Von Wolf Stegemann
Ludwig Siebert, Rothenburgs langjähriger Bürgermeister bis zum Jahr 1919 war ein Nationalsozialist, dem man heute immer noch eine Straße widmet. Sie führt zum Bahnhof und mag sofort sinnfällig als die Straße gelten, die wegführt. Die Ehrung der Straßenbenennung soll im übertragenen Sinn von Nationalsozialisten wegführen und hinführen zu einem „väterlichen Freund“ der Stadt Rothenburg, zu einem politisch sozialen und guten Siebert. Doch ein solcher war er nicht. Als ein solcher wird er aber von exponierten Alt-Rothenburgern angesehen, hörte doch der Verfasser 2014, dass Siebert als NS-Ministerpräsident der „sozialste Mensch“ gewesen sei, wie es vorher und nachher keinen – wie ihn – für Rothenburg gegeben habe. Damit meinte der Gesprächspartner keineswegs die Verdienste Sieberts als Bürgermeister, so er welche hatte, sondern die als Nationalsozialist für die Nazi-Vorzeigestadt Rothenburg ob der Tauber.
Siebert beschaffte Steuermittel und Spenden, mit denen die damals bröckeligen Mauern und Türme restauriert werden konnten. War das sozial? Keineswegs im wahren Sinn des Wortes! Der Antisemitismus der bösartigen Rothenburger Prägung blühte unter Sieberts Regentschaft in München auf. Siebert kümmerte sich um die Glocken von St. Jakob, dass sie nicht beschlagnahmt wurden, und verteilte da und dort Geld, doch kümmerte er sich auch nicht um „seine Rothenburger“, die Opfer seines Regimes waren, die Verfolgten und Entrechteten, die Andersdenkenden und Behinderten. Er setzte sich ein für Rothenburg im Sinne des nationalsozialistischen Gestaltungsdrangs zur Erneuerung mittelalterlicher Mauern und Türme.
Instandsetzungsprogramm kostete 400.000 Reichsmark
Um Letzteres ging es im „Hilfswerk Alt-Rothenburg“. Denn der Nationalsozialismus versuchte, an die kulturgeschichtliche Tradition des Mittelalters anzuknüpfen, schreibt 2011 Daniel Bauer in „Die Linde“. Der Ministerpräsident regte im Juni 1937 im Stadtrat an, weite Teile von Alt-Rothenburg zu restaurieren und versicherte den Rothenburgern „Adolf Hitlers Anteilnahme“, denn die Rolle, die Rothenburg im Nationalsozialismus spielte, war im NS-Sinne politisch-kulturell wichtig. Ludwig Siebert legte zügig das so genannte Siebert-Programm für Rothenburgs Instandsetzung gesetzlich im Haushalt des Landes fest. 400.000 Reichsmark waren veranschlagt. Die „Akademie zur Wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums“ in München lobte diesen Einsatz. Im Geleitwort der Schrift „Von deutscher Art“ (1939) steht:
(Ludwig Siebert) „hat sich als alter Mitkämpfer des Führers, als Chef der bayerischen Landesregierung und als Staatsminister für Finanzen und für die Wirtschaft immer in vorderster Front für die deutsche Wiederaufrichtung, für die völkische und wirtschaftliche Erstarkung Deutschlands eingesetzt. Sein besonderes Augenmerk widmet er der Erhaltung sinnvoller Zeugen deutschen Wesens.“
Bauhütte vor dem Rödertor errichtet
Bevor die Arbeiten zur Instandsetzung der Stadtmauerpartie am Klingentor begannen, die dann bis zum Galgentor fortgesetzt wurden, errichtete das Unternehmen vorm Rödertor eine Bauhütte. Wegen Einsturzgefahr eingerüstet wurden zugleich Mauern an der Blasiuskapelle und am Stadtgärtnerhaus im Burggarten, in der Burggasse und am Großen Stern. Mauern mussten abgetragen und wieder aufgebaut werden. Im ersten Jahr der Arbeiten konnten 600 Meter Mauern befestigt werden. Am Klingenturm wurden Strebepfeiler aus Beton eingesetzt, Spitzbögen und Fensterumrandungen aus Sandstein ausgewechselt, die von Steinfraß befallen waren. Erker, Fachwerke und Dachgesimse wurden erneuert wie Teile des Mauerwerks zwischen der Klingenbastei und dem Strafturm. Der Große Stern bekam ein neues Dachgebälk, zahlreiche morsche Sandsteinquader konnten durch haltbareren Muschelkalk ersetzt werden. Auch wurden die Wehranlagen der St. Wolfgangskirche instandgesetzt sowie das angrenzende Torhaus.
1939 konnten die Arbeiten an der Stadtmauer über das Galgentor bis zum Rödertor fortgesetzt und die Wallgrabenmauer am Spitaltor, das Rathaus mit dem Rathausturm teilweise restauriert werden. Das Hilfswerk verantwortete auch die Bestandserhaltung von herausgehobenen Bürgerhäusern wie beispielsweise das Baumeisterhaus und das Plönlein mit Brunnen. Ebenso stand die Wiederherstellung des Herterichbrunnens und Eichbrunnens auf dem Bauprogramm. Zudem stand das „Hilfswerk Alt-Rothenburg“ jedem Hausbesitzer mit fachmännischer Beratung zur Verfügung und gab auch Zuschüsse.
Ludwig Siebert, oberster Leiter der Rettungsmaßnahmen „Hilfswerk Alt-Rothenburg“ starb 1942. Somit erlebte er 1945 die Zerstörung der halben Stadt mit Mauern und Türmen durch alliierte Bomber nicht mehr. Ironie der Geschichte: Diese Zerstörung war letztlich eine Folge des Krieges, der vom NS-Regime begonnen wurde, dem Ludwig Siebert in herausgehobener Stellung diente (siehe Porträt: „Ludwig Siebert – Nationalsozialist und Menschenverächter…“).
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