Von Wolf Stegemann
Wenn prominente Menschen eine Stadt besuchen, dann holen die Stadtoberen, je nach Nobilität oder auch nur nach gesellschaftlicher, politischer oder kultureller Bekanntheit der Besuchers ein Buch hervor, in das sich diese mit ein paar freundlichen Zeilen und Unterschrift oder nur mit Unterschrift eintragen. Wie in einem Gästebuch eines Hotels. Nur dass das Buch in Städten und gewichtigeren Ebenen „Goldenes Buch“ genannt wird. Das nicht mehr aktuelle Gästebuch der Stadt Rothenburg ob der Tauber wird im Stadtarchiv aufbewahrt. Es ist keineswegs golden, wie man meinen könnte, sondern in einem mit der Zeit gedunkelten Schweinsleder gebunden, an den Ecken mit Metall verstärkt und vorne ziert ein stilisiertes Metall-Stadtwappen dem Umschlag. Er erinnert an art deco der 1920er-Jahre. Und aus dieser Zeit stammt der Foliant. Der Ursprung solcher Goldenen Bücher ist im mittelalterlichen Italien zu finden, wo Städte und Staaten ihre Adelsregister so genannt haben. Heute deutet man die Goldenen Bücher mehr nach ihrem Goldschnitt der Seiten und auf Vergoldungen am Einband und dass die, sie sich da eintragen, eben doch was Besonderes sind.
Bürgermeister- und Landräte-Tagung 1922
Angelegt wurde das schwergewichtige Buch 1922. Anlass war die Jubiläumstagung des Bayerischen Städtebunds am 13. und 14. Oktober in Rothenburg. Der Künstler Ernst Unbehauen malte die entsprechende Zeichnung dazu mit zwei Ratsherren und einem Ritter mit Schwert und Rüstung vor der Rothenburger Stadtkulisse, daneben die Unterschriften der Ober- und Bürgermeister der Städte, darunter nicht nur bayerische, sondern auch welche aus Berlin und Jena. Natürlich ist die Unterschrift des früheren Rothenburger Rechtskundigen Bürgermeisters Ludwig Siebert (1908 bis 1919) zu sehen, der drei Jahre zuvor noch Bürgermeister in Rothenburg war, bevor er als Bürgermeister nach Lindau am Bodensee ging.
Redakteure auf Bayernreise 1929
Ein Jahr später tagten die Gesellschaft für Fränkische Geschichte in Rothenburg, der Landesverband der bayerischen Sparkassen und der Krankenkassen-Verband. 1924 durfte sich Victoria Adelheit Herzogin von Sachsen-Coburg und Gotha mit ihrem Herzog Paul eintragen, danach ein Dr. Johann Graf Clary und Aldringen, dessen Vorfahren man aus dem Dreißigjährigen Krieg kennt. Der akademische „Rothenburger Verband schwarzer schlagender Verbindungen“ (R.V.S.V.) traf sich eine Woche lang zur Verbandstagung und 1925 rückte das badische Grenadierbataillon I/14 Meiningen in Rothenburg zur Marschübung ein. Der „German-Club von Chicago“ traf sich im Juli 1927 und der „Deutsch-Rumänische Eisenbahn-Güterverkehrs-Verband“ zur Konferenz einen Monat später. Dann gaben sich die deutschen Adeligen fast die Klinke in die Hand, bevor 1929 Redakteure aus Berlin, Düsseldorf, Dortmund, Magdeburg und anderen Städten Rothenburg besuchten. Bevor es 1932 mit einem Brigademanöver wieder militärisch wurde, ging es zwei Monate vorher nochmals musisch zu, als sich die Axion-Singers aus Brooklyn in Rothenburg ein Stelldichein gaben.
Himmler, Göring, Hierl und britische Reisekaufleute
Danach kamen die Nationalsozialisten. Nicht sofort, denn erst einmal reiste Heinrich Prinz der Niederlande und Herzog zu Mecklenburg am 13. Juni 1933 an. Nach einigen Besuchen von kleinen Kommunal- und Regionalbeamten wurde es richtig nationalsozialistisch, als nach dem Nürnberger Reichsparteitag am 4. September 1933 Regierungspräsident Hofmann, SS-Reichsführer Heinrich Himmler in Begleitung hoher SA- und SS-Führer in Rothenburg auftauchten und sich in das Goldene Buch eintrugen. Ein Jahr später tagten Gauarbeitsführer des Dritten Reiches in Rotheburg, angeführt von RAD-Reichsarbeitsführer Konstantin Hierl. Der bayerische Ministerpräsident Ludwig Siebert war Pfingsten 1935 in Begleitung von Robert Ley in Rotheburg, NS-Paladin und Reichsmarschall Hermann Göring kam am 23. Juni 1935, Franken-Gauleiter Julius Streicher auch, Heinrich Himmler am 14. Mai 1936 und eine Delegation englischer Damen und Herren des „Representatives of the Reisebueros Cook London“ waren Ende September in Rothenburg. Danzigs Gauleiter Albert Forster kam im Mai 1937 und die Marine-Unteroffizier-Lehrabteilung mit ihrem Kommandeur, Fregattenkapitän von Trotha, am 4. September 1937. – Von nun an beherrschten Soldaten die Eintragungen im Goldenen Buch der Stadt.
NS-Besuch aus Japan, Finnland, Belgien, Südafrika, Slowakei
Nachdem Österreich dem Reich „angeschlossen“ war, fand in Nürnberg der 1. Großdeutsche Reichsparteitag statt. Danach kam viel NS-Prominenz von Nürnberg nach Rothenburg. Am 13. September 1938 stehen seitenweise Namen, darunter der belgische NSDAP-Führer und viele Ausländer mit nationalsozialistischen Funktionen. Eine der folgenden Seiten sind mit japanischen Schriftzeichen bedeckt, denn kam Besuch aus Tokio, aber auch Militärs aus Helsinki, Süd-Afrika, Bratislava-Slowakei. Kurz vor Kriegsbeginn hat sich noch ein Luther Harz aus Philadelphia ins Goldene Buch eingetragen. Danach blieb es lange in der Schublade, wurde erst wieder 1941 herausgeholt, als am 6. März Soldaten eines Infanterie-Regiments in Begleitung von japanischen Soldaten Rothenburg besuchten.
Letzte Eintragung im Krieg: ein Leutnant eines Panzer-Stoßtrupps
Bayerns Ministerpräsident besuchte Rothenburg in Begleitung des Oberarbeitsführers Freiherrn von Loeffelholz am 18. August 1941. Letzterer wollte die Villa Friedle am Nuschweg in Rothenburg für sich in einem Zwangsversteigerungsverfahren erwerben, wobei ihm Siebert als Freund und Ministerpräsident den Versuch machte, ihm das Haus zukommen zu lassen. Das misslang, weil der Richter am Amtsgericht anderen den Zuschlag gegeben hatte. Am 5. Juli 1942 tagten ausländische Dozentinnen und Studentinnen, vornehmlich aus Rumänien und Bulgarien, unter Leitung von Marion Freisler in Rothenburg, die allesamt an der Universität Würzburg lehrten bzw. studierten. Am 6. November 1942 trug sich der SS-Obergruppenführer und General der Polizei Freiherr von der Goltz ins Goldene Buch ein. Danach gibt es nur noch zwei Eintragungen aus der NS-Zeit: Ohne Datum haben sich Rothenburger Nazi-Größen ihre Namen eingeschrieben: ein SS-Sturmbannführer (unleserlich) sowie NSDAP-Kreisleiter Höllfritsch, die Herren Probst, Haas, Fritz Edelhäuser (SA), Georg Arlt (SA), Bernhard Fürst, ein RAD-Offizier (unleserlich), gefolgt von anderen unleserlichen Unterschriften. Ihre Unterschriften stehen auf dem Blatt, ohne Angabe von Gründen, als ob sie sich vor dem Untergang des Nationalsozialismus alle zusammen noch einmal im Goldenen Buch der Stadt versammelt sehen wollten. Der letzte Eintrag ist auch ohne Datum. Ein Leutnant des Stoßtruppes des Panzerregiments 35, Karl Heinz Gsell, hat sich eingetragen. Wie aus den Unterschriften hervorgeht in Begleitung von denn NS-Herren Höllfritsch, Haas und Beuermann.
Keine visuelle Trennung zwischen NS-Zeit und Bundesrepublik
Mit diesem Eintrag endet die nationalsozialistische Zeit im Goldenen Buch der Stadt. Adolf Hitler, der auch hier war und im Hotel Eisenhut nächtigte, ist nicht darunter. Beim Durchblättern wirkt befremdlich, dass es keine visuelle Zäsur zwischen der NS-Zeit und der darauffolgenden gibt, die mit einer Oberbürgermeister- und Landräte-Tagung am 26. April 1951 unter Leitung von Dr. Theodor Oberländer fortgesetzt wurde. So sind auf der linken Seite die letzten Eintragungen des Stoßtrupps des Panzerregiments mit den Nazis Höllfritsch und Konsorten zu sehen und ohne Übergang rechts die Bürgermeister-Tagung von 1951. Offensichtlich ist man nicht auf die Idee gekommen, den Frieden und demokratischen Neubeginn schriftlich zu formulieren oder bildlich zu visualisieren. Einfach weitermachen als wäre nichts geschehen. Das ist eine Losung, die in den 1950er-Jahren auf viele Themen des Übergangs zutrifft und auch an Namen wie Hans Globke, Theodor Oberländer, Kurt-Georg Kiesinger, aber auch Friedrich Schmidt, Martin Schütz, Fritz Zidan, Ernst Unbehauen und andere festgemacht werden kann.
William M. Dwyer, der 1945 als Soldat hier war, besuchte die Stadt als Gast
In der Nachkriegszeit beginnen wieder verstärkt bunte Illustrationen zu den Eintragungen. Am 30. April 1951 wurde von Regierungspräsident Schregle die Postwagen-Linie Schwäbisch Hall-Rothenburg eröffnet und die „Historischen Festspiele“ im Juli 1951. Der US-„Stars & Strips“-Korrespondent William M. Dwyer, der am 16. April 1945 als Parlamentär die kampflose Übergabe der Stadt erwirkte, trug sich Pfingsten 1951 ins Gästebuch mit der Erinnerung ein, dass er zu den Parlamentären gehörte. Zum Abschiedbesuch kam der US-Hochkommissar und Rothenburgs Ehrenbürger John J. McCloy am 25. Juni in die Stadt und Deutschlands Dentisten gründeten am 26. März 1953 in Rothenburg den „Bundesverband der Deutschen Zahnärzte“. Mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Ehard kamen am Mai 1953 die Rektoren der bayerischen Universitäten zusammen, Bundesminister Seebohm kam eine Woche später bevor die Posaunisten im Juni ihren Landesposaunentag begingen. .
Zunehmend international und die leichte Muse
Prinz Abdullah Al Faisal von Saudi Arabien kam am 11. September nach Rothenburg. Wie viele Haremsdamen er dabei hatte, geht aus der Eintragung nicht hervor, doch die farbige Illustration, vermutlich von Ernst Unbehauen gemalt, zeigt drei blau Verschleierte. Unter Franz-Josef Strauß tagte die CSU mehrere Tage im Januar 1954 und einen Monat später verabschiedete sich die 12. Stabs-Hundertschaft der Bayerischen Bereitschaftspolizei, die im Wildbad untergebracht war.
Zunehmend international wurde es mit Indern, mit britischen Schulfachleuten und französischen Sportlern. Bundespräsident Heuss war am 30. April 1954 in Rothenburg, zwei Monate später eine Filmgesellschaft mit Soja Ziemann, Adrian Hoven und Léon Paul. 1955 kam der australische Ministerpräsident nach Rothenburg, wo im gleichen Jahr der bayerische Ministerrat tagte. Die „Christel von der Post“ machte am 26. September 1956 mit Gardy Granass, Paula Hagen, Claus Biederstädt und Hardy Krüger ihre Aufwartung.
Das Buch schließt mit dem Wiederaufbau der Doppelbrücke
Die Eintragungen im Gästebuch der Stadt von 1922 bis 1956 enden mit den Unterschriften des Festaktes zur Einweihung der wieder aufgebauten Doppelbrücke am 16. Dezember 1956. Ein gutes Zeichen des Aufbaus der Stadt und des Anpackens, um sich aus den Zerstörungen zu lösen, die der Nationalsozialismus und der Krieg in den Seelen der Menschen und in den Städten hinterlassen haben.
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