Von Dr. Rainer Hambrecht
Die Radikalisierung der SA manifestierte sich nicht nur verbal, sondern schlug sich in zahlreichen SA-internen Maßnahmen nieder. Konnte man das Ausforschen der politischen Gegner in den Schaltstellen staatlicher Macht und das der feindlichen Verbände, wie es von SA-Beobachtern angesichts der damaligen Hochspannung und der gleichen Praxis bei Rotfront und Reichsbanner bzw. Eiserner Front betrieben wurde, noch in den Bereich des Üblichen rücken, so mussten doch mancherorts anzutreffende NS-Lichtbildstellen mit Abbildungen führender Persönlichkeiten, wichtiger Bauten und Einrichtungen des Gegners nachdenklich stimmen. In Reichsführerschulen wurden dem Führerkorps nicht nur ideologische sondern auch militärische Inhalte vermittelt.
Propagandistisch geschult und feldmarschmäßig ausgerüstet
Auf Burg Hoheneck und in Bayreuth richteten die Gaue für die Unterführerschaft selbst SA-Führer-Schulen ein. In vielen großen Appellen, die nur z. T. eine propagandistische Funktion besaßen und bei denen gelegentlich auch Röhm und Himmler anwesend waren, prüfte Wilhelm Stegmann während des Jahres 1931 immer wieder die Ausrüstung und den Ausbildungsstand seiner Leute. Das seit dem Februar erklärte Ziel, für jeden SA-Mann außer Uniform auch Tornister, Brotbeutel, Feldflasche und Zeltbahn zu beschaffen, d. h. ihn „feldmarschmäßig“ auszurüsten, hatten bei einer Heerschau im März 1931 schon 335 von 835 Angetretenen erreicht. Daneben galt das Interesse den Kraftfahrzeugstaffeln der SA. Wo möglich wurden die Ausrüstungsappelle mit Exerzierübungen verbunden.
Nationalsozialisten unterhielten große Waffenlager
Obwohl die Polizei seit 1928 Waffenscheine in Fällen verweigerte, in denen Waffen im politischen Kampf missbraucht werden konnten, verfügten die Nationalsozialisten 1931 und 1932 über große Waffenlager. Sie umfassten vor allem Infanteriegewehre vom Modell 98 sowie leichte und schwere Maschinengewehre aus den Beständen der ehemaligen Einwohnerwehr. Teilweise waren sie auf dem Umweg über die Vaterländischen Verbände in nationalsozialistische Hände gelangt, z. T. befanden sie sich noch im Besitz der ehemaligen Einwohnerwehrleute, die sich nun zur NSDAP bekannten. Gelegentliche Aktionen der Polizei in den Zwanziger Jahren förderten in einzelnen Gemeinden Hunderte von Gewehren zutage. Meist waren sie jedoch in unterirdischen Gängen oder in Kellern vor dem Zugriff der Polizei sicher.
Die mit der SA und SS sympathisierende Polizei kontrollierte vielfach ohne den ernsthaften Willen, etwas zu finden. Ein Kampfgenosse Stegmanns erinnert sich, in einem trockenen Brunnenschacht über 100 Gewehre, zwei leichte MGs und etwa 15.000 Schuss Munition versteckt zu haben. Auch der spätere Polizeipräsident von Nürnberg, Dr. Martin, der bei der Entwaffnung der SA 1934 Kenntnis davon erhielt, weiß von großen Beständen zu berichten. 1932 gelangten nur vereinzelt Waffen in die Hände der Polizei. In einigen wenigen Fällen drang der Diebstahl von Waffen aus den Verstecken der Einwohnerwehrbestände oder das Einsammeln bei Bauern durch SA-Leute, die sich als Polizisten ausgaben, an die Öffentlichkeit. Letzte Zweifel, dass es sich bei all dem um ernsthafte Vorbereitungen zur Machtergreifung – notfalls in einem Bürgerkrieg – handelte, müsste ein Schreiben Stegmanns an Ernst Röhm zerstreuen, in dem er anregte, die Verbindung zwischen SA und Landbevölkerung zu intensivieren. Die Städte seien erschöpft und nicht mehr in der Lage, „gesundes Material“ [gemeint waren SA-Leute] zu liefern, und außerdem benötige man das Land „um im Falle des Einsatzes der SA die Verpflegung durchführen zu können“. Weiter drängte er auf eine klare Stellungnahme der Partei, dass der SA-Führer im Ernstfall allein den Befehl zu übernehmen und der politische Leiter sich unterzuordnen habe, eines Grundproblems der NSDAP, das erst Hitler im Jahre 1934 auf seine Weise löste. Wilhelm Stegmann schloss mit dem Satz: „Die uns zu allen Vorbereitungen noch zur Verfügung stehende Zeit ist knapp und ich halte es für notwendig, dass nun die letzten Maßnahmen getroffen werden.“ Dazu gehörten so genannte Relaisdienste der SA und SS, d. h. motorisierte Stafetten, die beim Ausfallen des normalen Postverkehrs wichtige Nachrichten übermitteln konnten, oder das Erstellen von „mobilmachungsmäßigen Listen“ der verfügbaren Lastwagen, „damit im gegebenen Moment das Transportwesen, die Lebensmittelzufuhr usw. für die SA sichergestellt“ sei.
Mehr Mitglieder und Wehrübungen
Gleichzeitig startete Wilhelm Stegmann in einem Aufruf an die „Bauern, Studenten, Arbeiter“ eine große Werbekampagne mit dem Ziel, die SA im letzten Quartal 1931 zu verdoppeln. Die Absicht ließ sich nahezu verwirklichen. Die relative Wachstumsquote lag damals meist über dem Reichsdurchschnitt und erreichte im Dezember 1931 fast 25 Prozent vom Stand des Vormonats. Die Zahl der SA-Mitglieder in Mittel- und Oberfranken kletterte von 6.876 im Oktober 1931 auf 11.247 im Januar 1932. Allein in Bayreuth gab es Ende 1931 fast 500 SA-Leute, von denen etwa 20 Prozent Beamte waren. Auch sonst fanden sich Beamte der untersten Rangstufen nicht selten in den Reihen der SA.
Waren schon in der ersten Jahreshälfte 1931 Exerzierübungen der SA beobachtet worden, die den „Charakter einer militärischen Ausbildung“ besaßen, so häuften sich die Meldungen darüber im Spätherbst 1931 und den ersten Monaten 1932. Häufig handelte es sich um Nachtübungen mit feldmarschmäßiger Ausrüstung. Das nötige Hintergrundwissen zu diesen Gendarmerieberichten lieferte der Tätigkeitsbericht des Lehrsturms in Coburg für das letzte Vierteljahr 1931. Dort hieß es unter „Militärische Ausbildung“:
„Exerzieren mit und ohne Waffe. Taktische Bewegungen im Gelände. Orientierung mittels Karten, Kompass und sonstigen Hilfsmitteln, Wachdienst und Patroui1liewesen, Handhabung in den Waffen, Gewehr 98, Stielhandgranate, Maschinengewehr und Pistolen. 70 % der Abtlg. hat an den Schießübungen mit Gewehr 98 teilgenommen.“ – und darüber hinaus unter ,Sonderdienst’: ,Abhören des Funkverkehrs in der F.T. Stat. Geländeübungen mit nachrichtentechnischen Mitteln, Leitungsbau, Verhalten bei Leitungsstörungen durch Sabotage, Spionagedienst zur Information über den Gegner’.“
Franken in Gaustürme und Sturmbannbezirke eingeteilt
In einer Sonderverfügung der SA-Gruppe „Mittelland“ war im Januar 1932 besonders auf eine verstärkte Ausbildung der ländlichen SA-Formationen gedrängt worden. Das Erstarken der SA begleitete ein ständiger organisatorischer Ausbau nach militärischem Vorbild. Die innere Verwaltung mit Ärzten und Rechtsanwälten als Sanitätsführer und Rechtsberater der Gruppen bzw. Untergruppen oder mit Geldverwaltern war z. T. hauptamtlich besetzt. Der Gausturm Franken, dem Wilhelm Stegmann seit dem Sommer 1930 anfangs als Standarten- und dann als Oberführer vorstand, gehörte ab Sommer 1931 zur größten Einheit der Gruppe Bayern unter dem Oberst a. D. Hans Georg Hofmann. Zu den drei mittel- und oberfränkischen Standarten Franken (Nürnberg), Ansbach und Coburg-Bamberg gesellte sich im Sommer 1931 die aus den Sturmbannbezirken Bayreuth, Hof und Kulmbach gebildete Standarte Bayreuth. Die Errichtung selbstständiger Gaustürme in den drei Frankegauen stellte man als Desiderat für die Zukunft zurück. Die Befehlsstelle des Gausturms Franken kam damals nach Schillingsfürst, wo sie de facto bereits seit einem Jahr war. Der weitere Aufschwung erlaubte es kurze Zeit später, im Rahmen einer neuerlichen Umorganisation in Bayern aus den Standarten 5 und 7 einen eigenen Gausturm Oberfranken zu bilden und sie aus der Untergruppe Franken auszugliedern. Mit der Leitung wurde der Bayreuther Studienrat Heinrich Hager im Range eines Standartenführers beauftragt. Da die Gruppe Bayern schon früher die Untergruppe München-Oberbayern verloren hatte und nun auch noch Schwaben abtreten musste, bildete man aus dem verbleibenden Rest (Franken und Oberpfalz-Niederbayern) die „Gruppe Mittelland“, indem man die Untergruppe Thüringen hinzufügte. Schon im Januar 1932 konnten mehrere neue SA-Standarten in Mittel- und Oberfranken eingerichtet werden.
Dualismus zwischen der Politischen Organisation und der SA
Die erst späte organisatorische Verselbständigung und Aufwertung der fränkischen SA dürfte durch den allgemein geltenden Dualismus zwischen der politischen Organisation (PO) und der SA, der in Franken stark ausgeprägt war, bedingt gewesen sein. Man braucht sich nur an den Kampf zwischen Streicher und Käfer zu erinnern, in dem sich die regionale SA-Führung gegen den Gauleiter gestellt hatte. SA-Berichte warfen Streicher später unnationalsozialistisches Verhalten und Unkameradschaftlichkeit vor. Die finanzielle Abhängigkeit der SA von den Gauleitungen belastete das Verhältnis weiter. Weder Streicher noch Schelm kamen ihren Verpflichtungen nach. Oberführer Stegmann sprach Ende 1931 von „Schamlosen Zuständen“. Wie ein roter Faden zog sich diese Klage durch alle SA-Berichte. Aber auch hinsichtlich der Anerkennung ihrer Arbeit durch die politische Leitung fühlte sich die SA verkannt und zurückgesetzt. Wenn Stegmann nach seiner Berufung zum SA-Führer Frankens auf einer Tagung in Oberfranken zusammen mit Schelm die Zusammenarbeit zwischen SA und PO würdigte, so entsprach das mehr einem Wunschdenken als den Tatsachen.
Eigene Leibwache – Streicher misstraute der SS
Die „Gottähnlichkeit“ der Gauleiter, wie es in einem SA-Bericht hieß, wollte keine unabhängigen Parteiführer neben sich dulden. Streicher und Schelm versuchten immer von neuem, die SA von sich abhängig zu machen, indem sie SA-interne Entscheidungen in ihrem Sinn zu beeinflussen suchten. Schelm schien dies nach langen Auseinandersetzungen, die den Aufbau der oberfränkischen SA stark behinderten, schließlich weitgehend gelungen zu sein. Julius Streicher war zumindest in seinem engeren Machtbereich, Nürnberg und Umgebung, erfolgreich. Gegen große Widerstände hielt er Philipp Wurzacher als Führer der Standarte „Franken“. Wurzacher gründete 1931 eine auf Streicher eingeschworene Leibwache, die so genannte „Stabskompanie“, die jederzeit verfügbar sein musste. Anscheinend war Streicher die SS nicht sicher genug. Immer wieder mussten sich die unteren SA-Einheiten gegen Befehle und Einmischungsversuche der Gau- oder Ortsgruppenleitungen zur Wehr setzen.
Großer Aufschwung zu einer „elitären Polizeitruppe“
Zugleich mit der SA nahm die SS, die noch der Obersten SA-Führung unterstand, einen großen Aufschwung. Schon im Frühjahr 1929 besaß die unter Jean Becks Befehl stehende SS-Schar Franken, ab 1930 Brigade Franken, neben Einheiten in Nürnberg und Fürth solche in Hof, Coburg, Kronach und Selbitz (bei Naila). Durch rege Werbung konnte das Ziel, diese „Polizeitruppe“ der Partei in allen größeren Ortsgruppen vertreten zu sehen, bald erreicht werden. Durch relativ häufige Ausschlüsse wegen Dienstvernachlässigung und unwürdigen Betragens versuchte die SS ihrem Anspruch, die Elitetruppe der Partei zu sein, immer näher zu kommen.
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