Militärverhältnisse in Rothenburg: Soldatenkameradschaft und Propaganda-Paraden, Kriegsterminologie, Stationierung des Landesschützen-Bataillons 806

Major Kraus übergibt der Rothenburger Soldatenkmeradschaft 1935 am Marktplatz die Fahne

Major Kraus übergibt der Rothenburger Soldatenkmeradschaft 1935 am Marktplatz die Fahne

Von Wolf Stegemann

NSDAP-Kreisleiter Karl Steinacker sagte beim Empfang von Marine-Infanteristen auf dem Marktplatz: „Es gibt keine Stadt, wo sich der Gedanke der Wehrhaftigkeit mit dem Gedanken höchster Kultur so wunderbar vereint hat, wie in Rothenburg.“ (FA vom 6. Sept. 1937).

„Rothenburg ob der Tauber in Wehr und Waffen“ heißt ein Buch aus dem Jahr 1926. Es beschreibt die Kriegsverhältnisse der Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber bis zum 17. Jahrhundert. Die Stadt war immer gut gerüstet. Im Dritten Reich aber nicht, denn Rothenburg wurde keine Garnisonsstadt, so gern sie das vielleicht gewollt hätte. Der „Fränkische Anzeiger“ bedauerte dies und meinte, dass sich der Traum, Garnisonsstadt zu werden, nicht in Erfüllung gegangen sei, wo doch „Rothenburgs Bevölkerung […] von jeher das Militär (liebt)“. 1945 wälzte sich die unerbittliche Kriegsfront grausam über Rothenburg hinweg und hinterließ Tote, Schrecken und immensen Schäden (siehe die Artikel in der Rubrik „Das Ende“ in dieser Dokumentation).

Landesschützen in der Stadt, Jahr unbekannt

Landesschützen in der Stadt, Jahr unbekannt

1941 Landesschützen-Bataillon in Rothenburg stationiert

Wenn Rothenburg auch keine Garnison war, so war ab 1941 das Landesschützen-Bataillon 806 (VI/XIII in Wehrbereich XIII) in der Tauberstadt stationiert. Das Bataillon wurde bei Mobilmachung am 26. August 1939 im Wehrkreis XIII aufgestellt. Es gliederte sich anfangs in die 21. und 24. Kompanie. Ab Ende Oktober 1939 das Bataillon der Division z.b.V. 413 (zur besonderen Verfügung) . Standort war im März 1940 Nürnberg-Langwasser. Am 1. April 1940 wurde das Bataillon in Landesschützen-Bataillon 806 umbenannt, blieb aber weiter der Division z.b.V 413 unterstellt, wurde in Würzburg und ab 1941 in Rothenburg stationiert. Es unterstand dem Kommandeur der Kriegsgefangenen im Wehrkreis XIII. Ersatz erhielt das Bataillon aus dem Landesschützen-Ersatzbataillon 13. – Als Landesschützen wurden mehrerer Infanterieeinheiten des Heeres bezeichnet, die hauptsächlich aus älteren Wehrpflichtigen bestanden. Bei Kriegbeginn 1939 waren dies die 35- bis über 45-Jährigen. Ihre Ausrüstung bestand meist aus Beute-Waffen. Die auf Wehrkreisebene aufgestellten Landesschützen-Einheiten nahmen innerhalb des Wehrkreises Bewachungs- und Sicherungsaufgaben wahr und waren im Kampf höchstens zur Verteidigung besetzter Gebiete oder der deutschen Heimat eingesetzt. Allerdings sind sie nicht mit dem Volkssturm gleichzusetzen, der eine milizähnliche NSDAP-Organisation war und nicht aus regulären Wehrmachteinheiten bestand.

Wehrmacht marschiert durch die Herrngasse in Rothenburg ob der Tauber

Wehrmacht (Landesschützen) marschiert durch die Herrngasse in Rothenburg ob der Tauber

Soldatenbund – Soldatenkameradschaft Rothenburg ob der Tauber

Eine Soldatenkameradschaft gab es in Rothenburg traditionsgemäß schon lange vor 1933. Sie gehörte dem größten Kriegerverband an, dem „Kyffhäuserbund der Deutschen Landeskriegerverbände“, der sich später „Deutscher Reichskriegerbund Kyffhäuser“ nannte. Schon in der Weimarer Republik bekannte sich der Verband frühzeitig zum Nationalsozialismus und ebnete ihm den Weg. Ihm gehörte als Landesgliederung der Bayerische Soldatenbund mit seinen 3.209 Vereinen an, darunter die Rothenburger.

Nach 1933 mussten die „Kyffhäuser“ eine SA-ähnliche Uniform mit Hakenkreuzbinde tragen. Ebenso wurden die bisher existierenden Landes-Kriegerverbände 1934 abgeschafft und in Angleichung an die bestehende SA-Gruppeneinteilung neue Landesverbände geschaffen. Dieser Maßnahme folgten die Änderung der Bezeichnung Verein in „Krieger-Kameradschaft“ und die Auflösung der Frauengruppen, deren Aufgaben von der NS-Frauenschaft übernommen wurde.

Vereidigung auf dem Marktplatz (Soldatenkameradschaft)

Vereidigung auf dem Marktplatz (Soldatenkameradschaft)

Anweisung des Generalkommandos, nunmehr NS-Soldatenbünde zu gründen

Trotz Kriegspropaganda mochte die Mehrheit der Volksgenossen 1935/36 an den Ernstfall eines Krieges nicht wirklich gedacht haben, als sie die Aufrüstung in Deutschland mit der militärischen Rheinlandbesetzung, Einführung der Wehrpflicht (1935) u. a. bejubelte. Doch die Führungsstäbe von Partei und Wehrmacht hatten die soldatisch-propagandistische Mobilisierung der Deutschen für den lange geplanten Krieg bereits organisiert. Daher hatte das Generalkommando VII auch die Anweisung erlassen, in allen Städten und Bezirken ohne Truppen und Ersatzdienststellen von den Ortgruppenführern des Reichstreubundes (Zusammenschluss ehemaliger Berufssoldaten) nationalsozialistische Soldatenvereine gründen zu lassen. Da in Rothenburg keine Truppen lagen, war die Stadt dabei. Die Organisation der Gründung und die Leitung der nunmehr strikt politisch nationalsozialistisch aufgebauten „Soldatenkameradschaft“ übernahm Leutnant a. D. Pfitzinger. Er lud am 14. Juni 1936 Weltkriegsteilnehmer, Mitglieder der bestehenden Kriegerkameradschaft Kyffhäuser, Reserve-Unteroffiziere und Offiziere der Wehrmacht und andere Interessenten ins „Putz’sche Bierstüble“ am Kapellenplatz ein. Auf einem Plakat, das zum Beitritt aufrief, prangte das neue „Hoheitszeichen der Bewegung“ mit dem Eisernen Kreuz im Reichsadler. Eigentlich sollte das Trompeterkorps des Artillerieregiments in Nürnberg schneidig blasen, doch die kamen dann nicht, so dass der Rothenburger HJ-Musikzugführer Weigel Soldatenlieder am Klavier spielte.

Übergabe der Fahne an den Rothenburger Soldatenbund

Ähnlich wie der eingangs zitierte Kreisleiter Karl Steinacker äußerte sich der „Fränkische Anzeiger“ am 25. Mai 1937. Seine Berichterstattung über die Feierstunde der Fahnenübergabe an die Rothenburger Soldatenkameradschaft beginnt mit dem oben bereits erwähnten Satz „Rothenburgs Bevölkerung liebt von jeher das Militär“ und fährt fort:

„Ein Traum von alt und jung, Militär in unsere Stadt zu bekommen, ging ja leider nie in Erfüllung. Umso größer ist dann jedes Mal die Freude, wenn aus irgendeinem feierlichen Anlass oder aus Anlass einer Übung Militär in die Stadt kommt. So war es denn am gestrigen Sonntag in keiner Weise verwunderlich, dass viele Rothenburger und voran unsere Jugend ab der 9. bzw. 10. Morgenstunde auf den Beinen war und voll Spannung des Augenblicks harrte, da schneidige Militärmusik im alten Städtchen erklang, da die Straßen vom Marschtritt unserer jungen Wehrmacht widerhallten. Alle Straßen, die die Wehrmacht und der Soldatenbund und mit ihm Abordnungen der nationalsozialistischen Verbände passierten, waren zu beiden Seiten dich umsäumt und begeistert öffneten sich alle Fenster: Freudig entbot man den Soldaten und den Angehörigen der Gliederungen der Bewegung den deutschen Gruß.“

Marine-Abteilung zu Besuch in Rothenburg

Marine-Abteilung zu Besuch in Rothenburg

Grund für den martialischen Auftritt der Soldaten war die Übergabe einer Fahne an die Rothenburger Soldatenkameradschaft im Soldatenbund durch den Ansbacher stellvertretenden Standortführer, Major Krauß. Der Zug setzte sich vom Gasthof zur Post zum Marktplatz in Bewegung. Eine Artillerieabteilung trug an der Spitze die zu übergebende Fahne. Mit aufgepflanzten Bajonetten folgte die Wehrmachtabteilung, dann kam der Rothenburger Soldatenbund, angeführt von Offizieren im Beurlaubtenstand. Auch war eine Abordnung des der Ansbacher Soldatenbundes dabei, Danach kamen – Fahnen tragend – die SA, eine Ehrenschar der Hitlerjugend, die Militär-Kameradschaften, Abordnungen der Sanitätskolonne und der Feuerwehr und den Schluss bildete der Reichsarbeitsdienst mit geschultertem Spaten.

Am Marktplatz hatte sich mittlerweile unter vielen Schaulustigen NSDAP-Kreisleiter Karl Steinacker mit seinem Stab eingefunden, die Führer der Parteigliederungen, Bürgermeister Dr. Friedrich Schmidt, der Rothenburger Generalleutnant von Staudt und mit ihm ehemalige Offiziere des alten kaiserlichen Heeres. Nach der Begrüßung schritt Major Krauß unter den Klängen des Präsentiermarsches die einzelnen inzwischen angetretenen Abteilungen ab und hielt dann eine Rede (Auszug):

„Noch nicht ein Jahr ist es her, da stand ich mit meiner Truppe auf dem großen Manöverfeld bei Kassel, wo unser höchster Führer von Volk und Heer die ersten Fahnen und Standarten an seine neue Wehrmacht übergab. Triumph und Freude erfüllte uns damals, als uns die Symbole und Feldzeichen einer neuen herrlichen Zeit übergeben wurden. Wenn auch im modernen Krieg die Fahne nicht mehr das Feldzeichen im Schlachtengetümmel voranweht […] so bleibt sie im Frieden für den Soldaten doch das hehrste Zeichen für Mut, Tapferkeit, Glauben an das Vaterland und Treue bis zum Letzten.“

Soldatenbund-Anstecker

Reichstreubund-Anstecker

Krauß erläuterte noch, was auf der Fahne zu sehen ist: das Eiserne Kreuz, unter dem Zeichen die deutsche Armee geachtet und gefürchtet war, und das Hakenkreuz, dass im Kampfe der Bewegung voranflatterte. „Unter beiden Kreuzen sind tapfere Männer gefallen. Dann übergab er nach Kommandos „Stillgestanden“ an den Kameradschaftsführer des Rothenburger Soldatenbundes, Leutnant a. D. Pfitzinger, die Fahne in „Schicksalsverbundenheit mit der Wehrmacht“.

Wehrmacht nach den Grundsätzen neuzeitlicher Kriegsführung errichtet

Pfitzinger eröffnete mit „einem Gruß an den Führer“ die Versammlung, nicht ohne die anwesenden Vertreter der NSDAP-Kreisleitung, des Bezirksamts, der Stadtverwaltung, des Luftsportverbands, des Luftschutzbundes sowie aller anderen Gliederungen der Partei und des Kyffhäuserbundes mit einem „Sieg Heil“ zu grüßen. Aufgabe der Zweivereine des Soldatenbundes war es, eine Vereinigung für alle aus dem Heer ausscheidenden Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften „im Geiste soldatischer Kameradschaft“ zu schaffen, die mit der aktiven Truppe eine „lebendige Verbindung“ zu pflegen hatte.

„Der Deutsche der Zukunft soll seinen Weg über den Arbeitsdienst und die politischen Gliederungen der Partei und über die Wehrmacht gehen. […] Der deutsche Mann soll nicht nur während seiner Dienstzeit und im Ernstfalle, sondern auch im ganzen Leben, ob er nun hinter dem Pflug, in der Werkstätte oder auf dem Büro seinen Dienst versehe Soldat sein.“

Fahne des Soldatenbundes

Fahne des Soldatenbundes

Pfitzinger mahnte noch, dass eine gute Zusammenarbeit mit der Partei, SA, SS und den Verbänden im Kyffhäuserbund sowie mit allen übrigen Behörden selbstverständlich sei.  „Eine starke deutsche Wehrmacht mit einer starken Luftwaffe, gegliedert nach den Grundsätzen neuzeitlicher Kriegsführung schützt heute unsere Grenzen zu Wasser, zu Lande  und in der Luft.“ Am Ende seiner Rede rief Pfitzinger dazu auf, am Aufbau des Dritten Reiches mitzuhelfen: „Vorwärts im Sinne unseres Führers Adolf Hitler für Freiheit und Frieden, für unser geliebtes Deutschland!“ – An diesem Abend trugen sich 91 Gründungsmitglieder in die Gründungsliste der neuen nationalsozialistischen Soldatenkameradschaft ein.

Marine-Infanteristen marschierten durch die Stadt

Unter den vielen Besuchern der Stadt aus allen Teilen des deutschen Reiches waren neben politischen NS-Organisationen auch immer mehr militärische Einheiten, deren Aufmarsch in der Stadt propagandistische genutzt wurde, um eine Stimmung zu entfachen, die Vertrauen in die „Waffenträger“ des Regimes schaffen sollte,  um so bei dem bereits geheim geplantem Kriegsbeginn eine ängstliche und somit negative Reaktion in der Bevölkerung gar nicht erst aufkommen zu lassen. Im September 1937 marschierten 1.000 Marineinfanteristen durch die Stadt und nahmen auf dem Marktplatz kompanieweise Aufstellung. Ihnen zu Ehren trat dann der „Schäfertanz“ auf und es wurde das historische Festspiel „Der Meistertrunk“ gezeigt. Der NSDAP-Kreisleiter Karl Steinacker sagte beim Empfang der Marine-Infanteristen den eingangs erwähnten Satz, der im „Fränkischen Anzeiger“ am 6. September 1937 veröffentlicht wurde: „Es gibt keine Stadt, wo sich der Gedanke der Wehrhaftigkeit mit dem Gedanken höchster Kultur so wunderbar vereint hat, wie in Rothenburg.“

Mitgliedausweis des Soldatenbunes

Mitgliedausweis des Soldatenbunes

1938 – NS-Reichskriegerbund („Kyffhäuserbund) e.V.

Mit der Verordnung vom 4. März 1938 wurden alle Soldatenbünde in den NS-Reichskriegerbund eingegliedert. Nur die NS-Kriegsopferversorgung (NSKOV)  mit ihren Sonderaufgaben für Kriegsbeschädigte blieb neben dem NS-Reichskriegerbund bestehen. Der NS-Marinebund und der Deutsche Kolonialkrieger-Bund durften ihre Namen behalten, mussten sich aber organisatorisch dem Reichskriegerbund unterstellen. Durch Anordnung Hitlers wurde der „Deutsche Reichskriegerbund Kyffhäuser“ am 4. März 1938 in „NS-Reichskriegerbund Kyffhäuser“ umbenannt. Er blieb der alleinige große Soldatenbund mit weit über drei Millionen Mitgliedern. Innerhalb dieses Bundes blieb eine nachgeordnete bayerische Gliederung mit Unterverbänden bis auf Kreisebene bestehen. Nach der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad wurde der „Kyffhäuser“ 1943 auf Reichsebene aufgelöst und so auch der Bayerische Kriegerbund endgültig zerschlagen. Das Vermögen wurde auf die NSDAP übertragen. Nur die lokalen Vereine blieben bestehen, wie die Rothenburger Soldatenkameradschaft. Sie wurde allerdings der Partei unterstellt. Diese Soldatenbünde auf lokaler Ebene bildeten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs den Grundstock für Volkssturmeinheiten.

Kyffhäuser nach 1945 wiedergegründet

Durch das Kontrollratsgesetz Nr. 2 (Auflösung und Liquidierung der Naziorganisationen) vom 10. Oktober 1945 werden alle Organisationen und Einrichtungen, die der nationalsozialistischen Herrschaft gedient hatten, „abgeschafft und für ungesetzlich erklärt“, so unter anderem auch der NS-Reichskriegerbund. 1952 begann die Wiedergründung des Verbandes mit allen Landesverbänden. Heute betont er seine Rolle als Reservisten- und Schießsportverband.

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Quellen: Fränkischer Anzeiger „Der Soldatenbund, Soldatenkameradschaft Rothenburg“ erhält seine Fahne – Ein militärisches Schauspiel für die ganze Stadt“ vom 25. Mai 1937. –Ebenda „Die Soldatenkameradschaft Rothenburg o. Tor. Und Umgebung im Soldatenbund ist gegründet“ vom 15. Juni 1936. –Werner Bramme: „Die Funktion des Kyffhäuserbundes im System der militaristischen Organisationen in der Weimarer Republik“ in: Zeitschrift für Militärgeschichte 10 (1971). – Dieter Fricke/Werner Bramme: „Kyffhäuser-Bund der Deutschen Landeskriegerverbände“ in: Dieter Fricke u. a. (Hg.), Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789-1945). 3. Band, Leipzig 1985.
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