Die Freimaurer-Loge „Zu den drei Türmen“ in Rothenburg ob der Tauber ist eine relativ junge Loge. Gegründet wurde sie 1947 von Freimaurer-„Brüdern“, die bereits vor dem Dritten Reich Freimaurer waren und in nationalsozialistischer Zeit schikaniert und verfolgt waren. 1938 wurde die Freimaurerei verboten. Vor dem Dritten Reich gab es 80.000 Freimaurer in Deutschland. Heute gibt es noch rund 14.000 Mitglieder, die mit ihren Logen in der „Vereinten Großloge Deutschland“ organisiert sind. „Die Freimaurer pflegen Internationalität, Toleranz und Gedankenfreiheit, das passte nicht zum Nationalsozialismus“, erklärt der „Meister vom Stuhl“ der Rothenburger Loge, Gerd Scherm.
Freimaurer-Ideologie als „hemmungslosen Individualismus“ bezeichnet
SD-Chef Reinhard Heydrich schrieb 1938 im Vorwort des von Schwarz geschriebenen und 1938 im Eher-Verlag herausgegebenen Buches „Die Freimaurerei – Weltanschauung, Organisation und Politik“:
„Über Rasse und Nationalität hinweg strebt man zum internationalen Menschenbund. Stolz ist man, dass in dieser die Welt umspannenden Bruderkette Neger, Gelbe und Juden gleichberechtigt neben den Weißen stehen. […] Hemmungsloser Individualismus […] ist eine der Konsequenzen aus der Freimaurer-Ideologie. Im Ritual für den 30. Grad wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Ziele der ,Diktatoren’, die ja die Rechte des einzelnen und seine Selbstbestimmung beschränken würden, bekämpft werden müßten. Von einer Unterordnung […] zum Wohl der Volksgemeinschaft ist keine Rede. Das Recht des einzelnen geht allen anderen vor. […] Die der Freimaurerei entsprechende Staatsform ist die demokratische Republik.“
Logen in deutsche oder christliche Orden umbenannt
Um dem sofortigen Verbot nach der Machtübernahme der NSDAP 1933 zu entgehen, gingen die damaligen Freimaurer auf eine Bestimmung der Staatsführung ein: Wenn die Freimaurerei nicht das Fallbeil des Verbotes ereilen sollte, dann seien die Rituale von alttestamentlichen Inhalten zu bereinigen. Die preußische Großloge, die nationalste der deutschen Großlogen, bestimmte, dass sich keine Loge mehr Loge, kein Freimaurer mehr Freimaurer und die Freimaurerei nicht mehr Freimaurerei nennen dürfte. Die Logen wurden umbenannt zu deutscher oder christlich-deutscher Orden. In einer Brandrede bezeichnete 1934 Joseph Goebbels die weltumspannende Verschwörung aus Judentum, internationaler Freimaurerei und internationalem Marxismus als Hintergrund der Bedrohung Deutschlands.
Die Kreisleitung der NSDAP Ansbach-Feuchtwangen fragte am 15. März 1934 bei der Rothenburger Kreisleitung an, ob die Herren Eduard Holstein und Gottlieb Keitel in Rothenburg Mitglieder der Freimaurerloge seien. Aus dem Schreiben geht der Grund der Anfrage nicht hervor. Auch ist die Antwort unbekannt.
Vortrag 1934: „Das Freimaurertum will Deutschland vernichten“
Die Rothenburger konnten sich Ende Dezember 1934 über das Freimaurertum aus der Sicht des Nationalsozialismus informieren. Als Vorbemerkung muss heute dazu gesagt werden, dass dabei so viele falsche Behauptungen aufgestellt und der NSDAP-Redner darüber hinaus nur Unsinniges von sich gegeben hatte, so dass dies heute irgendwie amüsant erscheint, obwohl damals alles Fordern und Handeln der NSDAP keineswegs amüsant war. Der „Fränkischen Anzeiger“ berichtete über die Rede gegen die Freimaurer am 20. Dezember 1934:
„Wohl kaum war in letzter Zeit eine Mitgliederversammlung der NSDAP von solch weittragender Bedeutung wie die am vergangenen Dienstag im Kaisersaal des Rathauses. Sie war einzig und allein auf die Behandlung der Freimaurerei ausgerichtet. Und es war ja auch ein so erschöpfend großes Thema, dass der Vortragende Pg. Röckelein aus Erlangen in seinem über zweieinhalb Stunden währenden Vortrag nur das Wesentliche zu erklären vermochte.“
Das Wesentliche fasste der NSDAP-Propagandaredner eingangs in fünf Worte zusammen: „Das Freimaurertum will Deutschland vernichten“ und sagte auch gleich, wie Deutschland darauf reagiere: „Kampf dieser jüdisch-internationalen Organisation“. Und wer dies nicht glauben konnte, dem erzählte der Redner – und bewertete seine eigene Aussage als historischen Beweis – „dass der Weltkrieg (1914/18) nichts anderes war, als die politische Tat des Freimaurertums.“
Wer ob solchen Unsinns das „Böse“ des Freimaurertums immer noch nicht glauben wollte, dem öffnete der Parteigenosse Röckelein „gründlich die Augen“ in der Gewissheit, dass dann aber auch alle verstanden haben werden, „wie notwendig es ist, mit allem Nachdruck die Forderungen zu erheben und die Tat umzusetzen: Entfernung aller einstigen Freimaurer aus der NSDAP.“ – Ob es in Rothenburg solche Parteimitglieder gegeben hat, ist hier nicht belegt.
Röckelein blieb nicht nur bei den Freimaurern, sondern stellte den katholischen Jesuiten-Orden daneben, den es ebenfalls zu bekämpfen gelte. Viel mehr konnte er dazu allerdings nicht beitragen, außer:
„Er ist der einzige Geheimbund auf der ganzen Welt, über den noch nichts bekannt geworden ist und er ist auch der einzige Geheim-Orden, von dem man nichts erfahren kann. Man weiß nur, dass er außer dem Patros noch Laien umfasst, die für ihn tätig sind.“
Als dritten Geheimbund nannte Röckelein noch den „Rat der Zwölf“, jener „12 Juden, die auf sich eine Macht vereinigt haben, wie sie nie ein Mensch gekannt habe. Diese 12 Juden wollen die Weltherrschaft erringen.“
In ihren Händen, so der Redner befänden sich der Pan-Europabund, die 2. und 3. Internationale, der Welt-Esperanto-Bund und vor allem der Welt-Freimaurer-Bund. Der Völkerbund in Genf stünde voll unter dem Einfluss dieser 12 Juden. Dann ging der Redner auf die Geschichte der Freimaurer ein, die auf die Templer von Jerusalem zurückgingen, die zwar das Grab Christi verteidigen wollten, dann aber moralisch verfallen seien. Der NSDAP-Redner hangelte sich so durch die Geschichte. Preußenkönig Friedrich der Große hätte allerdings bald bemerkt, dass die Logen der Freimaurer dem preußischen Staat schaden würden, sei deshalb aus der Loge ausgetreten und habe alle Logen in seinem Königreich geschlossen.
Der Redner erklärte sodann, woher er sein Wissen habe. Die NSDAP verfüge über das „gesamte internationale Material der Freimaurer“ und werte es aus, wobei schon gesagt werden könne, dass die deutschen Freimaurer die gefährlichsten seien. Die NSDAP erfasse kartothekmäßig derzeit alle fünf Millionen Mitglieder der Freimaurer in der ganzen Welt. Der Leiter dieser Aufklärungsarbeit sei der russische Professor Bostunitsch, der in Rothenburg kein Unbekannter sei, den er habe mehrmals Vorträge über die Freimaurerei und das Judentum gehalten. Das vorliegende Material der Freimaurer im Besitz der NSDAP sei so umfangreich, dass man 56 Eisenbahnwaggons benötigte, um es zu transportieren. Man habe Belege gefunden, dass die Freimaurer 1919 „Spione in das Werk des Nationalsozialismus“ eingeschleust hätten, um es zu vernichten. Der „Fränkische Anzeiger“:
„Und der Redner führt darum berechtigterweise an, dass im Interesse der Sicherung des Staates unbedingt zugegriffen werden muss. Wenn dabei Unschuldige dran kommen. So müssen sie sich eben bei ihrer Freimaurer-Organisation beklagen.“
Der Nationalsozialismus habe die Freimaurer-Logen in Deutschland ausgehoben, aber noch lange nicht die Freimaurer selbst vernichtet. Im Geheimen werde von den Freimaurern an der Vernichtung des deutschen Staates weitergearbeitet. „Daher muss das Freimaurertum schnellstens erledigt werden.“
Zum Schluss seines Vortrags gab der NSDAP-Redner Röckelein den Rothenburger Zuhörern noch eine Information mit auf den Weg:
„Erst seit einigen Wochen weiß man, dass der bedeutendste Freimaurer, den niemand gekannt hat, in Deutschland saß. Er nannte sich der ungekrönte Kaiser der Welt.“
Den Namen nannte Röckelein nicht. – NSDAP-Ortsgruppenleiter Karl Zoller dankte dem Redner und richtete die dringliche Aufforderung an alle, die „Bewegung der Freimaurer zu stellen“. Mit dem Hinweis auf die „morgige große Weihnachtsfeier der Partei“ schloss der Parteigenosse die Mitgliederversammlung.
Weiterer Vortrag in Rothenburg 1937: Freimaurertum in Israel geboren!
Im März 1937 veranstaltete die Rothenburger NSDAP-Kreisleitung und das Kreisamt für Volksgesundheit in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Hygiene-Museum die Ausstellung „Blut und Rasse“. In einem Vortrag mit dem Titel „Das Freimaurertum ist aus Israel geboren“ untermauerte Staatssekretär Dauser die nationalsozialistischen Verschwörungstheorien gegenüber dem „internationalen Judentum“ und der Freimarerei. Rothenburger NS-Prominenz war bei diesen Vorträgen im evangelischen Gemeindesaal stets anwesend.
62 Freimaurer von den Nazis ermordet – von der Gestapo beobachtet
Im Mai 1935 intervenierte Reichbankpräsident Hjalmar Schacht, einziger Freimaurer in der NS-Regierung, vergeblich bei Hitler. Im selben Jahr der endgültigen Verbannung freimaurerischen Lebens aus der Öffentlichkeit wurden Freimaurer in Konzentrationslager eingewiesen. Im Vorfeld des endgültigen Verbots der Freimaurerei waren Nationalsozialisten stets darum bemüht, halbwegs legalen Schein zu wahren und sorgten für eine förmliche Auflösung der Vereine. Die Liquidation durch fingierte „Kaufverträge“ ermöglichte die Überführung der Logenvermögen an staatliche Institutionen. Am 8. August 1935 wurde die Schließung aller Logen verkündet. Am 17. August 1935 ordnete Innenminister Frick das Verbot der Freimaurerei in Deutschland an. Die Gestapo richtete als Amt IV des Reichssicherheitshauptamts eine Abteilung „IV B 3 (Sonstige Kirchen, Freimaurerei)“ ein. Nach unbestätigten Zahlen sollen von den ca. 80.000 deutschen Freimaurern zweiundsechzig ermordet worden sein, darunter der Politiker Julius Leber, der Gewerkschafter Wilhelm Leuschner und der Publizist Carl von Ossietzky, wobei die hier Genannten nicht wegen ihrer Logen-Zugehörigkeit verfolgt und ermordet wurden, sondern weil sie während der Weimarer Republik zu den profiliertesten politischen Gegnern des Nationalsozialismus gehört hatten.
1943 kam es zu einem einmaligen Vorkommnis in der Geschichte der NS-Konzentrationslager. Innerhalb des Emslandlagers VII (KZ Esterwegen) gründeten belgische Widerstandskämpfer die Freimaurerloge „Liberté chérie“. Das Denkmal dieser Freimaurerbrüder auf der Gedenkstätte Esterwegen entstand im November 2004.
Rothenburg-Dinkelsbühler Loge war Doppelzentrum in Westmittelfranken
Nach Kriegsende wollte man schnellstmöglich als Freimaurer wieder Fuß fassen, und „nach der ,Dunklen Zeit’ das Licht wieder entzünden“. Zuvor gab es in Rothenburg keine eigene Loge. Die „Brüder“, so nennen sich die Mitglieder untereinander, mussten in die nächstliegenden Logen nach Ansbach oder Würzburg fahren. Die amerikanischen Besatzungsbehörden in Rothenburg gaben erstaunlich rasch ihre Erlaubnis dazu, die Doppelloge Rothenburg-Dinkelsbühl zu gründen. Zur Gründung kamen Freimaurer aus der gesamten Region. In den folgenden Jahren bildeten dann die beiden Städte Rothenburg und Dinkelsbühl das Doppelzentrum der Freimaurerei im westlichen Mittelfranken.
Die Rothenburger Loge, geleitet von Gerd Scherm, Schriftsteller und Künstler in Binzwangen, ist heute eine der jüngsten von insgesamt 470 deutschen Freimaurer-Logen und hat rund 40 Mitglieder. Der Freimaurer-Tempel befindet sich im Spitalhof. Blau ist die Farbe der Freimaurer. Daher ist diese Farbe auch in den Tempel-Räumen vorherrschend. Aus Rothenburg, Schwäbisch Hall, Crailsheim, Gunzenhausen, Gerolfingen kommen die Freimaurer regelmäßig im Wechsel in Rothenburg oder Dinkelsbühl zusammen. Das Altersspektrum reicht von Mitte 20 bis ins hohe Greisenalter.
Gerd Scherm: Es geht um die Bildung und Toleranz des Menschen
Der Ursprung der Freimaurerei liegt in den Steinmetz-Gesellschaften Großbritanniens. Steinmetze waren unabhängig, gehörten keiner Gilde an, unterstanden keinem Fürsten. Doch im Jahr 1547 wurden Steinmetzbruderschaften wegen des Verdachts katholischer Umtriebe von König Eduard VI. verboten. Die Steinmetze organisierten sich neu in der so genannten „Society of Freemason“ bzw. der „Company of Freemason“. Im Zentrum stand nicht mehr das praktische Handwerk, sondern die Gestaltung einer Gesellschaft. Zeitgleich entwickelte sich im 17. Jahrhundert ein neuer wissenschaftlicher Drang. Der Blick hinter die Kulissen der menschlichen Existenz, hinter die Gesetzmäßigkeiten der Naturwissenschaften, beflügelte die Menschen – und vor allem die Mitglieder der Logen. Winkelmaß, Zirkel und Maßstab, einst Handwerkszeug der Steinmetze, symbolisierten nun die Vermessung der Welt und der Menschheit. So ist eine Gemeinschaft fortschrittlich gesinnter Männer entstanden, die sich Freimaurer nannten. In Deutschland wurde 1737 in Hamburg die erste Loge gegründet. – Freimaurerei ist keine Religion und kein Gottesdienst. Gerd Scherm: „Ein Freimaurer zeichnet sich dadurch aus, dass er von den Vorurteilen seiner Gedanken befreit ist. In der Freimaurerei geht es um die Bildung des Menschen, inklusive freiem Gedankengut.“
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