Pfarrer Dr. Martin Weigel: In Rothenburg ein verdienstvoller Chronist und Heimatforscher, in Nürnberg Diener der Nazis. Ein Stück mittelfränkische Kirchengeschichte

Martin Weigel mit seiner Frau

Pfarrer DR. Martin Weigel mit seiner Frau; Foto: Archiv ELKB

Von Wolf Stegemann

Der frühere Rothenburger Stadtpfarrer und Heimatforscher Dr. Martin Weigel gehörte zu den Hundertschaften evangelischer Pfarrer, die mit tiefer Überzeugung und vollem Herzen Nationalsozialisten waren. Im Jahr der Machtergreifung Hitlers war er schon 67 Jahre alt. Seine politische und geistliche Lebenserfahrung hat ihn nicht abgehalten, in Nürnberg, wo er seit 1921 tätig war und nach seiner Pensionierung lebte, unermüdlich Kirche und Nationalsozialismus zusammenzubringen. In Reden und in Taten. Dafür bekam er 1941 das „Goldene Ehrenzeichens der Partei“ und die silberne Dienstauszeichnung der NSDAP. Dem Verein Alt-Rothenburg gehörte er ab 1926 als Ehrenmitglied an. In Rothenburg blieb er in einer guten Erinnerung, weil er die „Stadtchronik“ geschrieben hatte. Auch veröffentlichte er für Touristen einen kleinen Reiseführer, der in über 40 Auflagen erschienen ist. Martin Weigel brauchte sich für seine nationalsozialistische Überzeugung nicht zu rechtfertigen. Er starb 1943 in Nürnberg.

Martin Weigels Rothenburger Chronik

Martin Weigels Werk: die Rothenburger Chronik

Er machte sich um die Heimatforschung verdient

Martin Weigel stammte aus einer evangelischer Pfarrersfamilie. Sein Vater Johann Jakob Weigel kam 1866 an die Pfarrei St. Jakob in Rothenburg, wurde später Dekan und Kirchenrat. Er gründete in Rothenburg den Evangelischen Arbeiterverein. Sein Sohn Martin wuchs in Rothenburg auf, studierte Theologie, promovierte und kam 1896 nach Rothenburg ob der Tauber zurück, wo er eine Pfarrstelle erhielt und 25 Jahre lang wirkte. Er war verheiratet, Sohn Helmut wurde 1891 geboren und war ebenfalls Nationalsozialist. Martin Weigel erforschte die Heimatgeschichte, schrieb die oben erwähnte Stadtchronik, veröffentlichte in diversen Zeitschriften Aufsätze, war Mitbegründer des Vereins Alt-Rothenburg und im Vorstand des von seinem Vater gegründeten Evangelischen Arbeitervereins, der sein Domizil im Christlichen Hospiz vorm Würzburger Tor hatte. Dr. Weigel kümmerte sich auch um den Handwerkernachwuchs, es entstand ein Lehrlingsheim als „Sammelpunkt für den jungen Handwerkernachwuchs, der geistige Bedürfnisse hatte“. Später entstand daraus ein Asyl für heimatlose Landfahrer. 1909 wählten in die Rothenburger in den Stadtrat.

1925 in Nürnberg der NSDAP beigetreten

Die Familie verzog 1921 nach Nürnberg, wo Martin Weigel bis zu seiner Pensionierung 1925 in der Vorstadtpfarrei St. Leonard tätig war. Sie lag in einem Arbeiterviertel wenige hundert Meter südwestlich vom städtischen Verkehrsknotenpunkt Plärrer. Im gleichen Jahr trat er der NSDAP bei und widmete sich verstärkt öffentlich dem Nationalsozialismus. Gegen den Willen der Kirchenoberen setzte er sich erfolgreich für eine kirchliche Fahnensegnung der SA-Standarten in der Lorenzkirche ein. Damals lag die NSDAP in der „Wählergunst“ gerade mal zwischen zwei und drei Prozent.

In der Nürnberger Lorenzkirche weihte Weigel SA-Standarten

In der Nürnberger Lorenzkirche weihte Weigel SA-Standarten

Erstmals bekamen in Nürnberg Hakenkreuzfahnen den kirchlichen Segen

Die öffentliche Weihe der Hakenkreuzfahnen am 1. August 1926 in der Lorenzkirche war ein öffentliches Spektakel. Der Kirchenraum war mit Hakenkreuzen geschmückt, auch der Altar. Dem Gottesdienst wohnten 250 bis 300 SA-Männer in braunen und SS-Männer in schwarzen Uniformen bei. Es war das erste Mal, dass sich eine Nürnberger Kirche dafür hergab, den Segen Gottes für die antisemitischen „Hitleristen“ zu erbitten. Bei der Segnung der Fahnen war der spätere Frankenführer Julius Streicher in der Kirche. Ob Adolf Hitler, der sich an diesem Tag in Nürnberg aufhielt, an dem Gottesdienst teilgenommen hatte, ist nicht bekannt, wie Peter Zinke in seinem Buch „Alljuda ist an allem schuld. Antisemitismus während der Weimarer Republik in Franken“ schrieb. Martin Weigel sprach die Weihepredigt, in dessen Kern er die Zusammengehörigkeit von Hakenkreuz und Christenkreuz stellte:

„Es ist recht und billig, dass die neuen Fahnen ihren ersten Gang in den altehrwürdigen Dom gemacht haben. Sie sind ein Sinnbild des Heiligsten, das der Deutsche in seiner Brust trägt. Erst wenn sich das alles einfügt in die großen Zusammenhänge deutscher Kraft und deutscher Frömmigkeit, in die uns dieser Dom versetzt, dann dringt es mächtig aus den Herzen hinauf zu Gottes Thron, dass er den Sonnenschein seines Segens um diese Fahnen lege. Es sind die Großen des Gottes Mammon, die über Wohl und Wehe der Völker entscheiden. Soll unser Volk verderben unter diesen bösen Geistern? Oder soll es kämpfen um seinen Verstand, um seine Seele?“

SA-Standarte

SA-Standarte

Rothenburger SA blieben die Kirchen für die Standartenweihe verschlossen und ließen die deshalb im Burggarten weihen

Nach einer Stunde zogen die SA- und SS-Männer mit ihren geweihten Fahnen und Standarten zum Herkulessaal, wo heute das Schauspielhaus steht. Dort sprachen Hitler und Streicher. Wie der anwesende Polizeistenograf mitschrieb, lobte Letzterer die Standhaftigkeit des pensionierten Pfarrer Martin Weigel mit den Worten, dass Geistliche zu Weigel gesagt hätten, er solle doch nicht die Fahnen der SA weihen, doch Weigel sei nicht dem Willen der anderen gefolgt, sondern habe sich erst recht als „echter Nationalsozialist bekannt“. Martin Weigel erzählte später, dass die Lorenzkirche für die Fahnenweihe „erst erobert“ werden musste. Denn auch die evangelischen Kirchengemeinden weigerten sich bis Anfang der 1930er-Jahre, ihre Gebetsräume  für parteipolitische Zwecke zur Verfügung zu stellen. Dies mussten die Rothenburger SA-Männer des Sturmstrupps 72 im Jahr 1929 erfahren, als ihnen selbst in der Nazi-Hochburg Rothenburg die evangelische wie katholische Kirchen verschlossen blieben. Deshalb mussten sie ihre Fahnenweihe vom Ansbacher Pfarrer und Parteigenossen Sauerteig am Kriegerdenkmal im Burggarten vornehmen lassen.

Lob für Martin Weigel in Streichers Hetzblatt „Der Stürmer“

Martin Weigels Segnung der Hakenkreuzfahnen in der Lorenzkirche zu Nürnberg brachte ihm einen lobenden Artikel in der von Julius Streicher herausgegebenen antisemitischen und pornografischen Hetzzeitung „Der Stürmer“ ein. Unter dem Titel „Der Pfarrer von St. Leonhard. Mutige Bekennerworte“ war dies die einzige positive Stellungnahme des „Stürmers“ zur evangelischen Kirche („Der Stürmer“ Nr. 33/August 1926). Julius Streicher lobte das Wirken des ehemaligen Rothenburger Pfarrer bei verschiedenen Veranstaltungen. Einmal sagte er über „den ersten Kirchenmann, der sich in Nürnberg den Nationalsozialisten angeschlossen“ hatte:

„Der Geistliche und stramme Parteigenosse war bis zu seinem Ruhestand 1925 in der Pfarrei St. Leonhard tätig gewesen. Seinen Lebensabend widmete er ganz der Partei und tritt auf Hunderten von NSDAP-Veranstaltungen in Mittelfranken auf.“

Kritik im „Nürnberg-Fürther Israelitisches Gemeindeblatt“

Das „Nürnberg-Fürther Israelitische Gemeindeblatt“ kommentierte in der September-Ausgabe 1926 Weigels Fahnenweihe, dass es widersprüchlich sei, wenn ein Geistlicher einer Religion, welche der Nächstenliebe verpflichtet sei, das Symbol des „brutalsten Menschenhasses“, das Hakenkreuz, mit „der Weihe eben dieser Religion versieht“. Und weiter heißt es:

„Jedenfalls charakterisiert der ganze Vorgang so recht die geistige Atmosphäre in gewissen Kreisen Nürnbergs, die mit die Verantwortung dafür tragen, dass gerade hier die Sumpfblüte des Antisemitismus so üppig wuchere und die Bevölkerung nicht zur Ruhe kommen könne – sehr zum Schaden des Rufes unserer Vaterstadt.“

1926, als Weigel die Fahnen weihte, machten ihn die Rothenburger zum Ehrenmitglied im Verein Alt-Rothenburg. 1941 widmete der Verein Alt-Rothenburg dem Pfarrer, der einst den Verein mitbegründete, eine Jahresgabe. Auf einem Beiblatt mahnte Martin Weigel die Mitglieder, die Geschichtsforschung dem nationalsozialistischen Geist unterzuordnen: „Denn gerade die Erforschung und Darstellung der Rothenburger Geschichte – nunmehr aber in zielbewusster Ausrichtung auf die Gegenwart – ist die große dankbare Aufgabe des Vereins in der Zeit des neuen nationalsozialistischen deutschen Reiches“ (siehe „Alt-Rothenburg …“).

Straße nach Martin Weigel immer noch benannt 

Martin Weigel ist heute noch eine Straße in der Nähe der Benzstraße gewidmet. Mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert schmückt sich Rothenburg somit beharrlich mit zwei Straßen, die nach ausgemachten Nationalsozialisten benannt sind. Weigels starker Nationalsozialismus und Antisemitismus wird von Dr. Richard Schmitt in der Beilage „Die Linde“ (2013) so begründet, dass Weigel ein bürgerlicher Mann seiner Generation von „nationaler“ Gesinnung war. Auch sei er „sozial“ eingestellt gewesen. Vermutlich meint Dr. Schmitt Weigels Wirken in den kirchlichen sozialen Vereinen Rothenburgs in der Kaiserzeit. Dies ehre ihn. So weit kann man den Ausführungen folgen. Aber dann meint Dr. Schmitt: „Wie es dazu kam, dass die Addition ,national’ plus ,sozial’ bei Weigel das Resultat ,nationalsozialistisch’ ergab, ist eine interessante Fragestellung, die auf eine Antwort wartet.“ – Warum eine interessante Fragestellung? _______________________________________________________________________

Helmut Weigel: Auch Martin Weigels 1891 in Rothenburg geborener Sohn Helmut Weigel, Lehrer und Landeshistoriker in Erlangen, war Nationalsozialist, der schon 1931 in die NSDAP eintrat, was seiner späteren Karriere förderlich war. Ein Jahr später war Helmut Weigel bereits Landesredner der Partei und später Kreisamtsleiter des NS-Lehrerbundes. An der vom NS-Propagandaministerium 1933 angeordneten Bücherverbrennung beteiligte sich Helmut Weigel in Erlangen. Monate später wurde ihm der Professorentitel verliehen. Der ehemalige Nazi und Bücherverbrenner durfte 1966 über seinen nationalsozialistischen Vater zu dessen 100-jährigen Geburtstag in der Rothenburger Beilage „Die Linde“ des Vereins Alt-Rothenburg einen  Nachruf schreiben. Helmut Weigel starb 1974.

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Quellen: „Der Stürmer“ Nr. 41/Oktober 1926 „Eines deutschen Priesters Weiherede“. – Lukas Bormann „Der Stürmer und das evangelische Nürnberg (1924-1927). – „Nürnberg-Fürther Israelitisches Gemeindeblatt“, September 1926. – Dr. Richard Schmitt „Martin Weigels Verhältnis zum Nationalsozialismus“ in „Die Linde“, Beilage des Fränkischen Anzeigers in Rothenburg ob der Tauber, 2013, Seiten 42-45. – Peter Zinke „Pfarrer als Erz-Nazi. Ruhestands-Geistlicher öffnete ,altehrwürdigen Dom“, in: Nürnberger Nachrichten vom 1. August 2002. – Ders. „Alljuda ist an allem schuld. Antisemitismus während der Weimarer Republik in Franken“, Nürnberg 2009.

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