Von Wolf Stegemann
Der Rothenburger Gewerbeoberlehrer und Künstler Ernst Unbehauen musste sich am 28. März 1947 der Spruchkammer Rothenburg stellen und wurde als „belastet“ in die Gruppe II eingestuft. Denn Ernst Unbehauen hatte sich den Nationalsozialisten mit seiner antisemitischen Kunst nicht nur angedient, er war eine von ihnen. Allerdings war Unbehauen mit der Einstufung als „Belasteter“ nicht einverstanden und legte Berufung ein. Dieser wurde stattgegeben und am 18. November 1947 verhandelte die Berufungskammer Ansbach (Ber.Reg.Nr. 1132 B 47/Gb) über Unbehauen. Sie meinte, das Ernst Unbehauen zu recht als „belastet“ sei, stufte ihn aber niedriger ein, weil Unbehauen als Künstler keine Erfahrung in politischen Dingen gehabt hatte. Somit kam er als „Minderbelasteter“ aus dem Berufungsverfahren glimpflich davon. Bei Abschluss der Entnazifizierungen in des Westzonen in einem Nachverfahren sogar als harmloser „Mitläufer“.
Aus der Partei geworfen und zurückgeholt
Ernst Unbehauen, 1899 geboren (siehe Artikel über ihn an anderer Stelle), trat 1933 in die NSDAP ein, der er mit einer mehrere Monate kurzen Unterbrechung bis 1945 angehörte. Die Partei hatte ihn ausgeschlossen und dann wieder aufgenommen. Sie fand nämlich heraus, dass ihr Mitglied Unbehauen der Freimaurerloge Ansbach angehört hatte. Das NSDAP-Kreisgericht Rothenburg erklärte deshalb Unbehauens Parteieintritt von 1933 „für nichtig“. Stadt und Partei stellten sich allerdings hinter Unbehauen. Die Stadt beförderte ihn zum Gewerbeoberlehrer, um ihn in Rothenburg zu halten. Wohl dank der Initiative des Rothenburger Kreisleiter Steinacker durfte Unbehauen in die NSDAP zurückkehren, allerdings entzog ihm das Gericht „auf Lebenszeit die Fähigkeit zur Bekleidung eines Parteiamtes“. Von 1933 bis 1936 gehörte Unbehauen der Reiter-SA an und lehrte an der Berufsschule in Rothenburg. Daneben war er als Kunstmaler und Kunstsachverständiger für die Stadt tätig, und zwar vor allem auf der Ebene des Antisemitismus. Somit hatte er die Aggression „der Partei gegen die Juden tatkräftig unterstützt und gefördert“.
Als Künstler lediglich „ausführendes Organ“
Zu seiner Entlastung führte Ernst Unbehauen an, er sei politisch prinzipiell uninteressiert gewesen und habe nur auf mannigfachen massiven Druck von Seiten lokaler Parteigrößen sowie seines Dienstvorgesetzten und aus Furcht vor Entlassung gegen seinen Willen Wünschen und Forderungen der Partei entsprochen. Alle relevanten Vorgaben, z. B. bei den Judentafeln, seien von der Partei gemacht worden, er selbst sei lediglich ausführendes Organ gewesen, für Inhalte keinesfalls verantwortlich, quasi nur Kopist, der sich bemüht habe, die Ausführung der Aufträge zu verzögern und drastische Vorgaben möglichst abzuschwächen. Dies sei sein „großes Verdienst in der Sache“ gewesen, grundsätzlich habe er sich „widersetzt im Bereich des Möglichen, […] also schon Widerstand geleistet“. In den Augen der Partei habe er, der ehemalige Freimaurer, als politisch unzuverlässig gegolten. Prinzipiell sei er antinationalsozialistisch gesinnt und schon gar nicht antisemitisch eingestellt gewesen, wie seine unpolitische Unterrichtsführung und zahlreiche Zeugenaussagen belegen würden. Summa summarum schätzte Unbehauen „seine Tat als belanglos“ ein. Diese Einlassung half ihm vor der Spruchkammer allerdings nichts. Im Urteil des Erstverfahrens in Rothenburg heißt es:
„Indem er die Judentafeln, die an den Toren von Rothenburg o. T. angebracht worden sind, angefertigt hat, indem er ein Bild, das einen von Juden verübten Ritualmord darstellen soll, kopiert und in einem Schaufenster der Stadt Rothenburg ausgestellt hat, indem er auf einem antisemitischen Charakter tragenden Buch „Eine Reichsstadt wehrt sich“ den Umschlag mit dem Bild eines Juden versehen, auch an Entwürfen für Geschenke an den Gauleiter Streicher sich beteiligt hat.“
Einweisung in das Arbeitslager Nürnberg-Langwasser
Zum Vorwurf, das antisemitische Trienter Ritualmordbild dargestellt zu haben, erklärte Unbehauen 1947 gegenüber der Spruchkammer, Kreisleiter Steinacker habe sich „auf dieses Bild versteift“ und sei nicht davon abgegangen, „gerade [ihn] dazu auszuwählen“. Er habe sich dagegen gesträubt und „alles versucht, es abzubiegen“, sei aber durch den permanenten Druck „so mürbe gemacht“ worden, dass er, „um endlich […] Ruhe zu haben“, die Kopie gefertigt habe. Das Bild sei „seit Jahrhunderten in Tausenden von Exemplaren in der Welt verbreitet“. Demnach sei er, Unbehauen, „nicht der Urheber“.
Unbehauen wurde von der Spruchkammer Rothenburg als „belastet“ der Gruppe II zugeordnet und mit einer Reihe empfindlicher Sühnemaßnahmen, deren einschneidendste ein 30-prozentiger Vermögenseinzug und die Einweisung in ein Arbeitslager auf die Dauer von acht Monaten darstellten. Das war ein strenges Urteil. Es folgten die Verhaftung und die Einweisung ins Arbeitslager Langwasser.
Berufungssenat milderte die Einstufung nun als „Minderbelasteter“
Der Ansbacher Berufungssenat, den Ernst Unbehauen anrief, stimmte voll und ganz der Rothenburger Spruchkammer zu, dass der Betroffene für sein Tun die Verantwortung zu tragen hat. Deshalb lehnte der Senat die Einsprüche Unbehauens als nicht stichhaltig ab.
„Er kann sich weder damit entschuldigen, dass er sich für ihn nur um eine künstlerische Tätigkeit gehandelt habe oder gar, dass er sich über die Bilder und das Buch als Mittel der Bekämpfung des Judentums durch den Nationalsozialismus nicht klar gewesen sei, was bei einem Mann von den Bildungsgrad des Betroffenen ausgeschlossen ist.“
In dieser Berufungsverhandlung am 18. November 1947 bezeichnete sich Ernst Unbehauen konsequent als ein größtenteils unschuldiges Opfer des Nationalsozialismus, das, beruflich und wirtschaftlich unter Druck gesetzt, gegen seinen Willen Parteiaufträge habe ausführen müssen. Zum Ritualmordbild-Vorwurf wartete Unbehauen mit einem neuen Erklärungsversuch auf: Ihm sei es „nicht bekannt“ gewesen, „dass dieses Bild den Ritualmord darstellen sollte“. Allerdings beurteilte der Berufungssenat im Gegensatz zur Spruchkammer Rothenburg seine Tätigkeit um Nuancen anders:
„Das antisemitische Wirken Unbehauens war weder ein hetzerisches noch gewalttätiges Auftreten, noch gegen eine Religionsgemeinschaft gerichtet, da der Kampf gegen das Judentum ja als ein Rassenkampf gesehen wird, wohl aber hat der Betroffene durch diese seine Tätigkeit die Gewaltherrschaft der NSDAP wesentlich gefördert.“
Als Künstler keine großen Erfahrung mit politischen Dingen
Unbehauen brachte viele Nachweise ein und benannte Zeugen, die sein großes Ansehen in Rothenburg belegten. Doch der Berufungssenat folgerte daraus keineswegs, dass der Betroffene dadurch gemindert beurteilt werden müsste.
„Die von ihm eingebrachten Betätigungen, dass er nicht nationalsozialistisch gewesen sei, fallen dieser Tätigkeit [gemeint die künstlerisch-antisemitische] gegenüber überhaupt nicht ins Gewicht. Der Betroffene fällt also gemäß Artikel 7. I.1 in die Gruppe der Belasteten.“
Soweit stimmte der Ansbacher Berufungssenat mit der Rothenburger Spruchkammer- Beurteilung überein. Doch die Ansbacher Richter hatten noch zu prüfen, ob Milderungsgründe gegeben waren, die eine Einreihung in die Gruppe III der Minderbelasteten rechtfertigen könnte. Bei dieser Frage tat sich der Berufungssenat, wie er schrieb, schwer:
„Wenn der Betroffene die bedeutende Rolle in Rothenburg gespielt hat, die seine vielen Entlastungszeugen ihm bestätigt haben, so war es erst recht seine Pflicht, Zurückhaltung zu bewahren und sich nicht in den Dienst der Rassenhetze der Partei zu stellen. Auch die Behauptung, dass er dazu gezwungen worden sei, um nicht seine Stellung zu verlieren, ist nicht stichhaltig. Wenn das Gaugericht der Partei, wie er selbst angeführt hat, den von dem Kreisgericht beschlossenen Ausschluss aus der Partei ohne sein eigenes Zutun wieder aufgenommen hat, nur um ihn in der Stadt Rothenburg zu erhalten, würde man ihn auch nicht aus seiner Stellung entfernt haben, wenn er abgelehnt hätte, seine künstlerischen Fähigkeiten in dieser Hinsicht nicht in den Dienst der Partei zu stellen.“
Mir Rücksicht darauf, dass Ernst Unbehauen als Künstler mit politischen Dingen nicht so erfahren war, richtete die Berufungskammer den Künstler nicht mit Maß, wie eine öffentliche, insbesondere im politischen Leben stehende Persönlichkeit gemessen wurde. Der Ansbacher Berufungssenat Ernst Unbehauen in die Gruppe III der Minderbelasteten mit den üblichen Auflagen ein. Die Bewährungszeit dauerte zwei Jahre und Unbehauen musste eine Sühnezahlung in Höhe von 3.000 Reichsmark leisten
Teilerfolg, die Einstufung in die Gruppe der Minderbelasteten (III)
Während der Bewährungszeit musste sich Unbehauen einer Reihe von Tätigkeitsbeschränkungen unterwerfen. So war es ihm weiterhin verboten, als Lehrer tätig zu sein. Die Abwicklung der Bewährungsauflagen war mehr oder weniger formal. Unbehauens Rechtsbeistand richtete im Oktober 1948 ein Schreiben über die Hauptkammer Ansbach an das Staatsministerium für Sonderaufgaben, in dem er darum bat, „die Bewährungsfrist für beendet zu erklären“ und „die Hauptspruchkammer Ansbach zur sofortigen Durchführung des Nachverfahrens […] anzuweisen.“ Artikel 42 Befreiungsgesetz: Wenn der Betroffene „bewiesen hat, dass er sich vom Nationalsozialismus völlig abgewandt hat und geeignet und bereit ist, nunmehr an dem Wiederaufbau Deutschlands auf einer friedlichen und demokratischen Grundlage mitzuarbeiten“, konnte der Minister für politische Befreiung die gegen den Betroffenen ergangenen Entscheidungen mildern oder sogar ganz aufheben. Letztlich erklärte der Minister für politische Befreiung Unbehauens Bewährungsfrist mit dem 1. März 1949 für beendet. Abgeschlossen wurde das Nachverfahren im April 1949 mit dem Spruch der Hauptkammer Ansbach, der Unbehauen als Mitläufer oder „geringen Übeltäter“ klassifizierte.
Das Ende der Entnazifizierungen herbeigesehnt
Das war typisch für den Verlauf der Entnazifizierung: man bemühte sich im Zeichen des heraufziehenden Kalten Krieges die zunehmend unbeliebte Entnazifizierung zu einem schnellen und damit für die noch schwebenden Verfahren üblicherweise glimpflichen Abschluss zu bringen. Wenn Unbehauen immer wieder Härte und Einseitigkeit des Verfahrens beklagte und seine Vergehen als belanglose Banalitäten bewertete, zeigte er nur, dass seine diesbezügliche Wahrnehmung getrübt war. Er hat – wie so viele Deutsche – den tieferen Sinn der Entnazifizierung nicht verstanden oder nicht begreifen wollen. Sie dürfte ihm als unliebsame, oktroyierte Pflichtübung erschienen sein, die durchlaufen werden musste.
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Quelle: Staatsarchiv Nürnberg, Spruchkammer Rothenburg, U 6