Von Wolf Stegemann
Überrascht waren die Rothenburger, so steht es jedenfalls im „Fränkischen Anzeiger“ vom 17. April 1935, als tags zuvor eine Wagenkolonne mit schwarzen Limousinen durch eines der Stadttore fuhr und durch „die im Alltagskleid liegenden Straßen“ dem Hotel Eisenhut zusteuerte. In einem der Wagen, die von Heidelberg kamen, saß Adolf Hitler. Die Anwesenheit des Führers verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Stadt, die „im Nu ihr schönstes Festkleid anlegte“. Wer wollte und konnte, hing die Hakenkreuzfahne aus dem Fenster und rannte dann zum Hotel Eisenhut, wo sich bereits eine große Menschenmenge versammelt hatte, um den Führer zu sehen, der schon im Hotel war. Der Fränkische Anzeiger schrieb: „Im Laufe der nächsten halben Stunde schwoll die Menschenmenge derart an, dass SA, SS und Arbeitsdienst zu Absperrmaßnahmen gerufen werden mussten.“ Natürliche wurde Hitler auch bewacht. Ehrenposten der SS standen vor dem Portal. Zu den Wartenden und Heil rufenden Rothenburgern gesellten sich in der Mittagspause um 12 Uhr auch noch Arbeiter aus den Betrieben. „Die ganze Herrngasse und der anschließende Marktplatz waren voll von wartenden Menschen.“ Alle wollten den Führer sehen. In seiner Begleitung befanden sich u. a. sein persönlicher Adjutant Obergruppenführer Brückner, sein ständiger Begleiter, SS-Brigadeführer Schaub, der Reichspressechef der NSDAP Dr. Dietrich, Reichsfotograf Hoffmann und sein Fahrer, SS-Brigadeführer Schreck. Aber was wollte Adolf Hitler so unangemeldet in Rothenburg? Eigentlich nichts weiter als zu Mittag essen. Offensichtlich störten ihn dabei die lauten „Heil-Hitler“-Rufe auf der Straße, sodass einer aus des Führers Begleitung nach draußen ging und dafür sorgte, dass keine Rufe mehr erschallten. Dazu die Zeitung: „Die große Menschenmenge hielt eine bewundernswerte Disziplin.“
Paula Pirner überreichte dem Führer Nelken
Inzwischen hatten sich in der Empfangshalle des Hotels etliche BDM-Mädels und Kinder eingefunden, die dort auch auf das Ende des Hitler-Mahls warten durften, um dem Reichskanzler und Führer Blumen überreichen zu können. Diktatoren hatten ja immer ein besonderes Faible dafür, sich besonders kinderlieb zu zeigen. Das kam im Volk an. Doch nutzte dies den vielen jüdischen Kindern nichts, die Hitler in den Konzentrationslagern Europas töten ließ. Auch die Hoteliersgattin Paula Pirner durfte dem Führer bereits nach seiner Ankunft einen rasch besorgten Nelkenstrauß überreichen. Nach dem Essen auch die Mädchen. „Leuchtenden Auges stand die Jugend vor ihrem Führer, der ihr für die Beweise ihrer Verehrung und Liebe dankte. Natürlich durften auch die „Goldfasane“ nicht fehlen. Der stellvertretende NSDAP-Kreisleiter Zoller überbrachte die Grüße der Rothenburger Parteigenossen und der Bevölkerung. Rothenburg habe sich sehr verschönert, meinte er in einem Smalltalk zu Zoller, der beflissen antwortete, dass durch gewährte Reichdarlehen viele Häuser instand gesetzt werden konnten. Der „Fränkische Anzeiger“ berichtet darüber:
„Der Führer verwies noch darauf, dass er bereits in seiner Jugendzeit sich stets Bilder von Rothenburg kommen ließ, die er mit Vorliebe zeichnete.“
Ins Goldene Buch mochte sich der Führer aber nicht eintragen. Er vertröstete den Kreisleiter auf seinen nächsten Besuch zu gegebener Zeit. Dann wolle er sich gerne eintragen. Danach rüstete sich der prominente Mittagsgast zum Aufbruch. Die Wagen fuhren vor das Portal, die Menge jubelte begeistert und schrie. Hitler stieg unter tosenden „Heil-Rufen“ ins seinen schwarzen Mercedes und die Wagenkolonne setzte sich mühsam durch die Menge in Bewegung. Die Fahrt ging über den „Marktplatz, die Georgen- und Galgengasse weiter einem unbekannten Ziel entgegen. Hitlers Besuch dauerte nicht länger als eine Stunde. So überraschend, wie er gekommen war, so schnell fuhr er wieder weg – nur gesättigt. Der „Fränkische Anzeiger“ schwärmte:
„Rothenburg, die alte Tauberstadt, die im Laufe ihrer Geschichte so viele Besuche berühmter Persönlichkeiten erleben durfte, hat wohl gestern mit dem Besuch des Führers und Reichskanzlers einen ihrer bedeutendsten Tage erlebt. Noch lange wird man von dem kurzen Besuch des Führers sprechen. Wir freuen uns heute schon, wenn der Führer und Reichskanzler seinen in Aussicht gestellten Besuch wiederholt. Die Herzen aller Rothenburger werden ihm dann noch heißer und inniger entgegenschlagen.“
Dazu hatten die Herzen der Rothenburger keine Gelegenheit. Denn Hitler ließ sich in Rothenburg nicht mehr blicken.
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Anmerkung: Was offensichtlich in Vergessenheit geraten war, vielleicht sogar unbekannt geblieben ist, ist ein Aufenthalt Adolf Hitlers 1927 in Rothenburg. Dies wurde 1933 bei einer Durchsicht des Gästebuchs des Hotels „Ratskeller“ zufällig entdeckt, in das sich Hitler eingetragen hatte. Aus Anlass dieser Entdeckung berichtete der „Fränkische Anzeiger“ am 29. September 1933: „Wir alle hegen längst schon den herzlichen Wunsch, unser Führer möchte doch die dringende Bitte – recht bald wieder einmal in unserer alten Stadt Einkehr zu halten –erfüllen. Vielleicht ist die Zeit nicht allzu ferne, wo wir den Ehrenbürger in Rothenburg willkommen heißen dürfen?“