Deutsche Christen planten eine konfessionslose Reichskirche auf nationalsozialistischem Fundament – doch sie scheiterte

NS-Propaganda-Bild von der Kirchenwahl 1933 in Berlin; Foto: Bundesarchiv

NS-Propaganda-Bild von der Kirchenwahl 1933 in Berlin; Foto: Bundesarchiv

Die Deutschen Christen (DC) waren eine rassistische, antisemitische  und am Führerprinzip orientierte Strömung im deutschen Protestantismus, die diesen von 1932 bis 1945 an die Ideologie des Nationalsozialismus angleichen wollte. Sie wurden 1932 als eigene Kirchenpartei in Thüringen gegründet und gewannen 1933 die Leitung einiger Landeskirchen in der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK). Am 6. Juni 1932 gründete der Berliner Pfarrer Joachim Hossenfelder die „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ als innerevangelische Kirchenpartei für das ganze Reich. In ihren „Richtlinien“ vom selben Tag hieß es:

„Wir sehen in Rasse, Volkstum und Nation uns von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnungen. […] Daher ist der Rassenvermischung entgegenzutreten. […] In der Judenmission sehen wir eine schwere Gefahr für unser Volkstum. Sie ist das Eingangstor fremden Blutes in unseren Volkskörper. […] Insbesondere ist die Eheschließung zwischen Deutschen und Juden zu verbieten.“

Zu diesem Programm gehörte ferner die die Auflösung der 29 Landeskirchen und Schaffung einer nach dem Führerprinzip strukturierten „Reichskirche“, der Ausschluss der Judenchristen, die „Entjudung“ der kirchlichen Botschaft durch Abkehr vom Alten Testament, Reduktion und Umdeutung des Neuen Testaments, die „Reinhaltung der germanischen Rasse“ durch „Schutz vor Untüchtigen“ und „Minderwertigen“ sowie die Vernichtung des angeblich „volksfeindlichen“ Marxismus.

Flagge der Deutschen Christen

Flagge der Deutschen Christen

An das NSDAP-Programm angelehnt

Am 9. September 1932 erkannte der altpreußische „Evangelische Oberkirchenrat“ (EOK) die Deutschen Christen mitsamt ihrem Programm als Kirchenpartei an. Bei den folgenden altpreußischen Kirchenwahlen am 13. November 1932 traten sie erstmals mit eigenen Listen an und erreichten durchschnittlich ein Drittel aller Sitze in den Presbyterien der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union. Sie waren dort nicht die einzige rechtsgerichtete Gruppe, sondern standen vor allem mit der deutschnationalen „Liste der Rechtsgruppen“ und der Gruppe „Positives Christentum“, die sich dem Programm der NSDAP anlehnte, im Konkurrenzkampf. In anderen Landeskirchen, die zudem ihre Kirchenwahlen nicht gleichzeitig hatten, gelang es ihnen damals noch nicht, wesentliche Erfolge zu erzielen.

Zeitgenössische Literatur zum Thema Christ und Nationalsozialist

Zeitgenössische Literatur zum Thema Christ und Nationalsozialist

Konfessionslose Reichskirche geplant

Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 begrüßten zahlreiche Protestanten als eine Art von Gott gesandte „Erlösung“. Viele Landeskirchen veranstalteten Fest- und Dankesgottesdienste, DC-nahe Pastoren ließen in Kirchen Hakenkreuzflaggen als „Symbol der deutschen Hoffnung“ aufhängen. Doch bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 verfehlte die NSDAP trotz Verbots der KPD und SA-Straßenterrors die absolute Mehrheit. Daraufhin bejahte Hitler in seiner Regierungserklärung vom 23. März 1933 die positive Rolle der bestehenden Großkirchen für die Volkserziehung und versprach, ihre Rechte und Stellung im Staat nicht anzutasten. Dies enttäuschte die Hoffnung der DC auf eine Gleichschaltung der Kirchen nach ihren Vorstellungen zunächst. Daraufhin ließ Ludwig Müller, DC-Leiter in Ostpreußen, die DC-Richtlinien überarbeiten und ihre Forderungen, die bereits starke Kritik bei reformatorisch orientierten Protestanten hervorgerufen hatten, abmildern. So wollte er die Chancen der DC, von den übrigen Protestanten anerkannt zu werden, verbessern. Ihr Ziel blieb eine überkonfessionelle bzw. konfessionslose Reichskirche. Ludwig Müller im Kreise Deutscher Christen bei der Nationalsynode in Wittenberg, September 1933:

„Kein einziges Volk der Welt hat so wie das unsere einen Staatsmann, dem es so ernst um das Christliche ist; als Adolf Hitler am 1. Mai seine große Rede mit einem Gebet schloss, hat die ganze Welt die wunderbare Aufrichtigkeit darin gespürt.“

Feier des Luthertags durch die Deutschen Christen 1933 in Berlin

Im April 1933 ernannte Hitler Ludwig Müller zu seinem „Sonderbeauftragten für Kirchenfragen“. Daraufhin wählten die Deutschen Christen ihn sofort zu ihrem „Schirmherrn“ und Kandidaten für das erst noch zu schaffende Amt des Reichsbischofs. Die versammelten Landeskirchenvertreter wählten aber Friedrich von Bodelschwingh im Mai 1933 zum Reichsbischof, obwohl dieses Amt im Kirchenvertrag mit dem Staat noch gar nicht vorgesehen war. Deshalb sprachen die Deutschen Christen und Staatsvertreter von einem Vertragsbruch. Auf Grund dieses Drucks trat Bodelschwingh zurück. Hitler setzte zur selben Zeit eine neue Verfassung der DEK in Kraft, die das „Führerprinzip mit einem lutherischen Reichsbischof“ festsetzte und von 28 Landeskirchen anerkannt wurde. Am Vorabend der von ihm kurzfristig angesetzten Kirchenwahlen in allen Landeskirchen ergriff Hitler im Radio deutlich Partei für die DC. Daraufhin errangen diese am 23. Juli 1933 einen Erdrutschsieg und gewannen in fast allen Landeskirchen eine Mehrheit von etwa zwei Dritteln aller abgegebenen Stimmen. Danach übernahmen sie in einigen Landeskirchen und vielen reichsweiten DEK-Gremien die Führungsämter. Bei der DEK-Synode am 6. September 1933 wählten die Delegierten aller Kirchengruppen Ludwig Müller einstimmig zum neuen Reichsbischof. Am 29. September trat er sein Amt an. Von nun an führten die DC-geführten Landeskirchen Arierparagraphen für Geistliche und Beamte ein. Nach Müllers Wahl bildete sich der „Pfarrernotbund“, um Judenchristen vor Ausgrenzung zu schützen.

Einführung des Reichsbischof Ludwig Müller im Berliner Dom

Einführung des Reichsbischof Ludwig Müller im Berliner Dom

Schneller Niedergang der Deutschen Christen

Die Ausbreitung der DC kam trotz Hitlers Unterstützung am 13. November 1933 zum Stillstand. Dort sprach der Berliner Gauobmann Reinhold Krause das Anliegen der DC deutlich aus:

„Unsere Religion ist die Ehre der Nation im Sinne eines kämpfenden, heldischen Christentums. […] Wenn wir Nationalsozialisten uns schämen, eine Krawatte vom Juden zu kaufen, dann müssten wir uns erst recht schämen, irgendetwas, das zu unserer Seele spricht, das innerste Religiöse vom Juden anzunehmen. Hierher gehört auch, dass unsere Kirche keine Menschen judenblütiger Art mehr in ihren Reihen aufnehmen darf. Wir […] haben immer wieder betont: judenblütige Menschen gehören nicht in die deutsche Volkskirche, weder auf die Kanzel, noch unter die Kanzel. Und wo sie auf den Kanzeln stehen, haben sie so schnell wie möglich zu verschwinden.“

Und weiter sagte er, dass die „Seele des deutschen Volkes restlos dem neuen Staat“ gehöre. Dessen Totalitätsanspruch könne folgerichtig auch vor der Kirche „nicht halt machen“. Der Nationalsozialismus wolle diese „aus seinem Geist erneuern und neu gestalten“. Vereinigung aller Religionen und Konfessionen in einer „völkischen Nationalkirche“ sei das Gebot der Stunde. Dazu bedürfe es umgehend einer „Befreiung von allem Undeutschen in Gottesdienst und im Bekenntnismäßigen, Befreiung vom Alten Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral, von diesen Viehhändler- und Zuhältergeschichten.“ Etwa 20.000 Zuhörer nahmen diese Rede begeistert auf. Doch vielen Kirchengemeinden und Mitgliedern der Deutschen Christen, denen eher eine „christliche“ Nationalreligion vorgeschwebt hatte, gingen diese Konsequenzen nun zu weit, und sie traten zu Tausenden wieder aus. Fast alle Teilorganisationen der evangelischen Kirchen distanzierten sich danach von den Deutschen Christen. Um die kirchliche Einheit und sein Leitungsamt zu retten, enthob Reichsbischof Müller Krause aller kirchlichen Ämter und legte selbst die „Schirmherrschaft“ über die DC nieder. Doch er wurde nicht länger als Führer der DEK akzeptiert, da er deren Einheit nicht wahren konnte.

Embleme der Deutschen Christen 1932, 1935 und 1937

Embleme der Deutschen Christen 1932, 1935 und 1937

Nachfolgeorganisationen der Deutschen Christen

Nach der Sportpalastrede zerbrach die Einheit der „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ an Flügelkämpfen. Als reichsweite Nachfolgeorganisation mit volksmissionarischer Ausrichtung bildete sich die „Reichsbewegung Deutsche Christen“, die sich 1938 in „Lutherdeutsche“ umbenannte. Die Kräfte, die eine überkonfessionelle Nationalkirche anstrebten, sammelten sich in der „Kirchenbewegung Deutsche Christen“. Diese versuchten ab 1936 erfolglos, Mitgliederzahl und innerkirchlichen Einfluss über einen relativ gemäßigten „Bund für deutsches Christentum“ zu vergrößern. 1937 schlossen sich die meisten dieser Gruppen zur „Nationalkirchlichen Bewegung Deutsche Christen“ zusammen. Hossenfelder, der aufgrund der Spaltungen von seinem Posten als Reichsleiter der Deutschen Christen hatte zurücktreten müssen, gründete später die „Kampf- und Glaubensbewegung Deutsche Christen“. Reinhold Krause formierte im November 1933 eine „Glaubensbewegung Deutsche Volkskirche“, trat aber zum Jahresende aus der DEK aus. 1934 gab es 32 verschiedene „Glaubensbewegungen“. Hitler hatte diese Entwicklung befürchtet und in seinem Buch „Mein Kampf“ vor den „sogenannten religiösen Reformatoren auf altgermanischer Grundlage“ gewarnt:

„Führt doch ihre ganze Tätigkeit das Volk vom gemeinsamen Kampf gegen den gemeinsamen Feind, den Juden, weg, um es statt dessen seine Kräfte in ebenso unsinnigen wie unseligen inneren Religionsstreitigkeiten verzehren zu lassen.“

Nach 1945 in etliche kleine Kirchengemeinschaften zersplittert

Die verbliebenen Deutsche Christen-Strömungen bildeten nach 1945 kleinere Gemeinschaften und Zirkel in Distanz zur neu gegründeten EKD. Andere ehemalige Mitglieder der DC riefen nach 1945 mit der Freien Christlichen Volkskirche und der Volkskirchenbewegung Freie Christen zahlenmäßig unbedeutende, eigenständige Religionsgemeinschaften ins Leben.

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Quelle: Mit starken Kürzungen und Umformulierungen nach Wikipedia, Online-Enzyklopädie (Stichwort Deutsche Christen, 2014).
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