Linus Memmel – Der gebürtige Rothenburger Jurist wollte als Bundestagsabgeordneter die Todesstrafe wieder einführen. Das politische Raubein scheiterte kläglich

Von Wolf Stegemann

Er lernte auf der Universität,  was die Nationalsozialisten unter Recht verstanden haben und übte nach seinem zweiten Staatsexamen 1941 als Staatsanwalt am Amtsgericht Rothenburg das aus, was ihm beigebracht worden war. Die Rede ist von Linus Memmel, geboren 1914 in Rothenburg ob der Tauber, der als Vorstandsmitglied der CSU-Landesgruppe im Bundestag 1961 zusammen mit anderen Abgeordneten Antrag auf Wiedereinführung der Todesstrafe stellte. Er starb 2004 mit 90 Jahren in Würzburg. Memmel war zweimal verheiratet. Er hatte aus 1. Ehe fünf Kinder und hinterließ 17 Enkel und 16 Urenkel.

Linus Memmel (19-2004)

Linus Memmel (1914-2004)

Er besuchte das Rothenburger Gymnasium

Linus Memmel besuchte das Progymnasium in Rothenburg und machte 1933 in Würzburg das Abitur, studierte an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Rechtswissenschaft, legte 1937 sein 1. Staatsexamen ab und schloss das Studium 1941 mit dem 2. Staatsexamen ab. Danach kam er als Staatsanwalt an das Rothenburger Amtsgericht und dann zur Staatsanwaltschaft beim Landgericht Nürnberg-Fürth, wo er 1944 zum Amtsgerichtsrat ernannt wurde. Zwischenzeitlich nahm er als Infanterieoffizier am Zweiten Weltkrieg teil und wurde mehrfach verwundet.

Nach dem Krieg war er von 1947 bis 1951 Staatsanwalt am Landgericht Würzburg, wurde 1951 erneut Amtsgerichtsrat und betätigte sich bis 1954 als Zivilrichter, danach bis 1957 als Strafrichter und Vorsitzender des Jugendschöffengerichts Würzburg. Als Jugendrichter fiel er durch seine Urteile auf. So hatte er zum Beispiel Jugendlichen, die einen Verkehrsunfall mit Todesfolge verursacht hatten, zur Auflage gemacht, dass sie sechs Wochen das Grab des Opfers pflegen mussten.

Der Jurist engagierte sich in der Bayernpartei und in der CSU

Linus Memmel war Mitglied des Präsidiums des Deutschen Atomforums und Vorsitzender des DJK-Verbandes für Würzburg. Zudem engagierte er sich in der jungen Bundesrepublik schon bald auch politisch. Er schloss sich zunächst der Bayernpartei in Unterfranken an, deren Vorsitzender er wurde, war von 1952 bis 1957 Ratsmitglied der Stadt Würzburg, wechselte 1953 zur CSU, die ihn von 1963 bis 1968 in den Landesvorstand wählte. Noch 1953, kurz bevor er die Fronten wechselte, hatte die CSU in einem Flugblatt über ihn geschrieben, er führe einen Wahlkampf, „dessen Niveau für jeden Anständigen erschütternd ist. Wir wählen keinen Bürokraten, […] der nirgends ernst genommen wird.“ Mit diesem Niveau, mit dem ihn die CDU 1953 beschimpfte, als er noch ihr  politischer Konkurrent war, sollte Linus Memmel in seiner politischen Laufbahn mehrmals anecken.

Dem Deutschen Bundestag gehörte Memmel von 1957 bis 1976 an. Von 1961 bis 1969 war er Vorstandsmitglied der CSU-Landesgruppe im Bundestag, wo er den Wahlkreis Würzburg vertrat. In der dritten Legislaturperiode brachte der Jurist mit seinen Parteikollegen Friedrich Bauereisen, Richard Jaeger, Franz Xaver Unertl und Albrecht Schlee einen Antrag zur Wiedereinführung der Todesstrafe bei Mord ein. Erfolglos. Er wurde nicht einmal beraten. Schon 1952 wurde im Bundestag über Anträge zur Wiedereinführung der Todesstrafe debattiert und sie mehrheitlich abgelehnt (siehe „Zur Sache” am Ende des Artikels).

Mit dem Nachrichtenmagazin SPIEGEL legte sich Memmel schon 1960 an, als sein CSU-Chef und Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß gesetzwidrig mit Polizei und Justiz gegen den SPIEGEL vorging. Linus Memmel sagte damals bei einem Empfang, den er  Rechtsreferendaren seines Wahlkreises in seinem Bundeshaus-Zimmer gewährte, dass der SPIEGEL finanziell erledigt sei, wenn es der Bundesregierung gelänge, das Erscheinen dieses Nachrichten-Magazins nur zweimal zu verhindern (DER SPIEGEL, 47/1960).

Im Laufe einer langen und langwierigen Auseinandersetzung eines Würzburger Arztes mit der Würzburger Justiz 1962, beschuldigte der Arzt einzelne Richter in Würzburg namentlich, in der NS-Zeit und im Krieg in Unrechtsurteile (auch gegen Juden) verstrickt gewesen zu sein. Dem Rothenburger Linus Memmel warf er vor, seine frühere NSDAP-Mitgliedschaft verschwiegen zu haben. Die Information hatte der Würzburger Arzt aus Akten, deren Inhalt ihm aus der DDR zugespielt worden waren (Marc von Miquel in „Ahnden oder amnestieren?“).

1964 machte Linus Memmel, mittlerweile 50 Jahre alt, erneut negative Schlagzeilen. Als Mitglied einer Delegation von Bundestagsabgeordneten, welche die Olympischen Spiele in Tokio besuchte, züchtigte er um Mitternacht in der Bar des Hotels „Fairmont“ einen Stuttgarter Holzkaufmann mit einer Ohrfeige, weil der Schwabe den Abgeordneten gefragt hatte: „Was tut so ein alter Dackel auf Staatskosten bei der Olympiade?“

Gegen Herabsetzung des Volljährigkeitsalters

Von 1961 bis 1965 war der „Todesstrafen“-Memmel Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Familien- und Jugendfragen. Gegen das Votum seiner Partei lehnte er die Herabsetzung des Wahlalters von 21 Jahren auf 18 Jahre ebenso ab wie die des Volljährigkeitsalters. Memmel trat engagiert für seine Überzeugungen ein. Auch 1969, als er gegen die große Koalition stimmte. Memmel war von 1963 bis 1965 Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarats und der Westeuropäischen Union. Von 1966 bis 1977 war er Mitglied des Europäischen Parlaments. Ausgezeichnet war er mit dem Bayerischen Verdienstorden (1968), dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse (1968) und dem Großen Bundesverdienstkreuz (1973). – Linus Memmel starb nach einem Sturz in einem Krankenhaus in Würzburg.

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Zur Sache: Todesstrafe in der Bundesrepublik

Mit der Gründung der Bundesrepublik wurde die Todesstrafe durch die Einführung des Grundgesetzes (Art. 102) 1949 abgeschafft. Die letzten Todesstrafen in diesem Gebiet wurden zwischen 1946 und 1949 im Rahmen der „Nürnberger Prozesse“ gegen ehemalige Nazi-Größen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vollstreckt. In West-Berlin das wegen des Vier-Mächte-Status bis 1990 nicht in den Geltungsbereich des Grundgesetzes einbezogen war, wurde am 12. Mai 1949 als Letzter ein 24-jähriger Raubmörder hingerichtet. 1951 trat in West-Berlin das Gesetz über die Abschaffung der Todesstrafe in Kraft. Bestehende Todesurteile wurden schon vorher in lebenslange Haftstrafen umgewandelt.

Immer wieder Versuche, die Todesstrafe wieder einzuführen

Artikel 102 des Grundgesetzes ist einfach und eindeutig: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“ Die Väter des Grundgesetzes hatten sich auch unter dem Eindruck der vielen Todesurteile in den Jahren der Naziherrschaft klar positioniert. Doch viele Bundestagsabgeordnete teilten diese Auffassung in den 50er-Jahren nicht (mehr). Immer wieder tauchte das Thema auf der Tagesordnung des Parlamentes auf.

Schon 1952 debattierten die Abgeordneten über zwei Anträge, die die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Bundesrepublik zum Ziel hatten. Die Fraktion der an der Regierung beteiligten Deutschen Partei (DP) forderte die Aufhebung des Artikels 102 GG, der die Todesstrafe verbietet (Drucksache 3679). Einige Abgeordnete der Bayernpartei sowie der CSU gingen mit ihrem Antrag differenzierter vor. Sie wollten dem bestehenden Artikel 102 als Absatz 2 ergänzend anfügen: „Dies gilt nicht für die Verbrechen des Mordes und des Menschenraubes. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz“ (Drucksache 3702).

In der ernsthaft geführten Debatte sprach sich keine Fraktion geschlossen für die Todesstrafe aus. Selbst in der DP sowie der CDU/CSU fanden sich Gegner. Bei den Freien Demokraten gingen die Meinungen völlig auseinander. Die SPD-Fraktion und die KPD-Abgeordneten lehnten geschlossen beide Anträge zur Einführung der Todesstrafe ab.

Justizminister Dr. Thomas Dehler: Drei Thesen gegen die Todesstrafe

Rückblickend gesehen hielt Dr. Thomas Dehler von der FDP die eindrucksvollste Rede gegen die Todesstrafe. Er erntete mehrmals den zustimmenden Beifall der Sozialdemokraten, die normalerweise den Bundesjustizminister scharf kritisierten. Der FDP-Politiker führte ausführlich alle Gründe und Erfahrungen an, die gegen die Todesstrafe sprechen.  Er griff weit in die Geschichte zurück, sprach vom Mittelalter, öffentlichen Hinrichtungen, der Paulskirche sowie der Entwicklung nach 1933. „Sie wissen es ja alle“, wandte sich Dehler an die Abgeordneten. „In den Jahren 1933 bis 1945 sind in Deutschland rund 16.500 Todesurteile gefällt worden.“

Knappe Mehrheit gegen die Ergänzung des Artikels 102 

Nach der Debatte wurde abgestimmt, ob die Vorlagen an den Rechtsausschuss überwiesen werden sollten. Die Mehrheit der Abgeordneten war in beiden Fällen gegen eine Überweisung. Im Fall des Antrages auf Drucksache 3702, der eine Ergänzung des Grundgesetzartikels 102 vorsah, musste durch Hammelsprung entschieden werden. Das Ergebnis war knapp. 146 stimmten für eine Überweisung, 151 dagegen. Zwei Mitglieder des Hauses hatten sich enthalten.

Beide Anträge scheiterten erneut am 30. Oktober 1952 in der zweiten Beratung, die allerdings ohne Aussprache stattfand. Für die Wiedereinführung der Todesstrafe stimmten die DP, Teile der FDP, der FU und der CDU/CSU, während sich SPD und KP geschlossen dagegen aussprachen. Der Antrag der Deutschen Partei auf generelle Einführung der Todesstrafe wurde mit 216 gegen 103 bei 10 Enthaltungen und der Antrag der Föderalistischen Union, der die Einführung der Todesstrafe bei Mord und Menschenraub forderte, wurde mit 175 gegen 134 Stimmen bei 14 Enthaltungen abgelehnt. Damit waren diese Anträge endgültig erledigt.

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Quellen: DER SPIEGEL Nr. 39/1957. – Nachruf in der Main-Post vom 26. Juli 2004. – Wikipedia, Online-Enzyklopädie. – Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages 1949-2002, München 2002, S. 551. – DER SPIEGEL 47/1964. – Marc Miquel „Ahnden oder amnestieren? Justiz und Vergangenheitspolitik in den sechziger Jahren“, Wallstein 2004. – Information Christian Tauber (2015).
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