In Bayern bestand von 1945 bis 1950 das Staatsministerium für Sonderaufgaben mit dem Auftrag, unter oberster Aufsicht der amerikanischen Militärregierung die politisch braune Landschaft im weiß-blauen Freistaat zu säubern. Seine Aufgaben umfassten daher die Ausarbeitung der Ausführungsbestimmungen für das Befreiungsgesetz und die Organisation der Spruchkammern im Rahmen der Entnazifizierung. Verschiedene Behörden innerhalb des Ministeriums kontrollierten die Durchführung der Entnazifizierung. Dem Ministerium waren u. a. der Generalkläger, ein Kassationshof und die Leitung der Internierungs- und Arbeitslager zugeordnet. Die Arbeit und der Aufbau des Ministeriums sorgten regelmäßig für Konflikte zwischen Staatsregierung und US-Militärregierung. Im März 1950 löste der Bayerische Landtag das Ministerium auf, da dessen Hauptaufgabe weitgehend abgeschlossen war; seine Aufgabengebiete übernahm das Justizministerium.
Politischen Säuberungen in der frühen amerikanischen Besatzungszeit
Die Aufgabe, eine systematische politische Säuberung in die Wege zu leiten und deren Durchführung zu organisieren, lag ursprünglich bei der US-Militärregierung in Bayern. Am 19. Mai 1945 wurde dem „Safety Office“ des „Regional Military Government“ eine „Special Branch“ angegliedert, deren Aufgabe die zentrale Durchführung von Entnazifizierungsmaßnahmen war. Die Ermittlungen stützten sich auf das vorgefundene deutsche Aktenmaterial und auf Fragebögen, die die Betroffenen auszufüllen hatten. Die Münchner Polizei musste der „Special Branch“ zuarbeiten. Eine wirkliche Zentralisierung bestand nicht, da auch andere Abteilungen der Militärregierung Entnazifizierungsmaßnahmen durchführten und einheitliche Richtlinien dafür noch nicht existierten. Am 7. Juli 1945 erließ dann das Hauptquartier der amerikanischen Truppen in Europa eine Direktive zur Vereinheitlichung. Die Umsetzung der Entlassungen nach Vorgabe der „Special Branch“ war Sache der staatlichen und kommunalen Behörden und der ebenfalls betroffenen Betriebe der Privatwirtschaft.
Die Anfänge des Ministeriums für Sonderaufgaben
Auf Wunsch der Militärregierung sollten auch die Kommunisten im Kabinett vertreten sein. Sie bestimmten den Kommunisten Heinrich Schmitt (1895-1951) zum Leiter des neu einzurichtenden Staatsministeriums für Sonderaufgaben (Entnazifizierung). Schmitt hatte sich bereits vorher für eine scharfe Entnazifizierung ausgesprochen. Die genauen Hintergründe der Entstehung des Ministeriums liegen im Dunkeln, da keine Quellen dazu vorhanden sind. Grundlage war eine Anordnung des Ministerpräsidenten betreffend „Reinigung Bayerns von Nationalsozialismus und Militarismus“ vom 24. Oktober 1945. Schmitt legte bereits im November 1945 die Denkschrift vor: „Richtlinien für die Säuberung des bayerischen Staates von nationalsozialistischen Einflüssen und Elementen“. Sie enthielt sowohl Grundkategorien über die Einstufung der Betroffenen als auch die Konzeption für den Aufbau eines Säuberungsapparats, wobei der spätere Aufbau der Spruchkammern schon im Kern angedeutet war.
Die CSU drängte darauf, den Kreis der zu Entnazifizierenden enger zu fassen und die vorgesehenen Sühnemaßnahmen abzumildern. Die Vorstellung Schmitts, mit der Säuberung die gesamte Bevölkerung zu erfassen, wurde abgelehnt, da man darin die Anerkennung einer Kollektivschuld sah. Vor allem sollte die persönliche Schuld des Betroffenen gewürdigt werden. Allerdings stimmte die amerikanische Militärbehörde auf Druck der öffentlichen Meinung in den USA hin der Lockerung der Entnazifizierung nicht zu, sondern er schärfte sie durch Zusätze. Neue Grundlage für die Entnazifizierung in den drei Ländern der amerikanischen Besatzungszone war das Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus. Am 5. März 1946 unterzeichneten die Ministerpräsidenten dieser drei Länder das Gesetz, und General Clay genehmigte es. Es handelte sich um ein Ländergesetz mit demokratischer Legitimation, nicht um eines der Militärregierung.
Der Aufgabenbereich des Sonderministeriums
Während die Verbesserung der Gesetzgebung und die Organisation der Gefängnisse beim Justizministerium lagen, was das Sonderministerium für die Ausführungsbestimmungen für das Befreiungsgesetz, der Organisation der Spruchkammern und der Internierungslager für die Durchführung der von den Spruchkammern verhängten Sühnemaßnahmen zuständig. Das Personal wurde vom Innenministerium gestellt.
Der Aufbau des Spruchkammerapparates
Das Ministerium setzte nach entsprechenden Vorschlägen die Vorsitzenden, Kläger und Beisitzer bei den Spruchkammern ein. Die Überprüfungen durch die Militärregierungen und die Eingriffe verschiedener Besatzungsbehörden bremsten ebenfalls den Aufbau des Sonderministeriums und der Spruchkammern. Am 28. April 1946 hatten als erste überregionale Wahlen in Bayern seit dem Zusammenbruch 1945 Kreistagswahlen stattgefunden. Entsprechend dem Ergebnis der Wahlen wurden die Spruchkammern parteipolitisch zusammengesetzt, wobei die Arbeiterparteien ein starkes Übergewicht erhielten. Ministerpräsident Hoegner wollte die CSU stärker einbinden und schlug vor, das Ministeramt der CDU zu überlassen, was der Kommunist Schmitt ablehnte und er dann zurücktrat. Nachfolger wurde Anton Pfeiffer von der CSU. Sein erklärtes Ziel war, die große Zahl der bereits erfolgten Entlassungen rückgängig zu machen und die Mehrheit der Mitläufer nicht zu bestrafen. Zudem ließ er die früheren Entscheidungen überprüfen und alle für irrig gehaltenen Sprüche, es waren rund 10.000 aufheben.
Der Apparat des Staatsministeriums für Sonderaufgaben zur Zeit Pfeiffers
Das Ministerium beschäftigte Ende November 1946 annähernd 200 Personen. Ihm unterstanden zudem insgesamt etwa 15.000 Personen, darunter allein 3.000 bis 4.000 Mann Wachmannschaften für die Lager. Pfeiffer entließ rund 900 der insgesamt 1.200 Vertreter der KPD. Im November 1946 waren 201 Spruchkammern mit 357 Vorsitzenden, 358 Klägern und 3.307 Beisitzern tätig. Zusätzlich beschäftigten die Kläger 2.407 Personen, die Vorsitzenden weitere 1.362. Bei den Internierungs- und Arbeitslagern bestanden Lagerspruchkammern. Unter Pfeiffer entstanden entsprechend den jeweiligen Regierungsbezirken sieben Berufungskammern, die gleichzeitig Dienstaufsichtsbehörden der Spruchkammern waren.
Der Kassationshof beim Sonderministerium wurde im September 1946 gebildet und bestand bis 1951. Die amerikanische Militärregierung übergab die bereits errichteten Internierungslager an das Sonderministerium, das Ende 1946 vier Lager verwaltete: Moosburg (Lkr. Freising), Regensburg, Nürnberg-Langwasser und das Frauenlager in Augsburg-Göggingen. Dazu kamen noch zwei Lazarette.
Verhältnis von Militärregierung, Sonderministerium, Spruchkammern
Das Sonderministerium war in seiner Arbeit nicht souverän. Die Besatzungsmacht konnte jede Personaleinstellung und auch jede Entscheidung des Sonderministeriums kontrollieren. Neuer Leiter des Sonderministeriums wurde im Dezember 1946 aus parteipolitischen Gründen Alfred Loritz von der „Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung“ (WAV), dem allerdings die Qualifikation zu diesem Amt fehlte. Loritz hatte im Wahlkampf gefordert, dass nur die wirklich Schuldigen unnachsichtig bestraft werden sollten, die große Masse dagegen, die nur durch wirtschaftlichen oder sonstigen Zwang beigetreten sei, freigesprochen werden müsse. Dies lief letzten Endes auf eine Generalamnestie für die Minderbelasteten und Mitläufer hinaus. Die Verfahren wurden demnach massenhaft vom Schreibtisch aus erledigt.
Loritz pflegte mit seinen Untergebenen einen despotischen Umgangsstil, was dazu führte, dass die meisten Berufungskammern und der Kassationshof nicht arbeitsfähig waren. Aus Protest verließen etliche leitende Mitarbeiter das Sonderministerium. Es entstand ein administratives Chaos. Der Apparat war nur noch funktionsfähig, weil die Militärregierung teilweise Verwaltungstätigkeiten übernahm. Loritz’ WAV mischte sich zunehmend in Dienstgeschäfte ein. Er richtete eine eigene Sonderabteilung ein, die dem Zweck diente, Sympathisanten und Mitgliedern der WAV am Gesetz vorbei bei der Entnazifizierung behilflich zu sein. Die WAV benutzte das Ministerium dazu, ihre Leute in Stellungen unterzubringen, in denen sie sowohl für das Ministerium als auch für die Partei arbeiten konnten. In die Positionen von Klägern und Spruchkammervorsitzenden drangen WAV-Leute dagegen nicht überdurchschnittlich ein, weil sich nicht genug von ihnen fanden, die den Überprüfungen durch die Militärregierung standhielten. Konflikte gab es auch stets beider
Verwaltung der Internierungslager
Im März 1947 zeigte die Leistungsbilanz des Sonderministeriums, dass 6,2 Millionen Meldebögen sortiert und die Jugend- und Weihnachtsamnestie abgeschlossen wurden. Durch die Verfahren gegen eine Reihe von NS-Prominenten hatte sich Loritz den Anschein des eifrigen Amnestierers gegeben, andererseits hatte er etwa 5,3 Millionen Personen die Mitteilung zusenden lassen, dass sie von der Entnazifizierung nichts mehr zu befürchten hätten. Nachdem sich der Verdacht erhärtete, Loritz missbrauche seine Ministertätigkeit für parteipolitische Zwecke, indem bei der Entnazifizierung Gelder für die Partei beschafft würden, und es zu einer Auseinandersetzung mit dem bayerische Ministerpräsidenten Ehard kam, entließ dieser Loritz als Leiter des Sonderministeriums. Der Landtag stimmte dem am 24. Juni 1947 mit großer Mehrheit zu.
Die Leitung und Erneuerung des Ministeriums durch Ludwig Hagenauer
Nachfolger wurde Justizminister Wilhelm Hoegner, der seinen Staatssekretär Ludwig Hagenauer (CSU, 1883-1949) mit der Führung der Geschäfte beauftragte und im Juli 1947 als Nachfolger Hoegners letzter Minister des Sonderministeriums wurde. Weiterhin lief der Amtsbetrieb in dem inzwischen mit 360 Mitarbeitern besetzten Ministerium, darunter ein höherer Berufsbeamter, dem aber die Fähigkeit für eine leitende Tätigkeit fehlte, chaotisch ab. Von monatlich rund 2.000 zu bearbeitenden Vorgängen konnten nur etwa 200 erledigt werden. Am Kassationshof beliefen sich die Rückstände mittlerweile auf rund 8.000 Vorgänge, da seit dem Ausscheiden Dehlers die Stelle des Generalklägers nicht mehr besetzt worden war. Auch bei den Berufungskammern lagen die Fälle im Argen. Es mangelte an geeigneten Richtern ebenso wie an Lagerpersonal. Das Justizministerium musste daher geeignetes Personal für das Sonderministerium abordnen, ohne dass wirklich eine Verbesserung eintrat, denn die Lücken blieben bestehen.
Der Wandel in der Politik der amerikanischen Besatzungsmacht
Dieser Zustand im Ministerium fiel mit einem Umschwung in der amerikanischen Haltung zur Säuberungspolitik zusammen. Das Befreiungsgesetz und die Entnazifizierung erschienen jetzt als Hindernisse auf dem Weg zur wirtschaftlichen Erholung und als Störfaktoren für die West-Integration Deutschlands. Die meisten Internierten wurden bis Ende 1948 entlassen. Nach dem Tod des Sonderministers Hagenauer im Juli 1949 übernahm Ministerpräsident Ehard das Sonderministerium selbst, ohne dies allerdings offiziell zu erklären. Am 15. November 1949 verfügte der Ministerrat die Auflösung des Staatsministeriums für Sonderaufgaben. Ehard leitete daraufhin dem Landtagspräsidenten den Antrag zu, keinen eigenen Minister mehr zu bestellen und die Aufgabe auch keinem anderen Ministerium zu übertragen, sondern das Ministerium weiter geschäftsführend leiten zu lassen. Dagegen machte aber am 22. November der Rechts- und Verfassungsausschuss des Landtags verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Daraufhin erklärte Ehard, er übernehme in seiner Eigenschaft als Finanzminister die Geschäfte des Ministers für politische Befreiung. Am 8. März 1950 beschloss der Landtag schließlich einstimmig die Auflösung des Ministeriums. Die weitere Abwicklung erfolgte durch das Finanzministerium unter dem Amt „Minister für politische Befreiung“.
Zum 1. Januar 1960 endgültiger Abschluss der Entnazifizierung
Das „Gesetz zum Abschluss der politischen Befreiung in Bayern“ vom 27. Juli 1950 grenzte den Kreis der Betroffenen stark ein. Die Leitungsaufgaben gingen im November 1951 an das Justizministerium über. Justizminister Josef „Ochsensepp“ Müller (BVP, CSU, 1898-1979) hatte das Nachfolgeamt des Ministeriums in seinen Bereich hinübergezogen, da für Sachs zum 31. Dezember 1951 der Ruhestand einsetzte. Müller legte einen weitreichenden Gesetzentwurf vor, der die Entnazifizierung endgültig abschließen sollte, scheiterte aber damit. Danach wollte er wenigstens das Amt loswerden. Er bemühte sich darum beim Finanzministerium, beim Innenministerium, beim Landesamt für Verfassungsschutz und beim Verwaltungsgerichtspräsidenten, doch war keine Stelle dazu bereit, das Amt und damit die unpopuläre restliche Entnazifizierung zu übernehmen. Der Abwicklungsstab unter dem Amtsgerichtspräsidenten Johann Knör, dem letzten Leiter des Kassationshofs, bestand 1951 nur noch aus fünf Beamten; 1953 umfasste der ganze Restapparat einschließlich der Putzfrauen noch 40 Personen. Die Zuständigkeit blieb beim Justizministerium hängen. Der Geschäftsbereich des ehemaligen Sonderministeriums wurde als solcher aufgelöst. Formal wurde das Amt erst durch das dritte Gesetz zum Abschluss der politischen Befreiung vom 17. Dezember 1959 aufgehoben; der Kassationshof hörte bereits 1951 auf zu existieren. Zum 1. Januar 1960 stellte die letzte Hauptspruchkammer in München, die noch nach dem zweiten Gesetz zum Abschluss der politischen Befreiung vom 3. August 1954 arbeitete, ihre Tätigkeit ein.
Siehe themenähnliche Artikel in dieser Dokumentation:
- Entnazifizierung 1: Weiße Westen – braune Flecken
- Entnazifizierung 2: Ein Werk der Unvollkommenheit und Unfähigkeit
- Entnazifizierung: Kommentar – Die Vergangenheit war 1952 abgeschlossen
- Strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechen durch die deutsche Justiz in den Besatzungszonen und in der Bundesrepublik Deutschland – Zahlen und Fakten
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