Von Wolf Stegemann
Vorbemerkung. In den nachfolgenden Artikeln über Gerichtsfälle des Sondergerichts Nürnberg mit Rothenburger Angeklagten kommen die unterschiedlichsten Delikte vor, die vor NS-Sondergerichten zur Verurteilung kamen. Dieser Überblick über die damals gängigen Strafdelikte und ihre Strafbewehrung sollen zum besseren Verstehen von Anklagen und Urteilen der Sondergerichtsverhandlungen beitragen (siehe auch „Sondergericht Nürnberg 1: Durch nachdrückliche Ausübung der Strafgewalt…“).
Kriegswirtschaftsverordnung
Hitlers Politik zielte von Anfang an auf Krieg, die Wirtschaftspolitik aber hinkte aus innenpolitischen Gründen hinterher. Man wollte nach der Endphase der Weltwirtschaftskrise die Konsumgüterproduktion erst im Notfall drosseln. Das blieb zunächst sogar noch so in der Zeit der so genannten Blitzkriege 1939-41, obwohl schon am 17. März ein Ministerium für Bewaffnung und Munition unter Todt geschaffen wurde. Die „Kriegswirtschaftsverordnung“ (KWVO) vom 4. September 1939 diente der staatlich gelenkten Kriegswirtschaft und führte das Delikt „Kriegswirtschaftsverbrechen“ ein. 1942 wurden in einer Ergänzungsverordnung die Strafbestimmungen erweitert. Das Gesetz beinhaltet die Delikte Schwarzschlachtung (auch dafür Todesstrafe), Lebensmittelmarkenfälschung, Abhören von Feindsendern, Schwarzmarktkriminalität, Kriegssteuerbetrug (Sektsteuer wurde wieder eingeführt), Schleichhandel und ähnliches. Etliche Rothenburger standen wegen solcher Delikte vor dem Sondergericht Nürnberg.
Betrug mit Lebensmittelkarten war „kriegsschädliches Verhalten“
Krieg erzeugt wegen des Ausfalls von Arbeitskräften und Umstellung der Produktion auf Rüstung Mangel bei Konsumgütern. Als daher am 28. August 1939 im Deutschen Reich Lebensmittelkarten für die rationierte Zuteilung bestimmter Nahrungsmittel ausgegeben wurden, musste jedem klar sein, dass der Krieg unmittelbar vor der Tür stand. Er führte dann mit zunehmender Dauer zur Rationalisierung von immer mehr Waren und zur Ausgabe unterschiedlicher Karten für verschiedene Waren- und Personengruppen. Wer sie erwerben wollte, musste eine Bezugsberechtigung vorweisen können: nämlich die Lebensmittelmarken und Bezugsscheine. Markenfälschung, Manipulation, zweimalige Verwendung, falsche Abrechnung der Marken; all das wurde als „kriegsschädliches Verhalten“ gewertet. Bei einer solchen Gefährdung der Lebensmittelversorgung waren Gegenstand der Verhandlung Wurst, Talg, Öl, Fette, Milch, Eier, Butter, Käse, Getreide, Mehl, Futtermittel, Kaffee, Tabak, Spirituosen, Seife, Schuhe, Stoffe, Kleider, Papier, Metall und Benzin. So war die Bevölkerung bei der Notlage schnell ein Fall für das Sondergericht. Auch waren Marken nicht übertragbar und nach einzelnen Lebensmitteln aufgeteilt. Daher wurde oft mit Lebensmittelmarken auf dem Schwarzmarkt Tauschhandel betrieben. Wer versuchte, Tauschgeschäfte mit den Marken zu machen, der machte sich strafbar und war auch ein Fall für das Sondergericht. Selbstverständlich strafbar war derjenige, der versuchte, Tauschgeschäfte ohne Marken zu machen oder wer Dritte mit Waren ohne Marken belieferte. Als der Schauspieler Heinz Rühmann, der Ende 1939 in Rothenburg drehte, in einer Metzgerei ohne Lebensmittelmarken eingekauft hatte, stand er im Polizeibericht. Die Angelegenheit wurde auf Anweisung des Landrats nicht mehr verfolgt, weil Rühmann markenfreie Wurst gekauft hatte.
Einführung der Kriegssonderstrafrechtsverordnung
Nicht nur die Wirtschaft, auch die Justiz musste ab 1939 auf Krieg umgestellt werden: Durch Verschärfung von Strafandrohungen, zahllose Erlasse und neue Gesetze wurde ein neues Kriegssonderstrafrecht geschaffen, das für eine nie dagewesene Zahl von Delikten die Todesstrafe vorsah. Das sollte Straftäter von der Ausnutzung er Notlage im Krieg abschrecken und die „Erledigung“ politischer Gegner erleichtern. Die Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) setzte mehrere Tatbestände des alten Militärstrafgesetzbuches außer Kraft und formulierte neue Straftatbestände, die höhere Strafen einschließlich der Todesstrafe vorsahen. Die KSSVO umfasste elf Paragraphen. Ihr sachlicher Kern waren die so genannten Sondertatbestände, welche in den Paragraphen 2 bis 8 definiert waren:
§ 2 Spionage
§ 3 Freischärlerei
§ 4 Zuwiderhandlungen gegen die von den Befehlshabern im besetzten ausländischen
Gebiet erlassenen Verordnungen
§ 5 Zersetzung der Wehrkraft
§ 6 Unerlaubte Entfernung und Fahnenflucht
§ 7 Einschränkung der Dienstentlassung
§ 8 Disziplinarübertretungen
Im Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhG) vom 25. August 1998 wird Bezug auf die Kriegssonderstrafrechtsverordnung genommen. „Verurteilende strafgerichtliche Entscheidungen, die unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit“ ergangen sind, wurden damit aufgehoben. Alle Urteile des Volksgerichtshofs sowie der 1945 in den Reichsverteidigungsbezirken eingerichteten Standgerichten waren damit aufgehoben worden, außerdem alle Verurteilungen, die auf Gesetzen und Verordnungen beruhen, die in der dem Gesetz beigegebenen Liste enthalten sind. Im Jahre 2009 wurden mit dem „Zweiten Gesetz zur Änderung des NS-AufhG“ auch alle Urteile wegen Kriegsverrat aufgehoben.
Verordnung gegen „Volksschädlinge“
Begriffe aus dem Arsenal der Biologie waren bei den NS-Propagandisten beliebt. Wie die Juden als „Parasiten“ gebrandmarkt wurden, so bezeichnete man Menschen, die sich an der Volksgemeinschaft vergingen, als „Volksschädlinge“, ein Begriff, der sogar rechtsförmig verwendet wurde. Die „Verordnung gegen Volksschädlinge“, gemeinhin als Volksschädlingsverordnung (VVO) bezeichnet, wurde vier Tage nach Beginn des Zweiten Weltkriegs am 5. September 1939 erlassen und sollte der nationalsozialistischen Justiz ein wirksames Instrument zum Schutz der „inneren Front“ an die Hand geben. Die einzelnen Tatbestände und Strafrahmen waren bewusst äußerst weit gefasst, so dass auch für sehr geringfügige Taten die Todesstrafe verhängt werden konnte. Von insgesamt 15.000 Todesurteilen ziviler Gerichte nach 1939 gingen die meisten auf diese Verordnung zurück. Die Verordnungen wurden durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 „Aufhebung einzelner Bestimmungen des deutschen Strafrechts“ vom 30. Januar 1946 mit Wirkung vom 4. Februar 1946 förmlich aufgehoben. Sämtliche Verurteilungen, welche auf der Volksschädlingsverordnung beruhten, sind aber erst 1998 durch das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege wegen Verstoßes gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit aufgehoben worden.
Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen
Mehr als die gegnerischen Truppen fürchtete mit zunehmender Kriegsdauer die NS-Führung die Wahrheit, wie sie „Feindsender“ verbreiteten, natürlich auch unter propagandistischen Gesichtspunkten. Mit drakonischen Strafen, gegen Ende des Kriegs regelmäßig mit der Todesstrafe, waren daher nach der „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 7. September 1939“ Feindhörer bedroht, die man als „Volksschädlinge“ brandmarkte. Zu ihrer Ergreifung nutzte man alle Mittel bis hin zur Bespitzelung von Eltern durch die eigenen Kinder. 1941 wurde beispielsweise in Rothenburg die Tochter des Kunstmalers Wilhelm Schacht des „Feindhörens“ überführt, was aber nicht weiter verfolgt wurde, da die Familie von der Polizei als nazifreundlich eingestuft wurde (siehe: „Sondergericht Nürnberg 4: Rothenburger US-Bürgerin…“). Das Abhörverbot wurde durch Presseveröffentlichungen und Ankündigungen in Filmlichtspielen publik gemacht. Zeitungen berichteten über abschreckende Strafurteile. Mitte 1941 erhielten die Blockwarte den Auftrag, alle Wohnungen aufzusuchen und an den Rundfunkgeräten oder an den Bedienungsknöpfen eine Karte anzubringen, die folgende Warnung enthielt:
„Das Abhören ausländischer Sender ist ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit unseres Volkes. Es wird auf Befehl des Führers mit schweren Zuchthausstrafen geahndet. Denke daran!“
In den Geheimen Lageberichten des Sicherheitsdienstes heißt es hierzu, diese Aktion „finde in allen Kreisen der Bevölkerung eine stark negative Aufnahme. Man empfinde die Anbringung dieser Zettel als eine Kränkung und Beleidigung…“ und lehne besonders ab, dass dort „die Begriffe Führer und Drohung mit Zuchthausstrafe unmittelbar nebeneinander gestellt würden.“
Die Quellenlage erlaubt keine genauen Aussagen zur Verfolgungsintensität. Nach einem Lagebericht von 1941 wurden monatlich zwischen 200 und 440 Personen wegen Abhörens feindlicher Rundfunkpropaganda festgenommen. In einigen näher untersuchten Gestapobereichen wurden Verstöße nur in 23 bis 47 Prozent der Fälle an die Gerichte weitergemeldet. In etwa 10 Prozent der Fälle wurden die denunzierten „Rundfunkverbrecher“ nach einer mehrtägigen Gestapo-Haft entlassen; viele der Angezeigten kamen mit einer Verwarnung davon. Die „Reichskriminalitäts-Statistik“ nennt für die Jahre 1939 bis 1942 für das Deutsche Reich (ohne Österreich) 2.704 Verurteilungen nach der Rundfunkverordnung. Gesamtzahlen für die Folgejahre fehlen, doch offenbaren Zahlenangaben einzelner Städte eine eindeutig steigende Tendenz.
Schutz der Wehrkraft des deutschen Volkes – Wehrkraftzersetzung
Mit Verordnung vom 17. August 1938 wurde gemäß Kriegssonderstrafrecht der Straftatbestand der Wehrkraftzersetzung eingeführt, der mit dem Tod bedroht war. Als Wehrkraftzersetzung galten die öffentliche Aufforderung zur Verweigerung der Dienstpflicht in der Wehrmacht und alle Versuche, den Willen zur „wehrhaften Selbstbehauptung“ zu lähmen. „Öffentlich waren Äußerungen bereits dann, wenn auch nur die Möglichkeit des Hinausdringens etwa aus privatem Kreis bestand, was bei Bedarf jederzeit unterstellt werden konnte. In diesem Verständnis wurden mit wachsender Kriegsdauer schließlich alle kritischen Äußerungen als Wehrkraftzersetzung gewertet, aufgrund deren – neben der Fahnenflucht – die meisten Todesurteile verhängt wurden.
Durch die „Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des Deutschen Volkes“ vom 25. November 1939 wurden Wehrmittelbeschädigung, Störung eines wichtigen Betriebs, Teilnahme an einer wehrfeindlichen Verbindung, privater Umgang mit Kriegsgefangenen und Gefährdung der Streitkräfte befreundeter Staaten mit hohen Strafen bedroht.
Verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen
Weitreichende Bedeutung für deutsche Staatsangehörige erlangte der § 4(1) der Verordnung, der den Umgang mit Kriegsgefangenen beschränkte beziehungsweise als „verbotenen Umgang“ unter Strafe stellte:
„Wer vorsätzlich gegen eine zur Regelung des Umgangs mit Kriegsgefangenen erlassene Vorschrift verstößt oder sonst mit einem Kriegsgefangenen in einer Weise Umgang pflegt, die das gesunde Volksempfinden gröblich verletzt, wird mit Gefängnis, in schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft.“
Eine „Verordnung über den Umgang mit Kriegsgefangenen“ vom 11. Mai 1940 stellte klar, dass jeglicher Umgang mit Kriegsgefangenen und jede Beziehung zu ihnen untersagt war, sofern diese nicht zwangsläufig durch ein Arbeitsverhältnis bedingt seien. In einem internen Schreiben hatte Heinrich Himmler bereits am 31. Januar 1940 die Staatspolizeileitstellen und weitere ihm unterstehende Dienststellen angewiesen, zuwiderhandelnde deutsche Frauen „bis auf weiteres in Schutzhaft zu nehmen und für mindestens ein Jahr einem Konzentrationslager zuzuführen“. Als „gröbliche Verletzung des gesunden Volksempfindens“ sei jeglicher gesellschaftlicher Verkehr anzusehen, zum Beispiel ein Treffen bei Tanzfesten. Eine örtlich zuvor durchgeführte öffentliche Anprangerung und zwangsweise Kopfschur solle polizeilich nicht verhindert werden. Wenige Monate später korrigierte Himmler sein Vorgehen, das die Justiz gänzlich übergangen hatte. Nunmehr sollten deutsche Frauen, die sich mit Kriegsgefangenen eingelassen hatten, nach ihrer Verhaftung den Gerichten überstellt werden. Erst dann, wenn das Gericht einen Haftbefehl ablehne oder ihn aufhebe, sei die Beschuldigte erneut in Schutzhaft zu nehmen und der Kriegsgefangene in ein Konzentrationslager zu überführen.
Verbotener Umgang mit Zwangsarbeitern und Ostarbeitern
Ende des Jahres 1940 arbeiteten im Deutschen Reich rund 1.2 Millionen Kriegsgefangene (darunter französische, britische und belgische Staatsangehörige) meist in der Landwirtschaft und im Baugewerbe. In steigendem Maße wurden Zivilarbeiter zum Arbeitseinsatz angeworben oder gepresst und zur Zwangsarbeit eingesetzt. Ende 1942 arbeiteten rund 4,6 Millionen Ausländer im Reich; 1944 waren es 5,9 Millionen, darunter 2 Millionen Frauen. Viele von ihnen unterlagen als Ostarbeiter durch die Polen-Erlasse einem polizeilichen Sonderrecht. Es gab kein förmliches Gesetz, das auch den Umgang mit polnischen, russischen oder ukrainischen Zivilarbeitern verbot. Gestapo und Sondergerichte weiteten jedoch eigenmächtig die Umgangsbeschränkungen für deutsche Reichsbürger auch auf diesen Personenkreis aus. Wer des verbotenen Umgangs mit osteuropäischen Zivilarbeitern beschuldigt war, konnte ebenfalls in „Schutzhaft“ genommen und in ein Konzentrationslager eingewiesen werden. Die Sondergerichte dehnten in der Folge den in der Verordnung auf Kriegsgefangene beschränkten Tatbestand gleichfalls auf Zivilarbeiter aus.
Förmlich aufgehoben wurde die Verordnung durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30. Januar 1946. Die Bayerische Staatsregierung legte im Gesetz Nr. 21 zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege vom 28. Mai 1946 fest, dass insbesondere alle Personen straffrei gestellt seien, die nach § 4 der Verordnung wegen ihres Umgangs mit Kriegsgefangenen verurteilt worden waren. Ihr Verhalten sei allein nach nationalsozialistischer Ansicht strafwürdig gewesen.
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Quellen: Text zusammengestellt aus mehreren Quellen. Friedemann Bedürftig „Drittes Reich und Zweiter Weltkrieg. Das Lexikon“, Piper 2002. – Wikipedia, Online-Enzyklopädie (2015). – Barbara Just-Dahlmann/Helmut Just „Die Gehilfen. NS-Verbrechen und die Justiz nach 1945“, Äthenäum 1988. – Richard Barth/Friedemann Bedürftig „Zweiter Weltkrieg. Taschenlexikon, Pieper 2000. – Joseph Wulf „Das Dritte Reich und seine Diener”, Araniverlag 1961. – Staatsarchiv Nürnberg, Sammelbestand Anklagebehörde bei dem Sondergericht Nürnberg.