„Der Dichter Schmidt-Hausen stand vorne im Raum. Und neben ihm stand ein Lorbeerbaum. Er sagte Worte wie Morgenrot, Trompeten, Gleichschritt und Heldentod. Es war wirklich ein ganz nettes Gedicht – Aber ach, gefallene Dichter schreiben nicht.“
Von Wolf Stegemann
Nie gab es im „Fränkischen Anzeiger“ in Rothenburg so viele Todesanzeigen wie seit Kriegsbeginn 1939. Ihre Texte waren höchst unterschiedlich, je nach religiösem oder politischem Standort der Angehörigen. Erst im Jahr 1944, als bereits feststand, dass der Krieg verloren war, ergriff die nationalsozialistische Propaganda auch den bis dahin verschonten Bereich der Todesanzeigen: Sie durften von da an nur noch genormt, im Geiste des Nationalsozialismus und des propagierten Endsiegs, veröffentlicht werden. Zu der Zeit war die Herausgabe der Rothenburger Lokalzeitung kriegsbedingt schon eingestellt. Zuvor war in den Anzeigen neben dem Heldentod auch noch von Gott, der den Toten „in seine Barmherzigkeit“ geholt hat, und ähnliche Formulierungen zu lesen.
Heute gibt es keine soldatischen Helden mehr
In den Gefallenenanzeigen kann man zumindest bis 1944 herauslesen, wie die Hinterbliebenen zum Dritten Reich standen. Wie dies auch immer war, alle starben den „Heldentod“. Doch es war ein elender, jämmerlicher und unnützer Tod. In Kriegs- und Massengräbern, in Schlammlöchern oder auf dem Grunde der Meere lagen bei Kriegsende rund vier Millionen tote deutsche Soldaten – vier Millionen betrogene und verführte Helden. Generationenlang galt der Tod eines Soldaten im Krieg als „Heldentod“. Unzählige Denkmäler künden davon. Doch die Schrecken des Zweiten Weltkriegs verursachten in Deutschland einen Wertewandel. Die Helden rekrutieren sich heute eher aus der Welt des Sports und der Unterhaltung. Setzt ein erneuter Wandel ein? Werden die inzwischen in internationalen Auslandseinsätzen kämpfenden Bundeswehrsoldaten und -soldatinnen zu neuen Helden? Das ZDF suchte in seinem Dokumentarfilm „Heldentod – Der Mythos von schönen Sterben“, eine Zeitreise durch mehr als 200 Jahre deutscher und europäischer Geschichte, nach Antworten. Eine davon:
„Der Soldatentod auf dem ,Feld der Ehre’ wurde in Deutschland zum ersten Mal in den so genannten Befreiungskriegen 1813/14 gepriesen. Was heute Angst macht, galt bis 1945 als eine bewundernswerte Leistung. Doch der Tod auf den Schlachtfeldern Europas war niemals ,süß und ehrenvoll’ und wurde auch nicht wirklich als das Höchste im Leben eines Mannes sehnsüchtig erstrebt!“
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die bisherige Tradition und Praxis vom Tod fürs Vaterland in Frage gestellt. Die Zerstörungen und Unmenschlichkeiten zweier Weltkriege führten in Deutschland dazu, dass es als wenig ehrenhaft galt, fürs Vaterland zu sterben.
Für wen im Krieg gefallen? Pflichterfüllung für Führer und Volk!
Der schmerzliche Verlust der Angehörigen, denen oftmals nicht einmal ein Grab zum Trauern vergönnt war, wird in vielen Nachrufen deutlich. Im „Fränkischen Anzeiger“, der bis 1943 erschien, ist das Jahr 1942 wegen des Russlandkriegs das mit den meisten Todesanzeigen. Die Angehörigen von Friedrich Birkel trauerten mit Vokabeln, die das Naziregime vorgab. Der 24-jährige Infanterist fiel 1940. Nur 23 Jahre alt wurde Franz Josef Hünermann, „der sein Leben hingab, damit Deutschland lebe“. Dass es für die Angehörigen sicher ein Trost sei, dass er sein Leben „für die Größe und den Bestand von Volk, Führer und Reich“ hingegeben habe, schreibt der Kompanieführer von Michel Obermeier im Juli 1941 an die Hinterbliebenen des im Baltikum gefallenen Soldaten in einem handschriftlichen Brief. Offenbar war dies aber eine Standardfloskel. Denn der gleiche Wortlaut findet sich in etlichen weiteren offiziellen Schreiben.
Viele Formulierungen in den Anzeigentexten sind standardisiert, erklären, zu welcher Verblendung und Glorifizierung der Krieg führte, selbst wenn er Eltern und Ehefrauen das Liebste nahm. So steht in der Todesanzeige von Hubert Knorr ein Satz, der sich in vielen weiteren Nachrufen findet, nämlich, dass dieser „in soldatischer Pflichterfüllung sich auf dem Altare des Vaterlandes geopfert hat“. Der gerade 20 Jahre alte SS-Sturmmann Eugen Jakoby aus Schillingsfürst starb 1942 den „Heldentod für Deutschland“ und Richard Theodor Hehrberger „gab sein Leben für Führer und Vaterland“. Ohne übliches Helden-Pathos ist die Anzeige von Johann Georg Krauß verfasst. Er starb mit 21 Jahren „nach Gottes immer unerforschten Ratschluss“ und ruht „in fremder Erde im Frieden Gottes“. Diese Formulierung scheint ebenfalls standardisiert zu sein, denn sie kommt in etlichen Todesanzeigen vor. Herbert Kister starb 1942 „den Heldentod in treuer Pflichterfüllung“ und Ernst Popp, gerade 21 Jahre alt, sogar „in treuester Pflichterfüllung für Führer und Vaterland den Heldentod“.
Matrose Georg Schuh folgt „begeistert dem Ruf zu den Fahnen, das Schicksal hat seiner Soldatenlaufbahn ein frühes Ende bereitet“. Georg Horn, starb 31-jährig für „Führer, Volk und Vaterland“ und Hermann Winkler den „Heldentod fürs Vaterland“. Willi Dornis, gerade 19 Jahre alt, als Kriegsfreiwilliger in einer SS-Pol.-Div. Im Osten eingesetzt, starb „im Kampf gegen den Bolschewismus den Heldentod“. Stefan Kern aus Gebsattel fiel in „treuester Pflichterfüllung den Heldentod“ wie sein Bruder Eduard. „Für Volk, Reich und Führer gab er sein Leben“. SS-Rottenführer Karl Weimann starb 1941 „für Großdeutschland“. „Seine große Liebe und Treue für seinen Führer und sein Vaterland besiegelte er mit dem Tode. Er ruht im Osten an einem Wiesenhang unter vier Eichen.“ Pfarrer Oskar Stahl und seine Frau Hedwig betrauerten ihren Sohn Gerhard Stahl, Student der Theologie, der 1944 „Opfer des Krieges geworden“ war. Er war der dritte Sohn, den das Ehepaar Stahl im Krieg verloren hat.
Das Regime verlangte das große Heldenopfer nach Nibelungen-Art
Goebbels’ Sportpalastrede am 18. Februar 1942 mit dem Aufruf zum totalen Krieg, übrigens seine propagandistisch größte Leistung, war bereits der Beginn einer Inszenierung des eigenen Untergangs des NS-Regimes. Eine Inszenierung aber, die ganz in der Militärtradition des 19. Jahrhunderts stand. Zu diesem Schluss kommt der Historiker Wolfram Wette. Wenige Tage zuvor hatten die Reste der 6. Armee in Stalingrad kapituliert. Dies gestand die NS-Führung jedoch nicht ein, sondern verklärte die desaströse Niederlage zu einem Heldenepos – frei nach dem katholischen Nazi- und Arbeiterdichter Heinrich Lersch: „Sie starben, damit Deutschland lebe.“
Befreiungskriege von 1813 dienten als Vorbild
Zum Schluss seiner Rede, die er mit den Worten beendete „Nun Volks steh’ auf und Sturm brich los!“, zitierte Goebbels Theodor Körner, der jenen Begriff des totalitären Kriegs in den Freiheitskämpfen prägte. Goebbels bemühte aber auch den preußischen General Carl von Clausewitz und dessen Buch „Vom Kriege“, in dem der schon jene raunende Beschwörung des heldenhaften Opfergangs beschrieb, die Goebbels’ Rede durchzog. Er würde sich, schreibt Clausewitz 1812, „nur zu glücklich fühlen, einst in einem herrlichen Kampfe um Freiheit und Würde des Vaterlandes einen glorreichen Untergang zu finden“.
Hitler selbst hat diese Clausewitz-Passagen früh verinnerlicht und sie zum festen Bestandteil seiner politischen Überzeugungen und zur Richtschnur seines Handelns gemacht. Heldenhaft in den Untergang, kompromisslos bis zum Ende – das alles ist eben nicht nationalsozialistisch, sondern nationalistische Militärideologie des 19. Jahrhunderts. Vor allem die viel gelesenen Dichter der Befreiungskriege priesen den Tod fürs Vaterland als höchste Sinngebung. Erinnert sei nicht nur an Körner, sondern auch an Ernst Moritz Arndt und an Max von Schenkendorffs: „Heldenwangen blühen / Schöner auf im Tod.“ Der Historiker René Schilling hat die Ideengeschichte der deutschen „Kriegshelden“ zwischen 1813 und 1945 untersucht und dabei eine lange Tradition des Untergangskults erschlossen. Dazu zählen auch Rainer Maria Rilkes „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ und Walter Flex’ Roman „Wanderer zwischen den Welten“, aber auch andere.
Mit wehenden Fahnen untergehen
Pathetische Untergangsfantasien geisterten schon durch die Weimarer Zeit. Im Kreise der rechtsradikalen Freikorps spielten sie keine geringe Rolle. Und just zum Ende der Republik, Anfang 1933, lief in den Kinos der Ufa-Film „Morgenrot“ an, ein militaristisches Marine-Melodram, in dem ein U-Boot-Kommandant zu seiner Mutter sagt: „Leben können wir Deutsche vielleicht schlecht, aber sterben können wir jedenfalls fabelhaft.“ In diesem Sinne erließ Admiral Erich Raeder am 22. Dezember 1939 eine Weisung, die den kollektiven Selbstmord für die Marine verbindlich machte: „Das deutsche Kriegsschiff kämpft unter vollem Einsatz seiner Besatzung bis zur letzten Granate, bis es siegt oder mit wehender Fahne untergeht.“ Eines der Schlachtschiffe, die diesem Befehl gemäß sanken, war die 1939 in Dienst gestellte „Bismarck“.
Höhepunkt der Untergangsverklärung war Stalingrad
Höhepunkt der Untergangsverklärung allerdings bleibt die Stilisierung von Stalingrad. Schon bald nach der Einkesselung der 6. Armee durch die sowjetischen Truppen erwartete Hitler von den 260.000 Soldaten, dass sie „bis zum letzten Mann“ und „bis zur letzten Patrone“ kämpften. Nachdem ihre aussichtslose Lage klar war, sollten sie „untergehen“ – sei es durch die Hand des Feindes, durch Hunger, Kälte oder durch Selbstmord. Indem die Propaganda das militärische Desaster auf die Höhe eines kollektiven Opfertodes hob (selbst die Nibelungen wurden von Hermann Göring bemüht), zielte sie in die Sphäre des Erhabenen. Mit quasireligiösen Begriffen wie „heiliger Schauder“, „Ehrfurcht“, „Allmacht“, „Vorsehung“ und „Glauben“ verschrieben sich Hitler, Göring und Goebbels schon zu diesem Zeitpunkt einer systematischen „Derealisierung“. So beförderte Hitler noch Ende Januar 1943 den ranghöchsten Offizier im Kessel, Generaloberst Friedrich Paulus, zum Feldmarschall und würdigte ihn als „den heldenhaften Verteidiger von Stalingrad“. Mit der Auszeichnung verband Hitler allerdings eine Erwartung: Statt zu kapitulieren, sollte Paulus Selbstmord begehen und damit allen anderen Offizieren der Wehrmacht ein Beispiel dafür geben, was man in Berlin von den Führern einer besiegten Armee erwartete. Die in Stalingrad eingeschlossenen Generäle zeigten sich jedoch keineswegs zur Selbsttötung bereit.
Brettheim diente dazu, Widerstand durch Angst aufrecht zu erhalten
„Sein oder Nichtsein!“, „Endsieg oder Untergang!“ hießen die Parolen in den letzten Kriegsmonaten. Dadurch wurden die Deutschen mit der Vorstellung vertraut gemacht, dass es keinen Waffenstillstand und keinen Friedensschluss geben werde und sie stattdessen zum „fanatischen Durchhalten“ bereit sein müssten. „Kraft durch Furcht“ lautete nun die Maxime der Propaganda. Der folgten überall an den nun in Deutschland verlaufenden Fronten die unerbittlichen Generäle und Kommandeure wie in Brettheim bei Rothenburg der SS-General Max Simon, der wenige Tage vor Kriegende in Brettheim drei Männer und in Rothenburg den Volkssturmmann Rößler hinrichten ließ. Simon hinterließ in Franken eine breite Blutspur solcher Standgerichtsurteile, die sich gegen die Bevölkerung richtete, die Frieden haben wollte, ihn aber nicht haben durfte. Schließlich nahm der Befehl Hitlers vom 19. März 1945 über „Zerstörungsmaßnahmen im Reichsgebiet“ – später als „Nero-Befehl“ bezeichnet – die eigene Zivilbevölkerung, eigene militärische Verkehrs-, Industrie- und Versorgungsanlagen ins Visier.
Sterben im Untergang anstatt zu überleben – bis zu 100.000 Selbstmordfälle
Es ist noch nicht abschließend erforscht, wie viele hohe Funktionsträger des Regimes – die Wehrmacht eingeschlossen – sich bei Kriegsende selbst töteten und so, dem „Führer“ getreu, ihren ganz persönlichen Untergang wählten. Bekannt ist, dass von den 43 NSDAP-Gauleitern, die zuletzt im Amt waren, sich elf das Leben nahmen, also jeder vierte. Suizid begingen auch, wie Josef Flottmann und Hanns Möller-Witten bereits 1953 bilanzierten, etliche führende Männer der Geheimen Staatspolizei und des Reichssicherheitshauptamts, dazu Höhere SS- und Polizeiführer (nämlich sieben von 47). Mit ihnen wählte eine beachtliche Zahl von Generälen der Wehrmacht und der Waffen-SS den selbstzerstörerischen Weg in den Untergang: 35 Generäle des Heeres, sechs Generäle der Luftwaffe, acht Admiräle der Marine und 13 Generäle der Waffen-SS. Insgesamt sollen sich Zehntausende während der letzten Kriegswochen das Leben genommen haben, Schuldige und Unschuldige, Nazi-Größen, Gestapo-Beamte und kleine Mitläufer, die zum Teil ihre Familien mit in den Untergang rissen. Manche Historiker sprechen gar von 100.000 Selbstmordfällen. In Tauberzell soll sich bei Kriegsende ein deutscher Großstadt-Bürgermeister mit seiner Frau umgebracht haben. – Die wahnhafte Vorstellung vom Heldenkampf und heroischen Untergang, wie sie die Militärtradition des 19. Jahrhunderts ausgeprägt hat, ist in Deutschland nach 1945 komplett verschwunden. Das ist gut so. Die Erinnerung daran befremdet nur noch.
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Wieder einmal wird die Neuzeit ausgeblendet. Wie erfolgen die Beerdigungen der Afghanistan-Kämpfer? Die schönen Sprüche unserer Militärexperten fehlen. Bekanntlich wird unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt. Das Volk soll langsam an den Krieg gewöhnt werden. Herr Stegemann, das Anführen alter Kamellen hilft nicht weiter. E. Opitz