Von Wolf Stegemann
In der ersten Hälfte der 1950er-Jahre hatte der 1. Fußball-Club 1919 Rothenburg (FCR) und sein Vorsitzender Georg Böhme mit der Forderung keinen Erfolg, Schadensersatz für die 1944 stattgefundene Beschlagnahme des eigenen Sportplatzes hinter dem Schlachthof von der Stadt zu verlangen. Denn neben der Eigenleistung hatte der Fußballverein Ende der 1920er-Jahre in den Sportplatzbau 13.000 Reichsmark investiert, die der Verein durch Darlehen und Zeichnung von Anteilscheinen seiner Mitglieder aufgebracht hatte. Die Ablehnung der Entschädigungszahlung sah der Verein als nicht rechtens an.
Sportplatz für Siedlungshäuser benötigt
Im Frühjahr 1944 forderte der NSDAP-Kreisleiter Erich Höllfritsch die Stadt auf, das von der Stadt an den Fußball-Club verpachtete Sportplatzgrundstück zu beschlagnahmen, um dort Siedlungshäuser zu bauen. Wenn die Partei etwas wollte, fügten sich der Bürgermeister, sein Stadtamtmann und der Stadtrat stets als willige Erfüllungsgehilfen. So auch in Sachen Fußballplatz. Die Schadensersatzforderung, die der Verein nach dem Krieg an die Stadt als Verpächterin stellte, liest sich in den Akten anfangs recht plausibel, löst sich aber sieben Jahre später zugunsten der städtischen Ablehnung ins Gegenteil auf. Denn der Verein hatte einen wichtigen Passus im Schriftverkehr unterschlagen, den bereits der Hauptausschuss des Rates mitteilte und 1956 der Bayerische Landessportverein München 1956 in einem Gutachten bestätigte. Den Anspruch auf Entschädigung stellte der Fußballverein kurz vor Ablauf der Anmeldefrist nach dem Entschädigungsgesetz (Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der US-Zone) am 31. März 1950.
Sportplatz bei den Fußball-Fans sehr beliebt
Der 1919 gegründete Fußballverein hatte zehn Jahre später einen eigenen Fußballplatz auf dem Gelände der heutigen Sportplatzsiedlung gebaut und dafür mit der Stadt einen Pachtvertrag auf 15 Jahre abgeschlossen. Durch Eigenleistung der Mitglieder wurde der Wertzuwachs des Grundstücks für die Stadt auf 15.000 Mark geschätzt. Der Sportplatz hatte eine Tribüne, ein Spielfeld und eine Umzäunung. Der Verein war bis Kriegbeginn äußerst erfolgreich und bei den Rothenburgern und auswärtigen Fußballgästen außerordentlich beliebt. Umso überraschter war der Vereinsvorstand, als die Stadt den Platz angeblich ohne Vorankündigung dem Verein wieder abnahm, um dort Behelfsbauten zu errichten.
Verein war mit Pachtzahlungen in Verzug
Die tatsächliche Beschlagnahme sei dann ohne Benachrichtigung an den Verein erfolgt, teilte der Vorstand mit. Dies sei auch 1944 eine klare Rechtsverletzung nach § 581/I BGB in Verbindung mit § 276 BGB gewesen. So sah es 1953 jedenfalls der Anwalt des Vereins, Dr. Rupert Schrötter aus München, der auch die Rechtslage der Rechtsnachfolge des Vereins nach 1945 klärte. „Ein Einspruch gegen die Beschlagnahme wäre in Anbetracht der seinerzeitigen politischen Verhältnisse nicht möglich gewesen, zudem 90 Prozent der Mitglieder des Vereins im Wehrdienst standen“, schrieb der Verein am 29. November 1953 an den Stadtrat und fügte hinzu:
„Das gesamte Eigentum wurde abgetragen und für Bauzwecke verwendet. Der Verein war von diesem Zeitpunkt an ruiniert. Die Tatsache, dass weder höhere Gewalt noch unmittelbare Kriegsereignisse an dem Ruin des Vereins schuld sind, geben den Anlass, die Stadt Rothenburg o. d. Tauber um Wiedergutmachung zu bitten.“
Diese Bitte stieß im Stadtrat auf Widerstand. Pikanterweise saßen in dem 1952 neu gewählten Gremium etliche von denen, die 1944 dem Fußball-Club den Sportplatz weggenommen hatten wie NS-Bürgermeister Dr. Friedrich Schmidt und Amtmann Hans Wirsching, um zwei Namen zu nennen; andere waren ebenfalls NSDAP-belastet.
1944 war Georg Arlt Vereinsführer (Vorstand) des Fußball-Clubs. Er war zudem ein hoher SA-Führer und leitete als Standortführer bis 1935 den SA-Sturmbann III/19 (siehe Artikel: „Entnazifizierung 6“). Georg Arlt erinnerte sich im März 1950 an die Beschlagnahme:
„Im Frühjahr 1944 wurde ich zu Herrn Stadtamtmann Wirsching gerufen, es wurde mir eröffnet, dass der Kreisleiter von der Stadt Rothenburg ein Gelände braucht zum Bau von Siedlungshäusern. Es wurde mir erklärt, dass dazu der Sportplatz des 1.F.C. in Frage kommt, weil schon einige Jahre keine Pacht bezahlt wurde. Zahlen kann man aber nur, wenn man Geld hat und das hatten wir nicht. Sämtliche aktiven Spieler waren ja zur Wehrmacht eingezogen.
Ich habe daraufhin Herrn Amtmann Wirsching erklärt, dass dies nicht so ohne weiteres geht, denn wir haben auf dem Platz noch ungefähr 5.000 RM Schulden. Wenn uns der Platz genommen wird und wir nach dem Krieg nicht mehr spielen können, ist es uns auch nicht möglich, die Schulden abzutragen.“
Daraufhin bat Wirsching Georg Arlt, ihm die Schuldenaufstellung vorbeizubringen und sagte zu, dass die Stadt dies regeln und der Verein von ihm hören werde. Daran hätte sich Hans Wirsching aber nicht gehalten, erklärte Georg Arlt:
„Acht Tage darauf ging ich am Sportplatz vorbei, da musste ich sehen, dass das Stadtbauamt schon mit Ausschachtungsarbeiten begonnen hat. Ich wurde noch mal vorstellig und es wurde mir erklärt, dass der Kreisleiter darauf gedrungen hat, mit dem Bau auf diesem Platz zu beginnen…“
Die Tribüne wurde abgerissen, der Zaun entfernt und die Einsprüche des Vereins „auf die lange Bank geschoben“. Bei Kriegsende war von dem Fußballplatz des 1. FCR nichts mehr zu sehen; stattdessen ein Siedlungshäuschen neben dem anderen. Fortan hieß der Bereich Sportplatzsiedlung. Diese gibt es heute noch.
Der Hauptausschuss der Stadt stellte die Darstellung des FCR richtig
Der Stadtrat blieb über die Jahre hinweg bei seiner ablehnenden Haltung. Der Hauptausschuss prüfte sodann den Fall und kam nach Aktenlage zu dem Schluss, dass die Stadt nicht entschädigen muss. Wie die „Fränkische Landeszeitung“ (Rothenburg) am 12. März 1954 schrieb, begründete die Stadt dies damit, dass 1944 zwischen den Vertretern des Fußballclubs und der Stadt eine Übereinkunft erzielt worden sei, die bis dahin vom Verein nicht dargestellt worden war. Demnach wurde der Pachtvertrag einvernehmlich aufgehoben. Der Club erklärte sich bereit, keinerlei Ansprüche zu stellen, wofür die Stadt die rückständige Pacht (angeblich drei bis vier Jahre) dem Club erließ und die Stadt dem Club zudem zusicherte, nach dem Krieg den städtischen Sportplatz (Stadion) an der Ansbacher Straße benutzen zu dürfen.
Der FCR mochte dem nicht zustimmen, weil bei der Kündigung des Pachtvertrags Werte des Vereins verloren gegangen waren und der Vorstand deswegen glaubte, einen Anspruch auf Entschädigung zu haben. Auch hatte der Vorsitzende von 1944 trotz seiner Proteste gegen die Kündigung sich vermutlich dem Zwang der Verhältnisse gebeugt. Dazu die „Fränkische Landeszeitung“ am 12. März 1954:
„Auf jeden Fall ist die Angelegenheit ein unerfreuliches trübes Kapitel aus den letzten Jahres des Krieges, in denen unter dem Druck der Ereignisse Entscheidungen fielen, wie sie zu normalen Zeiten undenkbar gewesen wären.“
Bayerischer Landessportverband teilte die Ablehnung der Stadt
Der Fußballclub gab sich mit der Entscheidung des Hauptausschusses, die Entschädigung zu verweigern, nicht zufrieden und bemühte den Bayerischen Landessportverband in München um ein Gutachten. Dieser prüfte den Sachverhalt auch durch Befragung der Beteiligten. Am 9. Januar 1956 bestätigte der Verband gegenüber dem Vorsitzenden des 1. FC Rothenburg, Georg Böhme, die Übereinkunft zwischen Georg Arlt (Verein) und Hans Wirsching (Stadt) aus dem Jahr 1944:
„Sie ersehen daraus, dass für Sie wohl kaum die Möglichkeit besteht, in irgendeiner Weise gegen die Stadtverwaltung Rothenburg vorzugehen…“.
Fußball-Club hielt an seiner Forderung fest – vergebens
Trotz dieser angekündigten Aussichtslosigkeit hielten die Fußballer an ihrer Forderung nach Entschädigung fest. In der Generalversammlung im Gasthof „Zur Post“ fanden Mitte Mai 1957 Vorstandsneuwahlen statt, bei der Georg Böhme zum 1. Vorsitzenden bestätigt wurde. Von ihm und den anwesenden Mitgliedern wurde bedauert, dass die bisherigen Verhandlungen mit dem Stadtrat bezüglich der Entschädigung ergebnislos verlaufen waren. „Die damalige Wegnahme war ein Akt der Willkür.“ Nach Meinung der Vereinsmitglieder sei die Beschlagnahme des Sportplatzes großes Unrecht gegenüber dem 1. FCR gewesen. Die „Fränkische Landeszeitung“ schrieb am 25. Mai 1957: „Dass die Angelegenheit nicht einmal im Sportausschuss behandelt wurde, zeugt von wenig Verständnis für die Wiedergutmachungsbelange des Vereins.“ – Damit schließt die Akte „Sportplatz“.
Anmerkung: Der Vorsitzende des Fußballvereins vor 1945, Georg Arlt, war hoher SA-Führer und Hauptstellenleiter der NSDAP. Als solcher wird er nicht unbedingt seinem Kreisleiter Erich Höllfritsch öffentlich widersprochen haben, als dieser veranlasste, den Fußballplatz durch die Stadt zu beschlagnahmen.