Von Wolf Stegemann
Der Rothenburger Georg Leonhard Wilhelm Lindner war Kommunist und ist als solcher nach der Machtergreifung verhaftet und als „Schutzhäftling“ eingesperrt worden. Daraus ist er wieder entlassen worden. Wann das war, ist bislang nicht bekannt. Neue Recherchen im Nürnberger Staatsarchiv haben allerdings einige bislang unbekannte Details ergeben. Hier wird nun lediglich das amtlich Nachweisbare dargestellt und in Zusammenarbeit mit Dieter Balb vom „Fränkischen Anzeiger“ versucht, weitere Quellen zu finden, um das Schicksal des Georg Lindner in nationalsozialistischer Zeit noch schärfer sichtbar zu machen. Wie sein Enkel Hans Lindner Dieter Balb mitteilte, hat die Familie Lindner über die Aufenthaltsorte und das Schicksal Georg Lindners während der NS-Zeit keine Unterlagen.
Im Sommer 1909 von Ansbach nach Rothenburg übergesiedelt
Georg Lindner wurde am 3. Dezember 1887 in Ansbach geboren, war Metallschleifer und hatte einige Zeit ein Kommissionsgeschäft ausgeübt, das ihm wegen Unregelmäßigkeiten behördlich wieder entzogen wurde. Danach arbeitete er bis zu seiner Verhaftung 1933 als Gelegenheitsarbeiter. Seine Mutter war Karoline Babetta Angermeyer, geb. Lindner, Witwe seit 23. August 1886 des verstorbenen Schreiners Georg Michael Angermeyer. Am 27. Januar 1888 erkannte vor dem Amtsgericht Ansbach der Buchdruckereiarbeiter Johann Beck die Vaterschaft an.
Georg Lindner heiratete in Ansbach Margarete Letterer. Das Ehepaar zog im Sommer 1909 nach Rothenburg, wo Anfang August ihr zweites Kind von insgesamt sieben Kindern geboren wurde. Im Ansbacher Standesamtregister sind der Tag der Eheschließung sowie das erste geborene Kind nicht eingetragen. Eine Meldekarte liegt dort nicht mehr vor. Im Rothenburger Konfirmationsbuch sind die in Rothenburg geborenen Kinder genannt: Anna (geb. 3. August 1909, Matthias (13. Mai 1911), Maria (29. Oktober 1912), Georg Wilhelm (4. März 1915), Gretchen (27. April 1920) und Wilhelm (4. Juli 1923).
1933 mit anderen Rothenburger verhaftet und in Schutzhaft genommen
Georg Lindner schloss sich den damals noch wenigen Kommunisten im Kreis Ansbach an. Sein Name steht auf einer handschriftlichen Liste von KPD-Mitgliedern, die an einer Demonstration in Ansbach teilgenommen hatten. Diese Auskunft ist allerdings nicht belegt. Die Liste gibt es nicht mehr. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde Georg Lindner in der ersten großen Verhaftungswelle in Rothenburg am 10. März mit den Sozialdemokraten Konrad Schöffel, Adolf Bohn, Friedrich Hörner, Fritz Appler und Michl Emmerling verhaftet und im Rothenburger Gefängnis inhaftiert. Das geht aus einem Verzeichnis der im Amtsgerichtsgefängnis Rothenburg vom 1. April 1933 inhaftierten Schutzgefangenen hervor (Staatsarchiv Nürnberg, LRA Rothenburg, Nr. 2860). Wann und wohin Georg Lindner vom Rothenburger Amtsgerichtsgefängnis verbracht wurde, ist nicht bekannt. Angeblich soll Lindner ins Gefängnis nach Uffenheim gekommen sein und von dort in ein Konzentrationslager. Offensichtlich war dies aber nicht Dachau, wie behauptet wird, denn sein Name taucht in den Zugangsbüchern des KZs Dachau erst 1938 auf. Das hat auch seinen Grund. Denn Georg Lindner lebte ab seiner Entlassung (Datum unbekannt) nach der Schutzhaft bis 1938 als Gelegenheitsarbeiter wieder in Rothenburg ob der Tauber. 1938 wurde er verhaftet, „weil er sich in einem öffentlichen Lokal in angetrunkenem Zustand unter Hinweis auf seine kommunistische Einstellung dementsprechend ausgelassen hat“. Das geht aus einem Schreiben der Rothenburger Spruchkammer an das Staatsministerium für Sonderaufgaben vom 28. Februar 1947 hervor.
Es war damals üblich, dass Kommunisten in der Zeit nach der Machtergreifung überall in den Städten des Reiches verhaftet, in Gefängnisse oder Konzentrationslager verbracht wurden. Viele von ihnen wurden allerdings nach ein paar Monaten „Schutzhaft“ wieder entlassen, wenn sie dem Kommunismus per Unterschrift entsagt hatten. In der Zwischenzeit hatten sie ihren Arbeitsplatz verloren und lebten, wie ihre Familien in der Abwesenheit der Väter, von der Wohlfahrt.
Kapo im Konzentrationslager Dachau
Nachgewiesen ist, dass Georg Lindner am 19. März 1938 mit der Haftnummer 13.668 ins KZ Dachau überstellt wurde. Er arbeitete dort bis Ende 1938 in der Lager-Küche, danach in der Strumpfstopferei und wurde schließlich Kapo (Vorarbeiter) in der Bekleidungskammer. Rund fünf Monate später, am 6. August, wurde er an einen bislang unbekannten Ort überführt, von dem er vier Wochen später mit der Haftnummer 18.544 wieder ins Konzentrationslager Dachau zurückkam. Der gleiche Vorgang wiederholte sich am 8. Oktober mit der Überführung an einen ebenfalls noch unbekannten Ort, von dem Lindner vier Tage später zurückkam. Am 27. September kam er ins Außenlager Flossenbürg, wo er bis zum 2. März 1940 mit der Haftnummer 825 blieb und dann ins Stammlager Dachau zurückkehrte. Hier blieb er bis zum 29. April 1945, als das Konzentrationslager von den Amerikanern befreit worden war. Im Konzentrationslager hatte er den Status eines „Schutzhäftlings“.
1945 nach Rothenburg zurückgekehrt
Georg Lindner kehrte nach Rothenburg zurück und blieb seiner kommunistischen Überzeugung weiterhin treu. Er wurde Vorsitzender der Rothenburger Nachkriegs-KPD, arbeitete als Verwaltungsangestellter im Stadtbauamt und wohnte in der Bahnhofstraße 21. In der ersten Nachkriegszeit saß Georg Lindner als Mitglied der KPD im Rothenburger Stadtrat. Die Stadtrats- und Bürgermeisterwahl von 1952 war ein Wendepunkt. Durch den politischen „Rechtsruck“ in Rothenburg ob der Tauber kamen alte Berufs-Nazis wieder zu Amt und Würden. Der frühere NS-Bürgermeister Dr. Friedrich (Fritz) Schmidt beispielsweise, der nach seiner Internierung wieder in Rothenburg auftauchte, wurde in der Wahl von 1952 mit den meisten Wählerstimmen (über 6.000) in den Rat gewählt, war sogar als Bürgermeisterkandidat des Rechtsblocks vorgesehen. Der Kommunist Georg Lindner taucht nach dieser Wahl nicht mehr auf.
Amerikaner forderten seine Entlassung als Beisitzer der Spruchkammer
Georg Lindner war Beisitzer der Spruchkammer Rothenburg, die Rothenburger zu entnazifizieren hatte. Offensichtlich waren der Kommunist Georg Lindner sowie die früheren SA-Mitglieder Dr. Julius Wünsch (Fabrikbesitzer) und Dr. Hans Schlee (Tierarzt) der amerikanischen Militärregierung nicht genehm. Am 16. Januar 1947 verlangte der Special Branch Officer Frank X. Burkhouse vom Vorsitzenden der Spruchkammer, Schade, die drei ihrer Ämter zu entheben: „The reason für Mr. Lindner’s removal ist the fact that he has a criminal record“ (Vorstrafe 1936). Bei Wünsch und Schlee waren es die SA-Mitgliedschaften. Daraufhin empfahl das Staatsministerium für Sonderaufgaben, dem die Entnazifizierung in Bayern oblag, am 18. Februar 1947 dem Spruchkammervorsitzenden Schade, die Belastungen der drei genau zu überprüfen. Der Vorsitzende führte daraufhin ein „besonderes Gespräch“ mit dem Ergebnis: „Georg Lindner hat kein Interesse an einer Beisitzertätigkeit, nachdem auch die KPD als politische Partei nicht mehr im Landtag vertreten ist und er eine Mitarbeit deswegen in Zukunft ablehnen würde.“ – Georg Lindner starb am 30. März 1958 im Alter von 71 Jahren und wurde durch den evangelischen Pfarrer Dr. Strobel am 1. April 1958 bestattet.
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