Von Wolf Stegemann
Der Krieg war bereits seit fünf Jahren beendet, da rollten Wehrmachtsautos, riesige mit Wehrmachtssoldaten besetzte Lastwagen, durch die Gassen der Stadt. Daneben liefen abgekämpfte Soldaten mit geschulterten Karabinern. Andere Wagen waren mit technischen Geräten beladen. Diese Szene fand an einem unwirtlichen Novembertag statt, als an jenem Sonntag, den 26. November 1950 der Aufnahmestab der amerikanischen Filmgesellschaft „Twentieth Century Fox“ mit 30 Wagen in die Stadt kam. Schaulustige Rothenburger, es war ein Wahlsonntag, säumten die Straßen. Das Team blieb drei Tage in der Stadt, um eine Liebesszene für den Hollywood-Film „Entscheidung im Morgengrauen“ mit Hildegard Knef und Oskar Werner zu drehen. Regie hatte Anatole Litvak.
Nach dem Roman von George Howes
Als Vorlage des Kriegs- und Spionagefilms diente George Howes Roman „Entscheidung vor Morgengrauen“ (englisch: „Call It Treason“). Litvaks danach gedrehtes veritables Meisterwerk „Decision before dawn“ (deutscher Titel: „Entscheidung vor Morgengrauen“) handelt von dem Versuch der Amerikaner, in den letzten Kriegstagen mit der innerdeutschen Opposition zusammenzuarbeiten. Von Amerikanern geschulte deutsche Überläufer hatten die Aufgabe, die Verbindung zwischen Alliierten und den deutschen Kapitulationswilligen herzustellen. Vor diesem Hintergrund ist die abenteuerliche Geschichte dreier solcher Männer eingebettet. Das Drehbuch schrieben Peter Viertel und Carl Zuckmayer.
Drei Drehtage für eine Romanze in Rothenburg
In den Rothenburger Drehszenen kommen solche politischen Momente nicht vor. Gedreht wurde eine kleine Liebesgeschichte zwischen dem jungen Sanitätsoffizier Karl Maurer (Oskar Werner) und dem Mädchen Hilde (Hildegard Knef). Sie ist Tänzerin eines Fronttheaters. In dem ansonsten von Zerstörung, Ruinen, Kriegsgeschehen und Brutalität bestimmten Film, ist die (Rothenburger) Romanze für die Zuschauer entspannend. Oskar Werner brilliert als übergelaufener deutscher Sanitäter, der sich als US-Geheimagent einsetzen lässt und zurück in die Höhle des Löwen, in das noch nicht besetzte bzw. befreite Deutschland geht. Hier trifft er („in Rothenburg“) eine desillusionierte Hildegard Knef, die völlig frei von Vamp-Allüren die gute Kameradin gibt.
Nur zwei Hollywood-Schauspieler agieren in dem Film: Richard Basehart und Garry Merril. Sie und eine Gruppe ausgewählter GI’s stellten die Eroberer, die Sieger, die Befreier dar. Die Rollen der Englisch sprechenden Deutschen sind mit deutschen Schauspielern besetzt. Zu ihnen gehören die bereits erwähnten Oskar Werner und Hildegard Knef sowie Wilfried Seyferth, Hans Christian Blech, O. E. Hasse, Gert Fröbe, Klaus Kinski und Charles Regnier.
Gedreht wurde zwischen Trümmern und mit authentischer Ausstattung
Der Regisseur legte Wert auf Authentizität und Echtheit. Mit den legendären uneingeschränkten Hollywood-Dollars in Deutschland suchte der Filmarchitekt Reiber Ruinen und zerstörte Bahnhöfe. Mitproduzent Frank McCarthy durchstreifte monatelang in Westdeutschland und Westeuropa auf der Suche nach den „authentischen“ Waffen, Uniformen und Menschen. So mancher ehemalige Wehrmachtssoldat holte seine versteckte Uniform aus der Mottenkiste und verkaufte sie an die Filmgesellschaft. Als Drehorte wurden München, Kloster Eberbach, Nürnberg, Würzburg und Mannheim ausgesucht – auch Rothenburg ob der Tauber, das als Filmkulisse schon für etliche Filme hergehalten hatte und für weitere noch beansprucht werden sollte.
Mit einer aus Lastzügen bestehenden mobilen Filmstadt treckten Aufnahmeteam und Schauspieler im Herbst 1950 kreuz und quer durch Süddeutschland und für diese drei Tage im November auch nach Rothenburg. Produktionschef Frank McCarthy suchte die Tauberstadt deshalb aus, weil sie, wie er dem „Fränkischen Anzeiger“ gegenüber erklärte, die schönste Stadt Deutschlands sei und für eine Liebesgeschichte einen wohltuenden Ausgleich gegenüber den übrigen Trümmerkulissen biete.
Am ersten Tag wurde im Staudtschen Haus in der Herrngasse und im Alten Stadtgraben Szenen mit Hildegard Knef und Oskar Werner gedreht. Damals war das Drehen von Filmen wegen der Lichtverhältnisse noch sehr aufwändig. Daher dauerten kleine Szenen mitunter Stunden. Mit Geduld mussten Rothenburger Komparsen immer und immer wieder mit ihren Pappkartons durch den Alten Stadtgraben laufen, bis Kameramann und Regisseur mit der Szene einverstanden waren. Das Wetter musste ebenso mitspielen wie die Darsteller. Denn jeder Tag, der ausfiel kostete der Produktionsgesellschaft 100.000 DM. Für damalige deutsche und vor allem Rothenburger Verhältnisse eine unvorstellbar hohe Summe.
Der Film und sein Thema hatten 1950 auch eine politische Dimension. Die 1949 erschienene Novelle „Call It Treason“ von George Howe war ein früher Beitrag zur Völkerversöhnung über alle berechtigten und unberechtigten Vorbehalte und damaligen antideutschen Tendenzen hinweg. Dazu erklärte Regisseur Anatole Litvak 1950:
„Ich bin nach Deutschland gekommen, um den ersten amerikanischen Film zudrehen, der wirklich ein Verständnis zwischen Deutschland und sowie Amerika, England und Frankreich anbahnt. Ich glaube, ich mache etwas Gutes für Deutschland.“
Gute Kritiken und Nominierungen
Die Uraufführung in Deutschland fand am 14. November 1952 statt. Der Film bekam gute Kritiken: „Beklemmender Spionagefilm mit politischem Bekenntnis, in dessen Hauptrolle Oskar Werner beeindruckt“ (Lexikon des internationalen Films). –
„Ein rundum gelungener, spannungsreicher Beitrag des Genres, der seine Faszination freilich zu einem Großteil der Kulisse des untergehenden Dritten Reiches zu verdanken hat…“ (Cinema). –
„Wenn die Sicht der Lage in Deutschland kurz vor Kriegsschluss aus amerikanischen Augen auch nicht immer mit der Wirklichkeit übereinstimmt und der Film auch nicht ohne Kolportage auskommt, so ist er dennoch immer noch ein beeindruckendes Werk“ (Evangelischer Filmbeobachter). –
Ausgezeichnet wurde der Film 1952 mit einer Oscar-Nominierung als „Bester Film“ und „Bester Schnitt“ sowie mit einer Golden-Globe-Nominierung in der Kategorie „Beste Kamera s/w“.
Erfolg für die Knef und kontroverse Diskussionen über den Film
Für die 26-jährige Knef kam nach „Entscheidung vor Morgengrauen“ der Ruhm, den man sich in Hollywood oft mit Zähnen und Ellbogen erkämpfen muss, ungewöhnlich schnell. Sie durfte überraschenderweise nach diesem amerikanischen Debüt ihre Fuß- und Handabdrücke in Zement vor Graumans Chinesischem Theater hinterlassen, was für jeden Schauspieler in den USA die endgültige Anerkennung als Star bedeutet.
Als der Film 1952 in Deutschland in die Kinos kam, wurde er durchaus kontrovers diskutiert. Der „Spiegel“ widmete ihm 1950 und 1952 zwei Artikel. Im ersten ging es überwiegend um den Regisseur Litvak und dessen „authenticity-Tick“, den Film nur an Originalschauplätzen und mit möglichst vielen Originalrequisiten zu drehen. Im zweiten Artikel wurde die Frage diskutiert, ob der aktive Landesverrat gegen ein Terror-Regime, wie er in dem Film dargestellt wird, berechtigt ist oder verurteilt werden muss. Bis in die 1960er-Jahre hinein galten die Verschwörer des 20. Juli 1944 gegen Hitler in weiten bürgerlichen Kreisen Deutschlands noch als Verräter. Deserteure wurden erst in den 1990er-Jahren offiziell vom Bundestag rehabilitiert.
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