der rechtsradikalen Bewegung in Unter- und Mittelfranken einen entscheidenden Anstoß“, so der Historiker Roland Flade. Bei ihren Reden umgab sich Ellendt mit bewaffneten, circa 80 Mann starken „Sturmtrupps“, die Saalschutzaufgaben versahen und mit Gewalt gegen Andersdenkende und Juden vorgingen. Den Sturmtrupps ging ein Fahnenträger mit einer Hakenkreuzfahne voraus; zum Teil wurden sie von Radfahrern mit schwarz-weiß-roten Armbinden begleitet. Ellendt trug bei ihren Auftritten eine uniformähnliche Kleidung, bestehend aus einem langen schwarzen Mantel mit breitem Ledergürtel sowie einem stahlhelmförmigen Hut. Die Historikerin Dr. Susanne Meinl (Ev. Akademie Tutzing) bezeichnete ihr Auftreten als „maskulin-exotisch“.
Tumulte und Messerstecherei
In Kitzingen hielt Ellendt zwischen August und Dezember 1922 mehrere Reden. Ende Oktober trat sie zusammen mit Alfred Roth als Rednerin bei der Weihe des Hakenkreuzbanners der Ortsgruppe des Schutz- und Trutzbundes in Marktbreit auf. Am 7. November kam es im Umfeld einer Ellendt-Rede in Hohenfeld zu einer Messerstecherei mit mehreren Verletzten. Ellendts Auftritt in Würzburg am 17. Dezember 1922 wurde von einem großen Polizeiaufgebot abgesichert. Es kam zu Tumulten, für die die BVP-Zeitung „Volksblatt“ und der bürgerlich-konservative „General-Anzeiger“ anwesende Sozialdemokraten verantwortlich machten. Das „Volksblatt“ nannte Ellendt eine „feurige und überzeugende, äußerst ernst zu nehmende Rednerin“. Für Altenschönbach ist ein Auftritt Andrea Ellendts in einer Kirche dokumentiert, eine Versammlung in Stadelschwarzach wurde vom protestantischen Pfarrer von Bimbach eröffnet, der eventuellen Störern ankündigte, es seien „genügend Fäuste zur Beruhigung vorhanden“. Ellendt nahm am 9. und 10. September 1923 am „Vaterländischen Tag“ in Kitzingen teil, einer frühen Machtdemonstration der Völkischen und der NSDAP, bei der es während eines Umzugs zu „regelrechten Ausbrüchen von Hass“ vor einem von Juden bewohnten Haus kam.
Auftritte Ellendts sind auch aus Aschaffenburg, aus Coburg auf dem „Deutschen Tag“ am 14. und 15. Oktober 1922 sowie aus der Gegend um Lichtenfels um die Jahreswende 1922/1923 bekannt. Am 19. Dezember 1923 sprach sie in Rothenburg ob der Tauber und in Schillingsfürst. Der „Fränkische Anzeiger“: „Der Vortragsabend hatte einen Massenbesuch aufzuweisen.“
Reaktionen des Bayerischen Staates
Sehr schnell wurden – meist ohne Erfolg – gegen Ellendt Redeverbote und gegen ihre Auftritte Versammlungsverbote ausgesprochen sowie ein Strafverfahren eingeleitet. Der Regierungspräsident von Unterfranken hielt am 11. Oktober 1922 in einem Schreiben an die Kreise fest, dass Andrea Ellendts Vorträge ein „stark judenfeindliches Gepräge“ hätten und geeignet seien, „in einem Teil der Bevölkerung lebhafte Beunruhigung hervorzurufen“. Zudem gebe es vermehrt Hinweise, dass Ellendt Redewendungen benutze, die Aufforderungen zu strafbaren Handlungen seien und gegen das Republikschutzgesetz verstoßen. In Würzburg verbot der Stadtrat zweimal Veranstaltungen mit Ellendt. Das zweite Verbot wurde vom Regierungspräsidenten Julius von Henle aufgehoben, wogegen die Würzburger Ortsgruppe des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.) protestierte. In einem Schreiben an den C. V. riet Henle, Ellendt-Auftritte nicht zu beachten und alles zu vermeiden, was „der gegenwärtigen antisemitischen Bewegung […] weiter Nahrung“ geben könnte.
Mit Tricks Veranstaltungsverbote umgangen
In Kitzingen hatte die örtliche jüdische Gemeinde nach Auftritten von Julius Streicher ein Verbot von Veranstaltungen beantragt, in denen „hetzerischer Rassenhass“ zu erwarten war. Ein im Mai 1922 vom Stadtrat erlassenes Verbot wurde vom Bürgermeister gegen Ellendt nicht angewandt. Um drohende Verbote unterlaufen zu können, gründete Otto Hellmuth (später Gauleiter und Reg.-Präs. von Mainfranken) den „Hörer-Verband-Ellendt“, dessen Mitgliedsausweise bei den als „geschlossen“ deklarierten Veranstaltungen an der Kasse kostenlos zu erhalten waren.
Ein Prozess gegen Andrea Ellendt wegen eines Verstoßes gegen das Republikschutzgesetz endete im März 1923 mit einem Freispruch: Verfahrensgegenstand war eine Rede Ellendts in Dettelbach im Oktober 1922. Vor Gericht bestritt Ellendt, den ermordeten deutschen Außenminister Walther Rathenau geschmäht zu haben. Da der genaue Wortlaut der Dettelbacher Rede nicht bekannt war, beantragte die Staatsanwaltschaft Freispruch. Vor Gericht traten mehrere Entlastungszeugen auf; so erklärte der Pfarrer aus Bimbach, Andrea Ellendts Veranstaltungen erzielten „große Erfolge bei der sittlichen Erneuerung des Volkes“. Ein Amtsrichter aus Scheinfeld bezeichnete Ellendt als „eine deutsche Frau, wie man sie sich nur überall wünschen könne“.
Ihr Verbleib: Zurück in Mexiko
Am Jahresende 1923 verschwand Andrea Ellendt wieder von der politischen Bühne. Der spätere NSDAP-Gauleiter Albert Krebs äußerte nach dem Zweiten Weltkrieg in seinen Memoiren, ihm sei erzählt worden, dass Ellendt eine „Agentin“ gewesen war. Krebs nennt Ellendt „eine der seltsamsten Erscheinungen“ der frühen nationalsozialistischen Bewegung. Sie habe über eine „hinreißende Beredsamkeit“ verfügt, die gleichermaßen auf Bauern, Bürger der Kleinstädte und gebildete Zuhörer wirkte, wobei sie sich „auf die Anrufung der Gefühle und auf die Ausstrahlung ihrer weiblichen Aura“ verließ. Finanziell sei Ellendt völlig unabhängig gewesen, so Krebs.
Der Historiker Roland Flade hält es für wahrscheinlich, dass interne Auseinandersetzungen zum Verschwinden Ellendts beitrugen: So hatte Gustav Vierkötter, der Versammlungsleiter der Würzburger Veranstaltung, im Februar 1923 gegenüber der Kitzinger Polizei ausgesagt, Ellendt habe ihn aufgefordert, zwei ihrer persönlichen Feinde zu beseitigen. Ellendt schloss sich dem von Otto Hellmuth im April 1923 gegründeten Wehrverband „Frankenland“ an, der offenbar die „Sturmtrupps“ im Maindreieck straffer organisieren sollte. Laut Flade wollte sich Hellmuth mit dem Wehrverband von der NSDAP und dem Schutz- und Trutzbund abwenden und dem „Bund Wiking“ anschließen. Flade verweist auf Äußerungen Wilhelm Holzwarths, der 1923 Leiter des NSDAP-Ortsgruppe in Scheinfeld war und eine der beiden Personen war, die Vierkötter im Auftrag Ellendts ermorden sollte. Holzwarth trat 1928 aus der Partei aus und nutzte fortan das in seinem Besitz stehende „Uffenheimer Tageblatt“ zur Enthüllung von NSDAP-Interna. 1930 bezichtigte Holzwarth Hellmuth und Ellendt, die „im Kitzinger Bezirk bestehenden Naziortsgruppen Hitler abspenstig gemacht“ zu haben und verdeckt den Anschluss an Ehrhardt betrieben zu haben. Damit sei Ellendt aus Sicht der hitlertreuen NSDAP „tatsächlich eine Art ,Spionin’“ gewesen, so Flade. – Vermutlich starb Andrea Ellendt 1931, nachdem sie kurz zuvor erneut geheiratet hatte, an den Komplikationen einer Fehlgeburt.
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