Von Wolf Stegemann
Vorbemerkung: Der folgend beschriebene Vorfall war Gegenstand von Nachkriegsermittlungen gegen den früheren Ortsgruppenleiter und Rothenburger Hauptlehrer Fritz Götz. Ihm wurde eine „besonders starke Juden- und Kirchenfeindlichkeit“ nachgesagt. Auch war er bekannt dafür, dass er Rothenburger bei Polizei und Behörden denunzierte. Gegen ihn ermittelten nach dem Krieg das Staatsministerium für Unterricht und Kultus in München, die Spruchkammer Rothenburg ob der Tauber und die Lagerspruchkammer des Internierungslagers Garmisch, wo Götz inhaftiert war . – Vermutlich ist die in der Zeugenaussage angegebene Jahreszahl 1938 falsch. Entweder irrte sich die Zeugin oder die falsche Zahl ist ein damals unbemerkt gebliebener und stets weitergeschriebener Tippfehler im Protokoll. Der Vorfall dürfte sich nicht 1938, sondern zu einem Zeitpunkt in den Jahren 1935 bis 1937 ereignet haben, denn Karl Steinacker, von dem die Rede sein wird, wurde erst 1935 Kreisleiter. Im Oktober 1938 hatte er die letzten hier wohnenden Juden aus Rothenburg vertrieben, darunter die Familie Wimpfheimer aus der Unteren Schmiedgasse 5. Der Text der Protokolle wurde wörtlich belassen, lediglich der Schreibrechtsreform angepasst, die Interpunktion leicht verändert und die Zwischenzeilen wegen besserer Lesbarkeit von der Redaktion eingefügt.
Die Hauptbeteiligten sind: Karl Steinacker, geboren 1909, war von 1935 bis 1941 NSDAP-Kreisleiter in Rothenburg ob der Tauber. – Pg. Siegfried Wobst wurde nach dem Weggang des Rothenburger Ortsgruppenleiters Dr. Apfelbeck 1938 kommissarischer Organisationsleiter der NSDAP-Ortsgruppe Rothenburg, 1937 wird er als stellvertr. Ortsgruppenleiter genannt. – Pg. Fritz Götz, geboren 1897, war Lehrer und von 1936 bis 1939 Ortsgruppenleiter der NSDAP Rothenburg und Lina Ehrmann, geboren 1897, war Hausfrau und Zugehfrau bei der jüdischen Familie Wimpfheimer in der Untern Schmiedgasse 5.
SA-Männer standen vor den jüdischen Geschäfte – Lina Ehrmann erzählt:
Es war die Zeit, als die jüdischen Geschäfte in Rothenburg ob der Tauber mit Plakaten versehen waren, dass Deutsche in diesen jüdischen Geschäften nicht kaufen sollten. Wie der Wortlaut geheißen hat, das weiß ich nicht mehr. Es war an einem Samstag, am 17. Dezember 1938, als ich bei Wimpfheimer nachsah, ob meine Anwesenheit im Geschäfte noch notwendig ist. Ich war damals das zweite Jahr als Putzfrau der Familie Wimpfheimer und habe damals an und für sich an Samstagen und Sonntagen dort nicht gearbeitet und nur wenn es besonders notwendig im Geschäft war, etwas mitgeholfen. Wenn in der fraglichen Zeit Kunden trotz der Warnung im Geschäfte kauften, haben wir nach Möglichkeit diese aus dem Geschäft durch den Hof weggehen lassen. An dem fraglichen Tag stand SA vor dem Geschäft Wimpfheimer gegenüber bei dem Anwesen Schletterer. Ich sah sie stehen, bin aber trotzdem in den Laden zu Wimpfheimer. Ich war keine 2 Minuten im Laden, da kam Lehrer Götz und sagte mir „Sie gehen heraus.“ Ich sagte ihm, ich sei da in Stellung und hätte das vorgeschriebene Alter, bei dem ich in jüdischen Familien arbeiten dürfe.
Fritz Götz schlug Lina Ehrmann ins Gesicht
Frau Wimpfheimer sagte, ich solle gehen, damit ich keine Unannehmlichkeiten bekäme. Ich ging dann tatsächlich auf die Straße, Götz war vor mir rausgegangen: ich erklärte ihm, er wisse doch, dass mein Mann arbeitslos sei; er solle meinem Manne Arbeit geben, dann würde ich mit der Arbeit (bei Wimpfheimer) aufhören. Götz antwortete „Was, frech will sie auch noch werden, die Judensau“ und schlug mir eine ins Gesicht. Ich schlug ihm darauf auch eine ins Gesicht und darauf antwortete er schimpfend: „Judensau, Judendrecksau, Judenmatz, ich lass’ Sie abführen!“
Er zog mich dabei in das Brunnengässchen und schlug mir abermals ins Gesicht. Ich konnte mich nicht mehr wehren, sonst hätte ich Götz nochmals geschlagen. Bei der ganzen Auseinandersetzung war der damalige Ortsgruppenleiter Wobst anwesend. Er war mit ins Gässchen gegangen. Er hielt mir die Hand, dass ich nicht das zweite Mal gegen Götz zum Schlag ausholen konnte. Doch er wollte offenbar nicht, dass Götz mich schlägt und sagte auch zu Götz: „Lass’ die Frau in Ruh!“
Götz und Wobst brachten sie zum Kreisleiter
Infolge der Aufregung bekam ich einen Nervenanfall und sackte zusammen. Als ich mich rasch wieder erholt hatte, nahmen beide, Götz und Wobst, mich in die Kreisleitung mit zum Kreisleiter Steinacker; SA-Leute folgten nicht, soweit ich beobachten konnte. Gezerrt und gezogen haben sie mich nicht; ich bin einfach mitgegangen. Steinacker wollte gerade das Kreishaus verlassen. Ob Steinacker mich kannte, weiß ich nicht. Steinacker sagte unvermittelt, wie er mich sah: „So, bringt ihr wieder so eine Judenmatz.“ Es fielen noch mehrere solche beleidigenden Äußerungen. Ich hatte meine Ruhe behalten und weiter nichts erwidert. Während ich in das Dienstzimmer des Kreisleiters gerufen war, sprach Steinacker zuerst noch kurz, wie ich annahm, auf dem Gang mit Götz und Wobst. Ich verhandelte anschließend allein mit ihm (Steinacker). Er sagte etwa: „Was soll er denn mit so einer Judenmatz anfangen. Wie ich eine sei“; ich antwortete ihm: „Schlagen, es sieht ja niemand!“
Er schlug mich aber nicht, sondern stellte sich nur drohend vor mich hin. Ich erklärte ihm in Ruhe, dass ich den gesetzlichen Bestimmungen bei meinem Alter in einer jüdischen Familie arbeiten dürfe. Ich weiß bestimmt, dass er darauf erwiderte: „Was geht mich das Gesetz an, das Gesetz machen wir nach Gutdünken.“ Ich erklärte ihm, ich lasse mir die ganze Behandlung nicht bieten. Steinacker antwortete mir: „Wenn ich etwas gegen Herrn Götz unternehme, dann decke ich den Herrn Götz mit meinem Diensteid, dass das, was Sie sagen, Verleumdung ist, dann können Sie woanders darüber nachdenken und arbeiten.“ Ja, hatte ich gesagt, er solle mir andere Arbeit geben, als bei Wimpfheimer. Ich erinnere mich an die Äußerung des Steinacker bestimmt.
Sie hatte die Äußerungen der Beteiligten sofort aufgeschrieben
Ich bin keine gehässige Frau. Aber die Art und Weisem wie ich damals behandelt und beleidigt wurde, lasse ich nicht auf mir sitzen. Ich habe mir diese Äußerungen, nachdem ich sie am gleichen Tag zuhause erzählt hatte, gleich aufgeschrieben. Meine Aufschreibung ist mir aber beim Bombenangriff auf Rothenburg ob der Tauber am 31. März 1945 mit verbrannt. Ich habe die Äußerungen deswegen aufgeschrieben gehabt, weil Steinacker davon gesprochen hatte, dass er notfalls eine Erklärung auf Eid abgeben werde.
Der Kreisleiter wollte Lina Ehrmann öffentlich an den Pranger stellen
Steinacker hatte weiter bei jener Gelegenheit gesagt: „Und wenn mein Mann etwas unternehme, dann sorge er [Steinacker] dafür, dass er keine Arbeit mehr bekommen in unsrem Gau, dann können wir Steine fressen.“ Nun wurde ich wieder aufgeregt und sagte: „Sauber, ob das wohl Hitler weiß, dass er so tüchtige Unterführer hat.“ Steinacker antwortete: „Nehmen Sie den Namen unseres Führers nicht in den Mund, das ist eine Entweihung seines Namens.“ Ich erwiderte meinerseits: „Es ist gut, ich werde den Namen nicht mehr in den Mund nehmen.“ Er drohte mir, dass er mich an den Pranger stellen möchte, dass mich die Schuljugend anspucken könne. Ich warnte ihn, so was zu machen, sonst passiere ein Unglück. Entweder sei er kaputt oder mein Mann.
Familie Wimpfheimer schloss das Geschäft
Daraufhin ging ich und erzählte es meinem Mann und auch meinen Hausleuten Obere Bahnhofstraße 18 [vor 1945 und nach 1955 Ludwig-Siebert-Straße]. Wir warteten ab, was weiter geschehen würde. Am gleichen Tag ging ich noch in das Geschäft Wimpfheimer und erzählte diesen Vorfall. Die Eheleute Wimpfheimer machten daraufhin das Geschäft zu und entließen mich aus ihrem Dienst, um mir weitere Unannehmlichkeiten zu ersparen. Ich fand dann Arbeit in der Kinderwagenfabrik Haag Saalmüller in Rothenburg. Mit Bezug auf meine frühere Tätigkeit bei Wimpfheimer bin ich von Arbeitern der Fabrik, die offenbar Parteigenossen oder Genossinnen waren, beleidigt worden. Im Frauenabort der Firma war ein Vers auf mich gemünzt angeschrieben. Herr Grosser [Vorgesetzte] der Firma teilte mir dies mit; ich machte mir nichts daraus mit der Erklärung, die das geschrieben hat, tauge selbst nichts. Herr Grosser ließ durch seine Frau den Vers dann auslöschen.
Zeugen des Vorfalls benannt
Als Zeugen des ersten Vorfalls vor dem Anwesen Wimpfheimer benenne ich die Gärtnereibesitzerehefrau Toni Schletterer, die nach ihrer eigenen Angabe von ihrer Wohnung aus alles mitgesehen hatte. Auch Friseur Emmert hatte nach dessen Angabe zugesehen. Soviel mir erzählt wurde, wollte Frau Schindler mich im Gässchen damals aufheben, sodass ich annehme, dass auch sie den Vorgang beobachtet hat. – Ich kann diese Angaben mit gutem Gewissen beschwören und bin bereit, sie auf Eid zu nehmen. Unterschrift: L. Ehrmann. Darunter ist gerichtlich vermerkt: Die Zeugin wurde daraufhin in gesetzmäßiger Weise beeidigt. Unterschriften: Deeg (Justizangestellte), Amtsgerichtsrat Dr. Faber
- Soweit die Einvernahme der Hauptzeugin Lina Ehrlinger. Es folgen zwei Zeugenaussagen, die zu dem Vorfall von Amtsgerichtsrat Dr. Faber befragt wurden. Zum Teil sind sie hier gekürzt wiedergegeben, um Verdoppelungen zu vermeiden.
Leonhard Emmert (48), Friseur: Hat hinterm Vorhang nur so hervorgespitzt
Es kann im Dezember 1938 gewesen sein, es war jedenfalls an einem Samstag gegen Mittag, als Frau Ehrmann in das Geschäft Wimpfheimer wollte. Ich wusste ja, dass sie dort als Putzfrau war. … Die SA hatte Wachen in Zivil und auch in Uniform vor jüdische Geschäfte gestellt. Ich erinnere mich an ein Plakat mit der Aufschrift „Jüdisches Geschäft“. … Ich habe den Vorfall auf der Straße vom Ladenfenster aus beobachtet, nachdem die Frau Ehrmann den Laden bei Wimpfheimer wieder verlassen hatte. Was Frau Ehrmann mit Götz dann auf der Straße gesprochen hat, konnte ich nicht hören. Dass Götz der Frau Ehrmann einen Schlag versetzte, den sie mit einem Schlag erwiderte, hatte ich noch nicht beobachtet. Ich wurde erst durch die anschließende laute Auseinandersetzung zwischen beiden auf den ganzen Vorfall aufmerksam. Von meinem Standpunkt aus konnte ich ins so gen. Brunnengässchen zwischen dem Anwesen Wimpfheimer und dem ehemaligen Metzger Gerlinger hineinschauen. An die Anwesenheit von Wobst kann ich mich nicht erinnern, Dagegen, dass der Buchdruckereibesitzer Fritz Schneider in der Nähe war. Ich beobachtete, wie Götz im Brunnengässchen der Frau Ehrmann ins Gesicht geschlagen hat. Sie wollte sich losreißen. Wenn eine zweite Person noch im Gässchen dabei gewesen sein soll, außer Götz, der die Frau Ehrmann festgehalten hätte, habe ich das vielleicht nicht beobachtet bzw. nicht beobachten können. Ich kann nicht glauben, dass Wobst dabei gewesen sein sollte, weil ich ihm eine derartige Teilnahme an einem solchen Vorgang nicht zutraue. Ich habe so alles vielleicht nicht so beobachtet können, weil ich hinter meinem Vorhang nur so hervorspitzte. Dass Wobst zu Götz sagte, er solle die Frau Ehrmann in Ruhe lassen, halte ich ohne weiteres für möglich, so wie ich Wobst kenne. Aber bei der Entfernung zwischen mir und Wobst konnte ich die Äußerung nicht hören. Ich sah, dass die Frau Ehrmann im Gässchen zu Fall gekommen ist. Sie erholte sich rasch und ging mit Götz weg. Ich nahm an, dass sie zur Polizeiwache geführt würde. Wer noch die Frau Ehrmann begleitet hat, darauf gab ich nicht acht… Ich kann diese Angaben mit gutem Gewissen beschwören und bin bereit, sie auf Eid zu nehmen. Unterschrift Leonhard Emmert. – Darunter die Unterschriften von Deeg (Justitangestellte), Dr. Faber
Marie Schindler (65): Frau Ehrmann ist am Boden gerutscht
Wir wohnten in der Oberen Schmiedgasse im Anwesen des Metzgers Gerlinger zur Miete. Ich erinnere mich noch an die Zeit, wo die SA vor jüdischen Geschäften Posten gestanden ist, um Einkäufe bei Wimpfheimer zu verhüten. Meistens an Samstagen waren die Posten gestanden. Die mir bekannte Frau Ehrmann war zu jener Zeit Zugehfrau bei Wimpfheimer. An einem Samstag, es kann der 17. Dezember 1938 gewesen sein, wurde ich auf ein Geschrei auf der Straße nebenan aufmerksam und trat unter die Haustüre. … Wie ich meine Beobachtung machte, muss Frau Ehrmann schon zu Boden gegangen sein und ist, wie ich mich ausdrücken möchte, das Gässchen vor auf das Hauseck vorgerutscht. Ich äußerte: „Das ist doch allerhand“. Ich habe dass eine unschöne Antwort bekommen, etwa dahin, ich solle machen, dass ich weiter komme. Ich hatte daraufhin genug und ging ins Haus zurück. Wer die beiden Mannspersonen waren, weiß ich nicht. Götz kannte ich persönlich nicht, ebenso wenig Wobst. Wenn die Frau Ehrmann sagt, es wären Götz und Wobst gewesen, so wird das schon so sein…. Die Zeugin wurde vereidigt. – Unterschriften von Maria Schindler, Justizangestellte Deeg und Amtsgerichtsrat Dr. Faber (siehe auch Rothenburgs NSDAP-Ortsgruppenleiter Friedrich Götz wurde vom Kriegsgericht verurteilt, weil er seinen Vorgesetzten mit unwahren Behauptungen „angeschwärzt“ hatte und Entnazifizierung (14): Das Spruchkammerverfahren gegen den NSDAP-Ortsgruppenleiter und Lehrer Friedrich Götz war ein Schmierentheater).
- Nachbemerkung: Im Entnazifizierungsverfahren erhielt Götz neben den negativen Schilderungen über seine Person und Tätigkeiten, wie die hier vorliegende, auch etliche positive Aussagen, die Fritz Götz entlasten sollten. Sie waren damals schon widersprüchlich und sind nach heutigem Wissensstand erlogen. So wie die Aussage des früheren Pg. Edwin Böhm, der über Götz schrieb: „In keinem Fall aber hat er Menschen der Kreisleitung gemeldet. Alles in Allem habe ich in Herrn Götz einen Mann kennengelernt, der einwandfrei in seinem Charakter“ war. Und: Er habe stets an seine Zellen- und Blockleiter appelliert, „in keinem Falle zuzulassen, dass auch nur ein Mensch wegen seines religiösen Bekenntnisses diffamiert oder gar angegriffen würde, jede könne nach seiner Fasson selig werden, er selbst hat sich nach meiner Wahrnehmung auch in jedem Fall an diesen Grundsatz gehalten. In Rothenburg erfreute er sich allgemeiner Beliebtheit und Anerkennung…“ – Der dies schrieb, Edwin Böhm, war dabei, als Rothenburger RAD-Männer und andere den Juden Westheimer durch die Stadt trieben, ihn demütigten und ihm die nackten Füße blutig traten. Nach dem Krieg war Böhm Fahrlehrer und wohnte in der Wenggasse 7.
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