Von Wolf Stegemann
Wegen seiner Beteiligung an den Übergriffen der Nazis gegenüber Juden in Kitzingen wurde der 1894 in Rothenburg geborene und auch dort 1961 gestorbene Wilhelm Heer 1949 zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Vorher war er wegen seiner frühen NSDAP-Mitgliedschaft und Zugehörigkeit zum Reichstag interniert.
Wilhelm Heer, Neffe des bekannten Bildhauers Adolf Heer (Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Karlsruhe), besuchte in Rothenburg die Volksschule und das Progymnasium, danach in Nürnberg die städtische Bauschule und ließ sich im Maurer-, Steinmetz- und Architekturmodelleurhandwerk ausbilden. Im Ersten Weltkrieg, in dem er zweimal verwundet wurde, bekam er das Eiserne Kreuz II Klasse und schloss sich 1919 dem Freikorps Epp an, dem süddeutschen Sammelbecken späterer Nationalsozialisten, mit dem er sich an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik beteiligte. Ab 1921 arbeitete er als Bauführer in Kitzingen am Main. Am 1. März 1921 trat Wilhelm Heer in die NSDAP ein, für die er noch im März 1921 die Ortsgruppe Rothenburg ob der Tauber und im September 1921 die Ortsgruppe Kitzingen gründete. Später übernahm er zudem Funktionen als Kreisleiter der Kreise Kitzingen, Gerolzhofen und Ochsenfurt sowie ab August 1933 als stellvertretender Präsident des Kreistags von Mainfranken. Wilhelm Heer nahm an allen Straßenkämpfen und Saalschlachten im Maindreieck teil. Am 6. November 1922 wurde er in Hohenfeld schwer verwundet.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die politische Karriere des Rothenburger Nationalsozialisten: Mitglied des Stadtrates von Kitzingen und des Kreistages von Unterfranken, ab November 1933 bis Ende des NS-Regimes war er Abgeordneter für den Wahlkreis 26 (Franken) im NS-Reichstag, er war mit dem „Koburger Ehrenzeichen“ und dem Goldenen Ehrenzeichen der NSDAP ausgezeichnet. Das „Koburger Ehrenzeichen“ gehörte zu den höchsten NSDAP-Auszeichnungen und wurde 1932 zum 10. Jahrestag des dritten „Deutschen Tags“ 1922 in Coburg, an dem Hitler teilgenommen hatte, verliehen.
Als Kitzingen im Februar 1945 schwer bombardiert wurde, würde er verschüttet, konnte sich durch einen Mauerdurchbruch retten, floh noch vor dem Ende des Krieges nach Österreich. Von dort wurde er im am 20. Juni 1945 ausgewiesen, kehrte in seine Geburtsstadt Rothenburg zurück, wurde hier am 24. Juni von den Amerikanern festgenommen und ins Rothenburger Gefängnis gebracht, wenige Tage danach ins Internierungslager Hammelburg. Von 1947 bis zu seiner Entlassung im September 1948 war Wilhelm Heer in den Krankenabteilungen der Internierungslager Ludwigsburg und Garmisch untergebracht. Er konnte sich seiner Freiheit nicht lange erfreuen. Noch 1948 kam er in Würzburg und Kitzingen wegen seiner Beteiligung an der Zerstörung der Kitzinger Synagoge in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 für ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. Im Prozess vor dem Landgericht Würzburg im Februar/März 1949 waren mit ihm 27 Beteiligte angeklagt. 22 von ihnen bekamen Gefängnisstrafen von vier Monaten bis drei Jahren und zwei Monaten, fünf Angeklagte wurden freigesprochen. Das Gericht verurteilte am 16. März Wilhelm Heer, der zu den Anführern des Pogroms gehörte, zu zweieinhalb Jahren Gefängnis. Da er erkrankt war, verbrachte er die Gefängnisstrafe in der Krankenabteilung der Strafanstalt Kaisheim. Anträge auf vorzeitige Entlassung lehnte die Staatsanwaltschaft ab. Die Entlassung aus der Strafanstalt Kaisheim mit Bewährungsauflagen erfolgte erst am 12. Oktober 1951, nachdem das Entnazifizierungsschlussgesetzes vom 1. Juli 1951 Rechtskraft erlangt hatte. – Wilhelm Heer starb 1961 in seiner Geburtsstadt Rothenburg ob der Tauber (siehe Artikel über seine Entnazifizierung 26…).
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Kitzinger „Kristallnacht“-Prozesses in Würzburg
Zu den Ereignissen beim Novemberpogrom 1938 der nachfolgende Abschnitt aus Z. Ophir/ Frank Wiesemann „Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918-1945. Geschichte und Zerstörung“, S. 333-334 über die Zerstörung der Kitzinger Synagoge:
Der Pogrom in Kitzingen vom 10. 11. 1938 wurde von drei Mitgliedern der Kreisleitung der NSDAP in Würzburg vorbereitet [darunter der Rothenburger Wilhelm Heer]. Sämtliche Angehörigen der örtlichen SS und SA wurden zusammengerufen und sie erhielten den Befehl, die Synagoge anzuzünden, die Einrichtungen der jüdischen Häuser zu zerstören und alle jüdischen Männer festzunehmen und in einer städtischen Schule zu konzentrieren. Gleichzeitig wurden sie aber angewiesen, Plünderungen und Gewalttätigkeiten zu unterlassen. An der Spitze der Menge, die in die Synagoge einbrach und sie in Brand steckte, befanden sich ein Arzt, ein Reichstagsabgeordneter [Wilhelm Heer], der Sohn eines Kommerzienrats (der die Beteiligung seines Sohnes ausdrücklich missbilligte) und der Ortsgruppenleiter der NSDAP. Die Möbel und Ritualien der Synagoge wurden vernichtet, die Torarollen zerrissen und verbrannt, und kostbare Silberanhänger der Torarollen wurden gestohlen. […] Der Lärm zog zahlreiche Stadtbewohner an, die dem Brand der Synagoge zusahen. Vermummte und bewaffnete SS- und SA-Leute drangen in die Häuser der Juden ein und verwüsteten sie; zahlreiche Einwohner schlossen sich ihnen an und plünderten die Wohnungen. […] Alle jüdischen Männer wurden aufgrund einer vorbereiteten Liste festgenommen und gemeinsam mit Juden aus den Nachbargemeinden Kleinlangheim, Mainbernheim und Mainstockheim in das städtische Gefängnis gebracht. Auf dem Weg dorthin wurden sie von Schulkindern, die an diesem Tag schulfrei bekamen, beschimpft und verspottet. […] Die übrigen [Juden] aber in Lastautos in das Gefängnis nach Würzburg gebracht. Als die Wagen an der brennenden Synagoge vorbeifuhren, hörte man aus der dort versammelten Menge den Ruf: „Werft sie ins Feuer!“
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How many Jews lived in Rothenberg before ww2?