Von Wolf Stegemann
Neben den Auswanderungsgruppen wie Flüchtlinge, DPs, Bauern und Handwerker kam noch eine hinzu, deren Motivation zur Auswanderung ganz anderer Art war: das „deutsche Froillein“ oder die Frauen, die sich in GIs verliebten, diese heirateten und mit ihnen in die Staaten zogen. Der Kontakt deutscher Frauen der Nachkriegszeit zu alliierten Soldaten stand jedoch im gesellschaftlichen Zwielicht. Zum einen, weil sich der Kontakt über das anfängliche Fraternisierungsverbot der US-Armee (siehe unten) hinwegsetzte, zum anderen, weil er sich im Dunstkreis der Prostitution abzuspielen schien, was nicht stimmte, damals aber so gesehen wurde, wie historische Forschungen ergeben haben. Im Gedächtnis geblieben ist von der Liebelei zwischen Siegern und Besiegten vor allem der bereits erwähnte Begriff „Froillein“. Nach historischen Schätzungen hatte jede vierte deutsche Frau in der Zeit unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs losen oder dauerhaften Kontakt zu einem Soldaten der alliierten Truppen.
Kaffee, Schokolade, Nylons, Lippenstifte und Zigaretten
Als US-Soldaten nach dem Ende des Zweites Weltkriegs Deutschland besetzt hatten, fanden sie nicht nur Naziverbrecher vor, sondern hungrige Frauen, Kinder und Greise, deren Wohlwollen sie mit Schokolade, Nylonstrümpfen, Lippenstiften und Zigaretten gewannen. Die US-Armee-Führung wollte freilich Begegnungen zwischen Besatzern und Besiegten verhindern. Daher galt das so genannte Fraternisierungsverbot:
„Nichtverbrüderung ist die Vermeidung des Zusammentreffens mit Deutschen auf der Grundlage von Freundlichkeit, Vertrautheit oder Intimität – ob individuell oder in Gruppen, im offiziellen oder inoffiziellen Umgang.“
Bevor die westalliierten Soldaten nach Deutschland kamen, zeigte ihnen die Armee Schulungsfilme und gab ihnen Verhaltensmaßregeln an die Hand, an die sie sich strikt halten mussten. Da hieß es:
„Deutschland mag besiegt sein. Lasst Euch nicht täuschen! Ihr seid noch immer im Feindesland. (…) Verbrüdert Euch nicht mit den Deutschen! Sie sind nicht unsere Brüder, sie sind nicht unsere Freunde.“
Fraternisierungsverbot war nicht durchsetzbar
Doch das Fraternisierungsverbot war nicht durchsetzbar. Bald sah man überall in den westlichen Besatzungszonen alliierte Soldaten und deutsche Frauen Arm in Arm die Straßen entlang flanieren. „Der GI war attraktiv in vielerlei Hinsicht“, sagt der Historiker Johannes Kleinschmidt, der in seiner Doktorarbeit zum Fraternisierungsverbot geforscht hat. Der GI „hatte Zugang zu Lebensmitteln, die in Deutschland sehr knapp waren. Und auch sonst waren die Amerikaner viel lockerer.“ Der Schriftsteller Wolfgang Koeppen schreibt in seinem Nachkriegsroman „Tauben im Gras“ über die US-Soldaten:
„Sie waren nicht so mit Schicksal und Angst, Zweifel, Vergangenheit und Aussichtslosigkeit belastet wie die deutschen Männer. … Um die Jungens war die Luft der weiten Welt; der Zauber der Ferne, aus der sie kamen, verschönte sie.“
US-Soldaten dürfen mit Frauen ausgehen, aber sie nicht heiraten
Im Oktober 1945 wurde das Verbrüderungsverbot aufgehoben. Die Pärchen konnten nun ihre Liebe offen zeigen. Die Soldaten durften ihre deutschen Frauen aber nicht heiraten. Der Historiker Johannes Kleinschmidt sagt dazu:
„Man hatte in den USA das Gefühl, die deutschen Fräuleins wollten vielleicht nur einwandern. Die Heirat zwischen den ehemaligen Feinden war immer noch relativ undenkbar.“
Betroffene GIs, die ihre „Froilleins“ heirateten, eine Familie gründeten, oder deren Freundinnen bereits schwanger waren, schalteten von Deutschland aus die amerikanische Presse ein, was eine Diskussion in der amerikanischen Gesellschaft über das Heiratsverbot ihrer GIs mit deutschen Frauen in Gang setzte. Eine Brooklyner Lokalzeitung in New York titelte: „Ist es ein Verbrechen zu heiraten?“ Sogar Eleanor Roosevelt, Witwe des kurz vor Kriegsende gestorbenen US-Präsidenten, mischte sich ein:
„Jeder unserer Boys, der eine Deutsche heiraten will, sollte sich ganz sicher sein, dass er sich dort drüben nicht einfach nur ein wenig einsam gefühlt hat. Deshalb sollte er für mindestens vier Monate nach Amerika zurückkehren – und sich erst dann entscheiden.“
Auch Rothenburgerinnen zogen mit ihren GIs nach Amerika
Immer mehr heiratswillige GIs beschwerten sich bei ihren Dienststellen über das Heiratsverbot. Zu dieser Zeit wurde Deutschland nach Beginn des Kalten Kriegs zu einem wichtigen Verbündeten der USA. Im Mai 1947 durfte das erste Paar heiraten – nach Antrag beim kommandierenden Offizier. Gut der Hälfte aller Paare wurde die Genehmigung allerdings verweigert, besonders häufig afroamerikanischen GIs. Bis 1949 wurden insgesamt 20.000 deutsch-amerikanische und 10.000 deutsch-britische Ehen geschlossen. Darunter die Ehe der Rothenburgerin Liberta H. aus der Spitalgasse, Jahrgang 1911, die ab 1946/47 als Sekretärin und Gerichts-Stenotypistin für das US-Detachement 268 des Military Gouvernement Liaison & Security im Landkreis Rothenburg gearbeitet hat, ab 1948 im Rothenburger Büro für das Office of Military Gouvernement Bavaria Field Operations Division Ansbach. Sie hatte einen kanadischen Soldaten kennengelernt, wurde schwanger, sie heirateten und Liberta H. ging mit ihm 1951 nach Kanada. Sie war nicht die einzige Frau aus Rothenburg ob der Tauber, die ihr Glück an der Seite eines alliierten Soldaten suchte und fand.
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