Schule im NS-Regime I: Hitlerjugend, Reichsarbeitsdienst, SA oder SS, Wehrmacht – Adolf Hitler: „Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben!“

Schule-HitlergrußVon Wolf Stegemann

„Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln, und wenn diese Knaben mit zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen und dort oft zum ersten Mal überhaupt eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie wieder vier Jahre. Und dann geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände unsrer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir sie sofort in die Partei, in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK (NS-Kraftfahrerkorps). Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs Monate geschliffen. … Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassen- und Standesdünkel da und dort noch vorhanden sein sollte, das übernimmt (sie) die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre. Und wenn sie nach zwei, drei oder vier Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS und so weiter, und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben.“ (Hitler in einer Rede 1938)

Das Hakenkreuz war allgegenwärtig

Das Hakenkreuz war allgegenwärtig

Das allgemeine Schulwesen

Die nationalsozialistische Jugend- und Bildungspolitik konnte 1933 nicht auf einen Schlag umgesetzt werden, sondern verdrängte das Erziehungssystem der Weimarer Republik schrittweise. Die Jahre bis 1935 verliefen ohne tiefgreifende Eingriffe in das Schulsystem bis auf die Entlassung oder Versetzung politisch unerwünschter Pädagogen und Zentralisierung des Schulwesens. Danach fanden in den Jahren der Kriegsvorbereitung Eingriffe in die Schulstruktur durch neue Lehrpläne, Einbindung der Hitlerjugend an den Schulen, Lagererziehung, Ausgrenzung jüdischer Schüler und eine Neuordnung der Lehrerausbildung statt. Im Dezember 1936 wurde für die Jungen der 12. Klasse die 13. Klasse ersatzlos gestrichen. Um 1939 für den Krieg zwei Offiziersjahrgänge zu erhalten. In der letzten Phase von 1941 bis 1945 war der Schulbetrieb von Kriegsmangel, Rekrutierung von Schülern in der Endphase (Flakhelfer, Volkssturm) und Minimalisierung der Bildung beherrscht. Soweit der Überblick.
Eine ehemalige Schülerin der Rothenburger Oberschule erinnerte sich nach dem Krieg, dass Oberstudienrat Konrad Hoffmann, Leiter der Schule von 1932 bis 1939, im März 1933 sichtliche widerstrebend das Hissen  der Hakenkreuzfahne im Schulhof akzeptierte. Die Flaggenhissung war von zwei SA-Leuten in Uniform angeordnet worden, die das Schulgebäude nicht eher verließen, bis der Akt vollzogen war. Konrad Hoffmann betrachtete das Hissen der Fahne als Hausfriedensbruch und sah vom Direktorats-Balkon lediglich zu.

Nach der Machtübernahme 1933 verloren 3.000 Pädagogen ihr Amt

Ausbildung der Schulhelferin (1943)

Ausbildung der Schulhelferin (1943)

Das NS-Regime vereinnahmte das Schulsystem, zentralisierte und vereinheitlichte es. Am 1. Mai 1934 wurde das preußische Kultusministerium in das „Reichs- und preußische Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“ umgewandelt und als eine zentrale Schulbehörde eingerichtet, so dass die Länder  keine Schulhoheit mehr besaßen. Noch ehe die Nationalsozialisten die Lehrpläne änderten, begannen sie mit der Gleichschaltung der Lehrer im April 1933 mittels des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Dadurch verloren 1933 rund 3.000 Pädagogen ihr Amt, unter ihnen hauptsächlich Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten. Der Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB) diente dazu, jedem Lehrer „die unbedingte Pflicht“ zu vermitteln, „alle einzelnen Gebiete und Fächer mit dem nationalsozialistischen Geist … auszufüllen”. Bis zum Dezember 1933 traten 95 Prozent der Lehrer – teils unter Druck – in den NSLB ein.

In der Stadt und im Bezirk Rothenburg gehörten 1936 rund 60 Prozent der Lehrer  der NSDAP an. Vor 1933 waren bereits 27,8 Prozent der Lehrer Parteimitglied. Die Zahl stieg 1933 auf 38,33 Prozent und lag somit über dem Reichsdurchschnitt von 25 Prozent.

Trotz dieser Zentralisierung gab es in Erziehungsfragen ein auch ansonsten für das Dritte Reich charakteristisches Neben-, In- und Gegeneinander einzelner Personen und Institutionen, weil in das Erziehungsministerium mehrere Parteidienststellen hineinregierten wie Robert Ley (Politische Schulung), Baldur von Schirach (Hitlerjugend), Philipp Bouhler (Schulbücher) u. a. In den Nationalsozialistischen politischen Erziehungsanstalten, kurz Napola oder NPEA genannt, war der  Einfluss der SS deutlich. Demgegenüber war die Einflussnahme des „Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung der NSDAP“ äußerst gering.

Kreuz und Hakenkreuz im Klassenzimmer

Kreuz und Hakenkreuz im Klassenzimmer

Keine Koedukation – Getrennte Jungen- und Mädchenschulen

Mitte der 1930er-Jahre wurden Konfessions- und Privatschulen untersagt und die in annähernd 70 Typen differenzierte Oberschule auf drei Grundtypen reduziert: die neusprachliche bzw. naturwissenschaftliche Oberschule – da der Koedukationsgedanke von den Nationalsozialisten abgelehnt wurde, jeweils für Jungen oder für Mädchen – und an bestimmten Orten aus Gründen der Tradition das humanistische Gymnasium. Die Mädchenoberschulen führten eine sprachliche und eine hauswirtschaftliche Form. Das alte Gymnasium (Latein von der ersten, Griechisch von der dritten und Englisch von der fünften Klasse an) blieb als Variante der höheren Jungenschule bestehen, für Mädchen hingegen gab es kein Gymnasium. Dr. Ludwig Schnurrer, Lehrer und Historiker, beschreibt in dem Jubiläumsheft „450 Jahre Reichsstadtgymnasium Rothenburg“ (2004) die Situation dieser Schule am Bezoldweg:

„1937 wurde im Rahmen der NS-Gleichmacherei das Progymnasium abgebaut, die Schule zu einer sechsklassigen Oberschule für Jungen verändert. 1941 begann der Ausbau zur achtklassigen Vollanstalt, die, nach dem langjährigen Rothenburger Oberbürgermeister und späteren bayerischen Ministerpräsidenten, der viel für die Schule getan hatte, ,Ludwig-Siebert-Oberschule’ genannt wurde.“

Hilfsschulen als „Sammelbecken der Erbkranken“ bezeichnet

Jüdische Schüler wurden im Unterricht gedemütigt

Jüdische Schüler wurden im Unterricht gedemütigt

Im Mittelschulbereich wurde zeitweise die mit dem fünften Schuljahr beginnende sechsklassige Mittelschule zum Normtyp erhoben; jedoch wurde diese Entscheidung später zurückgenommen, so dass auch Reste des alten Mittelschulwesens bestehen konnten. 1941/42 wurde die Hauptschule eingeführt, die vierklassig auf das vierte Volks- bzw. letzte Grundschuljahr aufbauen und die Mittelschule ersetzen sollte.

Die Hilfsschulen, die am Schluss der Reihe der Sonderschulen standen, wurden zum „Sammelbecken der Erbkranken“ erklärt. Wegen des Auftrags an das Lehrpersonal, durch „Sippenforschung“ und die Führung von „Sippenschaftsbögen“ die erbliche „Belastung“ der einzelnen Schüler zu klären, waren diese Schüler in ihrem Leben hochgradig bedroht. Die 1938 reichseinheitlich verordnete Ausschulung „schwer-schwachsinniger“ Kinder aus der Hilfsschule führte einen Teil der Betroffenen in die Vernichtungsmaschinerie der „Euthanasie“.

Rothenburger Schulleiter überließ jüdischen Schülern ein Klassenzimmer

Von Beginn des „Dritten Reiches“ an wurden Juden aus dem Schulwesen ausgegrenzt. Schon 1933 war ihnen die Lehrerausbildung verwehrt, und sie durften auch keinen Privatunterricht mehr erteilen. Das „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ vom 25. April 1933 legte fest, dass bei Neuaufnahme der Anteil nichtarischer Reichsdeutscher einheitlich für das Reichsgebiet 1,5 Prozent nicht übersteigen sollte. 1936 wurden die Kommunen aufgefordert, Sonderschuleinrichtungen für jüdische Kinder zu schaffen, sofern 20 oder mehr jüdische Kinder vorhanden waren. Am 15. November 1938 wurde verfügt, dass die Sorge für ihren Unterricht eine rein jüdische Angelegenheit sei. Daraufhin wurden zwei Tage später alle noch bestehenden gemeinsamen Volksschuleinrichtungen beseitigt. Die Ausgrenzung der Juden aus dem Schulsystem war vollzogen, als alle jüdischen Schulen am 30. Juni 1942 geschlossen wurden.

Oberstudienrat Dr. Konrad Hoffmann stellte in der Schule den jüdischen Schülern für den Religionsunterricht ein eignes Zimmer zur Verfügung. Dem jüdischen Lehrer an der Schule, Siegmund Marx, gab er 1933 bei dessen Versetzung nach Speyer die in der Schulbibliothek vorhandenen und zur Vernichtung bestimmten jüdischen Zeitschriften mit.

Rassenkunde sowie „Auslese und Ausmerze“ in die Lehrpläne aufgenommen

NS-Propagandaplakat Flaggenappell auf dem Schulhof

NS-Plakat Flaggenappell auf dem Schulhof

Zwischen 1938 und 1942 wurden die Lehrpläne und Richtlinien geändert, nachdem vorher nur unsystematisch einige Erlasse und Anweisungen herausgekommen waren. Dem Biologieunterricht wurde die Aufgabe zuteil, das „Naturgesetz von Auslese und Ausmerze“ sowie die nationalsozialistische „Rassegesetzgebung und Erbgesundheitspflege“ zu vermitteln. Geschichte, Erdkunde und das neu eingeführte Fachgebiet Geopolitik sollten das deutsche Volk als die wahren Repräsentanten der nordischen Rasse herausstellen, die im gesamten Geschichtsverlauf die höchsten politischen und kulturellen Werte hervorgebracht habe. Die Veränderungen im Fach Deutsch lassen sich zusammenfassen: „An die Stelle der nur betrachtenden kritisch-wissenschaftlichen, historischen und ästhetischen Einstellung tritt die wertende, schaffensbereite und kämpferische Haltung.“ Die Schüler sollten in Aufsätzen hauptsächlich politische, historische und ideologische Themen behandeln und sich mit so genannter volkhafter Dichtung befassen. Musik- und Kunstunterricht konzentrierte sich einseitig auf Volkskunst.

Auseinandersetzung wegen des Religionsunterrichts in Rothenburg

Das Hakenkreuz - immer und überall im Schulalltag

Das Hakenkreuz – immer und überall im Schulalltag

Der traditionelle Stundenplan wurde mit einigen Ausnahmen beibehalten. Sport erfuhr mit bis zu fünf Wochenstunden eine besondere Aufwertung. Der Religionsunterricht wurde durch verschiedene Maßnahmen stark beschränkt, ohne ihn an sich abzuschaffen. Während der Phase des Kirchenkampfes versuchte die NSDAP, den evangelischen Religionsunterricht im Sinne des Deutschen Christentums umzugestalten, so dass „Stoffe, die dem Sittenempfinden der germanischen Rasse widersprechen, im Unterricht nicht zu behandeln“ waren.

Staatsjugendtag 1934 eingeführt und 1937 wieder abgeschafft

1934 wurde dann eine weitere Neuerung eingeführt: der Staatsjugendtag. Der Samstag war für die 10- bis 14-Jährigen schulfrei, sofern sie am Dienst in DJ (Deutsche Jugend) oder JM (Jungmädel) teilnahmen. Die Nichtorganisierten hatten „nationalpolitischen Unterricht“ in der Schule. 1937 wurde der Staatsjugendtag wieder abgeschafft.

Mädchen wurden in der Bildung stark benachteiligt

Die Beschränkung der Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen war ein weiteres Kennzeichen der nationalsozialistischen Schulpolitik. Sie folgte aus der Reduzierung des weiblichen Aufgabengebietes auf Hausfrauen- und Mutterrolle; nur aus politischen und wirtschaftlichen Gründen erweiterten die Nationalsozialisten diesen Bereich. So legte der Innenminister 1934 fest, dass die Zahl der Abiturientinnen, denen die Hochschulreife zuerkannt werden konnte, nicht höher als 10 Prozent der männlichen Abiturienten sein durfte. An den Mädchenschulen sollten die Fächer des „Frauenschaffens“ (Handarbeit, Hauswirtschaft, „Pflege“) den Unterrichtsstoff dominieren.

Siehe auch weitere Artikel zum Thema Schule:

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Quellen: Festschrift „450 Jahre Reichsstadtgymnasium Rothenburg“, Rothenburg 2004. – Friedemann Bedürftig „Drittes Reich und Zweiter Weltkrieg. Das Lexikon“, Pieper 2002. –  „Informationen zur Zeitgeschichte“, Kiel 1994. – Staatsarchiv Nürnberg, LRA Rothenburg, Nr. 6077.
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