Von Wolf Stegemann
Wegen seiner Beteiligung an den Übergriffen der Nazis gegenüber Juden in Kitzingen wurde der 1894 in Rothenburg geborene und auch dort 1961 verstorbene Wilhelm Heer 1948 im „Entnazifizierungsverfahren“ von der Hauptkammer Würzburg als „Hauptschuldiger“ rechtskräftig zu drei Jahren Arbeitslager verurteilt. 1949 ist er zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden, weil er u. a. den Befehl zur Erschießung mehrerer Bürger am 6. April 1945 in seiner führenden Funktion in der Partei als Kreisleiter in den Landkreisen Kitzingen und Gerolzhofen erteilt hatte.
Nationalsozialistische Karriere eines brutalen Fanatikers
Wilhelm Heer, Neffe des bekannten Bildhauers Adolf Heer (Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Karlsruhe), besuchte in Rothenburg die Volksschule und das Progymnasium, danach in Nürnberg die städtische Bauschule und ließ sich im Maurer-, Steinmetz- und Architekturmodelleur-Handwerk ausbilden. Im Ersten Weltkrieg, in dem er zweimal verwundet wurde, bekam er das Eiserne Kreuz II. Klasse und schloss sich 1919 dem Freikorps Epp an, dem süddeutschen Sammelbecken späterer Nationalsozialisten, mit dem er sich an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik beteiligte. Ab 1921 arbeitete er als Bauführer in Kitzingen am Main. Am 1. März 1921 trat Wilhelm Heer in die NSDAP ein, für die er noch im März 1921 die Ortsgruppe Rothenburg ob der Tauber und im September 1921 die Ortsgruppe Kitzingen gründete. Wilhelm Heer nahm an allen Straßenkämpfen und Saalschlachten im Maindreieck teil. Am 6. November 1922 wurde er in Hohenfeld schwer verwundet.
Später übernahm er zudem Funktionen als NSDAP-Kreisleiter der Landkreise Kitzingen, Gerolzhofen und Ochsenfurt (1932 bis 1945) sowie ab August 1933 als stellvertretender Präsident des Kreistags von Mainfranken. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann die politische Karriere des Rothenburger Nationalsozialisten: Mitglied des Stadtrates von Kitzingen und des Kreistages von Unterfranken, ab November 1933 bis Ende des NS-Regimes war er Abgeordneter für den Wahlkreis 26 (Franken) im NS-Reichstag.
Mit den höchsten NSDAP-Auszeichnungen geehrt
Wilhelm Heer gehörte seit 1922 der SA an und hatte seit 1939 ehrenhalber den Rang eines Obersturmbannführers und zuletzt vom 1941 bis 1945 ebenfalls ehrenhalber den eines Standartenführers. Ausgezeichnet war Heer mit dem „Koburger Ehrenzeichen“, dem „Goldenen Ehrenzeichen“ der NSDAP sowie der „Dienstauszeichnung der NSDAP in Bronze, Silber und Gold“. Das „Koburger Ehrenzeichen“ gehörte zu den höchsten NSDAP-Auszeichnungen und wurde 1932 zum 10. Jahrestag des dritten „Deutschen Tags“ 1922 in Coburg, an dem Hitler teilgenommen hatte, verliehen. Zudem war er Träger der „Ehrenpistole des Gauleiters Dr. Hellmuth, der „Ehrennadel des Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbundes“ sowie der „Silbernen Nadel des Förderverbandes des Freiwilligen Arbeitsdienstes“.
In Rothenburg von den Amerikanern festgenommen
Bei der schweren Bombardierung Kitzingens 1945 wurde Wilhelm Heer verschüttet, konnte sich durch einen Mauerdurchbruch retten, floh noch vor dem Ende des Krieges nach Österreich. Dort wurde er am 8. Mai 1945 verhaftet und am 20. Juni ausgewiesen. Er kehrte in seine Geburtsstadt Rothenburg zurück, wurde hier von den Amerikanern sofort festgenommen und ins Rothenburger Gefängnis gebracht, wenige Tage danach ins Internierungslager Hammelburg. Von 1947 bis zu seiner Entlassung im September 1948 war Wilhelm Heer in den Krankenabteilungen der Internierungslager Ludwigsburg und Garmisch untergebracht.
Entnazifizierung: Arbeitslager und Einziehung des Vermögens
Wilhelm Heer wurde von der 4. Sitzungsgruppe der Hauptkammer Würzburg (Az. H/700) entnazifiziert und am 10. Dezember 1948 als „Hauptschuldiger“ rechtskräftig (13. Dez.) verurteilt. Als Sühnemaßnahmen wurden ihm drei Jahre Arbeitslager auferlegt, sein Vermögen bis auf 3.000 DM für den Wiedergutmachungsfond eingezogen, ihm dauerndes Verbot auferlegt, ein öffentliches Amt und Wahlrecht auszuüben. Auch musste er auf alle eventuellen Rechtsansprüche auf Rente oder Pension aus öffentlichen Mitteln verzichten und konnte in keine Gewerkschaft oder einen Berufsverband mehr eintreten. Auf die Dauer von zehn Jahren war ihm die Ausübung eines freien Berufs oder einer berufsbezogenen Aufsicht verboten, durfte weder als Lehrer, Prediger, Redakteur, Schriftsteller oder Rundfunkkommentator tätig sein, unterlag Wohnungs- und Aufenthaltsbeschränkungen und durfte kein Fahrzeug mehr führen und halten.
Wer bei der Entnazifizierung auf Provinzebene zu solch starken Einschränkungen verurteilt wurde, musste schon stark im Nationalsozialismus und seinen Verbrechen verstrickt gewesen sein. Das war Wilhelm Heer. Wenn ihm auch die persönliche Beteiligung an den Judenpogromen mit den besonders harten Grausamkeiten in Kitzingen und Gerolzhofen nicht nachzuweisen war, so gab er, nachgewiesen bei einer Besprechung in der Nacht vom 9. auf den 10. Oktober 1938 im Landratsamt Kitzingen, die Befehle dazu. Die Spruchkammer wertete Heers Haltung so:
„In allen Fragen, in denen er als Parteimann und Kreisleiter beteiligt war, setzte er sich unbedingt dafür ein, dass die Interessen der NSDAP gewahrt und die Bestrebungen des Dritten Reiches verwirklicht wurden. Er war ein bedingungsloser treuer Gefolgsmann Adolf Hitlers, der bis zu dessen Tode von der Richtigkeit der nationalsozialistischen Idee und deren Zielsetzungen überzeugt war und der auch bis zum Zusammenbruch des Dritten Reiches der bestimmten Meinung war, dass der Nationalsozialismus Deutschland einer sicheren und besseren Zukunft zuführen werde. Dementsprechend setzte er sich für die Fortsetzung des Krieges bis zum Letzten ein und war insbesondere auch bereit, die Stadt Kitzingen noch zu verteidigen, wenn auch nur fünfzig Mann Volkssturm zur Verfügung standen.“
Ein fanatischer Anhänger Hitlers
Weiter wird ihm von der Hauptkammer bei der Charakterisierung seiner Person „Judenfeindlichkeit“ vorgeworfen, ihm angelastet, dass er „sich voll und ganz für den Nationalsozialismus eingesetzt“ hatte, „ein fanatisch überzeugter Anhänger Hitlers“ gewesen war, in Mainfranken „eine führende Rolle als Vorkämpfer des Nationalsozialismus“ gespielt hatte, er „kirchenfeindlich“ eingestellt und ein „Verantwortlicher für die Judenaktionen“ in Kitzingen und Gerolzhofen war. Und dann steht in der Beurteilung dieser sonderbar anmutende Satz:
„Zu Gunsten des Betroffenen hat die Kammer gewertet, dass er trotz seines bedingungslosen Einsatzes für den Nationalsozialismus eine offene und anständige Gesinnung gewahrt hat. … Zudem hat er nicht ehrlos gehandelt.“
Heute ist dies eine unverständliche Aussage über das, was noch nach 1945 als „anständige Gesinnung“ und „ehrloses“ Handeln verstanden wurde, einen Ausdruck, den man so eigentlich nur aus der NS-Zeit kennt, wenn beispielsweise mordende SS-Männer in Konzentrationslagern beurteilt wurden. – Eine Untersuchung, ob Wilhelm Heer für die Todesurteile vom 6. April 1945 an zwei Männern (Eich und Raab) sowie einem Fräulein Schmidt in Gerolzhofen verantwortlich war, die am Rathaus eine weiße Fahne gehisst hatten, konnte aufgrund mangelnder Aussagen von Zeugen nicht geklärt werden. Heer stritt seine Verantwortung ab.
Zuchthausstrafe wegen Beteiligung am Judenpogrom in Kitzingen
Die drei Jahre Arbeitslager musste Wilhelm Heer nicht antreten, da seine Inhaftierung seit Mai 1945 angerechnet wurde. Er konnte sich seiner Freiheit nicht lange erfreuen. Noch 1948 kam er in Würzburg und Kitzingen wegen seiner Beteiligung an der Zerstörung der Kitzinger Synagoge in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 für ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. Im Prozess vor dem Landgericht Würzburg im Februar/März 1949 waren mit ihm 27 Beteiligte angeklagt. 22 von ihnen bekamen Gefängnisstrafen von vier Monaten bis drei Jahren und zwei Monaten, fünf Angeklagte wurden freigesprochen. Das Gericht verurteilte am 16. März Wilhelm Heer, der zu den Anführern des Pogroms gehörte, zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus. Da er erkrankt war, verbrachte er die Gefängnisstrafe in der Krankenabteilung der Strafanstalt Kaisheim. Anträge auf vorzeitige Entlassung lehnte die Staatsanwaltschaft ab. Die Entlassung aus der Strafanstalt Kaisheim mit Bewährungsauflagen erfolgte erst am 12. Oktober 1951, nachdem das Entnazifizierungsschlussgesetzes vom 1. Juli 1951 Rechtskraft erlangt hatte. – Wilhelm Heer starb 1961 in seiner Geburtsstadt Rothenburg ob der Tauber (siehe auch das Porträt über Wilhelm Heer an anderer Stelle).
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Quellen Erich Stockhorst „5.000 Köpfe. Wer war wer im Dritten Reich“, Kiel 2000. – Nach Wikipedia, Online-Enzyklopädie (2013). – Joachim Lilla: „Statisten in Uniform. Die Mitglieder des Reichstages 1933-1945, Düsseldorf 2004. – Staatsarchiv Nürnberg NS-Mischbestand, Kreis Rothenburg.