Von Wolf Stegemann
Judengassen gab es in den meisten mittelalterlichen Städten des deutschsprachigen Raums. Sie waren das abgeschlossene Wohnviertel der Juden, die meist Händler waren, denn Handwerksberufe durften Juden damals nicht ausüben. Dagegen waren die streng organisierten christlichen Zünfte, die oft das Leben in der Stadt bestimmten und Bürgermeister stellten. Das gemeinsame Wohnen von Juden in einem bestimmten Stadtviertel beruhte im Mittelalter aber auch auf religiösen Prinzipien der Juden selbst, die zum Beispiel dem Gebot nachkommen sollten, nicht weiter als tausend Schritte von der Synagoge zu leben. Das Zusammenleben in einer Straße war jedoch auch begründet in der Notwendigkeit des Schutzes, der in einer Stadt ansässigen Juden (Schutzjuden), die entweder unter dem Schutz der Stadt, des Bischofs als Landesherr oder des Kaisers standen, was damals aber oft kein Hinderungsgrund war, Juden zu ermorden, zu vertreiben, zu berauben.
Ein historisches Wohnquartier
Typisch für eine mittelalterliche Stadt war das Wohnen und Leben nach Berufsgruppen. So gab – wie in Rothenburg ob der Tauber – eine Schmiedgasse, Hafengasse, Hirtengasse und anderswo Bäcker- oder Webergassen. Daher waren Judengassen nichts Besonderes. Sie gab es unter anderem in Berlin, Gernsbach, Köln, Koblenz, Salzburg, Trier, Worms, Speyer, Frankfurt, Coburg, Eggenfelden, Nördlingen und auch in Rothenburg ob der Tauber.
Hier wurde die Judengasse auf einem zugeschütteten Wallgraben außerhalb des ersten Stadtmauerrings errichtet. Durch Erweiterung der Stadt mit einem zweiten Stadtmauerring wohnten die Juden nördlich des ersten Stadtmauerrings nun mitten in der Stadt in der „Judengasse“, die seit 1371 so heißt – bis heute. 1520 wurden die Juden erneut vertrieben, diesmal anhaltender. Die Häuser verfielen und die Judengasse blieb über Jahrhunderte hinweg ein Armenviertel, in dem Papiergesellen, Schuhmacher und Sackträger wohnten, dann auch Tagelöhner und Witwen in den kleinen Kammern der Häuser. Im 19. Jahrhundert lebten beispielsweise im Haus 16/18 bis zu 30 Menschen, wie der Architekt Eduard Knoll herausfand. Im 19. Jahrhundert zogen auch wieder Juden nach Rothenburg und bildeten eine Gemeinde, die 1938 durch die Nazis wieder ausgelöscht wurde. Die meisten jüdischen Familien wohnten in anderen Stadtbereichen. Nur eine Familie wohnte bis zur Vertreibung in der Judengasse.
Stadt hatte lange Zeit kein Interesse an der Renovierung der Judengasse
Die Stadt ließ die historisch wertvollen kleinen mittelalterlichen Fachwerkgebäude verfallen. Die jüdische Geschichte durfte bis 1945 kein Teil der positiven Rothenburger Geschichte sein. Auch nach 1945 nahm man sich des Themas nicht an. Schweigen und Staub legten sich über die Judengasse, durch die bis in die 1980er-Jahre auch keine Touristen geführt wurden. Die jüdische Geschichte taugte nicht für den touristischen Hochglanz. Dies fand Kritiker. So schrieb der Verfasser 1989 in den „Ruhr Nachrichten (Dortmund):
„Die Rothenburger scheinen ihre jüdische Vergangenheit […] bis heute nicht wieder wahrgenommen zu haben. Während jeder Turm, jedes Patrizier- und Handwerkerhaus, jeder Weg und Steg herausgeputzt wurden, um den Tourismus angeboten zu werden, die Stadt zu diesem Zweck sogar historisch wertvolle Häuser aufkaufte, wurde die Judengasse, in Europa das einzige noch erhaltene Ghetto des (Spät)mittelalters, heute mitten in der Stadt liegend, ,vergessen’. Es ist heruntergekommen, und die niedrigen Häuser sind verfallen. Erst jetzt will sich eine private Initiative um die Erhaltung der Judengasse bemühen, die von Fremdenführern geflissentlich übersehen wird …“
Bürgerliches Engagement
Die Bürger bemühten sich. Bereits 1988 übernahm Eduard Knoll die Leitung von fünf Sanierungsprojekten. Rund 2,3 Millionen DM kostete der Umbau der alten Fachwerkhäuser. Den Löwenanteil übernahm die Städtebauförderung, Aber auch die Hausbesitzer mussten ihren Teil dazu beitragen. Dann entdeckte auch der Verein Alt-Rothenburg sein Interesse für die Sanierung der Judengasse und trug erheblich zur Finanzierung bei. Unermüdlicher Motor der Initiative war der Architekt Eduard Knoll, der mit seinem technischen Fachwissen dazu beitrug, den Verfall der Judengasse zu stoppen. Ihn, Michael Kamp, Christa Joist, Dr. Hilde Merz, Horst Brehm, Wilhelm Staudacher, Andreas Konopatzki, Ekkehart Tittmann, Lothar Schmidt und viele andere verband das gemeinsame Interesse an der Erhaltung der Judengasse, die von Fachleuten als wertvolles Baudenkmal eingestuft wurde. Werbekampagnen und Vorträge rückten die Judengasse in den Fokus der Öffentlichkeit. Das Landesamt für Denkmalpflege wurde auf das Rothenburger Projekt aufmerksam. Der Verein Alt-Rothenburg kaufte 1993 für 124.000 DM die Häuser 19 und 21 von der Stadt. Landkreis und Bezirk stellten ebenfalls Zuschüsse zur Verfügung. 1988 schrieb Harald Lamprecht in den „Nürnberger Nachrichten“ am Schluss seines umfassenden Berichtes über die Judengasse:
„Rothenburg ist keine arme Stadt. Oberbürgermeister Herbert Hachtel wird nicht müde, Schönheit und Geschichte der Freien Reichsstadt zu rühmen. Die Judengasse sei ein Ansporn, gestalterisch zu wirken, hat er einmal gesagt. Wie immer das zu verstehen ist, eines ist sicher: Im 50. Jahr der Zerstörung jüdischen Eigentums und jüdischer Kulturstätten in Deutschland hat der Stadtrat von Rothenburg die Chance, ein Zeichen zu setzen.“
1994 konnten bereits die ersten Bauaufträge erteilt werden. 2002 beschloss der Verein Alt-Rothenburg den Erwerb des leerstehenden und heruntergekommenen Hauses Nr. 12, um es vor dem Verfall zu sichern. Die Baufälligkeit der Häuser wurde nachweisbar erstmals 1673 aktenkundig festgestellt. Dieser Zustand ist somit selbst Gegenstand der Baugeschichte und hatte sich über 300 Jahre, bis zur Durchführung der jetzigen Instandsetzung erhalten, bzw. zum Teil sogar verschlechtert.
Mikwe aus dem 15. Jahrhundert
Das Gebäude Judengasse Nr. 15-21 ist als „Reihenhaus“ mit einer durchgehenden, einheitlichen Dachkonstruktion über die gesamte Hauszeile im Jahr 1399 erstellt. Die Hauszeile wurde im Mittelalter von der Stadt Rothenburg gebaut und an die vom Kapellenplatz in die Judengasse umgesiedelten Juden vermietet, nachdem sie dort kein Eigentum mehr besitzen durften. Das Gebäude war stets von mehr oder weniger armen Leuten bewohnt. Demzufolge wurde der Bauunterhalt stets mit nur einfachen Mitteln, oder aber sehr nachlässig durchgeführt. Vor Instandsetzungsbeginn war der Zustand des Gebäudes als äußerst bedrohlich zu bezeichnen. Die Raumaufteilung dieses Gebäudes ist eher „kurios“. Das Erdgeschoss gehört je zur Hälfte zu Haus-Nr.15 und zu Haus-Nr.17. Das erste Obergeschoss ist komplett mit Ausnahme eines schmalen Treppendurchstieges der Haus-Nr.17 zuzurechnen. Das zweite Obergeschoss dagegen ist wieder der Haus-Nr. 15 zugehörig. Im Dachgeschoss befindet sich dieselbe Teilung wie im Erdgeschoss. „Im Keller des Hauses Nr. 10“, so Oliver Gußmann in seinem kleinen Heft über den Rundgang durch das jüdische Rothenburg, „befindet sich eine kleine Mikwe (Ritualbad) aus dem frühen 15. Jahrhundert, die man im Reichsstadtmuseum als Modell betrachten kann. Vermutlich befand sich in dem Haus eine Mazzenbäckerei, in anderen Häusern die Metzgerei (Nr. 12) und in einem weiteren Gebäude eine jüdische Schule.“
Wohnen wird zum Kultur-Projekt
Mieter für die renovierten Häuser in der Judengasse zu finden, war nicht schwierig. Die neuen Bewohner müssen unter den niedrigen Türen zwar immer noch den Kopf einziehen. Doch glatte Wände, ein Boden aus Lärchenparkett und moderne Badezimmer zu bezahlbaren Mieten machen das Wohnen in diesen geschichtsträchtigen Häusern für die, die das mögen, selbst zu einem Kultur-Projekt.
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Hallo, ich versuche etwas über das Haus Nr. 32 Judengasse herauszufinden! Wer hat dort ab etwa 1732 gelebt? Steht es jetzt mit dem Brunnen etwa unter Denkmalschutz? Wohnte damals eine Fa. Seidler Maria und Josef in dem Haus? Schneiderin und Sattler von Beruf?
Mit Interesse hab ich den Bericht über die Sanierung der Häuser in der
Judengasse in Rothenburg ob der Tauber gelesen. Es ist nur schade, das es so
lange gedauert hat, bis die Stadt die Renovierung in Angriff genommen hat.
Es war Herrn Knoll in seiner aktiven Zeit in Rothenburg bestimmt immer ein
Anliegen, so wie ich ihn kenne!!!
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