Von Detlev Schnitker
Der 30. Juni 1934 gilt als Abschluss der nationalsozialistischen „Machtergreifung”: Die lang schwelende politische Konsolidierungskrise des „Dritten Reichs“ wurde beendet: Die SA als wesentlicher Träger der terroristischen Phase der „Machtergreifung“ wurde entmachtet. Auf der anderen Seite steht der Aufstieg der SS und die Zementierung der Reichswehr als einziger Waffenträger der Nation. Doch die Stabilisierung wurde bezahlt mit einer als „Staatsnotwehr“ bezeichneten Mordaktion, die 85 Menschen das Leben kostete. Die nationalsozialistische Propaganda nannte dies „Niederschlagung des Röhm-Putsches“, was in Wirklichkeit der tödliche Schlag des Regimes gegen den unangepassten, aufbegehrenden SA-Stabschef Ernst Röhm und dessen Führungsclique war.
Die im Überschwang 1933 auf den Markt geworfene Sammelbildserie “Männer im Dritten Reich” enthielt auch ein koloriertes Porträt von SA-Chef Ernst Röhm. Nach seiner Absetzung und Ermordung wurde der Anbieter der Zigarettenbildchen im Juli 1934 angewiesen, die Abbildung des “Verräters des 30. Juni” aus der Serie zu entfernen.
SA-Führer fühlten sich als Herren Deutschlands
Im Sommer 1933 stapelten sich auf Hitlers Schreibtisch in der Reichskanzlei Beschwerden über den schlimmen Zustand des Landes. Industrie- und Handelskammern klagten über „Ungereimtheiten“ der „nationalen Revolution“, Parteigenossen, Landesministerien, Reichsstatthalter und Regierungspräsidenten bemängelten den Zustand der staatlichen Verwaltung und der Partei.
Die Hilferufe signalisierten, dass Deutschland in einem Morast staatlicher Auflösung und politischer Barbarei versickerte. Nichts war mehr von der von den Nationalsozialisten so aufgefassten „politischen Aufbruchstimmung des 30. Januar 1933“ übrig geblieben. „Jeder verhaftet jeden…, jeder droht jedem mit Dachau“, wetterte der SA-Gruppenführer Wilhelm Schmid am 1. Juli. Ausgangspunkt der Krise war die Reichstagswahl am 5. März 1933. Besonders lokale Sturmabteilungen (SA) betrachteten die Wahlentscheidung als „plebiszitäre Legitimation“, um die politische Macht endgültig an sich zu reißen: Rathäuser wurden gestürmt, Gewerkschaftshäuser, Wirtschaftsunternehmen und Gerichte besetzt, politische Gegner verhaftet, gefoltert und sogar getötet.
SA-Rollkommandos sorgten im ganzen Reich für Unruhe. Ziel der SA war es, die „nationalsozialistische Revolution“ voranzutreiben. Die SA – inzwischen zu einer drei Million Mitglieder zählenden Organisation herangewachsen – drängte es nach zentralen Positionen“ im neuen Staat. Doch die fachliche Qualifikation fehlte den SA-Männern. Ihrem Drang nach sozialer Geltung machten sie durch brutale Gewalttätigkeiten Luft, sodass sich weite Teile der Bevölkerung von der SA bedroht fühlten.
Reichswehr: Entmachtung der SA
Dabei tat die SA nur das, was ihnen der Führer stets befahl. Die braunen Marschkolonnen wirkten emsig dabei mit, das Land dem Willen der Nationalsozialisten zu unterwerfen. Schließlich redete Hitler davon, den „neuen Menschen“ zu schaffen, dazu sei eine „permanente Revolution“ notwendig. Dies ließen sich die braunen SA-Hemden nicht zweimal sagen.
Die Gewalt auf der Straße nahm daher mit der „Machtergreifung“ nicht ab, sondern zu. Aber auf das Bürgertum und insbesondere auf die konservativen Bündnispartner der NSDAP wirkte der SA-Aktivismus bedrohlich. Die Konservativen um Vizekanzler Papen hegten Putschpläne. Papens Vertraute, Edgar Jung und Herbert von Bose, beides Anhänger autoritärer Ständestaatskonzeptionen, waren sich einig: Mit Unterstützung Hindenburgs und der Reichswehr sollte die NSDAP politisch entmachtet werden. Ausdruck der Kritik war die Marburger Rede Papens am 17. Juni 1934. Er forderte das Ende der „nationalsozialistischen Revolution“, es müsse endlich wieder Ruhe und Ordnung im Reich herrschen. Hitler stand unter Zugzwang.
Ende der Revolution
Mit der SA musste was geschehen, bevor die Konservativen bei Reichspräsident von Hindenburg Front gegen die Nationalsozialisten machen konnten. Schon das „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat“ diente dem Ziel, die NSDAP zu „zähmen“. Zwar wurde Röhm „SA-Minister“ und saß mit am Berliner Kabinettstisch, er besaß aber keine entsprechende Exekutivgewalt. Außerdem erklärte Hitler die „Revolution“ endgültig für beendet. Die Parteiorganisationen wurden aus den Staatsgeschäften herausgehalten, sie verkamen zu reinen Mobilisierungs- und Betreuungsorganisation. Doch dies wollte Ernst Röhm, Stabschef der SA, nicht akzeptieren. Ihm schwebte vor, die SA in ein Milizheer umzurüsten. Für Röhm kam nur einer in Frage, der einen solchen Verband als Oberbefehlshaber oder Wehrminister leiten sollte: Er selbst.
Reichswehrministerium passte das Heer dem neuen Regime an
Hier begann der Konflikt mit den Etablierten des Regimes: Hitler und seine Paladine brauchten Ruhe, um das Erreichte zu konsolidieren und auszubauen, die SA-Spitze Aufsehen erregende Aktionen, um der SA einen Platz im Staatsapparat zu sichern, der ihr bisher verweigert wurde. Mit der Forderung Röhms stand die SA mitten auf dem Minenfeld nationalsozialistischer Macht- und Kompetenzkämpfe. Reichskanzler Adolf Hitler war auf die Reichswehr angewiesen. Zumal unter Oberst Walther von Reichenau die angekündigte „Entpolitisierung der Reichswehr“ unter dem Motto „Hinein in den neuen Staat“ schon voll im Gange war. Der Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium passte die Armee dem neuen Regime an. Doch die Armee sollte nicht in der „brauen Flut“ untergehen. Anpassung ja, Gleichschaltung auf keinen Fall, hieß die Devise.
Obwohl Ansätze einer Kooperation zwischen SA-Braun und Reichswehr-Feldgrau nicht fehlte, waren Auseinandersetzungen an der Geschäftsordnung: In Bad Godesberg wurde auf einer Tagung von SA und Reichswehr von Hitler erklärt, die Reichswehr sei der Waffenträger der Nation, der SA obliege die weltanschauliche Führung des Volkes.
Nach dem Austritt aus de Völkerbund konnte es für Militärs und der politischen Führung nur eine logische Konsequenz geben: Die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht. Mit dem „Haufen der SA“ war kein „Staat“ mehr zu machen, im Reich benötigte ein durchnationalisiertes, diszipliniertes Heer.
Die SA und damit Ernst Röhm waren ausmanövriert. Doch der ließ von seinen Forderungen nicht ab. Im Gegenteil. Er hielt Reden, in seinen Aussagen standen wie „Wenn nicht mit, so müssen wir eben die Sache ohne Hitler machen“. Von diesen Bekundungen unbeeindruckt, versuchte Adolf Hitler „die Sache ausreifen zu lassen“. Doch diese Zeit hatte der Hitler nicht. Im Land gärte es. Der Wirtschaftsaufschwung stagnierte, vier Millionen Arbeitslose, Schrumpfung des Devisenbestandes der Reichsbank, überall nur Missstimmung über „Goldfasane“ (Funktionäre) der NSDAP, Arroganz und Korruption der neuen Machthaber, „Bonzentum“, konservative Koalitionspartner wetterten gegen den Meinungsterror der Nazis, Grund genug für Propagandaminister Goebbels, eine Kampagne gegen „Miesmacher und Kritikaster“ einzuleiten.
SA wurden Störenfriede im NS-Regime
Hier sammelten sich nun alle, die sich von der Ausschaltung der SA die Lösung sämtlicher Probleme versprachen: Göring, Goebbels, Himmler, Heydrich, Heß und Reichenau. Reichswehr und Göring wurden einen gefährlichen Konkurrenten los, die SS konnte sich von den letzten Bindungen zur SA endlich befreien, die Parteifunktionäre und NS-Tugendwächter einen „lästig-lasterhaften Störenfried“. Schließlich war die Homosexualität Röhms und einiger seiner Mitstreiter nicht nur in Parteikreisen ein offenes Geheimnis. Doch dies war nicht ausschlaggebend für die Mordaktion gegen die SA. Die NSDAP-Spitze musste handeln, weil Papen des Reichspräsidenten von Hindenburg die Wiedereinführung der Monarchie einreden wollte und damit Hitler den Einzug ins Reichspräsidentenpalais für immer verschließen würde. Am 21. Juni musste sich Hitler entschlossen haben, eine Aktion gegen „seine“ SA einzuleiten.
Röhm und höhere SA-Führer nach Bad Wiessee beordert
SD-Chef Heydrich informierte über angebliche Putschpläne der SA – ein Wirrwarr aus Gerüchten und Halbwahrheiten. Sie dienten dazu, Hitlers Entschlusskraft zu stärken. Schließlich war er das schwächste Glied in der Kette der SA-Kritiker. Zwar stimmte Hitler der Absetzung Röhms zu, sein „Ja“ kam jedoch äußerst zögerlich. Die im Juni beurlaubte höhere SA-Führung wurde von Hitler zu einer Tagung nach Bad Wiessee beordert
Mordkommandos unterwegs
Am 30. Juni 1934 machte sich der Reichskanzler auf den Weg nach Bad Wiessee. Dort wurden die SA-Führer in den Morgenstunden des 30. Juni verhaftet, zum Teil erschossen und andere, darunter Ernst Röhm, in das Gefängnis München-Stadelheim gebracht. Dort wurde er in der Mittagszeit des 1. Juli auf Befehl Hitlers in der Gefängniszelle 474 liquidiert. Im ganzen Reich löste die von der Reichswehr mit Waffen versorgte SS unter dem Stichwort „Kolibri“ eine Mordaktion aus, der nach offiziellen Listen 83 Personen zum Opfer fielen, darunter in Berlin der ehemalige Schüler am Progymnasium Rothenburg, Friedrich Wilhelm Ritter von Kraußer. Auch der ehemalige Reichskanzler General Schleicher und die Papen-Vertrauten Edgar June und Herbert von Bose wurden umgebracht. Die mörderischen Aktivitäten richteten sich bald gegen alle, die in den letzten Jahren einmal Kritik an Partei und Funktionären äußerten. Persönliche Rachefeldzüge wurden gestartet. Auch Gregor Strasser überlebte die Mordaktion nicht, am Nachmittag des 30. Juni wurde er verhaftet und anschließend von einem SS-Mann erschossen.
Hitler festigte seine Macht
Einen Monat später, am 1. August, kam aus Neudeck die Nachricht, Hindenburg sei gestorben. Sofort ernannte sich Hitler zu seinem Nachfolger. Noch am selben Tag geschah Bedeutendes: Wehrminister Blomberg und sein Vertrauter Reichenau ließen die Soldaten die Eidesformel auf den neuen „Führer“, Adolf Hitler, schwören. Die aktive Unterstützung der Reichswehr bei der SA-Ausschaltung zeigt exemplarisch, dass sich die konservativen Kräfte immer weiter in die Unrechtshandlungen der Nationalsozialisten verstricken ließen. Die dabei festzustellende Perfektionierung von Inhumanität und Verfolgung ist ohne den Rückhalt und ohne die Mithilfe der konservativen Machtträger in Wirtschaft, Militär und Teilen der Verwaltung nicht zu erklären. Gewaltausübung und Aggression konnten sich nach innen und außen nun ungehemmt entfesseln.
Zum wiederholten Male ein wunderbarer Beitrag von Dir. Freue mich schon auf den nächsten Blog Beitrag.