W. St. – Das heute noch im Rotabene Medienhaus in Rothenburg erscheinende „Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern“ hieß inoffiziell stets auch das „Rothenburger Sonntagsblatt“, auch wenn dies nicht im Titel steht. 1884 gab der Rothenburger Verleger Johann Peter Holstein erstmals das Wochenblatt heraus. Der Verlag gehört jetzt „Rotabene Medienhaus“ (Verlag und Druckerei Schneider). Es ist nicht nur die älteste noch existierende protestantische Kirchenzeitung in Bayern, sie war jahrzehntelang auch die auflagenstärkste (heute 34.000 Exemplare) und somit eine der wichtigen evangelischen Stimmen in Bayern. Sie informierte (und informiert) über das kirchliche Leben in den Gemeinden, der Landeskirche und der Ökumene. 1883 formulierte der Gründer des Sonntagsblattes, Pfarrer Adolf Caselmann, sein Vorhaben so:
„Die Presse muss uns jetzt auch zur Kanzel werden; wenn ich einen Zeitungsartikel schreibe oder ein gutes Blatt verbreite, so diene ich meinen Gott gerade so gut, wie wenn ich eine Predigt halte.“
1915 Greuel gegen Juden – Sonntagsblatt fragt nach einer Heimat für Juden
Das Rothenburger Sonntagsblatt wurde zur Kanzel. Im Ersten Weltkrieg sammelte die Zeitung nicht nur Geld für Notleidende, sie machte auch auf das „Leiden der Israeliten“ am östlichen Kriegsschauplatz aufmerksam. „Keine Feder vermag die entsetzlichen Greuel zu schildern, die gegen die Juden in der bisherigen Kriegszeit verübt worden sind“ und kommt mit der fordernden Frage zu dem Schluss: „Nach dem Krieg wird man die Sehnsucht der jüdischen Massen nach einer gesicherten Heimat erfüllen müssen – wird sich diese Heimat in der Schaffung eines palästinensischen Judenlandes finden?“ (26. Dezember 1915).
Deutsch Ja – völkisch Nein
Nach einer Produktionskrise Anfang der 1920er-Jahre konnte die Auflage mit einer modernen Rotationsmaschine von 54.000 Exemplaren im Jahr 1923 auf 78.000 im Jahr 1928 gesteigert werden. Von da an konnte sie bis zum Zweiten Weltkrieg in dieser Höhe gehalten werden. Noch einmal gab es Anfang der 1930er-Jahre wegen der großen Not und Arbeitslosigkeit einen Einbruch, die aber gemeistert werden konnten. Ganz andere Probleme für das Rothenburger Sonntagsblatt fingen 1933 an. Der NSDAP war das evangelische Sonntagsblatt ein Dorn im Auge, weil weder Verlag noch Herausgeber und Redaktion sich nicht den „weltanschaulichen Ansprüchen“ der Partei unterzuordnen gewillt waren und sich nicht „gleichschalten“ ließen. Die politische Haltung des Blattes war christlich. Das Sonntagsblatt nahm nicht Stellung zu tagespolitischen Ereignissen. Allerdings „hatte es mitunter einen recht scharfen Blick gehabt und vor allem auf Missstände, sei es auf politischem, sozialem oder kirchlichem Gebiet“. Dies ließ sich das Blatt nie verbieten, das sich zwar zum Deutschtum bekannte, „deutsch“ aber nicht mit „völkisch“ gleichsetzte. Schon 1924, als die Völkischen gegen das Judentum hetzten, nahm das Rothenburger Sonntagsblatt deutlich Stellung gegen die evangelischen Geistlichen, die in Jesus fleischlich nicht den Juden sahen, sondern einen Arier, und sie somit ihrem Judenhass freien Lauf lassen konnten.
„Aber diese oft geradezu fanatische Abneigung gegen das Judentum wächst sich nun auch zu Folgen auf religiösem Gebiet aus, vor denen wir erschrecken. […] Christus ist dem Fleische nach Jude gewesen. Alle anderen Behauptungen sind von der Wissenschaft, die hier das maßgebende Wort hat, als Phantasien abgelehnt. Und die Verwerfung des Alten Testamentes ist wider den Willen und Geist Jesu. Das alte Testament war seine Bibel…“ (6. April 1924).
Erstmals rügte das Propagandaministerium das Sonntagsblatt 1934
Dieses Thema zog sich im Sonntagsblatt bis in die Zeit des Nationalsozialismus hin. Am 8. Januar 1933 kritisiert das Blatt die Mitarbeit evangelischer Geistlicher in politischen Parteien, nennt dabei Namen wie Stöcker, Blumhardt, Bodelschwingh und Mumm. Als Hitler Reichskanzler wurde, wird darüber am 12. Februar 1933 in einer fast untergeordneten Nachricht, zusammen mit anderen, gemeldet. Dagegen wird in der Nr. 18 groß herausgestellt, dass der bayerische Kirchenpräsident D. Veit zurückgetreten sei, und betonte in der darauf folgenden Ausgabe: „Es gibt kein deutsches Christentum, wohl aber ein christliches Deutschtum!“ Dies war eindeutig ein Beitrag zu dem sich anbahnenden Kirchenkampf.
Reaktionen der NS-Behörden ließen nicht lange auf sich warten. Erstmals erhielt das Rothenburger Sonntagsblatt vom Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda am 22. November 1934 einen „Hinweis“, dass es in dem Artikel „Kirchengeschichte der Jüngstzeit I“ gegen sämtliche Richtlinien verstoßen habe. Dabei berichtete das Blatt lediglich über die Rechtsbrüche des Rechtswalters Jäger im Gebäude des Landeskirchenrats in München, der die anwesenden Oberkirchenräte ohne Vollmacht entlassen ließ, als sie sich den Polizisten in den Weg stellten und schlichtweg nur eine Vollmacht zu sehen verlangten. Nach der Rüge des Propagandaministeriums erschien der 2. Teil „Kirchengeschichte der Jüngstzeit II“. Allerdings nur die Überschrift mit dem lakonischen Hinweis, dass der Artikel gem. Propagandaministerium nicht gedruckt werden dürfe. Fortan stand das Sonntagsblatt unter verschärfter Beobachtung von Polizei und Gestapo. Die Jahre 1935 und 1936 verliefen dennoch ruhiger. Denn der Widerstand von Herausgeber und Redaktion wurden fragiler. Wer verstehen wollte, konnte den Widerstand verstehen, wenn kommentarlos das Lutherzitat gebracht wurde: „Christentum predigen ist ein gar schwer und gefährlich Ding, hätte ich’s etwa gewusst, so wollt ich mich nimmermehr dazu begeben haben, sondern gesagt mit Mose: Sende, wen du willst!“
Politische Nachrichten verboten
Für die NS-Behörden war ein gewalttätiges Vorgehen gegen das evangelische Sonntagsblatt wegen der befürchteten Reaktion in den evangelischen Leser-Familien nicht opportun. Daher versuchten die Behörden durch Einzelverbote das Sonntagsblatt für die Leser uninteressant zu machen. Sie verboten beispielsweise politische Nachrichten bzw. politische Fragen in der Rubrik „Politischer Wochenbericht“ zu veröffentlichen, der seit den Gründungsausgaben in jeder Ausgabe zu finden war. In der Ausgabe vom 4. August 1935 informierte die Redaktion unter der Leitung des mutigen Kirchenrats Wilhelm Sebastian Schmerl (Würzburg) ihre Leser:
„Der Präsident der Reichspressekammer hat verfügt: Die Behandlung politischer Fragen … ist nicht Aufgabe der kirchlich-konfessionellen Presse. Aus diesem Grund hat sie die Veröffentlichung derartiger Beiträge, auch wenn es sich um Wochenübersichten oder Kurzbeiträge handelt, ab sofort zu unterlassen […] (wir) werden uns bemühen, unsere Leser für diesen Ausfall durch reichhaltige Darbietung erlaubten Stoffes zu entschädigen.“
Propagandaministerium drohte mit einem Verbot
1937 zog das Rothenburger Sonntagsblatt den Unwillen der NS-Behörden wegen eines Artikels von Hanns Lilje (18. Juli 1927) wieder auf sich. Hans Lilje setzte sich unter der Überschrift „Was wird aus der Kirche“ mit den „Deutschen Christen“ auseinander, jener evangelischen Kirchengemeinschaft, die unter Reichsbischof Müller den Nationalsozialismus vertrat. Dieser Artikel, der sich auch noch mit anderen Fragen befasste, zum Beispiel mit der Wirksamkeit der Kirche in der Öffentlichkeit, erregte in Berlin schweren Anstoß, zumal auf in den folgenden Ausgaben kritisch auch über „Hinweise“ und „Verbote“ der Behörden berichtet wurde. Zum ersten Mal wurde dem Rothenburger Sonntagsblatt das Verbot angedroht, auf das das Sonntagsblatt in der nächsten Ausgabe kommentarlos mit einem Luther-Zitat reagierte: „Es ist nicht rätlich, etwas gegen das Gewissen zu tun.“
Beschlagnahme einer Ausgabe des Sonntagblatts 1938
Als am 4. September 1938 Prof. D. Alhaus unter der Überschrift „Volk ohne Christus“ von „satanischen Gewalten“ im Kampf gegen das Judentum und den Bolschewismus schrieb, kam es am 8. Oktober 1938 mit der
Begründung, der Artikel „Volk ohne Christus“ sei „geeignet, die öffentliche Ruhe und Ordnung in erheblichem Maße zu stören“ zur Beschlagnahme der Ausgaben. Die fortführende Herausgabe weiterer Ausgaben war nun für den Verleger Holstein in Rothenburg und den nach Presserecht verantwortlichen Kirchenrat Schmerl in Würzburg zum Bekenntnisakt mit allen möglichen Risiken geworden. In der nächsten Nummer nach der Beschlagnahme ließ Schmerl wieder Luther mit dem Satz Wider den Teufel gilt niemand, denn nur Christus allein“ zu Wort kommen. Es kam aber zu keiner Gegenreaktion. Erst 1939 kam wieder ein „Verweis“ aus Berlin, nachdem das Sonntagsblatt am 24. September über den ersten Gefallenen (2. 9.) des Zweiten Weltkriegs, Hanns Däschner, schrieb.
Verbot der Zeitung im Jahr 1941
Opfer des Krieges wurde schließlich auch das Evangelische Sonntagsblatt, das zum 1. Juni 1941 sein Erscheinen einstellen musste. Die „Reichspressekammer – Papierwirtschaftsstelle“ schrieb am 25. April 1941 an den Verlag J. P. Peter in Rothenburg, dass der Verlag ab sofort nicht mehr mit Papier beliefert werden wird und ab 1. Juni jeglicher Papierverbrauch für das Blatt nicht mehr verwendet werden darf. Somit schien das „Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern“, erschienen in Rothenburg, im 58. Jahr seines Bestehens ein Ende gefunden zu haben.
Dem war aber nicht so. Nachdem 1945 die Amerikaner überall in Deutschland ihre Militärregierungen etabliert hatten, bauten sie eine freie demokratische Presse auf. Da weder ein führender Vertreter des Holstein-Verlags noch der Schriftleiter des Sonntagblatts NSDAP-Mitglieder waren, und die Schikanen des NS-Systems nachgewiesen werden konnten, erwartete der Verlag eine schnelle Lizenz, um das Sonntagsblatt wieder auflegen zu können. Doch nicht der Rothenburger Verlag erhielt die Lizenz, sondern die Bayerische Landeskirche, die damit ein neues, eigenes Blatt gründete, das im Evangelischen Presseverband in München erschien und noch unter dem Titel „Sonntagsblatt. Evangelische Wochenzeitung für Bayern“ erscheint. Die Rothenburger mussten einsehen, dass den Amerikanern eine evangelische Zeitung der Landeskirchen auszureichen erschien. Im Jubiläumsheft zum 75. Bestehen des „Rothenburger Sonntagsblatts, erschienen 1959 im Verlag J. P. Holstein schrieb Kurt Holstein:
„Was also die Partei[NSDAP] im Jahre 1941 fertiggebracht hatte, nämlich das Blatt zu vernichten , schien jetzt seine letzte Vollendung unter ganz anderen Voraussetzungen zu bekommen.“
Sonntagsblatt ab 1949 wieder ein Rothenburger Erzeugnis
1949 wurde durch die „Generallizenz“ das Verlagswesen von Einzellizenzen wieder frei. Ein kleiner Kreis fand sich in Rothenburg zusammen, um das traditionelle „Rothenburger Sonntagsblatt“ wieder aufleben zu lassen. Allerdings war die Situation ungünstig. Der Verlag Holstein hatte sich nach dem Verbot des Sonntagsblatts im Jahr 1941 verkleinert. Es fehlte ein moderner Presse- und Verteilerapparat, an Agenturen, die Geld kosteten, das ebenso fehlte. Ein positiver Blickpunkt war: Der Schriftleiter würde sein Amt wieder aufnehmen. Dazu Kurt Holstein:
„So wurde denn mit mehr Gottvertrauen als mit irdischen Mitteln und im Bewusstsein der alten und guten Tradition des Blattes, auch im Gefühl der inneren Verpflichtung seinen Vätern gegenüber, das Wagnis begonnen. Das waren keine leichten Jahre.“
1950 hatte das Rothenburger Sonntagsblatt wieder 23.000 Leser, ein Jahr später waren es 31.000, wiederum ein Jahr weiter schon 45.000 Leser. Jetzt teilten sich in Bayern zwei Blätter die Aufgabe, das „Evangelium in der Form der christlichen Sonntagspresse in die Häuser zu tragen.“ Beilagen kamen dazu: „Der junge Christ“ und „Kinderfreude“.
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