Nach Beendigung des Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozesses fanden binnen drei Jahren vor dem amerikanischen Militärgerichten noch weitere zwölf so genannte Nachfolge-Prozesse gegen Verantwortliche des Deutschen Reiches zur Zeit des Nationalsozialismus im Nürnberger Justizpalast statt. Nachdem der bisherige amerikanische Hauptankläger, Robert H. Jackson, nach der Urteilsverkündung im Verfahren vor dem „Internationalen Militärgerichtshof“ am 17. Oktober 1946 sein Amt niedergelegt hatte, wurde Brigadegeneral Telford Taylor zum Hauptankläger für diese Nachfolgeprozesse ernannt. Angeklagt waren insgesamt 185 Personen: 39 Ärzte und Juristen (Fall I und III), 56 Mitglieder von SS und Polizei (Fall IV, VIII und IX), 42 Industrielle und Manager (Fall V, VI und X), 26 militärische Führer (Fall VII und XII), 22 Minister und hohe Regierungsvertreter (Fall II und XI).
Bad Windsheimer SS-Obergruppenführer verurteilt und in Polen gehängt
Von den Angeklagten wurden 35 freigesprochen, 24 zum Tode, 20 zu lebenslanger Haft und 98 zu Freiheitsstrafen zwischen 18 Monaten und 25 Jahren verurteilt. Am 31. Januar 1951 setzte der Hochkommissar John Jay McCloy, Ehrenbürger der Stadt Rothenburg, zahlreiche Strafen herab. Von den zum Tode Verurteilten, für die sich unter anderen der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer verwendet hatte, wurden zwölf hingerichtet, elf zu Haftstrafen begnadigt und einer an Belgien ausgeliefert, wo er in Haft starb. Der Bad Windsheimer SS-Obergruppenführer und Errichter des KZs Stutthof, Richard Hildebrandt, wurde im Prozess gegen das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt (Fall VIII) zu 25 Jahren Zuchthaus und Auslieferung an Polen verurteilt wurde. Dort wurde er zum Tode verurteilt und gehängt.
Das Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 bildete die rechtliche Grundlage für die Strafverfolgung durch die Justizbehörden in den vier Besatzungszonen. Die verfahrensrechtlichen Grundlagen für die Folgeprozesse in der US-Zone bildete die OMGUS-Verordnung Nr. 7 vom 26. Oktober 1946, die dem angelsächsischen Strafprozessrecht entsprach. Das „Office of Military Government for Germany (U.S.)“ (OMGUS; deutsch „Amt der Militärregierung für Deutschland, U.S.)“ war die höchste Verwaltungseinrichtung der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands. und des amerikanischen Sektors von Berlin in den ersten vier Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Hauptsitz von OMGUS war Berlin, zusätzlich gab es auch Außenstellen in Frankfurt am Main.
Manche Nachfolgeprozesse wurden nur noch halbherzig geführt
Gegen Ende des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher wurden die Spannungen zwischen den USA und der Sowjet-Union größer: der Kalte Krieg begann. In der Frage der deutschen Kriegsverbrechen gab es in den USA daher einen deutlichen Stimmungsumschwung. Dadurch entstand die Legende, die Folgeprozesse seien von Antikommunisten sabotiert worden. Eine konkrete Rückwirkung auf das amerikanische Nachfolgeprogramm konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Allerdings wurde die geplante Zahl an Prozessen auf zwölf reduziert. Gründe für diese Verringerung waren die Kürzung der Haushaltsmittel für die Prozesse auf die Hälfte, die der amerikanische Kongress 1947 vornahm, und der chronische Mangel an Richtern. Das oberste Gericht in den USA weigerte sich, Bundesrichter für die amerikanischen Militärgerichte zu entsenden mit der Folge, dass es immer wieder Schwierigkeiten gab, die einzelnen Kammern zu besetzen, und nur die „zweite Garnitur“ an Richtern zur Verfügung stand. In den Jahren 1946 bis 1949 wurden vom zwölf Verfahren auf den Weg gebracht:
Fall I: Ärzte-Prozess, 9. Dezember 1946 – 20. August 1947
Fall II: Milch-Prozess (Generalfeldmarschall Erhard Milch, 2. Januar – 17. April 1947
Fall III: Juristenprozess, 17. Februar – 14. Dezember 1947
Fall IV: Prozess Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS, 13. Januar – 3. November 1947
Fall V: Flick-Prozess (Flick-Konzern), 18. April – 22. Dezember 1947
Fall VI: I.G. Farben-Prozess, 14. August 1947 – 30. Juli 1948
Fall VII: Prozess Generäle in Südosteuropa (Geisel-Prozess), 15. Juli 1947 – 19. Februar 1948
Fall VIII: Prozess Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, 1. Juli 1947 – 10. März 1948
Fall IX: Einsatzgruppen-Prozess, 15. September 1947 – 10. April 1948
Fall X: Krupp-Prozess (Krupp-Konzern), 8. Dezember 1947 – 31. Juli 1948
Fall XI: Wilhelmstraßen-Prozess (Auswärtiges Amt und andere Ministerien), 4. November 1947 – 13. April 1949
Fall XII: Prozess Oberkommando der Wehrmacht, 30. Dezember 1947 – 14. April 1949
Kritik an den Prozessen mit juristischen Spitzfindigkeiten
Schon kurz nach den Nürnberger Gerichtsurteilen begannen westdeutsche Historiker und Juristen, die sich der Strafverfolgung entzogen hatten oder nicht verurteilt worden waren, mit juristischen Spitzfindigkeiten die Eindeutigkeit der Urteile zu relativieren, die Schärfe der Aussagen zu verwässern, um ihre Schuld (bzw. die ihrer Mittäter) von sich zu weisen, indem sie sich auf den Befehlsnotstand beriefen und damit die Alleinschuld an den Verbrechen den zum Tode Verurteilten in die Schuhe schoben.
Im Allgemeinen werden die Prozesse heute positiv bewertet, da erstmals die individuelle Schuld der Angeklagten untersucht wurde und Politiker und Militärs persönlich bestraft wurden. Nationale Gesetze oder das Innehaben eines staatlichen Amtes bieten seit den Nürnberger Prozessen keinen absoluten Schutz mehr vor Verfolgung durch das Völkerstrafrecht. Das Verfahren stellte somit eine wichtige Weiterentwicklung des Völkerrechts dar. Außerdem trug der Prozess auch zur Aufklärung der NS-Verbrechen bei. Was sich nur in geringerem Umfang durchgesetzt hat, ist die strafrechtliche Kodifizierung von Angriffskriegen. Hier kam es seitdem nur zum Gewaltverbot der UN-Charta und einer Einigung über die Definition staatlicher Aggressionen. Bis in die heutige Zeit wurde und wird aber auch Kritik an der Zielsetzung und den Methoden der Prozesse geübt.
Argumentation gegen die richterliche Allmacht in der Prozessordnung
Es wurde kritisiert, dass die Trennung von Verfasser der Prozessordnung und Richter nicht eingehalten worden sei. Weiterhin sprach die Prozessordnung den Angeklagten das Recht zu, sich nach freier Wahl ihre deutschen Verteidiger zu suchen, deren mögliche NSDAP-Mitgliedschaft einem Auftreten vor Gericht nicht entgegenstand. Der Militärgerichtshof entschied laut Artikel 24 des Statuts uneingeschränkt über die Zulassung von Beweismitteln. Artikel 18 legte fest, dass der Prozess auf eine beschleunigte Verhandlung zu beschränken sei. Im Artikel 19 stand, dass der Gerichtshof nicht an die üblichen Grundsätze der Beweisführung gebunden sei. Im Artikel 21 wurde geschrieben, „allgemein anerkannte Tatsachen“ müssten nicht mehr bewiesen werden. Die Verteidigung konnte mögliche Belastungen somit nur zur Kenntnis nehmen, durfte aber in dem Falle keine möglichen Gegenbeweise vorlegen, was die Möglichkeit der Berufung ausschloss.
Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung
Umstritten war auch das Verbrechen der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung, das so genannte „Organisationsverbrechen“. Es bewirkte, dass jeder aufgrund seiner Mitgliedschaft in einer NS-Organisation, die als Verbrecherische verurteilt worden war, wie die SS, in allen Staaten, welche das Statut unterzeichnet hatten, wegen der Zugehörigkeit zu dieser Organisationen verurteilt werden konnte. Bei der Verurteilung spielte es keine Rolle, ob der Angeklagte sich persönlich eines Verbrechens schuldig gemacht hatte (Artikel 9–11). In Deutschland wurde diese Möglichkeit allerdings nicht genutzt.
Verteidiger: Rechtsgrundsatz „Keine Strafe ohne Gesetz“ übergangen
Ein weiterer Rechtsgrundsatz, der bei den Prozessen übergangen worden sei, lautet nach Ansicht der Verteidiger der Angeklagten „Keine Strafe ohne Gesetz“. Kritisiert wurde, dass die Angeklagten teilweise für Verbrechen angeklagt wurden, die zum Zeitpunkt der Tat durch ein multilaterales Abkommen zwar verboten waren, aber für die kein Strafmaß festgelegt worden war. Dies bezieht sich insbesondere auf den Anklagepunkt „Führen eines Angriffskrieges (Verbrechen gegen den Frieden)“. Dazu schrieb die amerikanische „TIME“ im November 1945:
„Was immer für Gesetze die Alliierten für die Zwecke des Nürnberger Prozesses aufzustellen versuchten, die meisten dieser Gesetze haben zur Zeit, als die Taten begangen wurden, noch nicht existiert. Seit den Tagen Ciceros ist eine Bestrafung ex post facto von den Juristen verdammt worden“.
Dieses Argument wurde allerdings vom Militärgerichtshof zurückgewiesen unter Hinweis auf den lange schon geübten Brauch, Verstöße gegen die Haager Landkriegsordnung strafrechtlich zu ahnden, obwohl auch diese keine strafrechtlichen Bestimmungen enthielt. Eine Verletzung des Rückwirkungsverbotes wird auch heute von vielen Völkerstrafrechtlern verneint, da dieser Rechtsgrundsatz dem Schutz und der Rechtssicherheit des einzelnen Bürgers diene und gerade nicht die Bestrafung staatlicher Machthaber wegen von ihnen begangener Völkerrechtsverbrechen verhindere.
Beschränkung der Prozesse – Keine Anklagen wegen Judenmord
Darüber hinaus existiert auch eine andere Kritik an den Nürnberger Prozessen, die zum einen eine zu geringe Anzahl der Angeklagten und eine zu milde Bestrafung bemängelt. Eine weitere Hauptschwäche des Urteils sei der juristische Ansatz des Gerichts zur Bestrafung des Völkermordes an den europäischen Juden. Indem das Gericht Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur dann verfolgte, wenn diese in Verbindung mit einem Angriffskrieg begangen wurden, hat es alle Verbrechen, die vor dem 1. September 1939 begangen wurden, kategorisch von einer Bestrafung ausgenommen. Die vorhandenen Bezugnahmen auf die Shoa im Urteil würden weiterhin nicht der Einzigartigkeit dieses Verbrechens gerecht. In diesem Zusammenhang entspreche auch die Formulierung des Gerichts nicht dem enormen Unrecht des Holocausts, wenn es auf der einen Seite die Überschrift „Ermordung von Kriegsgefangenen“ gebrauche und auf der anderen Seite den Massenmord an den Juden nur unter dem Titel „Die Judenverfolgung“ behandele.
Namensliste der Angeklagten war exemplarisch
Zum ersten Mal in der Geschichte wurde bei diesen Prozessen von den Siegermächten versucht, die verantwortlichen Kriegsverbrecher gerichtlich zu belangen. Es gab bis dahin keinerlei Erfahrungswerte aus vergleichbaren früheren Prozessen. Dennoch wurde den damaligen Anklägern eine Reihe von juristischen Verfahrensfehlern vorgeworfen. Dazu gehörte die Auswahl der Angeklagten. Beispielsweise war die Liste der Angeklagten im Bereich Wirtschaft nur exemplarisch: es fehlten viele von mindestens gleichwertig belasteten Unternehmen. So z. B. die Deutsche Bank, deren Mittäterschaft spätestens seit der Auswertung der OMGUS-Akten (also noch vor der Urteilsverkündung) nachgewiesen wurde.
Auch eine in allen Punkten einheitliche, objektiv angewandte Prozessstrategie wurde angesichts der allgemeinen politischen Entwicklung für den Militärgerichtshof immer schwieriger. 1948 standen sich die ehemaligen Anti-Hitler-Koalitionäre bereits feindlich gegenüber: in den Westzonen wurde die Währungsreform durchgeführt, was die Sowjetunion mit der Blockade Berlins beantwortete und gleichzeitig mit Hochdruck an der Entwicklung ihrer ersten Atombombe arbeitete. Somit hatten die Westalliierten großes Interesse am Wiederaufbau einer starken Wirtschaft in Westeuropa, was auch die Verfolgung und Bemessung des Strafmaßes vor allem für die Wirtschaftsverbrecher beeinflusste.
Große Prozesse vor deutschen Gerichten begannen verhältnismäßig spät
Die Zuständigkeit deutscher Gerichte für NS-Verbrechen regelte sich nach den Kontrollratsgesetzen Nr. 4 vom Oktober und Nr. 10 vom Dezember 1945. Danach war die Verfolgung von NS-Straftaten gegen Angehörige der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen den deutschen Gerichten generell entzogen. Zur Aburteilung von Verbrechen gegen Deutsche konnten die Besatzungsbehörden deutsche Gerichte ermächtigen. In der britischen und französischen Zone wurde diese Ermächtigung generell, in der amerikanischen fallweise erteilt. De facto waren die deutschen Gerichte damit von der Verfolgung der Mehrzahl der NS-Verbrechen bis zum Ende der Besatzungszeit ausgeschlossen. Die Ausnahme bildeten Verfahren gegen die Täter der Novemberpogrome gegen die deutschen Juden von 1938, die seit 1946 überall in Gang kamen. Die großen Prozesse vor deutschen Gerichten begannen unverhältnismäßig spät. Die Belangung von Straftätern wurde durch die Regelung erschwert, dass deutsche Gerichte Fälle, die rechtskräftig von alliierten Tribunalen erledigt waren, nicht wieder aufgreifen durften. Das war als Sicherung gegen eine nachträgliche Abmilderung der Urteile gedacht gewesen; in der Praxis der Rechtsprechung gegen NS-Gewalttäter in der Bundesrepublik hatte es aber oft die Folge, dass in der Besatzungszeit Verurteilte und dann Amnestierte als Zeugen auftraten und nicht mehr belangt werden konnten, auch wenn neues Material auftauchte, das die Zeugen viel ärger belastete als die Angeklagten.
Rechtsgeschichtliche Bedeutung: Hinleitung zum Strafgerichtshof
Die Nürnberger Prozesse gelten als Durchbruch des Prinzips, dass es für einen Kernbestand von Verbrechen keine Immunität geben darf. Erstmals wurden die Vertreter eines zum Zeitpunkt ihrer Taten souveränen Staates für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen. Als „Nürnberger Prinzipien“ gingen die Grundsätze des Gerichts in das Völkerrecht ein. Die Nürnberger Prozesse sind somit Wegbereiter für die UN-Kriegsverbrechertribunale Jugoslawien, Ruanda und Sierra Leone sowie für das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs.
Deutschland hätte nach der Wiedervereinigung Urteile ändern können
Das Londoner Statut schrieb fest, dass die Urteile der Nürnberger Prozesse endgültig und nicht anfechtbar sein sollten. Bei der Wiedererlangung der vollen Souveränität durch die deutsche Wiedervereinigung wurde mit den Alliierten vertraglich geregelt, dass die Bundesrepublik Deutschland ohne Unterschied alliierte und bundesdeutsche Beschlüsse, Verordnungen und Gesetze ändern, streichen oder aufheben kann, solange sie sich dabei an die Vorgaben der parlamentarischen Demokratie hält. Die Urteile der Nürnberger Prozesse hätten also geändert werden können, blieben aber genau so, wie sie gefällt wurden.
Siehe auch:
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Quellen: Gekürzt und teilweise umformuliert nach Wikipedia (Aufruf 2015)