Von Wolf Stegemann
In schwerster Zeit übernahm er die Verantwortung, um wieder aufzubauen, was andere eingerissen haben. Er tat es als Bürgermeister für seine Rothenburger, die, als sie noch braune Hemden trugen, ihn vor 70 Jahren aus dem Stadtrat vertrieben und sogar mit Schutzhaft belegten. Als von den Amerikanern 1945 eingesetzter Bürgermeister räumte er zwar die Straßen und politischen Verkantungen für ein Überleben frei, die seelischen Trümmer konnte er nicht wegräumen. Nach sieben Jahren musste er aufgeben, denn durch den wieder erstandenen politischen Rechtsruck in Rothenburg, wurde der SPD-Bürgermeister nicht mehr gewählt. Nur kurze saß er nach 1952 im Stadtrat noch mit denen zusammen, die einst zu seinen Verfolgern gehörten. Er starb 1954. Die Rede ist von Friedrich Hörner.
Wer war dieser Mann? Friedrich Hörner hatte die großen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche des Kaiserreichs, des Krieges mit dem Umsturz, die Unruhen danach und das Scheitern der Weimarer Demokratie an den Rechten und die Wahl der Nationalsozialisten und deren Terror-Regime, den zweiten Krieg und dann die von den Alliierten verordnete Demokratie erlebt, an dessen Installation er in Rothenburg noch mitwirkte.
Gegenüber Andersdenkenden stets tolerant
Liest man die Ratsprotokolle von vor 1933 und die nach 1945, dann spürt man in den Reden, die er hielt, dass er den Menschen und den Respekt auch vor politisch Andersdenkenden im Fokus seiner politischen Betrachtung und Entscheidungen hatte. Das zeichnet ihn aus. Machte ihn aber auch gegenüber den politisch nicht so toleranten Andersdenkenden, mit denen er es nach 1950 zunehmend zu tun hatte, schwach. Denn gegen Ende seiner Amtszeit gab es in Rothenburg einen Rechtsruck.
Seine Toleranz und sein Zugehen auf den Anderen, lernte er schon als Kind. Er war der Älteste von sechs Geschwistern. In der Zeit, in der er geboren wurde, 1877, war dieser Kinderreichtum nicht außergewöhnlich. Sein Vater August war Schneidermeister. Als Ältester musste er sich schon früh um seine Geschwister kümmern. Vermutlich lernte er hier, was Gerechtigkeit bedeutet, denn diese Tugend war sein Leben lang tief in ihm verankert. Ab 1896 arbeitete Friedrich Hörner in einem Rothenburger Industriebetrieb. Er sah die Nöte seiner Kollegen und Kolleginnen, nahm Anteil und betätigte sich noch im gleichen Jahr in einer Gewerkschaft, um sich mehr um die sozialen und wirtschaftlichen Belange der Arbeiterschaft kümmern zu können.
1900 in St. Jakob geheiratet
Der 23-jährige Friedrich Hörner heiratete am 11. Juli 1900 in St. Jakob die 20-jährige Elise Strohmaier aus Schwäbisch Hall. Das Ehepaar bezog einen kleinen selbsterwirtschafteten Besitz im Sterngarten und dort wuchsen ihre drei Kinder auf, darunter ein Pflegekind.
Friedrich Hörner gehörte dem Stadtrat von 1918 bis 1933 an
Hörners politisches und soziales Engagement blieb nicht unbeachtet. Nach Rückkehr aus dem Krieg wurde er 1918 in den Stadtrat gewählt, dem er als Fraktionsführer der SPD bis 1933 angehörte. Nachdem die SPD von den Nazis verboten wurde, löste sich die SPD-Fraktion in Rothenburger Rathaus selbst auf. Hörner wurde mit anderen kurze Zeit in Schutzhaft genommen, zuerst im Rothenburger Gefängnis dann in Uffenheim. Nach Rückkehr verschwand er, wie viele andere auch, von der öffentlichen Bildfläche. Erst 1945 tauchte er wieder auf, als ihn die US-Militärregierung zum Bürgermeister machte und beauftragte, einen „Stadtrat“ zusammenzustellen, der sich um die Lebensbelange der Stadt und ihrer Einwohner kümmern sollte. Ihm brauchten die Amerikaner keine Nachhilfe in Demokratie geben; aber Hörner einigen der 15 Herren schon, die er mit Genehmigung der Militärregierung aus allen sozialen und politischen Schichten zu „Stadträten“ machte, die dann auch die Demokratisierung vorbereiten und vorantreiben sollten.
Der ausgeprägte Nationalsozialismus in Rothenburg blieb tabu
In seiner Rede in der ersten öffentlichen Sitzung am 2. November 1945 ging Friedrich Hörner auf die Situation der zerstörten Stadt ein, auf die katastrophale Wohnungsnot in der zu 40 Prozent zerstörten Stadt, auf die Belange der Jugend und der Schulen, aber auch auf die politische Situation (Auszug):
„Meine Herren! Die Zeit der Diktatur ist nun vorüber, die schrecklichen Folgen derselben werden uns leider noch Jahrzehnte an diese schmachvollste Epoche deutscher Geschichte erinnern. Wir aber als Stadtrat sind nun keinem Verbrecher, der sich Führer [nennt], sondern dem deutschen Volk und im Besonderen unserer Rothenburger Bevölkerung verantwortlich. Wir tragen die Verantwortung gerne, wir wissen, dass wir nicht immun gegen Fehler sind und unterstellen deshalb unsere Maßnahmen gerne der Beurteilung derer, die nicht Kritik der Kritik wegen üben, sondern selbst mithelfen wollen, die vor uns auftürmenden Schwierigkeiten zu beheben. Wir sind aber infolge der Erfahrungen von vor 1933 nicht mehr gewillt, durch hemmungslose und unsachliche Kritik den Erfolg unserer ehrlichen Bemühungen in Frage stellen zulassen, insbesondere nicht von denen, die in den letzten 12 Jahren ihre politische und wirtschaftliche Urteilslosigkeit mit so traurigen Folgen unter Beweis stellten. Schluss mit den geheimen Sitzungen war die verlogene Parole der Nazi in ihrer Propaganda vor 1933, die erste öffentliche Sitzung nach ungefähr einem Jahrzehnt Nazimacht ist heute, an diesen soll in Zukunft festgehalten werden, sofern nicht städtische oder private Interessen durch öffentliche Behandlung gefährdet würden. […]“
Friedrich Hörner suchte in dieser eindrucksvollen Rede den seit seiner Jugend gelernten Ausgleich in dem einst braunen und 1945 noch „unpolitischen“ Rothenburg zu finden, in dem 1932 bei den Präsidentschaftswahlen 87 Prozent für Hitler gestimmt hatten. Daher suchte er vor Ort die Schuld am Nationalsozialismus und seinen Verbrechen bei anderen zu finden. Mit keinem Wort erwähnte Friedrich Hörner die Opfer des Nationalsozialismus und die Täter in seiner eigenen Stadt. Wenn er von Opfern redete, dann von den Rothenburgern, denen mit der Bombardierung so großes Leid widerfahren sei.
SPD unterlag 1952 dem Rechtsblock
Hörner gelang es mit den Stadträten in seiner 1946 und 1948 durch freie Wahlen demokratisch autorisierte siebenjährigen Amtszeit als Oberbürgermeister vieles: Rothenburg gehörte zu den ersten trümmerfreien Städten. Es mussten u. a. die Einwohner versorgt, die Flüchtlinge untergebracht, das E-Werk aufgebaut, die Wasserversorgung und Kanalisation errichtet, die Wohnungsnot gemildert, der Schulbetrieb organisiert, die Wirtschaft und dann auch der Fremdenverkehr wieder in Gang gebracht und die Umbrüche bei der Währungsreform gemeistert werden.
1952 stellte sich Hörner 75-Jährig noch einmal zur Oberbürgermeister- und Stadtratswahl. Als Bürgermeister unterlag der dem früheren NSDAP-Bürgermeister von Oggersheim, Dr. Erich Lauterbach. Der Stadtrat war bei dieser „Rechtsruck“-Wahl, so der Fränkische Anzeiger am 2. April 1952, von 15 Stadträten des Rechtsblocks umgeben, darunter der frühere NSDAP-Bürgermeister von Rothenburg, gewählt mit den meisten Stimmen. Um Friedrich Hörner wurde es still. Er starb 1954. Im Jahr zuvor wurde ihm noch das Bundesverdienstkreuz verliehen, die Stadt widmete ihm zwischen dem Topplerweg und der Schlachthofstraße den „Friedrich-Hörner-Weg und verlieh ihm postum die Bürgermedaille. Ob er es gut gefunden hätte, dass der Rat auch dem früheren NSDAP-Bürgermeister von 1936 bis 1945 Dr. Fritz Schmidt die Bürgermedaille ebenso postum verliehen hatte?
- Siehe in dieser Online-Dokumentation: „In der ersten öffentlichen Sitzung des Rothenburger Stadtrats…“
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