Von Wolf Stegemann
Er gehörte zu den üblen Nazis in der Stadt Rothenburg, die mit guten Manieren und Redegewandtheit das Böse taten. Als Bürgermeister nicht überwiegend im Vordergrund oder vor der Kamera des Zeitungsfotografen, wie dies die Kreisleiter waren, sondern mehr im Hintergrund. Und wenn er Böses tat, dann mit der ganzen Kraft seines Amtes als Bürgermeister und in seiner Ideologie als Nationalsozialist. So sahen ihn nach 1945 die einen, andere sahen in ihm einen guten Kameraden, einen Mitstreiter, einen guten Menschen mit Bildung und anständig obendrein, der für Rothenburg nur Gutes getan hat, seine Einwohner als Nazi vor den anderen Nazis geschützt hatte! Nationalsozialist? Dieser feine Mensch doch nicht! Der hat doch nur so getan! Die Rede ist von Dr. jur. Friedrich Schmidt (NSDAP), rechtskundiger Bürgermeister der Stadt Rothenburg von 1936 bis 1945, als große Teile der Stadt in Trümmer gelegt worden waren. NSDAP-Kreisleiter Karl Steinacker, der in der Stadt das eigentliche Sagen hatte, wollte Schmidt 1936 unbedingt als Nachfolger des im NS-Sinne lauen Dr. Liebermann als Nachfolger auf dem Bürgermeistersessel. Daher brach Steinacker mit Rückendeckung der Partei die Gemeindeordnung, was im übrigen damals niemanden störte, verzichtete auf eine Ausschreibung der Stelle und hievte in der Ratssitzung vom 31. Juni 1936 Schmidt als Ersten Bürgermeister an die Verwaltungsspitze der Stadt (siehe Text-Porträt an anderer Stelle)..
NS-Führungsoffizier in der Wehrmacht und Durchhalte-Propagandist
Der 1905 in Nürnberg geborene Friedrich (auch Fritz) Schmidt gehörte der NSDAP von 1930 bis 1945 an (Nr. 915.574) , gehörte von 1930 bis 1931 der SA-Stabswache in München an, war im Gau Franken von 1932 bis 1934 Gauamtsleiter der Lügenabwehrstelle, in Schwabach von 1934 bis 1937 Kreisrichter der NSDAP-Kreisgerichts und von 1936 bis 1939 Kreisamtsleiter im Kreisorganisationsamt in Rothenburg. Von 1938 bis 1940 förderte er als Mitglied die SS, vorher war er schon 1930/31 und 1933/34 Truppführer in der SA und gehörte bis 1945 neun weiteren NS-Organisationen an. Aus der Kirche trat er aus und schloss sich der Deutschen Christenbewegung an. Ferner war er Gauredner der NSDAP und Kreisschulungsredner. Als er 1939 zur Wehrmacht kam – nominell aber Erster Bürgermeister blieb –, fungierte er dort von 1944 bis 1945 als NS-Führungsoffizier und Durchhalte-Propagandist.
„Der Endkampf bringt uns den Sieg“
Der Verein Alt-Rothenburg veröffentlichte 1940 ein Grußwort ihres Vorsitzendes Friedrich Schmidts, der gerade in Nordfrankreich „im Felde“ stand.
„Kraftvoll und soldatisch war die Geschichte der Stadt ob der Tauber stets auf ein Ziel gerichtet, das Reich. Heute ist für Großdeutschlands Freiheit das ganze Volk angetreten. In den Ländern besiegter Feinde, in der Heimat tun wir unsere Pflicht. Der Endkampf bringt uns den Sieg. Aus der Ferne grüße ich ,Alt-Rothenburg’ – Heil Hitler!“
Allein die Beteiligungen Dr. Friedrich Schmidts an den Partei- und NS-Organisationen lassen darauf schließen, so die Spruchkammer Rothenburg, dass er „als ein äußerst zuverlässiger Nationalsozialist galt“.
„Er hat somit durch Einsetzen seines persönlichen Ansehens und seiner Machtstellung im politischen Leben wesentlich zur Begründung, Stärkung und Erhaltung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft beigetragen.“
Einen politisch Andersdenkenden aus städtischen Diensten entlassen
Die Spruchkammer stellte aber auch fest, dass über Schmidt „besondere Übergriffe in seiner Eigenschaft als Bürgermeister außer einigen kleinen Delikten nicht bekannt“ sind. Für das Rathaus mag das zutreffen, für die Straße sicherlich nicht, den der Bürgermeister war beispielsweise immer dabei, wenn es um die Verfolgung der jüdischen Einwohner ging, ihre Demütigung und Vertreibung und ihrer Beraubung durch die „Arisierung“. Das belegen auch die zeitgenössischen Artikel im „Fränkischen Anzeiger“. Auch hatte er den Stadtkantor Hans Feige seiner Tätigkeit unter hässlichen Umständen enthoben, weil ihm dieser Mann wegen seiner gegen den Nationalsozialismus gerichteten politischen Einstellung nicht mehr tragbar erschien (siehe Artikel an anderer Stelle). Und als es in Rothenburg zur Abstimmung über Gemeinschafts- oder Konfessionsschulen ging, beschimpfte der bildungsbeflissene Bürgermeister die Lehrerin Fräulein Boos öffentlich mit Kraftausdrücken, weil sie gegen die von den Nazis geforderten Gemeinschaftsschulen stimmte, und versetzte sie nach Ippesheim. Ähnlich erging es dem Rothenburger Prediger Christenn, den er an die Muna nach Oberdachstetten versetzen ließ. Dennoch hat er ein ganze Riege an städtischen Angestellten auffahren lassen, die ihm bescheinigten „dass er stets gerecht für seine Bediensteten eingesetzt“ und sich „vor sie gestellte“ hätte.
Kläger sah in ihm einen Hauptschuldigen
Im Entnazifizierungsverfahren beantragte der öffentliche Kläger Adolf Bohn, den NS-Bürgermeister Dr. Schmidt „nach Beurteilung in gerechter Abwägung der individuellen Verantwortlichkeit und er tatsächlichern Gesamthaltung“ in die Gruppe I der Hauptschuldigen einzustufen. Im Verfahren der Spruchkammer erklärte Friedrich Schmidt, dass er der NSDAP in frühen Zeiten stets misstrauisch gegenüber gestanden hätte.
„Erst als Hitler vor dem Reichsgericht beschworen hatte, dass er die NSDAP nur auf verfassungsmäßigem Wege zur Macht führen werde, ja, als sogar der Völkerbund das Programm der NSDAP als zulässig anerkannt hatte (Zulassung der NSDAP in Danzig 1930), erst da war mein Misstrauen beseitigt… Ich wurde Nationalsozialist aus Überzeugung.“
Zur dieser Überzeugung Schmidts gehörten offensichtlich auch die Ankündigungen zur Entrechtung der jüdischen Bürger und ihre Vernichtung. Aber davon schrieb Dr. Schmidt in den eng beschriebenen Blättern seiner 14-seitigen Erklärung vom 5. Juli 1948 (Az. 1118/Ro/Sch) an die Spruchkammer nichts. Seine vielen Ämter spielte Schmidt herunter, wie das damals alle Funktionsträger machten. Seine Tätigkeit als Leiter der Gau-Lügenabwehrstelle, so Schmidt, sei nichts anderes gewesen, als die Zeitungen zu bitten, wenn sie was Falsches über die NSDAP geschrieben hatten, dies zu berichtigen.
Angeblich sah er die Partei gewaltfrei, weil er die Gewalt nicht sehen wollte
Und dann versuchte der Jurist den Spagat zu begründen, warum er für die NSDAP, den Nationalsozialismus und dessen Ziele sich einsetzen konnte, und dennoch gegen Gewalt zu sein. Er trennte in seiner Wahrnehmung die tatsächlichen Gewaltaktionen der Partei von der „gerechten und guten Sache der Partei mit ihrer lauterer Gesinnung“, der er diente, nicht aber „eine Gewaltherrschaft unterstützte“. Sollte dies tatsächlich seine wahre Meinung gewesen sein, woran gezweifelt werden darf, so kam Dr. jur. Friedrich Schmidt durch das mit Gewalttaten gepflasterte Dritte Reich, dem er auch als Bürgermeister „mit Kopf und Herz“ diente.
Für Rothenburg mit „Kopf und Herz“ gearbeitet
Er glaubte auch daran, dass er als Bürgermeister von Rothenburg den Einwohnern Möglichkeiten zur Kritik an den öffentlichen Maßnahmen ermöglichte, indem er jährlich mehrmals zu „mehrstündigen Aussprachen … mit voller Redefreiheit für jedermann“ einlud, was ihm allerdings 1938 von der Partei verboten worden sei. In seinem acht Seiten eng beschriebenen Verteidigungsmachwerk schrieb Dr. Friedrich Schmidt viel über das, was er nicht machte, obwohl er es hätte machen sollen, wenig über Probleme, die er deshalb eigentlich hätte haben müssen und überhaupt nichts über die Vertreibung der Juden und deren Ausraubung, an der er als Bürgermeister beteiligt war. Das Wort Jude kommt in seiner Verteidigungsschrift nicht vor, weil es seine Beteiligung, auch wenn sie passiv gewesen sein sollte, nicht hätte entkräften können. Als Schlusswort schrieb er lieber: „Das Wohl der Menschen und der Gemeinde war mein einziges Ziel. Dafür habe ich mit Kopf und Herz rastlos gearbeitet.“ – Ach ja, Juden waren nach Lesart der Partei keine Menschen.
Vom Hauptschuldigen zum Mitläufer geschrumpft
Doch Schmidt, gewieft aus Erfahrung, kam mit diesen Erklärungen und vielen Entlastungszeugen aus Rothenburg durch die Fährnisse der mittlerweile lau urteilenden Entnazifizierung. Vom beklagten Hauptschuldigen machte ihn die Spruchkammer Rothenburg am 16. Juli 1948 zum Mitläufer (IV) und machte ihn so für das neue Deutschland politisch salonfähig. Ab 1952 saß Dr. Schmidt wieder im Rat der Stadt, diesmal für die rechtsextreme Partei „Deutsche Gemeinschaft“. Von Sühnemaßnahmen sah die Kammer 1948 ab, weil Schmidt von 1945 ab 32 Monate lang im Internierungslager inhaftiert war. Eigentlich, so die Kammer in ihrer Spruch-Begründung, hätte Rothenburgs Bürgermeister als Belasteter in Gruppe II eingestuft werden müssen. Da er aber keinen SA-Dienst mehr machen wollte und 1934 die SA verließ, um sich anderen Parteiaufgaben zu widmen, wurde ihm sein SA-Austritt so positiv angerechnet, dass er gleich zwei Bewertungsstufen von „belastet“ über „minderbelastet“ in die den „Mitläufers“ überspringen konnte.
Waren Belastungszeugen uneinsichtig?
Dabei halfen ihm natürlich auch die Entlastungen Rothenburger Einwohner, die man im Studium der Entnazifizierungsakten eigentlich schon als die „üblichen Verdächtigen“ bezeichnen kann, die sich als ehemalige Nationalsozialisten gegenseitig mit Lügen entlasteten. Und wer genau liest, der entdeckt dann, dass sich darunter viele befinden, die sich damit selbst entlasten, indem sie sich selbst als Gegner des Nationalsozialismus ausweisen, was ihre Aussage für den Belasteten glaubhafter machen, aber auch den Entlastenden ins richtige Licht stellen soll, in dem er oft nicht stand. Wie belastende Zeugen von entlastenden Zeugen bewertet wurden, zeigt das Beispiel des Oberinspektor A. Krauss, wenn er sagt:
„Jeder einsichtig denkende Rothenburger Einwohner muss zugeben, dass Herr Dr. Schmidt in den zehn Jahren seiner Amtstätigkeit seine ganze Kraft für das Wohl und Gedeihen der Stadt eingesetzt hat.“
Und wenn er Grund zu einer anderen Beurteilung hatte? Dann war er eben nicht einsichtig!
Friedrich Schmidt brachte 291 entlastete Aussagen zu Papier
Der Jurist Dr. Schmidt schaffte es doch tatsächlich akribischen 291 entlastende Aussagen zu bekommen, darunter auch solche von hochrangigen Nationalsozialisten wie dem NS-Regierungspräsidenten Hans Dippold („Ein zu rechtlich denkender Beamter, als dass er sich eines sturen Parteifanatismus ergeben hätte.“) und solchen aus der früheren NSDAP-Gau-Behörde. Die meisten Aussagen sind allerdings inhaltlich läppisch („Hat mich politische nie angesprochen!“) aber im Sinne Schmidts dennoch wirksam für seine Verteidigung. So lässt er sich von etlichen Rothenburgern bescheinigen, dass er, Schmidt, anständig war. Punkt. Etliche andere bescheinigten Schmidt, dass er sie nicht angesprochen habe, um sie zum Parteieintritt zu animieren. Wiederum andere schrieben, dass Schmidt ein intelligenter Mann war, der mit dem Kreisleiter Steinacker nicht gut ausgekommen war – und so weiter, und so weiter. Auch lässt Dr. Schmidt seine Frau Emmy was sagen, die nicht der Partei, allerdings der NS-Frauenschaft angehörte:
„Ich bin der Überzeugung, dass meinen Mann niemand so gut kennt wie ich. Aus diesem Grund weiß auch niemand die Motive, die meinen Mann zur Politik und zur NSDAP geführt haben, besser zu beurteilen. Es war reiner Idealismus. Am deutlichsten geht das aus seiner Berufslaufbahn hervor…“
Was ist daran deutlich? Deutlich ist eine Berufskarriere im Nationalsozialismus mit Billigung und Unterstützung der Partei. Denn die Laufbahn, von der seine Frau spricht, begann erst 1931 als Rechtsanwalt in der fränkischen Stadt Spalt, wo er 1933 Bürgermeister wurde, ein Jahr später als dritter rechtskundiger Bürgermeister und Rechtsrat in die größere Stadt Schwabach wechselte, bevor ihn 1936 die Partei – wie eingangs geschildert – als Bürgermeister nach Rothenburg holte. Eine Laufbahn in den Spuren von NSDAP und Nationalsozialismus. Mit Idealismus dürfte das in jenen Zeiten nichts zu tun gehabt haben.
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Quelle: Staatsarchiv Nürnberg, Spruchkammer Rothenburg, Sch 85