Von Hans Wirsching (†)
Der Bombenangriff vom 31. März 1945 drückte die an und für sich schon bestehende beklemmende Stimmung der Angst vor dem Kommenden noch mehr. Niemand war im Zweifel darüber, dass die kämpfende Front stetig näher kam; man wusste, dass die amerikanischen Truppen bei Würzburg und am Mittellauf der Tauber standen. Würzburg, Wertheim, Mergentheim und Ochsenfurt waren bereits besetzt, der Gegner drang westlich und östlich vor, das Gebiet um Rothenburg gewissermaßen in eine Zange nehmend.
Die deutsche Verteidigung des Abschnitts Crailsheim-Rothenburg-Uffenheim war dem XIII. SS-Armeekorps unter Führung von Obergruppenführer Max Simon übertragen und gehörte der 1. Armee unter dem General der Infanterie Förtsch an. Simon hatte seinen Gefechtsstand zuerst in Zumhaus (zwischen Dombühl und Crailsheim), ab Mitte April in Schillingsfürst. Ihm unterstand die 79. Volksgrenadierdivision (Kommandeur Oberst Seher) mit dem Gefechtsstand in Schöngras (Gemeinde Spielbach/Württemberg). Diese Division umfasste etwa. 6oo bis 800 Mann Infanterie, die Artillerie bestand aus einer Abteilung 10,5 cm, einer schweren SS-Artillerieabteilung (15 cm), ferner einer Kompanie Heeresflak mit Vierlingsgeschützen. Der Kampfwert, dieser Truppen, wozu der Kreisleiter noch Volkssturm und Hitlerjugend abkommandierte, war nach den vorausgegangenen wochenlangen Rückzugskämpfen nur noch gering. Diesem verhältnismäßig kleinen Häuflein gegenüber stand die erdrückende materielle Übermacht der amerikanischen Armee unter General Devers.
Frontlinie: Frankenhöhe-Schweinsdorf-Lindleinssee-Bettwar
Bis ungefähr 10. April stand die Flak-Batterie auf freiem Felde in der Richtung Zehlersgut-Schlachthof bis zum Fischhäusleinsweg. Einige andere Geschütze standen in der Schweinsdorfer Straße hinter dem ehemaligen Schießhaus. Zwischen den beiden Kampftruppen war die Front nicht klar zu erkennen, sie verlief von der Frankenhöhe bei Schweinsdorf, am Lindleinsee vorüber zum Steinbachtal, zu den Tauberhängen oberhalb Bettwar, und auf der linken Tauberseite von der Schlucht hinter Hohbach längs der Tauberhänge bis nach Herrnwinden. Das war der linke Divisionsabschnitt mit der Stadt Rothenburg.
Am 15. April wurde bekannt, dass die amerikanischen Truppen Schrozberg, Blaufelden, Creglingen, Tauberzell, Tauberscheckenbach, Neustett, Oberscheckenbach, Steinsfeld und Gattenhofen besetzt haben. Die Truppen der Verteidigungsfront hatten ihren Kampfstand im Sanatorium Wildbad in Rothenburg ob der Tauber. Der von dem XIII. SS-Armeekorps an die 79. Infanteriedivision gegebene Kampfauftrag lautete: Verteidigung gegen jeden feindlichen Angriff und somit unbedingtes Halten der im linken Divisionsabschnitt zu verteidigenden Stadt Rothenburg. Dazu gab der Kreisleiter von Rothenburg noch den Befehl an den Volkssturm, die Hitlerjugend und an die Einwohnerschaft: „Die Stadt wird bis zum letzten Mann verteidigt.“ Er empfahl den Abzug von Frauen und Kindern. Als Unterkunft hierfür waren die Stadt Eichstätt und die umliegenden Orte bereitgestellt. Demzufolge fuhren verschiedene Familien mit den von der Partei gestellten Kraftomnibussen und Lastkraftwagen ab, viele andere Familien suchten und fanden Unterkunft bei Verwandten und Bekannten in der Umgegend.
Wehrmacht und Volkssturm bauten auf den Straßen Panzerfallen und Tankhindernisse, so auf der Straße nach Creglingen im Taubertal, auf der Hindenburgsteige, an der oberen Blinksteige, auf der Würzburger Straße beim Lindleinssee, am Turmseelein und an der Straße nach Gebsattel. Sprengminen wurden unter die Brücken bei Detwang, bei der Steinmühle, bei der Siechenmühle, beim Turmseelein und unter die Doppelbrücke gelegt. Wie völlig zwecklos diese Maßnahmen waren, hat sich in den folgenden Tagen gezeigt, sie waren nicht das geringste Hindernis für den Vormarsch der amerikanischen Truppen. Die Sprengungen der Brücken haben nur unserer Generation die Kosten des Wiederaufbaus, also finanzielle Lasten gebracht. Ein kulturhistorisches Verbrechen war jedenfalls die Sprengung der Doppelbrücke, dieses für das Stadtbild unersetzlichen, historisch wertvollen Bauwerks. Ein am 16. April 1945 kurz vor der Sprengung noch unternommener Versuch, die Sprengung zu verhindern, war leider erfolglos. Das Sprengkommando erklärte: Wenn wir abziehen, müssen wir die Brücke sprengen. So lautet unser Befehl. Solange er nicht zurückgenommen wird, haben wir ihn auszuführen.
Überlegungen zur kampflosen Übergabe
Im ersten Aprildrittel (5. -10. April) fanden keine wesentlichen Kampfhandlungen in und bei Rothenburg statt. Nur die Batterien hinter der Ostseite der Stadt wurden wiederholt von Fliegern im Tiefflug angegriffen. Einige Sprengbomben der Angreifer krepierten zwischen Oberer Bahnhofstraße und Johannitergasse, dann im Garten des Amtsgerichts an der Leydigstraße, ferner in den Äckern hinter der Lehmackerstraße, hier überall nur geringen Schaden anrichtend. Einige andere Sprengbomben zerstörten am 10. April in der Schlachthofstraße die Häuser Nr. 9 und 11.
Die deutsche Flak, die dann später bis auf zwei Geschütze links vom Fischhäusleinsweg auf die Frankenhöhe zurückgezogen wurde, hatte neben der an und für sich zwecklosen Abwehr der Feindflieger wohl die Aufgabe, den gegnerischen Anmarsch auf die Stadt Rothenburg zu stören. Um das zu erreichen, wurde zeitweise Sperrfeuer und beobachtetes Einzelfeuer auf die Blinksteige, die Leuzenbronner und Reutsächser Steige gelegt. Die in der Stadt noch anwesende Bevölkerung befürchtete das Schlimmste, nämlich einen Artillerieangriff und Kämpfe um und in der Stadt. Mehr und mehr forderten um das Schicksal ihrer Heimatstadt besorgte Männer Schritte für eine kampflose Übergabe von Rothenburg an die Amerikaner. Doch wurden solche Bitten sowohl vom Kampfkommandanten der Wehrmacht, von diesem unter Hinweis auf den Befehl des Korpskommandanten, vom Kreisleiter [Höllfritsch; Adjutant Oskar Unbehauen] aber schärfstens als Miesmacherei abgelehnt, ja sogar mit Vergeltungsmaßnahmen gedroht. Die kurz vorher erfolgten standgerichtlichen Todesurteile gegen einen Rothenburger Bürger und gegen einige Einwohner in Brettheim wegen Feigheit und Verrat ließen zum Schluss auch diese hiesigen Männer resignieren [Mit dem Rothenburger Bürger ist der Gärtner Hans Rößler gemeint, der an der Friedhofsmauer erschossen wurde.]
Abgekämpfte Volkssturmmänner zogen sich zurück
Es war tieftraurig, ansehen zu müssen, wie in der Zeit vom 10.-16. April 1945 sowohl Wehrmachtsangehörige wie Volkssturmmänner einzeln oder in kleinen Trupps von 3 bis 4 Mann müde, abgerissen und seelisch vollkommen zusammengebrochen zumeist um die Stadt rückwärts zogen. Da erschien am 15. April 1945 gegen 17 Uhr ein von General Devers geschickter Parlamentär, ein amerikanischer Oberleutnant, mit einem Dolmetscher. Er verlangte den Kampfkommandanten zu sprechen. Aus diesem Vorgang geht mit deutlicher Klarheit hervor, dass dem General der amerikanischen Armee daran gelegen war, der Stadt Rothenburg keinen weiteren Schaden zuzufügen Die Gründe für diese Haltung sind erst nach Jahren bekannt geworden. Wir danken dies dem damals stellvertretenden Kriegsminister der USA, dem jetzigen Hohen Kommissar der USA im Bundesgebiet, Mr. John Jay McCloy.
- Hier irrt Hans Wirsching. Es handelte sich nicht um einen Parlamentär, sondern um sechs US-Soldaten als Parlamentäre. Sie kamen nicht am 15. April, sondern am 16. April (siehe: Sechs US-Parlamentäre überredeten den Kommandanten von Rothenburg kampflos abzuziehen…).
Die Verhandlungen zwischen dem Parlamentär und dem Kampfkommandanten, zu der auch der Generalstabsoffizier der 79. Infanteriedivision erschienen war und der Standortälteste [Oberstleutnant Rosenau] von Rothenburg zugezogen wurde, waren geheim, d. h. die Zivilbevölkerung erfuhr nichts davon und wurde auch nicht über ihre Meinung gefragt. Später erfuhr man aus Kreisen der Beteiligten, dass der Parlamentär die bedingungslose Übergabe der Stadt gefordert hatte, um eine Artilleriebeschießung zu vermeiden. Die deutschen Offiziere lehnten unter Hinweis auf ihren Befehl die sofortige formelle Übergabe der Stadt ab, wollten jedoch die endgültige Entscheidung darüber ihrem kommissarischen General überlassen. Es wurde vereinbart, dass am 17. April 1945, früh 6 Uhr, eine erneute Zusammenkunft stattfinden und bis dahin gegenseitige Waffenruhe sein soll.
Noch Kampfhandlungen an der Siechenmühle und in Gebsattel
Allerdings ereigneten sich trotzdem einzelne Kampfhandlungen. So wurde am 16. April nachts die Siechenmühle beschossen, wobei neben geringem Gebäudeschaden noch ein Schuppen in Flammen aufging. Von Truppen, die aus Neusitz gegen Gebsattel vorgingen, wurde der Dorfteil westlich der Tauber mit Feuer belegt. Die vereinbarte zweite Besprechung am 17. April fand nicht statt; denn die Division ordnete an, dass der Kampfabschnitt Rothenburg in der Nacht vom 16. auf 17. April zu räumen sei. Von diesem Befehl wurde die Stadt am 16. April abends durch den stellvertretenden Standortältesten vertraulich verständigt und verantwortungsbewusste Männer aus der Bürgerschaft gaben hiervon in der gleichen Nacht dem Kommandeur der amerikanischen Armee in Tauberzell Nachricht. Am 17. April 1945 morgens war also Rothenburg von deutschen Truppen geräumt, der Kampfstand im Wildbad aufgegeben und nur noch vereinzelte Widerstandsnester im Taubertal, z. B. in der Stegmühle, vorhanden.
Nach Rückzug der deutschen Soldaten wurde die Stadt übergeben
Am 17. April 1945 rückten dann die amerikanischen Truppen von Hemmendorf, Leuzenbronn, dem Taubertal, aus Gattenhofen und Steinsfeld kommend gegen die Stadt vor. Ein Teil umging bei Schweinsdorf Rothenburg und marschierte nach Gebsattel. An diesem Tage früh um 6 Uhr kam über den Heckenacker ein amerikanischer Soldat mit verbundenen Augen, einen Nachrichtenapparat mit Antenne tragend, in Begleitung eines deutschen Unteroffiziers, der anscheinend bereits kriegsgefangen und deshalb ohne Waffen war. Der amerikanische Soldat, der deutsch sprach, verlangte nach dem Bürgermeister. Ein Rothenburger führte ihn zunächst auf die Polizeiwache. Dorthin holte man zwei Rothenburger, die der englischen Sprache mächtig waren, als Dolmetscher und den stellvertretenden 2. Bürgermeister [Erhard], da sich der 1. Bürgermeister [Schmidt] noch bei der Wehrmacht befand. Vom Bürgermeister verlangte der Parlamentär eine Erklärung, dass die Stadt Rothenburg an die Amerikaner übergeben werde. Der Vertreter der Stadt erklärte, dazu nicht das Recht zu haben, es müsse der Standortälteste [Rosenau], entscheiden. Dieser hatte seine Wohnung in Gebsattel [Schloss], und dorthin fuhren in einem deutschen Kraftwagen der Amerikaner mit einem Polizeibeamten [Hans Hörber]. Vorne saß neben dem Kühler ein Junge [der zehnjährige Kurt Metzner] mit einer schnell improvisierten weißen Fahne.
Der Standortälteste in Gebsattel erklärte, er sei krank und habe seine Stellung in Rothenburg niedergelegt, übrigens habe er auch keine Befehlsgewalt über die Kampftruppe. Diese habe nur der örtliche Kampfkommandant, dessen Standort im Wildbad sei. Nun fuhren die zwei Männer nach dem Wildbad, um dort nur zu erfahren, dass der Kampfstand aufgegeben sei und das Kommando sich Tauber aufwärts zurückgezogen habe.
Es war also so, wie der stellvertretende Standortälteste am 16. April 1945 vertraulich mitgeteilt hatte, dass die Stadt nicht verteidigt werde und alle Truppen einschließlich des Volkssturms zurückgezogen worden seien. Der stellvertretende Standortälteste hatte gleichfalls die Stadt bereits in einem hier requirierten deutschen Kraftwagen verlassen. Der in Gebsattel wohnhaft gewesene Standortälteste fuhr von Gebsattel aus auf dem Rückzug mit einem Fahrrad auf eine Tellermine und kam dabei ums Leben.
Der Kraftwagen mit dem amerikanischen Parlamentär fuhr nach Rothenburg zurück. Inzwischen war die Stadt im westlichen Teil schon von amerikanischen Truppen besetzt. Der im Kraftwagen kommende Kamerad wurde von ihnen begeistert begrüßt. Der Übergabe der Stadt Rothenburg ob der Tauber an die Amerikaner stand jetzt nicht mehr im Wege. – Fortsetzung siehe nächsten Artikel: Kriegsende III: Amerikaner besetzten am 17. April 1945 die Stadt und ordneten das öffentliche Leben.
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