Von Harald Zigan
Eine Prügelorgie, die sich am 6. Mai 1933 in Bossendorf abspielte, hatte erstaunliche Folgen: Die Täter, sechs SA- und SS-Leute aus dem nahen Rothenburg, wurden zur Rechenschaft gezogen. Vier Monate nach der „Machtergreifung“ gab es offenbar noch letzte Reste von Recht und Gesetz in der NS-Diktatur – Terror und Willkür waren noch nicht durch staatliche „Lizenz“ auf breiter Basis gedeckt. Nur so lässt sich erklären, warum sich sechs Angehörige von SA und SS aus Rothenburg ob der Tauber für einen Gewaltexzess in Schrozberg-Bossendorf verantworten mussten.
In Enzenweiler wurde ein Knecht krankenhausreif geschlagen
Ernst Lenkner (87) und seinem gleichaltrigen Nachbarn Ernst Weber steht das brutale Geschehen noch deutlich vor Augen. Drei SA-Leute aus Rothenburg waren am 5. Mai 1933 im Gasthaus „Rappen“, dem Elternhaus von Ernst Lenkner, nach einer „Betteltour“ für eine Suppenküche in Rothenburg eingekehrt. Die Wirtin Anna Lenkner versorgte noch eine Verletzung, die sich ein SA-Mann beim Sturz von seinem Rad zugezogen hatte. Zu später Stunde und nach etlichen Krügen Most beklagte das Trio den Verlust eines Gummiknüppels, der an einem ihrer Fahrräder befestigt war. Als die SA-Leute andere Gäste des Wirtshauses des Diebstahls bezichtigten, wurde das Trio kurzerhand aus dem Lokal geworfen (der Gummiknüppel fand sich übrigens einen Tag später in einem Straßengraben).
Die Rache für diese Schmach der „neuen Herren“ in Deutschland folgte einen Tag später: Ein halbes Dutzend SA- und SS-Leute aus Rothenburg fiel am Nachmittag des 6. Mai 1933 mit zwei Autos in Bossendorf ein. Auf einem Acker erkannte die NS-Truppe den Knecht Hans Busch, der am Vorabend ebenfalls in der Wirtschaft gesessen war. Sofort setzte es Hiebe für den Mann – der Auftakt für eine wahre Orgie der Gewalt: Im Garten des „Rappen“ traf es Hans Lenkner, den Bruder des Wirts Fritz Lenkner. Mit Schlägen wurde auch die Nachbarin Anna Barthelmäs traktiert, die sich dem Trupp mutig in den Weg stellte.
Lebensgefährliche Verletzungen erlitt kurz danach Hans Beck vom Hof Walter. In Enzenweiler wurde ein Knecht ebenfalls krankenhausreif geprügelt: Beide Männer mussten in Brettheim stationär behandelt werden. „Den Hans Beck höre ich heute noch schreien“, erzählt Ernst Weber. Und Ernst Lenkner hat noch die Worte im Ohr, die ein SA-Führer seiner Mutter entgegenbrüllte: „Wenn wir Ihren Mann finden, können Sie ihn morgen auf den Friedhof bringen.“ Fritz Lenkner hatte Glück: An diesem Tag war er mit seinem Fuhrwerk in Rothenburg und holte Bier.
Partei sanktionierte ihre eigenen Schläger
Der Nazi-Trupp machte sich aus dem Staub, als Männer aus Bossendorf und aus Leuzendorf sowie der NSDAP-Ortsgruppenleiter Dürr aus Gammesfeld und der Polizist Mitsch aus Brettheim zusammengetrommelt wurden: „Einer der Leuzendorfer hatte auch einen Zimmerstutzen zur Verteidigung mitgebracht“, wie sich Ernst Lenkner erinnert.
Im Mai 1933 war es offenbar noch möglich, dass über eine solche Gewalttat berichtet wurde: In der Lokalzeitung „Fränkischer Anzeiger“ aus Rothenburg erschien bereits am 8. Mai 1933 ein kaum geschönter Bericht der örtlichen „Gendarmerie-Hauptstation“ über den „Vorfall, der in der dortigen Bevölkerung ziemlich große Aufregung erzeugt hat“. Und in der Ausgabe vom 10. Mai 1933 folgte die Nachricht, dass über die sechs Täter „Schutzhaft verhängt“ und „die Hauptschuldigen von der SA-Führung vom SA-Dienst ausgeschlossen und ihre Uniformen eingezogen worden sind“. Neun Tage darauf wurden die beteiligten SA-Männer Ernst Mönkheim, Hans Popp, Has Riedel, Albert Saalmüller, Ernst Stadelmann und Hans Zöllner wegen „schwerster Schädigung des Ansehens der Partei“ aus der NSDAP ausgeschlossen.
Kaum noch Hakenkreuzfahnen in Bossendorf
Ernst Lenkner und Ernst Weber hegen allerdings gehörige Zweifel daran, dass diese Strafen von längerer Dauer waren – im Gegensatz zu den Konsequenzen, die die Bossendorfer nach diesen Gewalttaten zogen: „In Bossendorf trat danach bis auf einen Mann niemand mehr in die NSDAP ein, die einzigen Nazis waren zwei Zugezogene“, wie Ernst Lenkner berichtet. Und an den hohen NS-Feiertagen wehten fortan statt der Hakenkreuzflagge die schwarz-weiß-roten Farben des Kaiserreichs.
Prozess vor dem Schöffengericht Ansbach
Vor dem Schöffengericht Ansbach hatte diese Prügelei am 9. Juni 1933 ein Nachspiel. Die fünf Rothenburger SA-Männer waren der „gefährlichen Körperverletzung“ angeklagt. In diesem frühen Stadium des NS-Regimes ging das offensichtlich noch oder man wollte dadurch die Bevölkerung besänftigen. Nach dem ersten Verhandlungstag wurden die Männer aus der Untersuchungshaft entlassen. Der Prozess wurde am 11. Juni mit der Urteilsverkündung fortgesetzt: Freisprüche für Kitzinger, Arlt und Meister; Saalmüller 10 Monate, Stadelmann 3 Monate, Zöllner 14 Monate, Popp 16 Monate und Riedel 14 Monate Gefängnis; die 28 Tage Untersuchungshaft werden angerechnet, Der Staatsanwalt hatte meist doppelt so hohe Strafen gefordert.
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Quelle: Text erschienen im „Hohenloher Tagblatt“, Crailsheim, am 6. Mai 2013; Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung. – „Fränkischer Anzeiger“ vom 10. und 12. Juni 1933 (Prozess).