Alltag im besetzten Rothenburg. 1945 war für die einen das Jahr der Befreiung, der Niederlage für andere. Für alle war es ein Jahr der Not und der politischen Säuberung

Amerikanische Soldaten verteilen Lebensmittel (Foto: nicht Rothenburg)

Amerikanische Soldaten verteilen Lebensmittel (Foto: nicht Rothenburg)

W. St. – Für die, die das Kriegsende in Rothenburg ob der Tauber erlebt und überlebt hatten, begann nach der Besetzung der Stadt durch die Amerikaner am 17. April 1945 trotz aller Erleichterung und des Durchatmens eine schwere Zeit. Hans Wirsching, Rothenburgs damaliger Stadtamtmann, nannte in dem in dieser Online-Dokumentation viel zitierten Buch „Rothenburg ob der Tauber. Schicksal einer deutschen Landschaft“ (1950) das Befinden und Empfinden der Rothenburger mit dem treffenden Satz: „Denn nun wurde ihnen die harte Tatsache fühlbar, was es heißt, ein geschlagenes Volk zu sein.“ Man könnte diesen Satz so fortsetzen, dass diesem „geschlagenen Volk“ in diesen Tagen auch bewusst werden musste, wie die Deutschen mit den Bevölkerungen anderer Länder nach deren Besetzung umgegangen sind, was für diese wahrlich keine Befreiung war. Doch daran dachten in dieser Zeit weder die Deutschen in ihrer Gesamtheit noch die Rothenburger. Sie sahen nur ihr Leid und sprachen von sich als die „Opfer“. Wirsching weiter: „Der Bombenangriff vom 31. März 1945 und die Angst vor einem neuen Angriff mit nicht auszudenkenden Folgen hatte die seelische Kraft der hiesigen Einwohner nahezu völlig auf­gerieben. Jetzt kam eine neue Sorge, die Sorge um das tägliche Brot und die allgemeine Sicherheit.“

NS-Propagandaschrift 2943

NS-Propagandaschrift 2943

Befreite Ostarbeiter plünderten

Zuerst verhängten die Amerikaner eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 19 und 7 Uhr. Auch durften Rothenburger die Stadtgrenze ohne Ausweise  der Besatzungsmacht nicht überschreiten. Zur Ausgangssperre erinnert sich Rudolf Markert:

„Die Amerikaner hatten eine Ausgangssperre von zehn Uhr abends bis sieben Uhr früh verhängt. Wegen verschiedener Vor­kommnisse wurde der Beginn dann sogar noch auf sieben Uhr abends vorverlegt. Durch Aushang an öffentlichen Gebäuden drohten sie mit Erschießung eines jeden, der bei Nichteinhaltung gesehen wird. Ein Schulfreund fütterte eines Abends seine Stallhasen. Die Hasenkäfige lehnten rückwärts an der Hauswand. Das kleine anschließende Gärtchen war mit einer hohen Hecke umgeben. Plötzlich krachten zwei Schüsse, die ein patrouillierender Soldat von der Straße aus auf den nichts ahnenden Schüler abgegeben hatte. Am Unterschenkel getroffen, brach er neben seinen Ha­senställen zusammen.“

In den ersten Tagen gab es keine deutsche Polizei mehr, denn die Amerikaner hatten sie entwaffnet und aus dem Dienst entlassen. Als die Besatzer auch die Kriegsgefangenen und ausländischen Zwangsarbeiter aus ihren Lagern hinter Stacheldraht befreiten, verbreitete sich unter den Einwohnern Angst, die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter könnten sich wegen ihrer oft unmenschlichen Behandlung in den Jahren zuvor rächen. In dem oben zitierten Buch meinte dazu Hans Wirsching in einem fast vorwurfsvollen Ton, dass Kriegsgefangene doch zur Arbeit abgestellt waren und die zur Arbeit verpflichteten Fremdarbeiter „nun vollständig frei seien“. „Es legten hierauf Hun­derte von Arbeitskräften in der Stadt und auf dem Lande ihre Arbeit nieder.“ War es wirklich „ihre“ Arbeit, zu der sie „verpflichtet“ waren? Nein, sie waren gezwungen! Hans Wirsching weiter:

„Während die Kriegsgefangenen, zumeist Franzosen, ihr Lager in der Stadt und ihre Arbeitsplätze auf dem Lande verließen und ihren raschesten Rücktransport in die Hei­mat betrieben, fühlten sich die zwangsver­pflichteten [!] Arbeiter, zumeist aus den östlichen Ländern, als die Herren. Sie gingen in die Geschäfte der Stadt, kauften ein und vergaßen in den meisten Fällen das Be­zahlen. Abends gingen sie dann zu ihren früheren Arbeitgebern wieder zurück, ver­langten dort und bekamen auch Essen, schliefen, um am nächsten Tag das Gleiche zu tun. Beschwerden bei der Militärregierung blieben erfolglos. Man lehnte sie mit dem Bemerken ab, daß es sich bei diesen Leuten nur um eine Gutmachung des deutschen völker­rechtswidrigen Zwangs handle.“

Alltägliches Bild 1945

Alltägliches Bild 1945

Sammellager für Zwangsarbeiter in der „Glocke“ und in Schulen 

Die Stadt musste den nun den befreiten Zwangsarbeitern Unterkünfte bereitstellen, mit denen sie einerseits ein Dach über dem Kopf hatten und andererseits in ihnen darauf warteten, in ihre Heimatländer zurückgebracht zu werden. Sammellager waren das Gasthaus zur Glocke, das Schulhaus am Kirchplatz und die Oberschule am Bezoldweg. Hans Wirsching, der als Stadtamtmann bis 1945 auch mit dem Thema „Zwangsarbeiter“ organisatorisch im Sinne des Nationalsozialismus vielfach betraut gewesen war, beklagte nun, dass nach Kriegsende die „Fremdarbeiter, die zerlumpt und abgerissen nach Deutsch­land gekommen waren, neu gekleidet“ und nach einigen Wochen „mit billig beschafften Sachen […] voll bepackt“ in ihre Heimatländer zurückkehrten. Natürlich holten sich die jahrelang als Sklaven hier arbeitenden Männer und Frauen das, was ihnen jahrelang vorenthalten wurde. Hans Wirsching beschreibt dazu:

„Ebenso wurden die im hiesigen Bahnhof stehen­den Güterwagen mit Waren aus der Schweiz, die nach Schweden bestimmt waren, ausgeraubt, ferner ein Küchenzug des Deutschen Roten Kreuzes. Das gleiche geschah mit einem ganzen Güterzug, der bei einem Fliegerangriff auf der Strecke Crailsheim-Ansbach im Einschnitt hinter Dombühl liegen geblieben war.“

Zum Schutz des Eigentums stellten die Rothenburger unter Kontrolle der Amerikaner eine eigene unbewaffnete Sicherheitstruppe auf, die sich allerdings „gegen die zweifelhaften Elemente“ (Wirsching) nicht durchsetzen konnte. Wurde die US-Militärpolizei gerufen, was wegen der Einstellung des Fernsprechverkehrs ab 17. April schwierig war, kam diese entweder zu spät oder gar nicht. Hans Wirsching beklagt die „Raubzüge“ der befreiten Zwangsarbeiter „in die bäuerliche Umgegend“. Solche Klagen waren in jenen Nachkriegstagen in Städten und Dörfern ganz Deutschlands zu hören. Zuerst schauten die Besatzungsmächte, ob die Briten im Norden, die Franzosen im Westen oder die Amerikaner im Süden dem Treiben oft tatenlos zu. Erst als die Überfälle auch vermehrt Todesopfer forderten, unterband die alliierte Militärpolizei das Plündern.

Kinderalltag in den Ruinen

Kinderalltag in den Ruinen

Wie Zwangsarbeiter in der Zeit ihrer Sklavenarbeit während des Krieges von Bauern, in Kommunen und Betrieben oft bzw. grundsätzlich behandelt wurden, wird in der Betrachtung von 1950 verschwiegen, obwohl dies damals bekannt war. Ebenso die Hinrichtung des Polen Nikola Chomickyi (32 Jahre) auf dem Rothenburger Friedhof am 11. April 1945 und Stefan Kubiaks am 22. Mai 1942 in Gebsattel. Szymon Wasiak (27 Jahre) wurde in der Nähe von Diebach durch ein Hinrichtungskommando des KZ Flossenbürg gehängt. Die Liste mit solchen Angaben ließe sich fortsetzen. Am Ende kommt die Zahl 180 namentlich bekannter Zwangsarbeiter in Mittel- und Unterfranken heraus, die aktenkundig wegen Lappalien erschlagen, erhängt oder erschossen wurden. Die Zahl derer, die in Zuchthäuser, Gefängnisse oder Straflager gebracht wurden, ist schwer zu ermitteln nicht bekannt, ebenso die derjenigen, die sich selbst umgebracht haben. Noch in den letzten Kriegswochen wurden fast 200 Ostarbeiter aus dem „Arbeitserziehungslager Langenzenn in Konzentrationslager verbracht. Die meisten von ihnen dürften diese Hölle ebenfalls nicht überlebt haben.

Nach Tagen der Schockstarre wurde wieder gearbeitet

Dem Stadtamtmann Hans Wirsching, den die Amerikaner zum kommissarischen Landrat machten, unterstand auch die Stadt Rothenburg. Er musste den Verwaltungsbetrieb wieder in Gang bringen, was mit viel Improvisation und eigenem Ermessen zu tun hatte. Anfangs war er sich nie gewiss, ob sein Handeln den Vorstellungen der Amerikaner entsprach. Nach wenigen Tagen arbeiteten die Stadtsparkasse und die Banken, das Arbeitsamt und die Krankenkasse wieder. Letztere musste in der Gastwirtschaft zum Rödertor untergebracht werden, später in der Herrngasse 17. Die Stadtsparkasse bezog das Gebäude der Oberschule am Bezoldweg und dann ein Nebengebäude Kirchgasse 5.

Die Landwirtschaft hatte es schwer. Es fehlte an Arbeitskräften, da Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene nicht mehr zur Verfügung standen und die Männer noch im Krieg bzw. in bereits in Gefangenschaft waren. Die Wehrmacht hatte kurz vor Ende des Krieges noch die Pferde und Wagen der Bauern beschlagnahmt. Die Last der Landarbeit ruhte nun fast allein auf den Bauersfrauen. Dazu Hans Wirsching 1950 im Stil der damals üblichen Heroisierung: „Es wird immer ein Ruhmes­blatt unserer Bauersfrauen bleiben, wie sie nicht verzagten, nicht resigniert die Hände in den Schoß legten, sondern mutig mit Tochter oder Magd, den alten Vätern im Austragstüberl und Hilfs­kräften aus der Stadt, den Pflug führten, eggten und säten, Haus und Stall in Ordnung hielten und so Brot und Lebensmittel für die Stadt­bevölkerung schafften.“

Schwestern vom Roten Kreuz befragen ehemalige Soldaten

Schwestern vom Roten Kreuz befragen ehemalige Soldaten

Mitarbeiter des Roten Kreuzes hatten alle Hände voll zu tun

Für die Tagesversorgung der Einwohner, die durch die Bombardierung teils obdachlos waren, sorgte das Rote Kreuz, das im Hotel Ratskeller und dann, als die US-Besatzer dieses für sich beanspruchten, im Gasthof zum schwarzen Adler eine Volksküche betrieb. Dafür spendeten die Gemeinden des Kreises und die benachbarten württembergischen Ortschaften Mehl, Gemüse, Kartoffeln und Eier. Auch wurden gehortete Bestände der Wehrmacht unter den Notleidenden verteilt. Flüchtlinge wurden desinfiziert und verköstigt und in den fünf in der Stadt eigens für diesen Zweck errichteten Lagern  untergebracht: im Evangelischen Vereinshaus, in der Turnhalle Rossmühle, im Gasthaus Friedle in Detwang und im ehemaligen Waisenhaus (Siechhaus). Im Landkreis gab es sechs Lager (eins in Neusitz, zwei in Schillingsfürst und drei in Dombühl). Hans Wirsching, kommissarischer Landrat, erinnert sich:

„Auf Anordnung der Militärregierung mussten auch die zum Abtransport in Lagern zusammengezogenen Ostarbeiter verpflegt werden. Die tägliche Essensausgabe betrug oft über 1.000 Portionen. Ein Transport deutscher Kriegsgefangener, der Ende April 1945 durchmarschierte – es waren über 800 Mann – wurde ebenfalls verpflegt. Das Gebäude des früheren Reichsarbeitsdienstes (der späteren Topplerschule) diente 1945 für etliche Monate als Gefangenenlager für deutsche Offiziere, deren Betreuung ebenfalls waren 1945 für etliche Monate deutsche Offiziere Arbeitsdienstes (…) In der Spitalgasse Haus Nr. 25 wurde eine Näh­stube eingerichtet, in der zeitweise bis zu 14 Frauen und Mädchen Arbeit fanden. Hier wurden Uniform­röcke der heimgekehrten deutschen Soldaten zu Zivilröcken umgearbeitet; 600 solcher Röcke – aus Heeresbeständen gekauft – wurden für die Zivilbe­völkerung geändert und zum Selbstkostenpreis abge­geben.“

Alltag 1945-Rodertor

Mit den Jahren stellte sich wieder die Normalität des Alltags ein

Das städtische Elektrizitätswerk war durch den Bombenangriff völlig und das Überlandwerk Nürnberg, das den Landkreis versorgte, teilweise zerstört. Stadt und Land waren etliche Wochen ohne Strom. Während der Landkreis schon bald wieder Strom lieferte, zogen sich die Arbeiten in der Stadt mo­natelang hin. Erst im Herbst 1945 gab es in der Stadt wieder Strom.

Das Gaswerk hatte zwar keinen Schaden erlitten, musste aber wegen Kohlenmangels bereits im März 1945 den Betrieb einstellen. Erst im November 1945 waren die Gasleitungen wieder funktionsfähig, wenn auch noch ziemlich eingeschränkt. Fast zwei Monate lang gab es kein Wasser in den Haushalten, da die Hochreserve auf dem Galgenturm und die Pumpstation in Neusitz durch Bomben ausgefallen waren. Rothenburg war in dieser Zeit wieder auf seine öffentlichen Brunnen angewiesen.

Die politischen Säuberungen fegten Verwaltungen leer

Zu all diesen Schwierigkeiten des Alltagslebens und der Trümmerbeseitigung kam für die Verwaltung und etliche Familien noch die politische Säuberung, die so genannte Entnazifizierung durch die Militärregierung und eingesetzte Spruchkammern. Da in der Stadt viele Rothenburger dem Nationalsozialismus mehr oder weniger fest verbunden waren, verwaiste die Stadtverwaltung. Auch Hans Wirsching, den die Amerikaner nach ihrem Einmarsch zum kommissarischen Landrat gemacht hatten, wurde aus diesem Amt wieder entfernt, weil er zu seiner NS-Vergangenheit falsche Angaben gemacht hatte. Er beschreibt die Situation in dem oben erwähnten Buch so:

„Das alles waren recht hart empfundene Schwie­rigkeiten, aber noch größere, teils wirtschaftliche, teils seelische Belastungen folgten, die so genannte politische Säuberungsaktion.“

Schon in den Tagen der Besetzung entfernten die Amerikaner Vor­stände und Leiter von Behörden und Amtsstellen, wenn sie Mitglied der NSDAP waren. Die in den Amtsstellen noch verblie­benen Beamten und Angestellten wurden ver­pflichtet, ihren Dienst weiter zu versehen, bis sie politisch überprüft waren. Die amerikanische Sicherheitspolizei (C. I. C.) nahm nun an Hand der von der Kreisleitung der NSDAP zurückgelassenen Akten eine Überprüfung der poli­tischen Betätigung von Männern und Frauen in der Stadt und auf dem Lande vor. Wer als Mitglied der NSDAP, oder ihre Gliederungen (NSV, RAD, DAF, KdF, SA und SS.) betroffen war, wurde festgenommen und interniert.

Da Rothenburg zwölf Jahre lang von einem dichten Netz von Nationalsozialisten überspannt war, verdünnte dieser bekannte Umstand nach 1945 den Mitarbeiterstab im Rathaus. Die Polizei und „fast alle Beamten und Angestellten“ (Wirsching) wurden entlassen. Nur sechs alte Berufsbeamte und Angestellte standen dem Bürgermeister noch zur Verfügung. Beim Landrat war es ähnlich. Hier waren, abgesehen von den Versorgungsstellen, nur noch vier eingearbeitete Beamte im Dienst.

Bei 62 Gemeinden des Kreises (die Stadt war damals noch kreisangehörig) mussten 60 Bür­germeister ausscheiden. Für diese Bürgermeister musste politisch unbelasteter Ersatz gesucht werden. Dies geschah in der Weise, dass der Land­rat eine öffentliche Versammlung in der Gemeinde einberief und die Gemeindebürger um Vorschläge von politisch tragbaren Männern ihres Ver­trauens ersuchte. Dazu Wirsching, der große Insider-Kenntnisse hatte: „Manche Gemeinde konnte sich nur schwer entschließen, den alten Bürger­meister fallen zu lassen, da er ein guter treuer Sachwalter war.“

Zum Alltag gehörte auch das Heizmaterial

Zum Alltag gehörte auch das Heizmaterial

Der erste „Meistertrunk“ nach dem Krieg – eine erschütternde Aufführung

Pfingsten 1945 erlaubte die amerikanische Militärregierung die Aufführung des historischen Fest­spiels „Der Meistertrunk“. Die Rothenburger dankten damit den Amerikanern, weil sie  für den Wiederaufbau der historischen Stadt Finanzmittel in Aussicht stellten. Anwesend waren Vertretern der US-Militärregierung in Bayern und der bayerischen Staatsregierung München sowie der Kreisregierung von Mittel- und Oberfranken. Über diese Veranstaltung in den Trümmern der Stadt erinnert sich der Rothenburger Kunstmaler Willi Förster in seinem Aufsatz „Zwischen Tod und Auferstehen“ in dem o. g. Buch von 1950:

„Wir konnten zu Pfingsten das Spiel in der erschütterndesten Aufführung seiner Geschichte erleben. Noch stand man mitten in den seelischen Zuständen des Kriegsgeschehens, der Dreißigjährige Krieg war Gegenwart, die meisten Darsteller hatten wenige Wochen vorher durch den Brand der Stadt Hab und Gut verloren, durch die teilweise verbrannte Decke des Kaisersaals schaute der blaue Himmel auf die Zuschauer. In den Kaisersaal konnte man nur über mehrere Meter hohen Schutt im ersten Stock des ausgebrannten Rathauses gelangen. Mit dem Jeep hatten amerikanische Truppen deutsche Musiker aus weitem Umkreis auf den von Granaten umgepflügten Straßen herbeigeholt. Im Orchester saßen nach Rothenburg verschlagene bedeutende Musiker, der Kaisersaal war überfüllt. Die Aufführung fand begeisterten Beifall.“

Das erste Friedensjahr 1945, zugleich noch fast ein halbes Kriegsjahr, war auch ein Jahr der ersten Trümmerbeseitigung, damit Straßen und Wege passierbar waren. Bald kam auch der Schulbetrieb wieder in Gang. Am 1. September 1945 konnte die Volksschule in Rothenburg als erste Volks­schule in Bayern wieder eröffnet werden. Neues Leben blühte aus den Ruinen.

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Quelle und Nachbemerkung: Etliche Fakten sind dem Aufsatz von Hans Wirsching „Zwischen Zerstörung und Aufbau“ (S. 31-36), entnommen, erschienen im 1950 von Holstein verlegten „Rothenburg ob der Tauber. Schicksal einer deutschen Landschaft“. Manche Einschätzungen von Hans Wirsching in diesem Aufsatz, die hier als Zitate wiedergegeben sind, decken sich nicht mit der Meinung des Verfassers/der Herausgeber. Zudem fällt auf, dass Stadtamtmann Hans Wirsching 1950 in der Wortwahl noch stark dem NS-Duktus anhing. Ein interessanter Umstand, auf den wir hier informatierend hinweisen wollen. Es gibt harmlose Wörter von vor 1933, die von der NS-Propaganda mit einer Bedeutung „belegt“ wurden, die es verbietet, diese Wörter in ihren ursprünglich harmlos-fachlichen Sinn zu verwenden. Dazu gehören beispielsweise die Wörter „Vergasung“ oder „Sonderbehandlung“, aber auch der weniger drastische Begriff „Ruhmesblatt“, den  Wirsching verwendete, als er ein Lob für die Bauersfrauen aussprach. Auch dieses Wort ist mit einem bösen Sinn belegt. Es wurde bis 1945 immer wieder mit Taten und Leistungen des NS-Regimes propagandistisch in Zusammenhang gebracht. Heinrich Himmler sagte am 4. Oktober 1943 bei einer SS-Gruppenführer-Tagung in Posen über den millionenfachen Judenmord: „Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt der Geschichte“. Natürlich möchten die Herausgeber Hans Wirsching mit diesem Vergleich in keiner Weise mit Himmler in Verbindung bringen, sondern lediglich darauf hinweisen, wie der in zwölf Jahren praktizierte NS-Stil bis weit in die Nachkriegzeit hinein nachwirkte.

 

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