Von Hans Wirsching (†)
Gegen 9 Uhr früh hatten die amerikanischen Truppen die Stadt von Osten, Norden und Westen umgangen und rückten sternförmig zum Marktplatz vor. Am Rathaus unter der Altane war die Schutzpolizei in Linie aufgestellt und der Führer derselben stellte sie dem amerikanischen Offizier zur Verfügung. Dieser ließ sofort die Waffen ablegen. Die Polizeiwache wurde von den Truppen besetzt.
Der erste Auftrag an die Polizei war, die Bevölkerung aufzufordern, alle Waffen sofort auf der Polizeiwache abzugeben. Dieser Auftrag wurde in den verschiedenen Straßen und Gassen je durch einen Polizeibeamten in Begleitung eines amerikanischen Soldaten ausgeführt. Am gleichen Tag musste die Polizei nachmittags die Uniform ablegen und Zivilkleider anziehen, sowie eine Armbinde mit der Aufschrift „Hilfspolizei“ tragen. Der Dienst für die Polizei wurde von 8 bis 19 Uhr festgesetzt.
Gegen 10 Uhr hatte sich der Kommandeur der amerikanischen Truppen mit 6 bis 8 Mann in die Stadtkasse begeben, wo nach dem Brand vom 31. März 1945 die Verwaltung der Stadt untergebracht war, und verlangte, den Bürgermeister zu sprechen. Er fragte sodann, wer gestern Abend den Franzosen mit der Meldung geschickt habe, dass die Stadt von deutschen Truppen geräumt sei. Dieser hafte ihm dafür, dass seinen Soldaten keinerlei Widerstand geleistet werde. Nachdem diese Feststellung getroffen war, stellte ein anderer, den Kommandeur begleitender Offizier, der die C. I. C. (Sicherheitsdienst) führte, an den 2. Bürgermeister [Erhard] und den anwesenden Stadtamtmann [der Verfasser] eine Anzahl von Fragen, die Stadt, ihre Größe, Einwohnerzahl, Industrie, Anstalten usw. betreffend. Diese Erhebungen mussten der 2. Bürgermeister und der Stadtamtmann unterschreiben.
Der 2. Bürgermeister, wurde dann einstweilen mit der Weisung entlassen, dass er sich jederzeit zur Verfügung halten müsse. Dagegen hatte der Stadtamtmann da zu bleiben und die weiteren Anordnungen durchzuführen. Dem 2. Bürgermeister wurde am nächsten Tag eröffnet, dass er seines Amtes enthoben sei und die einstweilige Verwaltung der Stadt dem Stadtamtmann [Hans Wirsching] übertragen werde. Das wurde auch durch die Hilfspolizei und durch öffentlichen Anschlag bekannt gegeben.
Militärregierung richtete sich in der Herrngasse ein
Am 18. April 1945 wurde dann mit sofortiger Wirkung für Stadt und Kreis Rothenburg eine Militärregierung errichtet und als Amtssitz das bisherige Kreishaus, Herrngasse 17, bestimmt. Dort war auch der amerikanische Sicherheitsdienst (C. I. C.) untergebracht.
Der Stadtverwaltung wurde eröffnet, dass sie der Militärregierung unterstellt sei, ebenso der Kreis Rothenburg. Bei der C. I. C. hatten sich zur Auskunftserteilung – auf wessen Vorschlag ist nicht feststellbar – sieben Rothenburger zur Verfügung gestellt. Die schon vorbereiteten Anschläge über Waffenablieferung, Beschränkung der Ausgehzeiten, Abschaltung der Fernsprechanlagen, Einstellung des Post- und Bahnverkehrs, Verbot der Benützung privater Kraftwagen, Meldung aller militärisch ausgebildeter Personen zwischen 15 bis 60 Jahren, wurden ausgehängt. Auf der Polizeiwache wurde eine Waffenablieferungsstelle errichtet und manche alte historische Waffe, die zweifelsfrei nicht ablieferungspflichtig gewesen wäre, wurde hier abgegeben und sodann zerschlagen. Die amerikanischen Truppen quartierten sich in den hiesigen Schulen, im Wildbad und in der Flugmodellbauschule ein. Privatwohnungen wurden nur in vereinzelten Fällen und nur auf kurze Zeit in Anspruch genommen. Die Kampfwagen fuhren am Judenkirchhof [heute Schrannenplatz], auf dem Acker neben der Dreschhalle und in einem Garten an der Zierleinstraße auf.
Hotels wurden zu Reservelazaretten umfunktioniert
Der erste Gouverneur der Militärregierung Rothenburg war Oberleutnant Bull, der am 1. Oktober 1945 durch den Gouverneur Major Andersoen abgelöst wurde. Die Militärregierung legte großes Gewicht darauf, dass die in den hiesigen Reservelazaretten Luitpoldschulhaus, Oberschule, Flugmodellbauschule, Jakobschulhaus, Hotel Eisenhut, Hotel Bären, Hotel Ratskeller, Hotel Markusturm untergebrachten rund 900 verwundeten und kranken deutschen Soldaten als ihre Kriegsgefangenen verpflegt und betreut wurden. Nach kurzer Zeit wurden sie mit den Ärzten und dem Pflegepersonal durch amerikanische Fahrzeuge in das P. O. W.-Spital nach Bad Mergentheim verbracht. Nur die im Reservelazarett Städtisches Krankenhaus liegenden deutschen Schwerverwundeten blieben zunächst zurück.
Friedrich Hörner wurde einstweilen Rothenburgs Bürgermeister
Von besonderem Werte für die Militärregierung war auch, dass die Verwaltung wieder in Gang gesetzt wurde. Sie beauftragte den kommissarischen Bürgermeister, dass an Stelle der bisherigen Leiter der einzelnen Verwaltungsgebiete neue, politisch unbelastete Männer berufen würden. Auf Vorschlag wurden von der Militärregierung eingesetzt: für Landwirtschaft und Ernährung Schlachthofdirektor Dr. Hans Schlee; für Kohlenversorgung und den Betrieb der Städtischen Werke Kaufmann Karl Keitel; für Sicherheit (Polizei und Feuerwehr) Buchdruckereibesitzer Eduard Holstein; für Wirtschaft und Finanzen Fabrikbesitzer Dr. Julius Wünsch; für Schulangelegenheiten Hauptlehrer Ernst Keller.
Nun verlangte der Gouverneur Vorschläge von geeigneten, politisch unbelasteten Männern für die Stelle eines kommissarischen Landrats. Die ihm gemachten Vorschläge lehnte er aber ab und bestellte nach einem Vorschlag der ihm von dritter Seite gemacht wurde, am 25. April 1945 als einstweiligen Landrat den Stadtamtmann Wirsching in Rothenburg, als einstweiligen Bürgermeister der Stadt Rothenburg den Gastwirt Friedrich Hörner in Rothenburg. Damit beginnt die Periode einer neuen Verwaltung und mit deren Wiederanlauf Schwierigkeiten und Notlösungen der verschiedensten Art.
Dass ein Großteil der Stadt unversehrt blieb, wurde als Wunder angesehen
Zurückblickend auf diese Zeit, vor allem auf die Stunden schwerster Sorge, in denen man einen artilleristischen Angriff der vorrückenden amerikanischen Truppen als sicher annehmen musste, der dann auch dem Teil der Stadt, der bei dem Bombenangriff am 31. März 1945 unversehrt blieb, unheilbare Wunden geschlagen haben würde, war man zunächst nach der Besetzung der Stadt geneigt, an einen kaum zu glaubenden Glücksfall zu denken.
Erst nach drei Jahren erfuhr man, warum die amerikanischen Truppen so schonend vorgingen, wiederholt Parlamentäre schickten und die Übergabe der Stadt forderten, zumal bei ihrer erdrückenden materiellen Übermacht selbst eine Verteidigung der Stadt ihren Vormarsch nicht gehindert hätte. Wir danken dies, dass die Stadt Rothenburg als kostbares Schatzkästlein mittelalterlicher Geschichte erhalten blieb, dem nunmehrigen Schutzherrn der Stadt, Mr. John McCloy, jetzt Hoher Kommissar der USA. für die Bundesrepublik. Im Jahre 1948 erhielt nämlich der Vorsitzende des Künstlerbundes Rothenburg einen Brief von Mr. John McCloy folgenden Inhalts:
,,Im Bewußtsein der Schönheit und der geschichtlichen Bedeutung Rothenburgs befand ich mich gerade in jenem Augenblick auf einer Fahrt entlang der amerikanischen Front, als ein Angriff losgehen sollte, dem eine durch die Stadt Rothenburg hindurchgehende Feuerwalze voranzugehen hatte. Ich war damals stellvertretender Staatssekretär im Kriegsministerium und bat den kommandierenden General, ob es nicht möglich sei, die Beschießung der Stadt zu vermeiden. Er meinte, daß dies geschehen könne, wenn er die Gewißheit habe, daß die Stadt nicht als Stützpunkt für weiteren Widerstand dienen würde. Es wurden sofort Schritte unternommen, diese Absicht auszuführen. In Zusammenarbeit mit den Bewohnern der Stadt konnte diese dann vor drohendem Artilleriebeschuß bewahrt werden … Wenn General Devers damals nicht soviel besondere Aufmerksamkeit gezeigt hätte, hätten die Dinge sicher einen schlimmen Verlauf genommen.“
So hat sich das Wunder, das im Jahre 1631 die Stadt vor dem Untergang rettete, im Jahre 1945 wiederholt und die Ursache dieser Wunder war die Liebe, 1631 die Liebe zur Vaterstadt, 1945 die Liebe zum Schönen und zur alten Stadt.
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Nachbemerkung: Bezeichnend und aus heutiger Sicht nachdenkenswert ist die Einstellung der Menschen in den Nachkriegsjahren, wenn sie über die vergangene Zeit reflektieren. Die eigene Not, verursacht durch den Feind, steht im Mittelpunkt ihrer Wahrnehmung. So steht auch im Nachsatz des 1950 erschienenen und hier wiedergegebenen Artikels, dass fünf Jahre nach dem Kriegsende die „Einwohnerschaft von Stadt und Land […] noch einmal an die schweren Tage von damals“ zu erinnern sei. Das Leid derer, in das die „Bevölkerung von Stadt und Land“ die jüdischen und anders denkenden Mitbewohner Jahre zuvor gestürzt haben, findet keine Erwähnung. Das Thema wurde jahrzehntelang unterm Teppich und aus Veröffentlichungen gehalten. Auch aus diesen Gründen sind die Berichte jener Anfangsjahre der Bundesrepublik authentische Zeugnisse (W. St.).
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Quelle: Text mit freundlicher Genehmigung dem 1950 im Gebr. Holstein Verlag Rothenburg erschienenen Band „Rothenburg ob der Tauber. Schicksal einer deutschen Landschaft“ entnommen. Wegen der Länge des Artikels wurde er von der Redaktion in dieser Internetversion geteilt und die Nachbemerkung hinzugefügt.