Von Wolf Stegemann
Er war für die Verleihung der Bürgermedaille der Stadt Rothenburg vorgesehen, erhielt sie aber nicht, weil er vorher – am 15. April 1966 – mit 87 Jahren gestorben ist. Die Begründung Bürgermeister Dr. Erich Lauterbachs: „Große Verdienste um die heimische und deutsche Sängersache, Förderer zahlreicher Rothenburger Vereine und Organisationen, stets im Dienste seiner Vaterstadt, für deren Ruf und Ruhm er sorgte, nicht nur durch publizistische Arbeit…“ Diese Erklärung für die vorgesehene Verleihung der Bürgermedaille an einen 87-Jährigen kann nur so verstanden werden, dass sein Lebenswerk als Ganzes und seine Zeit, in der er altersgemäß noch aktiv für „Ruf und Ruhm“ der Stadt tätig sein konnte, ehren wollte. Blättert man zurück im Leben des Hans Schneider, Druckereibesitzer, Zeitungsherausgeber und verantwortlicher Redakteur des „Fränkischen Anzeigers“, findet man in der Tat die publizistischen Arbeiten und Veröffentlichungen, die für den Ruhm der Vaterstadt sorgten. Allerdings „Ruhm“ im Sinne der Nationalsozialisten, der eigentlich 1966 nicht mehr mit einer Bürgermedaille Anerkennung finden sollte.
Antisemitisches Machwerk verlegt
Denn in der Druckerei Gebr. Schneider in Rothenburg, der damals Hans Schneider als Mitinhaber und Geschäftsführer vorstand, wurde ein Buch gedruckt und vertrieben, das den Ruhm der ehemaligen Reichsstadt mehrte, wie Gauleiter Julius Streicher, Kreisleiter Steinacker und viele andere im Mai 1938 propagierten. Das Buch „Eine Reichsstadt wehrt sich“ ist in besonders verwerflicher Weise und Pseudowissenschaftlichkeit ein übles antisemitisches Machwerk. Der Autor Dr. Martin Schütz, damals Lehrer und Stadtarchivar, sonnte sich mit diesem Werk im Lichte der damaligen NS-Prominenz und Hans Schneider tat es ihm nach. Am 11. Mai 1938 schrieb er als Vorsitzender des Sängerbundes und Verleger auf dem offiziellen Briefkopf des Rothenburger Gesangvereins 1842 an seine Sangesbrüder:
„Mit vollem Recht hat unser Kreisleiter darauf hingewiesen, dass es sich bei dieser politisch wie historisch gleich wertvollen Arbeit unseres früheren Stadtarchivars nicht allein darum handelt, genaue Kenntnis von dem allgemein schädlichen und verderblichen Treiben des Juden zu bekommen, sondern dass der Inhalt einen ungemein reichen Einblick in die Geschichte unserer Vaterstadt gewährt… Wir deutschen Sänger betrachten es als eine Selbstverständlichkeit, dass wir in allem und jedem mit der nationalsozialistischen Weltanschauung einig gehen, ja selbst Schrittmacher dieser Weltanschauung sind. Darum ist es für uns auch ebenso selbstverständlich, dass wir jede Gelegenheit ergreifen, das Gedanken- und Ideengut des Nationalsozialismus zu vertiefen. … Ab Montag, 16. Mai, wird Euer Blockleiter zu Euch kommen und Bestellungen auf das Buch aufnehmen. Zeichnet Euch ein, bestellt das Buch, lest es durch, ja, studiert es und Ihr werdet, gerade an der Geschichte unserer Heimat, finden, wie recht unser Gauleiter Julius Streicher hat, wenn er in der Widmung, die er dem Buch gibt, schreibt: ,Wer gegen den Juden kämpft, kämpft gegen den Teufel!’ Heil Hitler, Schneider“
Zur Hebung des kommunal-politischen Lebens beigetragen
Hans Schneider wurde 1879 in Rothenburg geboren. Sein Vater war Konrad Schneider und Mitbegründer der Buchdruckerei Gebr. Schneider in Rothenburg. Der Sohn Hans ging in Rothenburg zur Schule, betätigte sich danach im grafischen Gewerbe, darunter in den Städten Köln und Idar-Oberstein. Nach Rückkehr in seine Heimatstadt wurde er 1911 verantwortlicher Schriftleiter beim „Fränkischen Anzeiger“, den das Familienunternehmen herausgab. Diese Arbeit und die „umfangreiche Berichterstattung über die Sitzungen des Stadtparlaments“ wurden 1966 von Oberbürgermeister Dr. Lauterbach, selbst NSDAP-Mitglied von 1933 bis 1945 und NS-Bürgermeister in Oggersheim, als „Hebung des kommunal-politischen Lebens“ bewertet und somit auch für die Begründung der Bürgermedaille-Verleihung angegeben.
Aber nicht nur die Darstellung von kommunaler Politik brachten Hans Schneider die Nominierung ein, sondern auch das Musische. Wie oben erwähnt war Hans Schneider Vorsitzender des Gesangvereins Rothenburg 1842, auch Vorsitzender der Gruppe Rothenburg im Fränkischen Sängerbund, Vorstandsmitglied des deutschen Sängerbundes. „Ein Leben lang Arbeit am deutschen Lied“, meinte Lauterbach. Mitte der 1960er-Jahre war Hans Schneider das älteste Ausschussmitglied des Historischen Festspiels „Der Meistertrunk“.
Leitete die Zeitung im Sinne der „Hitler-Propaganda“
Ein Blick zurück in die Jahre vor 1945. Hans Schneider trat 1933 der NSDAP bei, der er bis 1945 angehörte. Von 1935 bis 1939 gehörte er als förderndes Mitglied der Allgemeinen SS an. Die Spruchkammer des Kreises Rothenburg ob der Tauber, vor der er sein Handeln in der NS-Zeit zu verantworten hatte, unterstellte ihm, sich zur Ideologie des Nationalsozialismus bekannt und dessen Bestrebungen zur weiteren Machtentfaltung unterstützt zu haben. Weiter begründete die Spruchkammer ihr Urteil, Hans Schneider als „Minderbelasteten“ in die Gruppe 3 einzustufen, so:
„Wenn der Betroffene … ausführt, dass der Schriftleiter einer Zeitung Parteimitglied sein musste, um der Zeitung das weitere Bestehen zu sichern, so musste dem Betroffenen auch bewusst sein, dass er die Zeitung nur im Sinne der nationalsozialistischen Lehre leiten konnte und bereits von dieser Zeit an nicht mehr nach seinem freien Ermessen schreiben durfte. Durch sein Verbleiben in dem Amt als Schriftleiter bis 1936 hat der Betroffene zum Ausdruck gebracht, die Zeitung im Sinne der Hitler-Propaganda zu leiten und dessen Ziele zu vertreten und zu fördern.
Dass spätere Differenzen mit Parteistellen im Jahre 1936 zur Niederlegung seines Postens führten, ändert nichts an der Tatsache, dass der Betroffene vor dieser Zeit die Irrlehren des Nationalsozialismus und damit die Gewaltherrschaft der NSDAP durch seine Parteizugehörigkeit gefördert und dieselbe als verantwortlicher Schriftleiter des Fränkischen Anzeigers verbreitet hat…“
Zweijähriges Berufsverbot
Die Spruchkammer belegte den „Minderbelasteten“ Hans Schneider, der in der Klingengasse 31 wohnte, mit einer Bewährungsfrist von zwei Jahren (Az. 273/Ro/Sch). In dieser Zeit durfte er kein Unternehmen leiten, beaufsichtigen oder kontrollieren, kein Unternehmen besitzen oder daran teilhaben, er durfte nicht selbstständig tätig sein, auch nicht als Lehrer, Prediger, Redakteur, Schriftsteller oder Rundfunk-Kommentator. Zudem verlor er das Wahlrecht, die Wählbarkeit und das Recht, sich irgendwie politisch zu betätigen und einer politischen Partei, Gewerkschaft, beruflichen oder wirtschaftlichen Gruppe als Mitglied anzugehören. Auch durfte er zwei Jahre lang kein Fahrzeug führen. Außerdem musste er für einen Wiedergutmachungsfonds einmalig 1.700 Reichsmark zahlen. Das Urteil der Spruchkammer vom 14. September 1946 wurde am 28. September rechtskräftig,
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