Von Dr. Malte Herwig
Carl Theodor Schütz schien ein ehrenwerter Mann zu sein. Der Agent mit dem Decknamen „Scherhag“ hatte sich „in menschlicher und politischer Hinsicht voll bewährt. Seine Haltung war zu jeder Zeit beweisbar untadelig.“ Schütz sei eine „charakterlich einwandfreie, ausgereifte, sensible, temperamentvolle Persönlichkeit mit ausgeprägtem Willen, die jederzeit ein Vorbild für ihre Mitarbeiter ist“.
So steht es in der geheimen Personalakte, die der Bundesnachrichtendienst über seinen Mitarbeiter V-2978 führte. Unter der überaus positiven Beurteilung vom 1. Januar 1957 prangt die Unterschrift seines obersten Vorgesetzten, des bundesdeutschen Geheimdienstchefs Reinhard Gehlen. Mehr als ein Jahrzehnt zuvor hatte der „charakterlich einwandfreie“ Genien-Agent als SS-Hauptsturmführer an der Hinrichtung von 335 italienischen Geiseln vor den Toren Roms teilgenommen. Auf sein Kommando waren die gefesselten Gefangenen in Fünferreihen vorgeführt und mit Genickschüssen ermordet worden. Fünf Stunden hatte das Morden am 24. März 1944 gedauert, das als Massaker in den Ardeatinischen Höhlen in die Geschichte einging. Doch Schütz wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Stattdessen wurde er Angestellter der „Organisation Gehlen“ und später des Bundesnachrichtendienstes (BND). Kein Zuträger wie die SS-Verbrecher Walter Rauff oder Klaus Barbie, deren Verbindungen zum BND unlängst aufgedeckt wurden. Sondern hauptamtlicher Agentenführer.
In der NS-Zeit ein ND-Führer mit besonderen Qualitäten
Schütz war 1952 zur „Organisation Gehlen“ gekommen und hatte die Erwartungen seiner Dienstherren „nicht nur erfüllt, sondern in jeder Hinsicht übertroffen“. Umfangreiche Fachkenntnisse und langjährige Erfahrung in der Spionageabwehr prädestinierten Schütz in den Augen seiner Vorgesetzten zu einem „ND-Führer mit besonderen Qualitäten“, wie es in seiner Personalakte heißt. Bereits vier Jahre später stieg er zum Chef der Kölner Außenstelle „Uran“ auf.
„Der Bundeskanzler entschied, seine Bedenken zurückzustellen“
Seine „langjährige Erfahrung“ hatte sich Schütz im Rahmen einer NS-Karriere im Dritten Reich erworben. Die von ihm selbst verfassten Lebensläufe in seiner BND-Akte geben Auskunft: 1907 in Mayen geboren, trat Schütz 1923 in den deutschen Pfadfinderbund ein, 1931 in die SS und ein Jahr später in die NSDAP. Er studierte Jura, arbeitete ab 1934 bei der Gestapo in Trier. Mit dem Krieg beschleunigte sich auch seine Gestapo-Karriere: 1939 ging er zur „Spionageabwehr“ in Lodz, 1943 stieg er zum Leiter der Spionage-Abwehr für Rom und fünf italienische Provinzen auf und wurde 1944 zum Kriminalrat ernannt. Die für seine Nachkriegskarriere wichtigste Beförderung erhielt Schütz allerdings im November 1950, als eine Spruchkammer den ehemaligen SS-Hauptsturmführer nachträglich zum harmlosen Mitläufer ernannte. Das genügte Gehlen, der später in seinen Memoiren schrieb, er habe niemanden eingestellt, der nicht ordnungsgemäß entnazifiziert war.
Schütz war nicht der einzige Ex-Nazi, dessen Nachkriegskarriere im BND unlängst bekannt wurde. Es dauerte mehr als 60 Jahre, bis sich der BND seiner Vergangenheit stellte. Seit 2010 erforscht eine externe Historikerkommission die Frühgeschichte des Nachrichtendienstes. Unterstützt werden die Wissenschaftler von der dienstinternen „Forschungs- und Arbeitsgruppe Geschichte des BND“. Deren Leiter Bodo Hechelhammer sieht in dem Projekt einen Kulturwandel: „So etwas war ja nicht vorgesehen bei einem Nachrichtendienst.“
Die Aufarbeitung der geheimen Vergangenheit ist nicht ohne Tücken. Letztes Jahr erntete die Nachricht Kritik, dass noch 2007 zahlreiche BND-Dokumente mit Bezug zur NS-Zeit in den Reißwolf gewandert waren. Der BND rechtfertigte sich mit dem Hinweis, die Aktenvernichtung sei „seinerzeit gemäß den gängigen archivischen Regularien ohne weitere Prüfung möglicherweise vorhandener NS-Bezüge” erfolgt. Ein Versehen nach Vorschrift. „Wenn man wirklich zur Aufklärung steht, muss man auch unangenehme Dinge an die Öffentlichkeit lassen“, erklärt der BND-Historiker Hechelhammer. „Dass man SS-Kriegsverbrecher mit der Begründung eingestellt hat, sie würden als Experten benötigt, ist aus heutiger Sicht sehr schwer zu verdauen.“
Tatsächlich scheint der BND heute endlich bereit zu sein, die Vergangenheit ehemaliger SS- und Gestapo-Leute in den eigenen Reihen aufzuarbeiten, denn unangenehm sind die jetzt freigegebenen Geheimakten von BND und Bundeskanzleramt in der Tat. Zu den Dokumenten gehören die Personalakte von Schütz und die Protokolle der geheimen Sitzungen des parlamentarischen Vertrauensmännergremiums, das in den Fünfzigerjahren für die „Kontrolle“ des Nachrichtendienstes zuständig war.
Sie enthüllen, wie es möglich war, dass ein NS-Kriegsverbrecher wie Schütz zunächst unbehelligt Karriere im Nachrichtendienst der Bundesrepublik machen konnte. Wie man ihn, obwohl man längst seinen üblen Charakter erkannt hatte, noch jahrelang weiterbeschäftigte, weil Schütz als „Geheimnisträger hohen Grades“ galt und seinem Dienstherrn mit arbeitsrechtlichen Schritten drohte.
Himmlers SS-Helfer in den Staatsdienst der Bundesrepublik übernommen
Es ist ein Lehrstück über die bewusste Selbsttäuschung eines Geheimdienstapparats, über bürokratische Hilflosigkeit und den fatalen Mangel an politischer Kontrolle. Aber die Akten zeigen ebenso, dass es auch im BND einzelne Mitarbeiter gab, deren Moralempfinden der Weiterbeschäftigung belasteter SS-Leute widersprach. Dabei erfolgte die Übernahme ehemaliger Gestapo-Angehöriger sogar mit der Billigung von Bundeskanzler Konrad Adenauer persönlich. Als die „Organisation Gehlen“ Mitte der Fünfzigerjahre in den Bundesnachrichtendienst überführt wurde, setzte sich Gehlen bei der Bundesregierung dafür ein, dass auch Himmlers ehemalige Helfer in den Staatsdienst der jungen Bundesrepublik übernommen wurden.
Gehlen war durch ein Schreiben des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes unter Druck geraten. Der Inlandsdienst hatte die Bundesregierung im Februar 1957 darauf hingewiesen, dass bei der Bundesvermögensverwaltung in München – einer Tarnorganisation des BND – zahlreiche ehemalige Gestapo-Angehörige eingestellt worden waren und die Möglichkeit bestehe, „dass dort einer dem anderen zur Einstellung verhilft“.
In einem jetzt vom Bundeskanzleramt freigegebenen Schreiben an Adenauers Staatssekretär Hans Globke vom 17. September 1957 rechtfertigte sich Gehlen mit der Begründung, auch andere Behörden beschäftigten seit Langem ehemalige Gestapo-Leute als Beamte. Es sei nicht nur ungerecht, den vom Nachrichtendienst dringend benötigten Experten die Wiedereinstellung in den Staatsdienst zu verweigern. Ihre Mitarbeit sei dienstlich zwingend, da „die ehemaligen Beamten der Geheimen Staatspolizei die einzigen kriminalistisch geschulten Beamten sind, die die Gewohnheit des Umgangs mit intelligenten Gegnern haben, wie sie im Kreise der Kriminellen regelmäßig nicht anzutreffen sind“. Klaus-Dietmar Henke, Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission, hält diese Begründung für absurd: „Wozu sollte Gehlen Belastete brauchen, die manchmal obendrein gar keine nachrichtendienstliche Qualifikation im engeren Sinne besaßen?“
Er selbst, behauptete der Geheimdienstchef, habe zwar „starke Vorbehalte“ gegen die frühere Tätigkeit dieser Beamten. Doch könne die Verwendung solcher Leute nicht vermieden werden. Allerdings sollten nur solche Mitarbeiter aufgenommen werden, die keine individuelle Schuld träfe, versicherte Gehlen: „In jedem einzelnen Fall hat sich der Bundesnachrichtendienst versichert, dass gegen die ehemaligen Beamten weder bei Gerichten noch bei Spruchkammern Vorwürfe erhoben wurden, die ihre frühere Tätigkeit individuell in einem ungünstigen Licht erscheinen ließen.“ Zu dem Zeitpunkt lief bereits eine interne Untersuchung der ehemaligen SS-Leute im BND. Dabei ging es nicht nur um die Frage, welche Mitarbeiter an NS-Verbrechen beteiligt gewesen sein könnten, sondern um die Klärung beamtenrechtlicher Ansprüche bei Übernahme in den BND. „Wenn es um Pensionsansprüche und Besoldungsstufen ging“, erklärt BND-Forscher Hechelhammer, „kamen die SS-Leute aus der Reserve“. Im Lauf der nächsten Monate pokerte Gehlen, der seine „Fachleute” nicht an andere Behörden verlieren wollte. Erst verlangte er die Verbeamtung von 30 Beamten im Planpersonal des BND. Später reduzierte er diese Forderung auf zehn.
Im Bundeskanzleramt war man vorsichtig. Schon die Einstellung des Agenten Carl Schütz in die Organisation Gehlen hatte 1952 Adenauers Argwohn erregt. CIA-Dokumenten zufolge hatte er sich höchstpersönlich für den damaligen Leiter der BND-Vertretung Rhein-Ruhr in Düsseldorf interessiert und nach dessen Personalakte fragen lassen. Erfolglos: Die Unterlagen, erklärte Gehlen, seien bei den Briten in London.
Schütz: Kommunisten seien auch nach dem BND immer noch Weltfeind Nr. 1
Andererseits bewies schon die Wahl Hans Globkes zu seinem engsten Mitarbeiter, dass Konrad Adenauer durchaus in der Lage war, die Fachkenntnis von Experten über etwaige moralische Bedenken zu stellen („Man schüttet kein schmutziges Wasser aus, ehe man reines hat“). Globke hatte im Reichsinnenministerium scharfe Gesetze gegen Juden verfasst. Wie die BND-Unterlagen zeigen, war der Kanzler dazu bereit, solange er selbst keinen unmittelbaren politischen Schaden befürchten musste. Der BND war direkt dem Bundeskanzler unterstellt. Damit musste Adenauer die politische Verantwortung für die Einstellung ehemaliger Gestapo-Leute übernehmen. Ein jetzt freigegebenes Memorandum des Bundeskanzleramts vom 6. Juni 1958 belegt, dass er diese Entscheidung aus zwei Gründen befürwortete. Zum einen brächten nur ehemalige Gestapo-Beamte die nötigen Voraussetzungen für „gewisse Spezialaufgaben” mit, heißt es da. Zum anderen würden auch in der politischen Polizei und den Verfassungsschutzämtern der Bundesländer ehemalige Gestapo-Angehörige als Beamte beschäftigt, vor allem in Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.
Am 11. Juni 1958 kam es zur entscheidenden Sitzung im Bundeskanzleramt. Um 17 Uhr trafen sich Adenauer, Globke, Gehlen sowie die Mitglieder des parlamentarischen Vertrauensmännergremiums und einige Beamte im Kleinen Kabinettssaal des Kanzlerhauses. Das Vertrauensmännergremium bestand aus den Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen und wurde vom Kanzler in unregelmäßigen Abständen einberufen. Gehlen erinnert sich in seinen Memoiren, der Ausschuss habe sich stets „verständnisvoll und unterstützungsbereit“ gezeigt. Die Politikwissenschaftlerin Stefanie Waske sagt, das Gremium sei „ein stumpfes und teils schlecht geführtes Schwert“ gewesen. Ein Geheimprotokoll des BND über die Sitzung bestätigt jetzt diese Einschätzung: Die Abgeordneten hatten keine Einwände gegen die Verbeamtung der ehemaligen Gestapo-Mitarbeiter, da bei Bund und Ländern ohnehin schon ehemalige Gestapo-Leute „in erheblicher Zahl“ eingestellt worden seien. Lediglich der Kanzler äußerte zuerst „erhebliche sittliche Bedenken“ Doch nachdem Gehlen noch einmal auf die Unersetzlichkeit der Leute hingewiesen hatte, lenkte Adenauer ein: „Der Herr Bundeskanzler entschied“, verzeichnet das Geheimprotokoll, „dass er unter dem Gesichtspunkt der Unentbehrlichkeit bestimmter Beamter der ehemaligen Gestapo für die Aufgaben des BND seine starken Bedenken zurückstellen und den Vorschlägen des BND zur Ernennung der ehemaligen Beamten stattgeben wolle.“ Dass Carl Schütz nicht zu denen gehörte, die vom BND verbeamtet wurden, lag nicht an seiner Teilnahme an den Gräueltaten der Einsatzgruppen in Polen oder dem Massaker von Rom. Schütz hatte auf dem BND-Personalfragebogen angegeben, lediglich einen Tag in amerikanischer Kriegsgefangenschaft verbracht zu haben.
Abscheu des BND-Juristen vor den NS-Verbrechen seiner Kollegen
Beim BND allerdings wusste man, dass diese Angabe falsch war. Der für die Einstufung übernommener Gehlen-Mitarbeiter zuständige Personaljurist Dr. Neuland war einer der wenigen Geheimdienstler, die schon 1957 bereit waren, die braune Vergangenheit von Gehlens alten Mitarbeitern kritisch zu durchleuchten. Neuland hatte eine umfangreiche Strafprozessakte des Oberlandesgerichts Köln gefunden, das Schütz bereits 1933 wegen Körperverletzung zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt hatte. Der damalige SS-Oberscharführer hatte nach einem Saufgelage mit seinen SS-Leuten die Wohnungen politischer Gegner gestürmt und die vermeintlichen Kommunisten, zu denen auch Frauen gehörten, brutal misshandelt. Nach der Lektüre der Prozessakten konnte Neuland seine Abscheu vor dem BND-Kollegen nicht verbergen und notierte in dessen Personalakte:
„Abgesehen davon, dass es sich nach den Feststellungen des Gerichts nicht um Kommunisten, sondern um Sozialdemokraten gehandelt hat, … misshandelt ein anständiger Mann weder Kommunisten noch Angehörige anderer missliebiger Personengruppen, vor allem dann nicht, wenn sie sich im Zustande der Wehrlosigkeit befinden.“
Die Taten des Mannes, der von seinen BND-Vorgesetzten gerade noch als „untadeliges Vorbild“ gelobt wurde, ließen für Neuland „in ihrer Rohheit und Feigheit eine ehrlose Gesinnung klar erkennen“. Es sei bezeichnend für die Gestapo, dass ein Mann wie Schütz dort ohne Weiteres angenommen und in verantwortliche Stellen befördert wurde. Sein Verhalten zeige „so schwere charakterliche Mängel“, warnte der Personaljurist im September 1957, „dass Mittel und Wege gefunden werden [müssen], um diesen Mitarbeiter des BND auch unter Berücksichtigung nachrichtendienstlicher Belange schleunigst aus dem BND zu entfernen“.
Die BND-Leitung entschied anders. Schütz sollte aufgrund „seiner Eigenschaft als Geheimnisträger hohen Grades“ erst noch eine Weile auf seinem Posten bleiben und dann als Angehöriger des ND-Personals weiter beschäftigt werden. Die Personalabteilung befürchtete, Schütz könne sich auf eine Hitler-Amnestie von 1934 berufen, die „nationalsozialistischen Übereifer“ sowie „Körperverletzung im politischen Kampf“ straffrei stellte und damals dazu geführt hatte, dass auch der SS-Schläger Schütz vorzeitig entlassen worden war. Das im BND übliche Formular erlaubte den Hausjuristen zufolge aber rechtlich das Verschweigen amnestierter oder gelöschter Strafen. „Die moralische Seite ist klar“, urteilte ein anderer BND-Personaler im Fall Schütz, man wolle aber einer möglichen Klage beim Arbeitsgericht vorbeugen.
Ein BND-Bearbeiter notierte: „Das wird hoffentlich überprüft“
Erst als 1961 der Doppelagent Heinz Felfe aufflog, griff Gehlen durch und ließ die NS-Vergangenheit seiner Mitarbeiter kritisch überprüfen. Hans-Henning Crome, den Gehlen damals mit der internen Untersuchung beauftragte, erinnert sich noch heute, wie er Schütz nach München bestellte und mit den Erkenntnissen über dessen Gestapo-Vergangenheit in Trier konfrontierte: „Ein unverbesserlicher, übler Charakter.“
Der ehemalige Gestapo-Mann hatte immer wieder erklärt, von 1934 bis 1939 bei der Spionageabwehr gewesen zu sein. Doch Crome und seine Mitarbeiter hatten Unterlagen gefunden, nach denen Schütz auch in der innenpolitischen Abteilung II der Gestapo gearbeitet hatte. Außerdem fanden die BND-Mitarbeiter Hinweise, dass Schütz einer Einsatzgruppe und einem Bandenbekämpfungskommando angehört hatte. Der Ertappte versuchte sich damit herauszureden, die genauen Bezeichnungen der Dienststellen vergessen zu haben. „Unglaubhaft“ lautete das nüchterne Urteil in seiner Personalakte: „Es kann dem BND nicht zugemutet werden, weiterhin Leute zu beschäftigen, bei denen sich nun herausstellt, dass sie Einsatzkommandos bzw. Einsatzgruppen der SS angehört haben.“
Kündigung mit 70.000 DM Abfindung
Als Schütz endlich am 24. März 1964 „aus wichtigen Gründen“ gekündigt wurde, stellte er Strafantrag gegen Gehlen und andere BND-Mitarbeiter wegen gemeinschaftlich begangener Anstiftung zum „Einstellungsbetrug“. Erst mit einer Abfindung von 70.000 DM wurde der BND seinen „untadeligen“ Mitarbeiter los. Sein Verhalten rechtfertigte Schütz mit den Worten, er habe vor 25 Jahren „Kommunisten verprügelt, die doch wohl auch nach Ansicht des BND immer noch Weltfeind Nr. 1 sind“. Die Mitarbeiter seiner Kölner Dienststelle sahen es ähnlich. „Man glaubt weder an die unrichtigen Personalangaben noch an die Teilnahme an KZ-Mord“, heißt es in einem internen BND-Bericht vom 23. April 1965 in Schütz’ Personalakte, der ein Fazit der ersten Entnazifizierung im Geheimdienst zieht: Die Aktion gegen die ehemaligen Gestapo-Leute in den eigenen Reihen sei „ein psychologischer Mißgriff“ gewesen.
Der Historiker Klaus-Dietmar Henke glaubt, dass das mangelnde Unrechtsbewusstsein mit der Solidarisierung der alten Kameraden in der Nachkriegszeit zu tun hat: „Es war für viele BND-Mitarbeiter ein Schock, dass mehrere Dutzend Kollegen nach langjähriger Tätigkeit plötzlich den Dienst verlassen mussten.“ Doch für den Bundesnachrichtendienst war die Angelegenheit damit erledigt. Das Sündenregister des Carl Theodor Schütz verschwand folgenlos zwischen zwei Aktendeckeln. Der pensionierte BND-Agent starb 1985 in Köln, ohne sich für seine Taten verantworten zu müssen.
Nichts wurde überprüft
Beim Bundesnachrichtendienst wusste man es besser. Aus einem Vernehmungsprotokoll von 1963 geht hervor, dass Schütz als Zeuge von der Dortmunder Staatsanwaltschaft zur Erschießung eines jüdischen Zahnarztes in Rom befragt worden war. Er erklärte freimütig, dass es sich bei der Erschießung der 335 Personen an jenem 24. März 1944 um eine Vergeltungsmaßnahme gehandelt habe. Der Staatsanwalt, heißt es in Schütz’ BND-Akte, habe ihm ausdrücklich versichert, dass er selbst nicht beschuldigt werde. Daneben hatte ein BND-Bearbeiter handschriftlich notiert: „Das wird hoffentlich … überprüft.“ Es wurde nicht.
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Zur Person Carl-Theodor Schütz
(1907 in Mayen bis 1985 in Köln). Er war Jurist, Kriminalrat, Referatsleiter bei der Stapo Trier, Abteilungsleiter bei der Sicherheitspolizei (SiPo) und des SD in Rom, Leiter der Untervertretung (UV) Rhein-Ruhr bei der Organisation Gehlen (OG) und Abteilungsleiter im Bundesnachrichtendienst (BND).
Mitglied der SA, NSDAP, SS, des SD und der Gestapo
Der Sohn eines Grubenbesitzers studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Bonn, Köln, Marburg und München. In der Weimarer Republik orientierte er sich rechtsnational und war von 1923 bis 1924 Angehöriger des Freikorps Rhein-Ruhr. Dem „Stahlhelm“ gehörte er von 1928 bis 1930 an. 1930 trat er in die SA ein und wurde ein Jahr darauf Mitglied der NSDAP und der SS (Hauptsturmführer).
Nach dem Studium begann seine juristische Laufbahn im Staatsdienst als Referendar bei Gerichten in Andernach und Koblenz. Nachdem Überscharführer Schütz mit SS-Kameraden 1933 eines nachts stark alkoholisiert mehrere Wohnungen politischer Gegner gestürmt und die wehrlosen Bewohner, darunter auch Frauen, brutal misshandelt hatte, wurde er zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt und musste den Staatsdienst verlassen. Nach der Haftentlassung im Zuge einer Amnestie wurde er im August 1934 bei der 5. SS-Standarte im SS-Sturmbann 8/I in Koblenz hauptamtlich tätig. Als Rechtsanwalt hatte er sich zuletzt in Mayen betätigt. Ab Oktober hatte er die gleiche Position beim SS-Sturmbann 8/II in Trier, wo er auch Mitglied der Gestapo wurde und Führungsaufgaben übernahm. Nach Lehrgängen wurde Schütz 1935 Kriminalkommissar und war in der Grenzsicherung und als Abteilungsleiter in der Spionageabwehr tätig. . .
Kriegseinsatz als SS-Mann in Polen, der Ukraine und Italien
Am deutschen Überfall auf Polen nahm Carl Schütz 1939 als Angehöriger des Einsatzkommando VI/2 in Lodz teil. Die Einsatzgruppen erschossen im Rahmen eines Geheimbefehls Hitlers 60.000 bis 80.000 Menschen in Polen. Nach einem Aufenthalt in Tivoli von 1940 bis 1941 auf der dortigen italienischen Kolonialschule kam er im Februar 1942 zum Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin. Von 1942 bis 1942 wurde er zur Spionageabwehr an die Ostfront (Woroschilowsk und Ukraine) kommandiert, danach kam er als Abteilungsleiter der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes nach Rom.
Beim Massaker in den Ardeatinischen Höhlen am 24. März 1944 kommandierte Schütz die Erschießungskommandos und richtet die ersten Opfer eigenhändig hin. Er wurde in einem Kriegsverbrecherprozess gegen Priebke als Haupttäter des Massakers bezeichnet.
Gefangenschaft und Eintritt in die Organisation Gehlen
Ende April 1945 flüchtete Schütz über die Alpen und geriet in das Gefangenenlager der US-Armee bei Fürstenfeldbruck bis Juli 1945. Danach tauchte er mit dem Namen Hans-Karl Schäringer unter. 1950 nahm er wieder seine wahre Identität an und kam nach Köln, wo er als Angestellter arbeitete. Im November 1950 wurde Schütz als Mitläufer entnazifiziert. In Köln begegnete er dem V-Mann mit der Kennung 2665 der „Organisation Gehlen“ (OG), den Schütz aus seiner Kriegszeit in Italien kannte. Er warb Schütz für die „Organisation Gehlen“ an, in die er 1952 in die Abteilung Spionageabwehr auf. Schütz arbeitete auf seinem alten Gebiet der Spionageabwehr und übernahm die Leitung der Untervertretung (UV) Rhein-Ruhr mit Sitz in Düsseldorf. Laut anderer Quellen befand sich die Außenstelle in Essen. Im Zusammenhang mit den Gründungsverhandlungen des Bundesnachrichtendienstes (BND) forderte Bundeskanzler Konrad Adenauer 1952 über den damaligen Ministerialdirigenten Hans Globke die Personalakte und anderweitige Unterlagen über Schütz an, was aber von Reinhard Gehlen mit der Begründung abgelehnt wurde, diese Unterlagen befänden sich bei den Briten in London.
Leiter einer Untervertretung der OG und Dienst im BND
Im Jahre 1953 übernahm Schütz die Leitung der UV für Württemberg in Stuttgart. In der „Organisation Gehlen“ hatte er den Decknamen Scherhack. Im Oktober 1954 erhielt die CIA Informationen, dass Schütz ein Sicherheitsrisiko in der OG sei. Diese Information hatte jedoch für Schütz erkennbare Folgen. Denn im Jahre 1956 wurde der Kriegsverbrecher Schütz vom BND übernommen und kam nach Köln als Abteilungsleiter unter dem Decknamen Scherhack.
Kündigung im BND
1963 wurde Carl Schütz alias Scherhack in die BND-Zentrale Pullach einbestellt, wo er mehrere Stunden lang über seiner Tätigkeiten im NS-Regime befragt wurde. Man warf ihm vor, seine Dienste bei der Gestapo und beim Einsatzkommando in Polen verheimlicht zu haben. Obwohl er dem widersprach, wurde ihm zum 30. Juni 1964 gekündigt. Vor dem Arbeitsgericht München, vor dem Schütz gegen die Bundesrepublik als Arbeitgeber klagte, kam es zu einem Vergleich. Das Dienstverhältnis endete somit erst 1966. Carl Schütz, dessen Kriegsverbrechen ungesühnt blieben, ging damals mit 70.000 DM Abfindung aus dem Staatsdienst der Bundesrepublik Deutschland.
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Quellen zum Nachsatz-Artikel zur Person Schütz: Nach Wikipedia, Online-Enzyklopädie (2012). – Auskunft Axel-Elmar Schütz (Nov. 2012).