Von Wolf Stegemann
- Vorbemerkung: Es ist auffallend, dass im „Fränkischen Anzeiger“ kein einziger Rothenburger namentlich genannt wird, der als wichtiger Narr auftrat, den Ball im Bären wie den Umzug anderntags organisierte, das karnevalistische Zepter schwang, dem Elferrat angehörte oder sich mit närrischen Einlagen am Fasching beteiligt hat, wo über das Jahr hinweg doch sonst jeder kleine Uniformträger genannt und abgebildet wurde. Ist das zu deuten? Natürlich waren bei den närrischen Treiben im Hotel Bären oder auf der Straße die örtlichen Nazigrößen dabei. Wollte oder konnte der FA-Reporter sie als Narren oder närrisches Volk bezeichnen? Mit Sicherheit nicht! Daher sind auch die harmlosen Kleinkünstler, die auftraten, nicht genannt. Rothenburg zur Faschingszeit eine „glückliche Insel“ der Anonymität!
Zeitung: Hinterm Ofen hocken die Meckerer und Besserwisser
Während die Kölner Karnevalisten „Helau“ und die Aachener „Alaaf“ zu ihrem Karnevalsruf machten, riefen die Rothenburger, wenn sie Fasching feierten, zumindest ab 1937 „Obelei“. Die Bedeutung dieses Wortes, das die nationalsozialistischen Narren sogar als „Schlachtruf“ deklarierten, dürfte heute mehr vergessen sein als noch erinnerlich. Da müssten jetzt die Dialektforscher ran, das Wort zu erklären, denn es soll ein alter Rothenburger Dialektausdruck sein, der sinngemäß eine Insel-Situation ausdrückt. So jedenfalls erklärt es der „Fränkische Anzeiger“. Denn der Rothenburger Fasching stand in jenen Jahren unter dem Motto „Glückliche Insel“. Damit gemeint waren Stadt und Bürger als die Glückseligen. Und weil sie meinten, dass dies so sei, riefen sie laut „Obelei“. Das verstehe nun wer will! In der NS-Zeit war alles geregelt und verpflichtend, auch das Lustigsein im Fasching. Denn jene, die in Rothenburg Fasching nicht feiern und nicht lustig sein wollten, konnten im „Fränkischen Anzeiger“ nachlesen, was für einen „falschen“ Charakter sie hätten:
„Wer sich diesem Schlachtruf [Obelei] verschrieb, wer mit Leib und Seele sich in das Gefolge aller Narren und Närrinnen einreihte, dem haben die Stunden des Frohsinns und der Freude, gewisslich weit mehr gebracht, als jenen griesgrämigen Meckerern und Besserwissern, die zuhause hinter dem Ofen hockten und in Betrachtungen über die ,Verkommenheit’ der Menschen sich ergingen. H i e r Menschen, die bewusst mit beiden Beinen im Leben stehen und das Leben meistern, jahraus, jahrein ihre Pflicht gegen Volk und Nächsten tun und darum auch das Recht – jawohl, das Recht – haben, zur Zeit des Faschings ein paar Tage außerhalb aller sonst im gewöhnlichen Leben üblichen Sitten und Gebräuche zu leben. D o r t jene Sorte von Menschen, die sich nie genug in irgendwelchen Salbadereien ergehen kann, die bei allem und jedem das Wort ,Moral’ im Munde führt und dabei vergisst, wie, wollen wir mal sagten, ,falsch’ sie eigentlich sind und ihren Mitmenschen gegenüber handeln…“
„Juden und anderem Fuchsgesicht“ war das Betreten der Straße verboten
Jene aber, „die sich dem Szepter des Prinzen Karneval unterstellt haben und als brave Insulaner und Insulanerinnen ihre Pflicht getan haben“ (FA), nämlich die Pflicht, lustig zu sein, „waren sehr in Ordnung“. Als am Samstag, den 6. Februar 1937 im Hotel Bären der Fasching seinen Höhepunkt erreichte, trafen sich die Narren erst einmal am Marktplatz. Die Organisation des Faschings hatten zwei „Organe“ übernommen: der Elferrat und die „Inselpolizei“, die ihren Dienst in einem museumsreifen Oldtimer, der 30 Jahre alt war, versah. Vor versammelten Faschingsgästen und der Faschingspolizei, verlas der „Oberste der Elfer“, der, wie anfangs angemerkt, nicht namentlich genannt wurde, den „Tagesbefehl“, in dem den Juden verboten wurde, sich öffentlich zu zeigen:
„Unsere Stadt, auch Inselstadt genannt, erhebe ich mit heutigem Tage … zur Stadt der Narretei. Ain jeglicher, es sey Mann oder Frau, Knab oder Mägdlein oder zugereister Fremdling hat bey Straf einen halben Maß die Bürgerpflicht, zu lachen und Scherz zu treiben bey Begegnung mit einem andern Knab oder Mägdlein, Mann oder Frau. An Stammtischen und Biertischen, in Schreibstuben und Aemtern, auf Straßen, Plätzen und Gäßlein herrschet bis zum Einbruch der Aschermittwochen ein allgemein Narrenfreyheit, soll aber verboten seyn, Juden und anderem Fuchsgesicht, sich öffentlich zu zeigen und anderer Mumerey als in der Nasen, so ihm selbst im Gesicht hänget.“
Mit freudig zustimmenden „Obelei“-Rufen wurde diese Kunde vom Inselvolk aufgenommen, schreibt die Zeitung. – Abends fand der Faschingsball im Hotel Bären statt. Wegen Überfüllung mussten die Türen nach einer halben Stunde geschlossen werden. Die Dekoration der Säle soll ein Meisterwerk gewesen sein. Wer sie schuf, steht nicht in der Zeitung. Der Künstler Ernst Unbehauen, für Dekorationen immer gefragt, war sicherlich dabei. Den offiziellen Auftakt bildeten der feierliche Einzug des Elferrats und die Ansprache des „Obersten der Elfer“ an sein närrisches Inselvolk, das dem Obersten wieder mit stürmischen „Obelei“-Rufen dankte. Zwei Tanzkapellen spielten „modernste Schlager und sanfteste Walzer“ und auf der Kleinkunstbühne legten „drei Girls“ in Schwarz-Weiß-Kostümen einen Fantasietanz hin, „der sich ,von’ schrieb“ und die von den „dankbaren Zuschauern“ mit „Obelei“-Rufen bedacht wurden.
Ordensregen für die ungenannten Organisatoren
Der „Rundfahrt-Kutscher Theo der Schmächtige“ (erster und einziger genannter Name), erläuterte seinem Kutschfahrtgast die neuesten lokalen Ereignisse aus Rothenburg, darüber „die Zuschauer Tränen lachten“. Nach weiteren Einlagen begann trat wiederum der „Oberste der Elfer“ in Erscheinung, um die zu diesem Faschingsball Erschienenen zu loben und die anderen, die nicht erschienen waren, zu tadeln. Dabei wurden wiederum die nicht genannt, die das gesamte Faschingstreiben organisiert hatten und über die sich nun der Ordensregen ergoss. „Diese feierliche Handlung war wiederum von Jubelrufen der Insulaner und Insulanerinnen begleitet. In geradezu fantastischer Weise brachte dann der angesehene Inselbürger ,P. P.‘ den Dank für die eben ausgesprochenen Ehrungen zum Ausdruck. Die, wie er sich ausdrückte, die ,spärlichen Empfindungen‘ eines Menschen geradezu aufwühlen mussten.“ – Das so bejubelte Faschingsfest ging in den frühen Morgenstunden des Sonntags zu Ende, „als bereits die Hähne krähten“.
Lange konnten sich die Narren nicht ausruhen, denn um 9 Uhr morgens wurden die „Prominenten“ des Rothenburger Faschings gesehen, wie sie in einem Auto in „wilder Sause durch die Straßen der Glücklichen Insel pfätzten“ (FA). Denn an der Rossmühlenturnhalle gab es das große Stelldichein der Rothenburger Narren mit einer Parade. Von einem Geschiebe und Gewimmel schrieb die Zeitung. Mit Johlen, Krach und Ausgelassenheit, mit Trompetengeschmetter und farbenreiche Transparente, mit Riesenfiguren und „kleinem Gewutzl“ sammelten sich die Rothenburger zur anstehenden „Witzparade“.
Dabei waren die Ordnungshüter und junge Schildknappen, die ihren „Mannesmut“ auf „kommende Geschlechter weiter zu verpflanzen“ hatten. Auch marschierte die „tolle“ Inseljugend, die von einer „liebreizenden Lehrerin und einem Indianerhäuptling“ angeführt wurden. Und dann die Kapelle mit ihrer Stimmungsmusik. Darüber wunderte sich der FA-Berichterstatter: „Mer solls nit glawe, dass mer soo was kou!“ Und weiter schrieb er über den Elferrat, der auf der Insel ein Zentrum von „Kultur und Sitte“ sei und daher einen „Sittenwart“ ernannt habe (wer?), der „breitspurig und für alle sichtbar“ am Umzug teilnahm.
„Mir san glickli. So glickli wie noch nie!“
Und dann paradierte der Elferrat mit seinem „Obersten“ an der Spitze, den das „glückliche Inselvolk“ umjubelte und den Elferrat „in Überschwang mit Konfetti und Luftschlangen bewarf. Auf dem Wagen des Elferrats kämpfte der „Oberste der Elfer“ mit einem Pleitegeier. Dazu die Zeitung: „Nicht mehr lange wird es dauern und der Kopf ist ab; der Pleitegeier hat sich verblutet zum Vorteil und Segen für alle Insulaner und Insulanerinnen!“ Und eine Amazonenkapelle spielte dazu. Gruppen hatten sich als „exotische Viecher“ verkleidet, als „mutige Wikinger“ auf einem Narrenschiff; auch zogen ein „Wundarzt“ mit und eine Langrohrkanone, die ständig abgefeuert wurde. Da kam Begeisterung auf: „Mir san glickli. So glickli wie noch nie!“ stellte dann auch der „Fränkische Anzeiger“ fest.
Kleingehirn der Prominenten vom Alkohol nur leise angehaucht
Auf einem Wagen war ein „Schuldenwurm“ zu sehen, der von der „glücklichen Insel“ Rothenburg gebändigt und eine Gruppe hielt ein Schild hoch, auf dem zu lesen war: „Fränkischer Anstreicher – Rothenburger Intelligenzblatt“. Andere Gruppen verkörperten den leeren Stadtsäckel, Mandelhippen und „Faschingskrapfe“, den „kleinen Meistertrunk“ und das Rothenburger Magenkräftigungsmittel, den „Speckplatz“, das „Bettenfelder Bitterwasser“ und das „Rothenburger Gwörg“. „Jetzt lebt die Insel in einem Taumel, … das Herz voll und Tollheit, das Kleingehirn der Prominenten von Alkohol nur leise angehaucht… Wie lange wird das so noch dauern?“ fragte der Fränkische Anzeiger. Bevor anderntags der Katzenjammer seine Melodien anstimmte, hießt es noch am Faschingszug immer wieder laut und fröhlich: „Obelei, obelei, obelei!“
Danach ging es bei einem Ritterspiel auf den Rathaustreppen um ein Edelfräulein und um Leben und Tod. Der FA schrieb: „Dieses Ritterspiel war von so gewaltigem Ausmaß und zwerchfellerschütternder Art, nicht nur für die Beteiligten selbst, sondern das auf das Lachen und der Grausigkeit nicht mehr herauskommende Auditorium. Danach ging’s wieder ab zum Saal im Bären, wo weitergefeiert und danach im Rückblick festgestellt wurde: „Mir Roetheburger hewe einfach’s Glick!“
- Eine Bitte an die Leser: Die hier veröffentlichten Bilder zeigen närrisches Treiben in Rothenburg in der NS-Zeit. Es ist allerdings nicht bekannt, in welchem Jahr die Fotos gemacht wurden, die uns Dr. Möhring vom Reichsstadtmuseum Rothenburg ob der Tauber aus der Sammlung Richard Wagner zur Verfügung stellte. Vielleicht kann der eine oder andere Leser uns mit Bilderklärungen helfen. Bitte nutzen Sie in diesem Fall das unten zur Verfügung stehende Schreibfeld (Email) oder rufen Sie uns an!
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