W. St. – Während der NS-Zeit glaubten viele Deutsche, an jeder Straßenecke stehe, in jedem Gottesdienst sitze oder hinterm Gebüsch liege ein Agent der Gestapo. Dieser Glaube blieb nicht auf die NS-Zeit beschränkt, sondern lebte – mehr oder weniger – in der Bundesrepublik weiter und formte innerhalb wie außerhalb des heutigen Deutschland die Vorstellungen über den nationalsozialistischen Polizeistaat und das Terrorregime, das den Willen der Diktatur so hervorragend mit allen Mitteln durchzusetzen verstand. Die neue Ordnung wurde teilweise durch Anwendung oder Androhung von brutaler Gewalt errichtet, und sie war begleitet von zahllosen Gesetzen, Erlassen, Verordnungen oder einfach Appellen und Aufrufen örtlicher Nationalsozialisten, die behaupteten, im Namen Hitlers zu handeln (Robert Gellately in: „Die Gestapo und die deutsche Gesellschaft“).
Heinrich Himmler übernahm die Polizei
„Im Jahr 1934 übergab mir dann der damalige Ministerpräsident Hermann Göring, unser Reichsmarschall, in einer unerhörten Großzügigkeit die Geheime Staatspolizei Preußens“, sagte Heinrich Himmler später. Offiziell wurde er 1936 zum Chef der gesamten deutschen Polizei ernannt. Er verzahnte SS und Polizei und sorgte bei Hitler für freie Hand: Per Gesetz wurde am 10. Februar 1936 festgelegt, dass sich die Gestapo an keinerlei Gesetze halten muss. Was immer sie tut, um Oppositionelle auszuschalten oder die NS-Rassenpolitik durchzusetzen, alles war legal: Folter, Mord, Verschleppung ins KZ. In Paragraf sieben heißt es: „Verfügungen und Anordnungen der Geheimen Staatspolizei unterliegen nicht der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte.“
Die lokale Organisation des Gestapo- und Polizeisystems
Nach der Erinnerung vieler, die einst im nationalsozialistischen Deutschland lebten, beruhte die Effektivität der Gestapo und ihres Überwachungssystems auf dem großen „Heer“ von Spitzeln und bezahlten Informanten, über das lokale Beamte verfügten. 1944 gab es im Deutschen Reich 31.374 Gestapo-Beamte, 12.792 Kriminalbeamte und 6.482 SD-Leute. Demnach gab es im Reich am 1. Januar 1944 über 50.648 Sicherheitspolizisten (Staatarchiv München). So fühlte sich der Bürger ständig von den Nationalsozialisten beobachtet: in der Öffentlichkeit, am Arbeitsplatz und sogar in seinen eigenen vier Wänden. Dieses Gefühl war jedoch keinesfalls auf die rein physische Gegenwart von Gestapobeamten zurückzuführen. Die Mitgliederzahl der Gestapo war in Wirklichkeit auffallend gering.
Ende 1944 bestand die Gestapo aus ungefähr 32.000 Leuten; davon waren etwa 3.000 Verwaltungsbeamte, 15.500 Vollzugsbeamte, 13.500 Angestellte und Arbeiter (darunter 9.000 so genannte Notdienstverpflichtete). Die „Verwaltungsbeamten“ besaßen die gleiche Ausbildung wie andere Beamte und befassten sich mit Personalakten, Haushaltsfragen und juristischen Problemen, die sich etwa aus dem Passgesetz ergaben. Den in der „Führerschule“ besonders ausgebildeten „Vollzugsbeamten“ wurden ihre Aufgaben entsprechend den verschiedenen Referaten, in die die Gestapo eingeteilt war, zugewiesen. Diese Beamten hatten die eigentlichen Aufgaben der Gestapo, die gesetzlich niedergelegt waren, auszuführen, obwohl auch ein Teil dieser Beamten nur mit reinen Büroarbeiten beschäftigt war. Die Gestapo übernahm auch andere Organisationen und einen Teil ihres Personals, zum Beispiel die Grenzpolizei.
Würzburger Gestapo war für Rothenburg zuständig
Nach Himmlers Erlass vom 15. Juli 1937 sollte die Gestapo in Bayern künftig folgendermaßen organisiert sein: Es gab eine Staatspolizeileitstelle, die für den Regierungsbezirk München-Oberbayern zuständig war, und vier Staatspolizeistellen in den Verwaltungszentren der vier übrigen Regierungsbezirke. In Würzburg wurde 1929 die bisherige Dienststelle 9 in „Staatspolizeiverwaltung Würzburg“ umbenannt. Am 1. April 1933 wurden, wie oben dargelegt, alle Politischen Abteilungen im ganzen Land dem „Politischen Polizeikommandeur Bayerns“, Himmler, unterstellt. Das Gesetz von 1937 bestätigte die Veränderungen in der Polizeidirektion München und gab der Münchener Gestapo das Recht, den übrigen Gestapostellen in Bayern Weisungen zu erteilen, von ihnen Berichte entgegenzunehmen usw. Es machte auch die früheren Politischen Abteilungen aller Polizeidirektionen zu selbständigen Behörden. So entstanden vier (zentrale) Gestapostellen in Augsburg, Nürnberg-Fürth, Regensburg und Würzburg. Diese regionalen Gestapostellen wurden sofort dem Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin direkt unterstellt, obwohl sie theoretisch auch dem jeweiligen Regierungspräsidenten berichten sollten. Außerdem konnte die regionale Gestapo die reguläre Polizei, die Bürgermeister, Stadtverwaltungen usw. als Hilfsorgane heranziehen. Für die Gestapo wichtige Angelegenheiten, die den genannten Gruppen zur Kenntnis kamen, sollten an diese weitergeleitet werden. Diese Berichte sind nicht zu verwechseln mit den „Meldungen aus dem Reich“, in denen der SD Heydrichs die Stimmungslage der Bevölkerung festhielt und an die höheren Dienststellen von Partei und Regierung verteilte.
Gestapo führte die Deportationen der Juden in die Lager im Osten durch
Die Zusammenarbeit zwischen der Gestapo und den amtierenden Staatsbehörden scheint im großen und ganzen gut funktioniert zu haben, z. B. bei den Maßnahmen gegen die Juden und sogar bei der Planung und Durchführung der Deportationen. Als Himmler, Heydrich, Best und andere eine wirkliche Reichspolizei zu schaffen suchten, sollte es im Aufbau der Politischen Polizei Bayerns und anderer deutscher Gaue weitere Veränderungen geben, aber die Gestapo in Bayern behielt das 1937 errichtete System.
Parteifunktionäre arbeiteten in Rothenburg mit der Gestapo Hand in Hand
Alle Kreis- und Ortspolizeistationen in Mainfranken unterstanden der Gestapo Würzburg, die wiederum direkt der Gestapo Berlin unterstand. 1941 wurde die Würzburger Gestapo-Stelle Filiale der Gestapoleitstelle Nürnberg-Fürth mit dem neuen Namen „Geheime Staatspolizei, Staatspolizeidienststelle Nürnberg-Fürth Außendienststelle Würzburg“. Ihre ehemaligen Filialen in Aschaffenburg und Schweinfurt wurden mit Ausnahme der Filiale in Bamberg geschlossen. ZUständig für Rotheneburg udn ganz Mittelfranken war die Gestapo in Nürnberg-Fürth, ab 1941 somit auch die Filiale Würzburg
Die Rothenburger Polizei sammelte Denunziationen und andere verdächtige Wahrnehmungen und schickte diese zur Bearbeitung an die Gestapostelle Nürnberg bzw. nach 1941 Würzburg, wo auch Anzeigen direkt von Rothenburger Bürgern eingingen. Wenn also heute gesagt und geschrieben wird, dass beispielsweise die Gestapo die Predigten des katholischen Pfarrers Wolfgang Müller in St. Johannis abgehört hatte, dies auch in anderen Kirchen tat, dann kann man freilich davon ausgehen, dass es keine mit Ledermäntel und Schlapphüten bekleidete Beamten der Gestapostelle Würzburg oder der Gestapoleitstelle Nürnberg waren, sondern örtliche Polizeiwachtmeister, Kriminalpolizisten, Stadtsekretäre oder sonstige Beamte, die im Dienst der Gestapo standen und auch Bürger aus Überzeugung Spitzeldienste für die Gestapo leisteten. Auch verlieh die Gestapo bei Bedarf Parteifunktionären polizeiliche Befugnisse wie dem Rothenburger Obertruppführer Adolf Gast, der 1939 selbst sagte, dass er „eine höhere Dienststellung“ im „Überwachungsdienst“ habe. Ebenso war NSDAP-Kreisleiter Erich Höllfritsch Mitarbeiter der Gestapo und konnte als solcher Verhaftungen vornehmen. Bekannt ist auch, dass der Rothenburger Friedrich Klenk 1936 wegen angeblicher Beamtenbeleidigung sieben Monate ohne Verfahren in Schutzhaft saß. NSDAP-Ortsgruppenführer Johann Strauß leitete das Verfahren ein. Ein Jahr später wurde auf Anordnung der Gestapo allen ausländischen Landarbeitern im Bezirk Rothenburg die Ausweise abgenommen, um sie besser überwachen zu können und die Abwanderung in andere Arbeitsamtsbereiche zu verhindern, was als Verrat an Volk und Führer dargestellt wurde. Untergebracht war die Gestapo in Nürnberg in der ehemaligen Deutschhauskaserne an der Ludwigstraße. Im Krieg wurde das Gebäude beschädigt und dann abgerissen. Im Neubau befindet sich heute das Polizeipräsidium.
Referate der Gestapo nur mit wenigen Beamten besetzt
Quellenmaterial aus verschiedenen Orten zeigt, dass normalerweise die wenigen Leute in jeder Gestapostelle aus Beamten, Fernschreibern, technischen Hilfskräften, Angestellten, Stenotypistinnen, Fahrern usw. bestanden. Diese waren in der Regel den verschiedenen Abteilungen und Referaten zugeteilt, die mehr oder weniger dem sich immer wieder ändernden Schema der Berliner Zentrale entsprachen. So hatte die Gestapo (Amt IV des RSHA) sechs Abteilungen von A bis F: IV A war zuständig für „Gegner, Sabotage und Schutzdienst”, IV B für „Politische Kirchen, Sekten und Juden“, IV C für „Personenkartei, Schutzhaft, Presse und Partei“, IV D für „Großdeutsche Einflussgebiete“, IV E für „Abwehr“, IV F für „Passwesen und Ausländerpolizei“. Diese Abteilungen waren jeweils noch weiter unterteilt und spezialisiert.
Der Bereich des politischen Verhaltens, der in die Zuständigkeit der Gestapo fiel, war umfassend und wuchs stetig. Das für Ostarbeiter und Polen zuständige Referat der Düsseldorfer Gestapo hatte am 15. Juli 1943 zwölf besondere Unterabteilungen, die sich mit allen möglichen Fragen von „Arbeitsverweigerung“ und „unerlaubtem Verlassen der Arbeitsstelle“ bis zu „verbotenem Umgang und Geschlechtsverkehr“ befassten. Das Referat „Wirtschaft“ zerfiel in acht Unterabteilungen. Für die Durchsetzung wirtschaftlicher Verordnungen, die für die Dauer des Krieges erlassen wurden, war die reguläre Polizei verantwortlich; dagegen sollte die Gestapo hinzugezogen werden, falls der Täter eine „Persönlichkeit des öffentlichen Lebens“ war oder durch die Tat „in einem großen Teil der Bevölkerung Beunruhigung hervorgerufen“ wurde.
Das Spitzelsystem der Gestapo
Es gibt wenig Material über das Spitzelsystem der Gestapo, das nach Meinung der Zeitgenossen so umfassend war, dass seinem wachsamen Auge fast nichts verborgen blieb. In Wirklichkeit war dieses System weit kleiner, als man glaubte. Es gab verschiedene Arten vertraulicher Informanten. Die wichtigsten waren die V-Leute (Vertrauens- oder Verbindungsleute): häufig – aber nicht immer – bezahlt wurden sie von den verschiedenen „Referaten“ oder Sachbearbeitern in den lokalen Gestapostellen angeworben; daneben gab es G-Leute (Gewährsleute), die im allgemeinen gelegentlich Geschichten erzählten; schließlich gab es noch I-Leute (Informationsleute, d. h. Informanten), die nicht zum eigentlichen System gehörten, aber die öffentliche Stimmung beobachteten und der Polizei berichteten. Man weiß sehr wenig über diese Leute – ihre Zahl, ihre Fluktuationsrate, ihre berufliche Tätigkeit und den Beitrag, den sie zur Überwachung der Bevölkerung im Dritten Reich leisteten. Ein Ort in Bayern, an dem man einiges Material zutage gefördert hat, ist die Gestapoleitstelle Nürnberg, der die Würzburger Gestapo seit 1941 unmittelbar unterstand. Am 1. September 1941 gab es in diesem Zentrum Mittelfrankens insgesamt 150 Gestapobeamte, die für eine Bevölkerung von 2,77 Millionen Menschen (verteilt über 14.115 Quadratkilometer) zuständig waren. Dort gab es 1943/44 eine mit sechs Beamten besetzte Spezialabteilung (IV N) für V-Leute, die über 80-100 „freie Mitarbeiter“ verfügte, die der Gestapo regelmäßig Berichte lieferten, ihr jedoch offiziell nicht angehörten. Wahrscheinlich sind die Zahlen für Nürnberg nicht so außergewöhnlich, denn die Zahl der V-Leute und der Spezialgebiete, die eine Gestapostelle führen konnte, sowie die Höhe ihrer Vergütung und sogar die Prüfung ihrer Zuverlässigkeit waren – wie die meisten anderen Angelegenheiten der Gestapo – im ganzen Reich einheitlich geregelt.
Polizei neben der Gestapo
Zwischen der traditionellen Kriminalpolizei (Kripo) und der Gestapo bestand eine enge Beziehung, denn „dem nationalsozialistischen Deutschland ist es selbstverständlich, dass der Kampf gegen den politischen Staatsfeind und gegen den asozialen Verbrecher von einer Hand geführt werden muss“ (Bernd Wehner: „Dem Täter auf der Spur. Die Geschichte der deutschen Kriminalpolizei“, Bergisch Gladbach 1983). Die Kripo behielt neben der Gestapo ihre eigene Identität, obgleich sich mit der Zeit eine Konvergenz entwickelte: Die Kripo wurde der Gestapo immer ähnlicher und erhielt z. B. ebenfalls die Befugnis, „Schutzhaft“ zu verhängen, zumindest gegen „kriminelle“ Gruppen wie „Zigeuner“, „Arbeitsscheue“ und so genannte „asoziale Elemente“.
Die Verfolgung von Menschen, die gegen den Buchstaben oder auch nur den Geist des Gesetzes verstießen, wurde seit Kriegsbeginn forciert. Auf Anweisung ihres gemeinsamen Chefs Heydrich im RSHA (der Himmler direkt unterstellt war) begannen Kripo und Gestapo das „Stahlnetz“ über dem Land straffer zu spannen. Abgesehen von den ähnlichen Zielen gab es auch eine personelle Verbindung: Lokale Gestapobeamte, besonders die mittleren und unteren Ränge, hatten früher der Kriminalpolizei angehört, und eine große Zahl von Gestapoleuten war praktisch von der Kripo zur Geheimpolizei abkommandiert worden. Kripo und Gestapo benutzten weiterhin herkömmliche Arten der Exekutive, wie Verhaftung, Verhör und Beschlagnahme von Eigentum. Das unterschied beide vom SD, der als Organisation der Partei zu diesen Maßnahmen nicht befugt war. Trotz dieser und anderer Gemeinsamkeiten steht fest, dass die Gestapo im nationalsozialistischen Terrorsystem die weit größere Rolle spielte – vor allem deshalb, weil sie nicht nur Verstöße gegen das Strafrecht ahndete, sondern sich ausdrücklich für die Versuche des Regimes einsetzte, Einstellungen und Verhaltensweisen zu verändern.
Gestapobeamte nach 1945 wieder im Polizeidienst
Bei Kriegsende gab es etwa 25.000 Gestapo-Mitarbeiter. Im Nürnberger Prozess von 1945/46 wurde die Gestapo zur verbrecherischen Organisation erklärt. „Die breite Mehrheit der Gestapo-Beamten geriet in Haft“, sagt Historiker Stolle. Ihre durchschnittliche Haftzeit habe drei Jahre betragen. Im Kalten Krieg wurden allerdings viele Gestapo-Beamte in die neu geschaffenen Bundesbehörden aufgenommen. Ihr zweifelhafter Sachverstand war wieder gefragt. Die erste Führungsspitze des Bundeskriminalamtes bestand fast komplett aus ehemaligen Gestapo-Beamten und SS-Führern. Auch andere Länder nehmen die Dienste der Ex-Gestapo-Mitarbeiter in Anspruch. Für den britischen Geheimdienst arbeitete nach dem Krieg der Gestapo-Führer Horst Kopkow, einst verantwortlich für die Ermittlungen gegen die Attentäter des 20. Juli 1944. Nach vier Jahren beim britischen Geheimdienst „MI6“ in London verschafften ihm die Briten eine neue Identität in Deutschland. Der US-Geheimdienst beschäftigte den „Schlächter von Lyon“, Klaus Barbie, der unter anderem den Résistance-Chef Jean Moulin zwei Tage lang zu Tode gequält hatte. Aber auch in der DDR wurden verurteilte Gestapo-Massenmörder als Informelle Mitarbeiter (IM) der Stasi angeworben.
- Siehe auch den Artikel „Gestapo- und SS-Leute arbeiteten als Beamte für den BND der 50er- und 60er-Jahre. Bundeskanzler Konrad Adenauer billigte das höchstpersönlich“ in dieser Dokumentation.
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Liebe Herausgeber,
ich finde diese Seite sehr gut gemacht. Es wuerde sich fuer Sie vielleicht mal lohnen, auch mein etwas neueres Buch anzuschauen. Es heisst: “Hingeschaut und weggesehen: Hitler und sein Volk” Taschenbuch, 1. Dezember 2004.
Mit freundlichen Gruessen
Robert Gellately
Anmerkung der Redaktion: Danke für den Hinweis, lieber Herr Gellately, wir werden es gerne tun!