Entnazifizierung (12): Emil Reichel verwandelte sich 1933 vom Sozialdemokraten zum strammen SA-Mann – 1945 wollte er als Werwolf kämpfen

Ausriss aus der Akte Reichel

Ausriss aus der Akte Reichel

Von Wolf Stegemann

Er war von 1921 bis 1933 eingeschriebener Sozialdemokrat, Mitglied in der Freien Gewerkschaft und nach eigenen Aussagen ein fanatischer Gegner des Nationalsozialismus. Das war er mit Sicherheit nicht, denn als Adolf Hitler 1933 Reichkanzler wurde, drehte sich der Justiz-Sekretär um 180 Grad, wurde uniformierter Nationalsozialist in der SA und trat 1935 in die NSDAP ein, wo er das Amt eines Blockleiters übernahm. In der SA blieb Emil Reichel als Truppführer bis 1944, in der Partei bis zum Zusammenbruch. Als Grund gab er 1948, als er entnazifiziert wurde und die Mär vom „fanatischen“ Nazi-Gegner erzählte, die lange Arbeitslosigkeit und die Sorge um seine Familie an. Er glaubte den Versprechungen des Nationalsozialismus und hoffte, durch ihn in besseren wirtschaftlichen Verhältnissen leben zu können. Von diesem Glauben ließen sich 1933 viele beeinflussen. Ein „Fanatiker“ gegen den Nationalsozialismus aber war der 1896 in Bayreuth geborene Emil Reichel sicherlich nicht, zumal er noch 1945 mit Unterschrift als Werwolf die Alliierten hinterrücks bekämpfen wollte. 

Für bessere Behandlung der Polen eingesetzt

Anfang September 1944 kommandierte ihn die SA-Führung zum Stellungsbau nach Polen ab, wo er sich für eine anständige Behandlung der Polen eingesetzt hatte und deshalb Differenzen mit der Organisation Todt, die für den Bau von Militäranlagen zuständig war, sowie einem anderen SA-Mann bekam, dem er Vorhaltungen wegen seinem Verhalten gegenüber Polen machte und Maßnahmen der SA und Partei kritisierte. Der SA-Mann meldete dies dem damaligen SA-Sturmbannführer Georg Arlt, der Emil Reichel aus der Partei und SA ausschloss. Da Arlt zu einer solchen Handlung kein Recht und keine Vollmacht hatte, blieb die Behauptung Reichels, aus beiden Organisationen ausgeschlossen worden zu sein, ohne Beweis.

Vom Volkssturm abgesetzt

Denn Ende Oktober 1944 hatte Emil Reichel in Rothenburg immer noch die SA-Uniform beim Antreten des Volkssturms an, als er den Wochenspruch verlas und weiterhin SA-Dienst versah. Erst vom Tage der Bildung des Volkssturms an war sein Dienst als SA-Mann aufgehoben. Im April 1945 rückte er mit dem Rothenburger Volkssturm aus und setzte sich einige Tage später im oberbayerischen Gickelhausen mit anderen Volkssturmmännern vom befehligenden Kreisleiter ab. Am 22. Mai 1948 musste sich Emil Reichel vor der Spruchkammer Rothenburg verantworten. Kläger war Kurt Holstein.

Seine eigene Unterschrift als falsch dargestellt

Die Mitgliedschaft beim Werwolf leugnete er. Der Werwolf war eine von der SS gegründete Freischärler-Bewegung, die hinter alliierten Kampflinien und aus dem Hinterhalt heraus feindliche Soldaten, aber auch Deutsche töteten, die beispielsweise durch Zeigen der weißen Fahne sich den Alliierten ergeben haben. Er leugnete auch die Richtigkeit seiner Unterschrift. Da der Spruchkammer die Original-Unterschrift nicht vorlag, bewertete sie diesen Punkt nicht als belastend. Seine Wandlung vom Sozialdemokraten zur aktiven Nationalsozialisten aber schon.

„Durch die Beweisaufnahme im mündlichen Verfahren hat die Kammer festgestellt, das der Betroffene trotz seiner früheren Gegnerschaft zum Nationalsozialismus durch seine Tätigkeit, insbesondere durch seine Aktivität bei der SA, die Gewaltherrschaft der NSDAP unterstützt und gefördert hat.“

Der Kläger plädierte, ihn als „Minderbelasteten“ mit Bewährung einzureihen. Die Kammer schloss sich dem nicht an, sondern stufte ihn schließlich nur als „Mitläufer“ in Gruppe V ein, auch deshalb, weil Emil Reichel seit 1945 als Schuttaufräumer gearbeitet und somit zum Wiederaufbau der Stadt beigetragen hatte.

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Quelle: Staatsarchiv Nürnberg, Spruchkammer Rothenburg, Nr. 7364/Ro/R

 

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