Die „Röhm-Affäre“ – Forderungen der SA stürzten das „Dritte Reich” in eine tiefe Krise

SA-Stabschef Ernst Röhm und sein Duzfreund Adolf Hitler (1933)

Weggefährten: SA-Stabschef Ernst Röhm und sein Duzfreund Adolf Hitler (1933)

Von Detlev Schnitker

Der 30. Juni 1934 gilt als Abschluss der nationalso­zialistischen „Machtergreifung”: Die lang schwelen­de politische Konsolidierungskrise des „Dritten Reichs“ wurde beendet: Die SA als wesentlicher Träger der terroristischen Phase der „Machtergreifung“ wur­de entmachtet. Auf der anderen Seite steht der Auf­stieg der SS und die Zementierung der Reichswehr als einziger Waffenträger der Nation. Doch die Sta­bilisierung wurde bezahlt mit einer als „Staatsnot­wehr“ bezeichneten Mordaktion, die 85 Menschen das Leben kostete. Die nationalsozialistische Propaganda nannte dies „Niederschlagung des Röhm-Putsches“, was in Wirklichkeit der tödliche Schlag des Regimes gegen den unangepassten, aufbegeh­renden SA-Stabschef Ernst Röhm und dessen Füh­rungsclique war.

Die im Überschwang 1933 auf den Markt geworfene Sammelbildserie “Männer im Dritten Reich” enthielt auch ein koloriertes Porträt von SA-Chef Ernst Röhm. Nach seiner Absetzung und Ermordung wurde der Anbieter der Zigarettenbildchen im Juli 1934 angewiesen, die Abbildung des “Verräters des 30. Juni” aus der Serie zu entfernen.

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Kurt Daluege (SS), Heinrich Himmler (SS) und Ernst Röhm (SA)

SA-Führer fühlten sich als Herren Deutschlands

Im Sommer 1933 stapelten sich auf Hitlers Schreibtisch in der Reichskanzlei Beschwerden über den schlim­men Zustand des Landes. Industrie- und Handelskammern klagten über „Un­gereimtheiten“ der „nationa­len Revolution“, Parteige­nossen, Landesministerien, Reichsstatthalter und Regie­rungspräsidenten bemängel­ten den Zustand der staatli­chen Verwaltung und der Par­tei.

Die Hilferufe signalisierten, dass Deutschland in einem Morast staatlicher Auflösung und politischer Barbarei ver­sickerte. Nichts war mehr von der von den Nationalsoziali­sten so aufgefassten „politi­schen Aufbruchstimmung des 30. Januar 1933“ übrig ge­blieben. „Jeder verhaftet jeden…, je­der droht jedem mit Dachau“, wetterte der SA-Gruppen­führer Wilhelm Schmid am 1. Juli. Ausgangspunkt der Krise war die Reichstagswahl am 5. März 1933. Besonders lokale Sturmabteilungen (SA) betrachteten die Wahlent­scheidung als „plebiszitäre Legitimation“, um die politi­sche Macht endgültig an sich zu reißen: Rathäuser wurden gestürmt, Gewerkschaftshäu­ser, Wirtschaftsunternehmen und Gerichte besetzt, politi­sche Gegner verhaftet, gefol­tert und sogar getötet.

SA-Rollkommandos sorgten im ganzen Reich für Unruhe. Ziel der SA war es, die „nationalsozialistische Revolution“ voranzutreiben. Die SA – inzwischen zu einer drei Million Mitglieder zäh­lenden Organisation heran­gewachsen – drängte es nach zentralen Positionen“ im neu­en Staat. Doch die fachliche Qualifikation fehlte den SA-Männern. Ihrem Drang nach sozialer Geltung machten sie durch brutale Gewalttätig­keiten Luft, sodass sich weite Teile der Bevölkerung von der SA bedroht fühlten.

Ernst Röhm

Ernst Röhm

Reichswehr: Entmachtung der SA

Dabei tat die SA nur das, was ihnen der Führer stets befahl. Die braunen Marschkolonnen wirkten emsig da­bei mit, das Land dem Willen der Nationalsozialisten zu unterwerfen. Schließlich re­dete Hitler davon, den „neuen Menschen“ zu schaffen, dazu sei eine „permanente Revo­lution“ notwendig. Dies ließen sich die braunen SA-Hemden nicht zweimal sa­gen.

Die Gewalt auf der Straße nahm daher mit der „Macht­ergreifung“ nicht ab, sondern zu. Aber auf das Bürgertum und insbesondere auf die kon­servativen Bündnispartner der NSDAP wirkte der SA-Ak­tivismus bedrohlich. Die Konservativen um Vizekanzler Papen hegten Putschpläne. Papens Vertraute, Edgar Jung und Herbert von Bose, beides Anhänger autoritärer Stände­staatskonzeptionen, waren sich einig: Mit Unterstützung Hindenburgs und der Reichs­wehr sollte die NSDAP poli­tisch entmachtet werden. Ausdruck der Kritik war die Marburger Rede Papens am 17. Juni 1934. Er forderte das Ende der „nationalsozialisti­schen Revolution“, es müsse endlich  wieder Ruhe und Ordnung im Reich herrschen. Hitler stand unter Zugzwang.

"Die zweite Revolution", Rechtfertigung der "Säuberungsaktion"

“Die zweite Revolution”, Rechtfertigung der “Säuberungsaktion” im Völkischen Beobachter 1934; Foto: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz

Ende der Revolution

Mit der SA musste was ge­schehen, bevor die Konser­vativen bei Reichspräsident von Hindenburg Front gegen die Nationalsozialisten machen konnten. Schon das „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat“ diente dem Ziel, die NSDAP zu „zähmen“. Zwar wurde Röhm „SA-Minister“ und saß mit am Berliner Kabinettstisch, er besaß aber keine ent­sprechende Exekutivgewalt. Außerdem erklärte Hitler die „Revolution“ endgültig für beendet. Die Parteiorga­nisationen wurden aus den Staatsgeschäften herausge­halten, sie verkamen zu rei­nen Mobilisierungs- und Be­treuungsorganisation. Doch dies wollte Ernst Röhm, Stabschef der SA, nicht ak­zeptieren. Ihm schwebte vor, die SA in ein Milizheer umzurüsten. Für Röhm kam nur einer in Frage, der einen solchen Verband als Oberbefehlshaber oder Wehr­minister leiten sollte: Er selbst.

Reichswehrministerium passte das Heer dem neuen Regime an

Hier begann der Konflikt mit den Etablierten des Re­gimes: Hitler und seine Pala­dine brauchten Ruhe, um das Erreichte zu konsolidieren und auszubauen, die SA-Spit­ze Aufsehen erregende Aktio­nen, um der SA einen Platz im Staatsapparat zu sichern, der ihr bisher verweigert wur­de. Mit der Forderung Röhms stand die SA mitten auf dem Minenfeld nationalsozialistischer Macht- und Kompe­tenzkämpfe. Reichskanzler Adolf Hitler war auf die Reichs­wehr angewiesen. Zumal un­ter Oberst Walther von Rei­chenau die angekündigte „Entpolitisierung der Reichs­wehr“ unter dem Motto „Hin­ein in den neuen Staat“ schon voll im Gange war. Der Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium passte die Armee dem neuen Regime an. Doch die Armee sollte nicht in der „brauen Flut“ untergehen. Anpassung ja, Gleichschaltung auf kei­nen Fall, hieß die Devise.

Röhm-Viererbande-Karte

NS-Spielkarten

Obwohl Ansätze einer Kooperation zwischen SA-Braun und Reichswehr-Feldgrau nicht fehlte, waren Auseinandersetzungen an der Geschäftsordnung: In Bad Godesberg wurde auf einer Tagung von SA und Reichswehr von Hitler erklärt, die Reichswehr sei der Waffenträger der Nation, der SA obliege die weltanschauliche Führung des Volkes.

Nach dem Austritt aus de Völkerbund konnte es für Militärs und der politischen Führung nur eine logische Konsequenz geben: Die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht. Mit dem „Haufen der SA“ war kein „Staat“ mehr zu machen, im Reich benötigte ein durchnationalisiertes, diszipliniertes Heer.
Die SA und damit Ernst Röhm waren ausmanövriert. Doch der ließ von seinen Forderungen nicht ab. Im Gegenteil. Er hielt Reden, in seinen Aussagen standen wie „Wenn nicht mit, so müssen wir eben die Sache ohne Hit­ler machen“. Von diesen Be­kundungen unbeeindruckt, versuchte Adolf Hitler „die Sache ausreifen zu lassen“. Doch diese Zeit hatte der Hitler nicht. Im Land gärte es. Der Wirtschaftsauf­schwung stagnierte, vier Mil­lionen Arbeitslose, Schrump­fung des Devisenbestandes der Reichsbank, überall nur Missstimmung über „Goldfa­sane“ (Funktionäre) der NSDAP, Arroganz und Korruption der neuen Machthaber, „Bonzentum“, konservative Koalitionspart­ner wetterten gegen den Meinungsterror der Nazis, Grund genug für Propagandaminister Goebbels, eine Kampagne gegen „Miesmacher und Kritikaster“ einzu­leiten.

SA wurden Störenfriede im NS-Regime

Hier sammelten sich nun alle, die sich von der Aus­schaltung der SA die Lösung sämtlicher Probleme ver­sprachen: Göring, Goebbels, Himmler, Heydrich, Heß und Reichenau. Reichswehr und Göring wurden einen gefähr­lichen Konkurrenten los, die SS konnte sich von den letz­ten Bindungen zur SA end­lich befreien, die Parteifunktionäre und NS-Tugendwächter einen „lästig-laster­haften Störenfried“. Schließ­lich war die Homosexualität Röhms und einiger seiner Mitstreiter nicht nur in Par­teikreisen ein offenes Ge­heimnis. Doch dies war nicht ausschlaggebend für die Mordaktion gegen die SA. Die NSDAP-Spitze musste handeln, weil Papen des Reichspräsidenten von Hindenburg die Wiedereinfüh­rung der Monarchie einreden wollte und damit Hitler den Einzug ins Reichspräsiden­tenpalais für immer ver­schließen würde. Am 21. Juni musste sich Hitler ent­schlossen haben, eine Aktion gegen „seine“ SA einzuleiten.

Röhm und höhere SA-Führer nach Bad Wiessee beordert

SD-Chef Heydrich infor­mierte über angebliche Putschpläne der SA – ein Wirrwarr aus Gerüchten und Halbwahrheiten. Sie dienten dazu, Hitlers Entschlusskraft zu stärken. Schließlich war er das schwächste Glied in der Kette der SA-Kritiker. Zwar stimmte Hitler der Abset­zung Röhms zu, sein „Ja“ kam jedoch äußerst zögerlich. Die im Juni beurlaubte höhere SA-Führung wurde von Hitler zu einer Tagung nach Bad Wiessee beordert

Extra-Blatt der Berliner Zeitung über die Mordtat (1934)

Extra-Blatt der Berliner Zeitung über die Mordtat (1934)

Mordkommandos unterwegs

Am 30. Juni 1934 machte sich der Reichskanzler auf den Weg nach Bad Wiessee. Dort wurden die SA-Führer in den Morgenstunden des 30. Juni verhaftet, zum Teil erschossen und andere, darunter Ernst Röhm, in das Gefängnis München-Stadelheim gebracht. Dort wurde er in der Mittagszeit des 1. Juli auf Befehl Hitlers in der Gefängniszelle 474 liquidiert. Im ganzen Reich löste die von der Reichswehr mit Waffen versorgte SS unter dem Stichwort „Kolibri“ eine Mordaktion aus, der nach offiziellen Listen 83 Personen zum Opfer fielen, darunter in Berlin der ehemalige Schüler am Progymnasium Rothenburg, Friedrich Wilhelm Ritter von Kraußer. Auch der ehemalige Reichskanzler General Schleicher und die Papen-Vertrauten Edgar June und Her­bert von Bose wurden umge­bracht. Die mörderischen Aktivitä­ten richteten sich bald gegen alle, die in den letzten Jahren einmal Kritik an Partei und Funktionären äußerten. Per­sönliche Rachefeldzüge wurden gestartet. Auch Gregor Strasser überlebte die Mord­aktion nicht, am Nachmittag des 30. Juni wurde er verhaf­tet und anschließend von ei­nem SS-Mann erschossen.

Hitler festigte seine Macht

Einen Monat später, am 1. August, kam aus Neudeck die Nachricht, Hindenburg sei ge­storben. Sofort ernannte sich Hitler zu seinem Nachfolger. Noch am selben Tag geschah Bedeutendes: Wehrminister Blomberg und sein Vertrauter Reichenau ließen die Solda­ten die Eidesformel auf den neuen „Führer“, Adolf Hitler, schwören. Die aktive Unterstützung der Reichswehr bei der SA-Ausschaltung zeigt exemplarisch, dass sich die konserva­tiven Kräfte immer weiter in die Unrechtshandlungen der Nationalsozialisten verstricken ließen. Die dabei festzustellende Perfektionierung von Inhumanität und Verfol­gung ist ohne den Rückhalt und ohne die Mithilfe der konservativen Machtträger in Wirtschaft, Militär und Teilen der Verwaltung nicht zu er­klären. Gewaltausübung und Aggression konnten sich nach innen und außen nun unge­hemmt entfesseln.

 

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Ein Kommentar zu Die „Röhm-Affäre“ – Forderungen der SA stürzten das „Dritte Reich” in eine tiefe Krise

  1. roman sagt:

    Zum wiederholten Male ein wunderbarer Beitrag von Dir. Freue mich schon auf den nächsten Blog Beitrag.

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