Von Wolf Stegemann
Von denen, die nationalsozialistische Ideologie mit rabiatem Handeln in Rothenburg durchsetzten und ausweiteten, wie beispielsweise der Lehrer und Ortsgruppenleiter Fritz Götz, gehörte Kreisleiter Karl Steinacker neben seinem kommissarischen Nachfolger Fritz Höllfritsch zu den rabiatesten, die ohne Skrupel Macht ausübten und Andersdenkende unterdrückten. Gauleiter Julius Streicher machte ihn am 1. August 1935 zum NSDAP-Kreisleiter. In der Parteihierarchie kamen die Kreisleiter gleich unter dem Gauleiter und beherrschten die Ortsgruppen mit ihren Zellen- und Blockleitern. Julius Streicher:
„Wir holten Parteigenossen Steinacker als Kreisleiter hierher, einen Mann, der einst als junger Parteigenosse, ganz auf sich allein gestellt, ohne Auftrag in Dinkelsbühl den Kampf aufgenommen hat.“ Und: „Er hat an der Front sich das Recht geholt, dass man an ihn denkt in dieser Stunde. Wer ihm nicht gehorcht, gehorcht mir nicht und damit nicht dem Führer“ (Fränkischer Anzeiger von 6. November 1937).
Kreisleiter blieb Karl Steinacker nominell bis zum Kriegsende. Während seiner Abwesenheit, als er zur Wehrmacht ging oder in Partei-Zentralen abgeordnet wurde, blieb er nominell Kreisleiter. Seine „Nachfolger“ waren lediglich kommissarisch im Amt, hatten aber das volle Entscheidungsrecht.
Mitbegründer der Dinkelsbühler NSDAP-Ortsgruppe
Karl Steinacker, 1909 in Dinkelsbühl geboren, besuchte dort die Volks- und Mittelschule. Mit jungen Jahren kam er zur Hitler-Bewegung und war mit 15 Jahren bereits Mitglied des Bundes Oberland. 1927 trat er in die NSDAP ein und war im gleichen Jahr Mitbegründer der Dinkelsbühler NSDAP-Ortsgruppe. Er blieb dort stellvertretender Ortsgruppenleiter, war Presse- und Propagandaleiter sowie Schulungsleiter und Kreisredner. Karl Steinacker absolvierte die Landesführerschule der Partei und SA in Hirschberg (Niederschlesien).
Arbeitsdienst und Gauleitung
In der „Kampfzeit“ stand er des Öfteren vor Gericht und wurde auch wegen Landfriedensbruch und Gewalttätigkeiten verurteilt. Im Oktober 1933 war er Gast Adolf Hitlers anlässlich der Tagung der 350 dienstältesten Amtswalter des Reiches. Steinacker zog es zum Arbeitsdienst. Im Herbst 1934 meldete er sich freiwillig in eines der ersten Arbeitsdienstlager Deutschlands, in die „Friedrich-List-Kameradschaft“ Reutlingen. Am 1. März wurde er in die Gauleitung Franken nach Nürnberg berufen und arbeitete dort in allen Dienststellen. Nach dem Weggang von Karl Zoller kam er am 1. August 1935 zunächst als kommissarischer Kreisleiter nach Rothenburg, wo er sich zu Weihnachten 1936 mit Else Herrscher vermählte und in der Hirtengasse – später in der Burggasse – wohnte. Zudem war er NSDAP-Oberbereichsleiter und Standartenführer. Als solcher war er der mächtigste Mann in der Tauberstadt.
In Rothenburg wurden im die Fensterscheiben eingeschlagen
Dennoch war er das Ziel von Unbekannten, die ihn in seiner Häuslichkeit in der Burggasse ärgerten. Die Polizei wertete dies als Schabernack. Vielleicht gab es auch hintersinnigere Gründe, den mächtigen Kreisleiter zu ärgern. Im eigens angelegten Polizeibuch für Straftaten mit politischem Hintergrund steht am 8. April 1937 die Eintragung:
„Der Kreisleiter Karl Steinacker hat heute Abend mitgeteilt, dass, seit er die Wohnung in der Burggasse bezogen habe, fast kein Tag vergehe, wo ihm nicht ein Schabernack gespielt werde. So hätten sie ihn schon mehrere Fensterscheiben eingeworfen. U. a. hätten sich vor nicht allzu langer Zeit nachts einmal 2 Mannspersonen auf seinem Balkon zu schaffen gemacht. Ferner wurde vor einigen Tagen nachts kurz nach 23 Uhr von der Burggasse aus mit einer Taschenlampe die Wohnung abgeleuchtet. Gestern am 7. 4. 37 seien 4 Türriegel spurlos verschwunden. Heute am 8. 4. abends sei er abends nach Hause gekommen u. sei wiederum eine Fensterscheibe eingeworfen worden. Allerdings nicht in seiner Wohnung, sondern in der, der Haushälterin Blumenstock. Nachdem er die meiste Zeit auswärts sei, seine Frau alleine daheim ist u. sich fürchtet, bittet er, dass die Schutzmannschaft in der Nacht sich des Öfteren in der Burggasse umsieht bezw. ihre Dienstgänge nach dort ausdehnt. Einen Verdacht gegen irgendeine Person kann der Kreisleiter nicht aussprechen. Helmschmidt, Pol.Hptw.“
Er ordnete die Vertreibung der Juden aus Rothenburg an
Er war verantwortlich für und beteiligt an allen Verbrechen der Nazis in Rothenburg. Im März 1938 wurde Steinacker in den Stab des von Hitler mit der Führung der NSDAP in Österreich kommissarisch beauftragten Gauleiter Bürckel nach Wien berufen. Nach Rothenburg zurückgekehrt, organisierte er im Oktober 1938 die gewaltsame und brutale Vertreibung der jüdischen Familien aus der Stadt, an der er sich auch tätlich beteiligte. Überhaupt stand bei ihm der Antisemitismus stets im Mittelpunkt seiner Aktionen.
Mitte 1940 wurde der Kreisleiter Soldat, nachdem er von der Gauleitung die Genehmigung dazu erhalten hatte. Bis zur Rückkehr vertrat ihn in Rothenburg Kreisamtsleiter Friedmann. Steinacker war zuletzt bei der Deutschen Waffenstillstandskommission im unbesetzten Gebiet Frankreichs tätig und kehrte am 1. März 1941 in die Tauberstadt zurück, wo er seine Tätigkeit als Kreisleiter wieder aufnahm.
Steinacker rückte zur Wehrmacht ein und kämpfte an der Ostfront
Im März 1942 rückte Karl Steinacker erneut zur Wehrmacht ein, kämpfte an der Ostfront. Ihn vertrat diesmal der Ansbacher Kreisleiter Wilhelm Seitz, der seinen NSDAP-Kreis Ansbach beibehielt. Steinacker kehrte auf Befehl der Parteikanzlei von der Ostfront Mitte 1944 in die Heimat zurück und tat mehrere Wochen Dienst in der Partei-Kanzlei München. In dieser Zeit hatte der Gaustudentenführer Erich Höllfritsch Rothenburgs Kreisleiter auf die Dauer dieser Berufung vertreten. Auf Anordnung des stellvertretenden Gauleiters Karl Holz kehrte Oberbereichsleiter Karl Steinacker am 1. September 1944 wieder in sein Amt als Kreisleiter nach Rothenburg zurück. Höllfritsch wechselte sodann in die Partei-Zentrale nach München. Erst als Karl Steinacker wieder an die Front ging, kam Erich Höllfritsch als kommissarischer Kreisleiter nach Rothenburg zurück und blieb es bis Kriegsende.
Nach dem Krieg kam der Kreisleiter vor der Spruchkammer glimpflich davon
Die Hauptspruchkammer Ansbach führte die Entnazifizierung Steinackers durch. Im Vorfeld veröffentlichte Bürgermeister Friedrich Hörner an der Rothenburger Bekanntmachungstafel (die Zeitung gab es noch nicht) eine Notiz, mit der Zeugen für die Hauptverhandlung in Ansbach gesucht wurden:
„Wer gegen den Genannten belastendes Material erbringen kann, wird gebeten, dies schriftlich beim Öffentlichen Kläger der Hauptkammer Ansbach, Jägergasse 20, einzureichen. 28. 2. 1949.“
Da damals der Weg für manche Rothenburger nach Ansbach sehr schwer zu bewältigen war, konnten sie sich auch bei der Polizei in Rothenburg melden und ihre Aussage machen. Dazu schrieb am 14. März 1949 der Polizei-Wachmeister Tripps an den Stadtrat:
„Verschiedene Leute könnten bei der Verhandlung gegen den ehemaligen Kreisleiter Steinacker als Zeugen auftreten, sie verweigern aber die Aussage, da sie bei verschiedenen Spruchkammerverhandlungen sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben.“
Der Öffentliche Kläger der Hauptkammer Ansbach, Nowak, forderte im Rechtshilfeverfahren von der Stadt Rothenburg am 9. Februar 1949 Ermittlungen gegen Steinacker durchzuführen. Darauf schrieb Bürgermeister Friedrich Hörner am 23. März 1949, dass Ermittlungen zum Auffinden von Belastungszeugen keinen Zweck hätten, da die „gesamte (Einwohner-) Registratur beim Fliegerangriff auf Rothenburg vernichtet worden ist“.
Mit falschen Angaben sich als städtischer Verwaltungsbeamter ausgegeben
In seinen Entnazifizierungsunterlagen schrieb Steinacker, dass er von 1924 bis 1941 in der Dinkelsbühler Verwaltung als Verwaltungsbeamter geführt wurde und somit finanzielle Ansprüche habe. Ab 1935, als er nach Rothenburg kam, sei die Anstellung formal aufrecht erhalten geblieben. In Dinkelsbühl war er allerdings nicht als Stadtbeamter registriert. Seine nach 1945 gemachten Angaben, er sei als Verwaltungsbeamter in der Rothenburger Stadtverwaltung tätig gewesen, lassen sich ebenfalls nicht belegen. Denn über ihn wurde in der Stadtverwaltung keine Personalakte geführt.
Ob es zur Spruchkammerverhandlung in Ansbach kam, ist hier nicht bekannt. Die Akten liegen im Hauptstaatsarchiv München. Bekannt ist aber, dass am 3. November 1949 die Hauptkammer Nürnberg im schriftlichen Verfahren Karl Steinacker als Aktivist beurteilt hatte. Zudem verurteilte die Kammer ihn für die Dauer von sechs Monaten zur Sonderarbeit für die Allgemeinheit und zu einer Geldsühne von 50 DM in einen Wiedergutmachungsfonds. Steinacker verlor seine eventuelle aus öffentlichen Mitteln zahlbare Pension oder Rente und durfte sich politisch nicht mehr betätigen. Auf die Dauer von fünf Jahren durfte er auch keine leitende oder kontrollierende Berufstätigkeit ausüben und weder als Lehrer, Pfarrer, Journalist noch als Rundfunkkommentator tätig sein. Auch durfte er kein Kraftfahrzeug halten und musste die Kosten des Verfahrens mit einem Streitwert von 4.000 DM übernehmen.
Dagegen legte Karl Steinacker bei der Berufungskammer Nürnberg Einspruch ein. Der VIII. Senat verwarf die Berufung am 30. Januar 1950 als unzulässig. So wurde der Spruch der Hauptkammer Nürnberg vom 3. November 1949 rechtskräftig. Dennoch fand am 30. August 1950 aus bislang hier nicht bekannten Verfahrensgründen bei der Hauptkammer München (H/E/8336/50) eine mündliche Verhandlung statt.
Karl Steinacker kam nach dem Anschluss des Sudetenlandes mit dem Militär am 3. 10. 1938 nach Falkenau a. d. Eger, um hier zusammen mit anderen Pg´s aus dem Altreich die Partei und ihre Gliederungen aufzubauen. Ende 1938 war diese Aufgabe beendet (kollidiert mit Aussagen im Text!).