Rothenburger Amtsgerichtsgefängnis: Kahle Zellen mit Tisch, Stuhl, Bett und muffigem Geruch – aber mit herrlichem Blick über das Taubertal

Idyllische Lage des ehemaligen Gefängnisses über der Tauber (x)

Idyllische Lage des ehemaligen Gefängnisses über der Tauber (x); Foto: Segreife

Von Wolf Stegemann

Wie vielen Leuten die Flucht aus diesem „Hotel Tauberblick“ gelangt, ist nicht bekannt. Lediglich ein Fall machte Schlagzeilen, als am 4. Dezember 1939 der 29 Jahre alte Gottlieb Hartmann aus Prag auf eine abenteuerliche Weise dem Rothenburger Amtsgerichtsgefängnis entsprang. Vor der Flucht hatte er sich mit einer aus dem Verwaltungszimmer des Gefängnisses gestohlenen Pistole und Munition bewaffnet. Außerdem entwendete er einen größeren Geldbetrag und Kleidung. Wie er es anstellte, die Mauern zu überwinden, stand wohlweislich nicht in der Zeitung. Gottlieb Hartmann flüchtete nach Tirol. Geld, Waffe und Kleidung waren ihm nicht genug, denn er brauchte einen Pass. Den stahl er einem Mitreisenden  auf der Fahrt in die südlichen Berge. Wieder mittellos raubte er mit vorgehaltener Pistole einen Apotheker aus, fesselte ihn und machte sich mit dessen Brieftasche davon, in der sich 150 Reichsmark befanden. Am 19. Dezember kam er in München an, wurde von der Fahndungsabteilung der Kriminaldienstleitstelle verhaftet und dem Sondergericht Innsbruck überstellt.

Platz für siebzehn Männer und vier Frauen

Das Rothenburger Amtsgerichtsgefängnis im Heringsbronnengässchen schräg gegenüber der  früheren Synagoge war ein großes graues und mit Efeu umranktes Gebäude, das sich hoch über dem Taubertal erhob. Das Gebäude steht noch. Es ist nach Entwidmung Anfang der 1950er-Jahre zu einem privaten Luxus-Wohnhaus ungebaut worden.

Zurück zu der Zeit, als die Fenster noch vergittert waren und die Gefangenen eine herrliche Aussicht auf das Taubertal hatten, die dem Haus im Volksmund den Namen „Hotel zum Tauberblick“ einbrachte. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Inneren das Gefängnis trist und grau war und sich dort ein muffiger Gefängnisgeruch eingenistet hatte. Das so mächtig anmutende Haus bot nur 17 Männern und vier Frauen in Einzel- oder Gemeinschaftszellen Platz. Das Mobiliar der kahlen Zellen war spartanisch: Bett, Tisch und Sitzgelegenheit.

Zuständig für das Gefängnis über das Jahr 1945 hinweg war Oberamtsrichter Dr. Faber, der schon 1936 zum Vorstand des Amtsgerichts Rothenburg ernannt worden war und damals den Nationalismus und den Führer lobte, die sein, Fabers, verlorenes Vertrauen in das Recht wieder hergestellt hätten, wie über ihn im Fränkischen Anzeiger berichtet wurde. Alleiniger Schließer war nach dem Krieg Justizhauptwachtmeister Krasser. Das Rothenburger Gerichtsgefängnis war bis in die Nachkriegszeit für den Gerichtsbezirk Rothenburg, Uffenheim, Feuchtwangen und Dinkelsbühl und nur für Zwischenaufnahmen oder kurze Haftstrafen zuständig, wenn dafür der Platz ausreichte. In der Zeit des Nationalsozialismus mussten dort auch längere Haftstrafen verbüßt werden.

Nach dem Krieg saßen dort die Nazis ein

Nachdem die Nationalsozialisten 1933 an die Macht gekommen waren, füllte sich zeitweise das Gefängnis mit denen, die damals aus politischen Gründen verhaftet wurden. Darunter Kommunisten, Sozialdemokraten und Juden sowie viel andere, die von den Nazis mit Schutzhaft belegt wurden. Vom Rothenburger Gefängnis wurden sie dann in andere Anstalten verlegt, meist nach Nürnberg. Während des Krieges füllten sich die Zellen mit ausländischen Zwangsarbeitern und gegen Ende mit versprengten Soldaten und aufmuckenden Volksgenossen. Nach dem Krieg waren es nationalsozialistische Funktionäre, die im Rothenburger Gefängnis saßen, darunter NSDAP-Kreisleiter Höllfritsch, Landrat Simon Meißner, Bürgermeister Friedrich Schmidt aber auch Stadtamtmann Hans Wirsching, weil er seinen Fragebogen zur Entnazifizierung falsch ausgefüllt hatte.

Zugangsbücher geben Auskunft über die Belegung

Zwei Zugangsbücher haben das Dritte Reich und den Krieg überstanden, auf einem vorne in kaum noch lesbarer Handschrift steht: Gefangenenbuch Vollz 1941 – 1. 4. 46. Es wird im Staatsarchiv Nürnberg aufbewahrt. Auf den ausgefüllten Seiten, eingeteilt in Rubriken, sind genauso viele Einträge unlesbar wie lesbar. Da hat es einen Kladdenführer gegeben, dessen Handschrift beim besten Willen ohne Zeit und Vertiefung in seine Handschrift nicht lesbar ist. Dazu bräuchte es ein eigenes Schriftsachverständigenstudium. Die Entzifferung dieser Eintragungen überlässt der Autor deshalb gerne anderen. Fest steht, dass es sich bei diesen unleserlichen Eintragungen meist um polnische bzw. russische Namen handelt, vermutlich Zwangsarbeiter.

Gestapo holte den Gefangenen ab

Die lesbaren Eintragungen geben ein buntes Bild von Personen ab. Meist sind die Haftgründe nicht genannt. In den letzten Monaten des Dritten Reiches sind etliche NS-Gegner eingetragen, danach die Nazis. 14 Monate lang musste der 45-jährige Dienstknecht Johann I. aus Langenfeld einsitzen, der danach von der Nürnberger Gestapo abgeholt wurde. Aus Schillingsfürst kam der 20-jährige Eugen G. Mitte 1941 in Untersuchungshaft, der am 19. Mai ins Gefängnis nach Nürnberg kam. Einen Monat lang wurde der polnische Landarbeiter Seczmiak, geboren 1916 in Szenow, in Polizeihaft gehalten, auch andere polnische Arbeiter wie Stanislaus Trojan.

Zwei Jahre und sechs Monate musste die 32-jährige Nürnberger Straßenbahnschaffnerin Maria P. absitzen, die bis 1942 im Rothenburger Gefängnis war. Im Gefängnis verwahrte Kriegsgefangene wurden 1941 nach Hammelburg überführt.
Weil der Rothenburger Landrat Simon Meißner Schutzhaft angeordnet hatte, kam ein Mann vom 1. September 1943 bis 22. Februar 1944 ins Gefängnis. Danach wurde er in die Nervenklinik Erlangen verbracht. Warum die 44-jährige Frau M. aus Garmisch-Partenkirchen 1944 im Rothenburger Gefängnis eingeliefert wurde, ist nicht bekannt.
Wenige Tage vor dem Kriegsende in Rothenburg mussten von einem SS-Standgericht die wegen Entwaffnung von Hitler-Jungen zum Tode verurteilten Männer von Brettheim einen Tag lang im Gefängnis einsitzen, bevor sie in Brettheim gehenkt wurden. Das waren der Bürgermeister von Brettheim, Leonhard Gackstatter, der vom 9. April 1945, 17,25 Uhr, bis 10. April um 15 Uhr, einsaß, zur gleichen Zeit der Lehrer Leonhard Wolfmeier und der Bauer Friedrich Hanselmann. Bei diesen drei steht als Grund der Beendigung ihres Aufenthalts im Gefängnis „entlassen“, vermutlich, um zu tarnen, dass sie der Exekution zugeführt wurden (Einträge 130-132).

Johann Rößler wartete im Gefängnis auf seine Hinrichtung

Der vom SS-Standgericht verurteilte Rothenburger Deserteur und Volkssturmmann Johann Rößler musste im Gefängnis auf seine Hinrichtung warten. Er war dort vom 5. April 1945, 23 Uhr, bis zum 7. April, 20,15 Uhr. Um 20.45 Uhr wurde er an der Friedhofmauer erschossen. Zum 70. Todestag brachten Rothenburger Bürger dort eine Ehrentafel an (Eintragung 126).
Am 2. April 1945, musste der Spediteur Ernst Hohenstein die Zeit von 10.10 Uhr bis 16,30 Uhr, im Gefängnis verbringen, bevor er an das Divisions-Gericht in Ansbach abgeliefert wurde. Vollstreckungsbehörde war der Standortälteste in Rothenburg, Oberstleutnant Wilhelm Rosenau.
Der 46-jährige Postkraftwagenfahrer Peter Wittmann kam ins Gefängnis, weil er sagte, man solle die weiße Fahne aushängen. Das bereits erwähnte SS-Standgericht verurteilte ihn zu sechs Jahren Zuchthaus. Er war vom 5. April 1945 bis 9. April im Gefängnis (Eintrag 127).
Mit Unterbrechung wurde das Gefangenenbuch des Rothenburger Gefängnisses in der Nachkriegszeit weitergeführt. Der 26-jährige Bäckergeselle Emil M. musste 1946 drei Wochen einsitzen, der Fotograf Walter R. im selben Jahr zwei Monate und der 38-jährige Kaufmann Friedrich W. aus Osthofen drei Monate. Der 25-jährige Elektriker Konrad K. aus Ermetzhofen wechselte für vier Wochen seinen Schlafplatz und die 20-jährige Bankangestellte Brigitte L. für drei Monate.

US-Millionär kaufte 1956 das Gefängnis

Nachdem das Gefängnis ausgedient hatte, kaufte 1956 der US-Amerikaner und Millionär Hans R. Teichert aus Chicago die ehemalige Haftanstalt für 150.000 DM, um in der Tauberstadt seinen Lebensabend zu verbringen. „Lebenslänglich für Amerikaner“ titelte die Süddeutsche Zeitung im Oktober 1956. Das Ehepaar Teichert baute es zu einer Luxuswohnung um und brachte dort seine umfangreiche Kunstsammlung alter Meister und Skulpturen unter. Der aus Dresden stammende Millionär war auf die ehemalige Rothenburger Haftanstalt verfallen, weil sie so ruhig und abgeschieden gelegen ist (Hamburger Abendblatt). Seine Frau und er hatten sich schon seit längerer Zeit in die mittelalterliche Stadt verliebt. Heute steht am ehemaligen Gefängnistor ein anderer Name, der Rothenburg-Touristen an Weihnachten erinnert: Wohlfahrt.

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Quellen: „Fränkischer Anzeiger“ vom 6. August 1936, vom 22. Dezember 1939 und vom 11. Oktober 1951. – Hamburger Abendblatt vom 25. Oktober 1956. – Gefangenenbuch Vollzug, Staatsarchiv Nürnberg 1 StR 56/61.

 

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