Von Wolf Stegemann
Mit dem folgenschweren Satz „Der Name Ludwig Siebert wird in Rothenburg unvergessen bleiben!“ beendete der „Fränkische Anzeiger“ am 2. November 1942 seinen Nachruf auf den bayerischen Ministerpräsidenten und Rothenburger Ehrenbürger. Folgenschwer deshalb, weil dem „altbewährten Kämpfer Adolf Hitlers“ Ludwig Siebert, wie in seinem Nachruf steht, bis heute eine Straße in Rothenburg ob der Tauber benannt ist. Der mit 68 Jahren verstorbene NSDAP-Politiker war von 1908 bis 1919 nicht nur Rechtskundiger Bürgermeister in Rothenburg, sondern auch NS-Ministerpräsident und SA-Obergruppenführer, ein Nationalsozialist also, der mitgeholfen hatte, die Demokratie zu Grabe zu tragen und die menschenverachtende Diktatur Hitlers zu installieren und aufrecht zu erhalten, obwohl diese Diktatur Deutschland mit millionenfachen Verbrechen und Europa mit Krieg überzogen hatte. Den eingangs zitierten Satz der Zeitung aus nationalsozialistischer Zeit machte sich dieselbe Zeitung am 30. Juli 1955 noch einmal fast wörtlich zu Eigen, als der Stadtrat die Wiederbenennung der Straße beschloss, indem sie schrieb:
„Mit der Wiederbenennung der Oberen Bahnhofstraße mit dem Namen Ludwig Siebert erfüllt die Stadt Rothenburg eine selbstverständliche Ehrenpflicht, denn der Name Ludwig Siebert wird, über alle politischen Entscheidungen hinweg, in Rothenburg unvergessen bleiben.“
„Vorbildlich“ waren sie damals alle: Siebert, Streicher, Himmler, Heydrich
Zurück ins Jahr 1942 und zum Nachruf in der Zeitung. Er beginnt so:
„Mit dem Bayerischen Ministerpräsidenten und Präsidenten der Deutschen Akademie, SA-Obergruppenführer und Ehrenführer des Reichsarbeitsdienstes, Ludwig Siebert, MdR, verliert Deutschland und die nationalsozialistische Bewegung einen altbewährten Kämpfer Adolf Hitlers, einen vorbildlichen Staatsmann, Finanz-, Wirtschafts- und Kommunalpolitiker.“
Ein solcher Mann bleibt natürlich unvergessen! Aber nicht in dem Sinne, wie 1942 und 1955 gedacht! „Vorbildlich“ waren im damaligen Duktus auch Himmler und Heydrich, Eichmann und Streicher, Göring und Goebbels und die vielen anderen, die dem Führer dienten. Im Nachruf wird hervorgehoben, dass die Oberschule sein Werk gewesen sei und daher die Schule 1941 nach ihm benannt wurde, dass er für den Erhalt der bröckelnden Stadtmauer und der Türme das „Hilfswerk Alt-Rothenburg“ finanziert habe, dass er schon 1932 für die NSDAP-Fraktion in den Reichstag gewählt worden und zuletzt ein Jahr vor seinem Tod nochmals in Rothenburg gewesen war.
Goldene Ehrenzeichen der NSDAP vom Führer verliehen
Folgt man dem Nachruf in der Zeitung, dann zählt das alles nicht so viel, wie die „drei großen Gesichtspunkte“, welche die Arbeit Ludwig Sieberts als Leiter der bayerischen Landesregierung kennzeichnen würden: „Völlige Hineinstellung Bayerns in die Politik des Führers, Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und Ordnung der Finanzen.“ Und weiter heißt es, dass Ludwig Siebert als Präsident aus der Geschichte der Deutschen Akademie nicht wegzudenken sei, deren Führung er im März 1939 übernommen habe. „In vielen Reden klärte er das Ausland über das wirtschaftspolitische Denken des nationalsozialistischen Reiches und über das kulturelle Leben des deutschen Geistes auf.“ Dahinter versteckt sich nichts anderes, als dass die Deutsche Akademie von der Partei den Auftrag hatte, deutsche Sprache im befreundeten Ausland zu fördern, damit dort die deutschen nationalsozialistischen Forderungen und Anordnungen verstanden werden.
Hitler überreichte ihm den goldenen Partei-Orden
Für seine Arbeit bekam Ludwig Siebert viele Orden und Auszeichnungen. Schließlich war er auch Präsident der Deutsch-Bulgarischen und Deutsch-Spanischen Gesellschaft. Im Nachruf wird als ehrenvollste Auszeichnung das vom Führer 1938 verliehene „Goldene Ehrenzeichen der NSDAP“ genannt „in Würdigung seiner Verdienste um die nationalsozialistischen Erhebung und den nationalsozialistischen Staat. Im Frühjahr 1942 bekam er von Hitler das „Kriegsverdienstkreuz I. Klasse“. Den Nachruf beschließt der Schreiber mit den Worten: „Mit ihm ist ein vorbildlicher Nationalsozialist dahingegangen, dessen Leben und Wirken weit über den engeren Rahmen der bayerischen Heimat hinausstrahlte.“
Büste Sieberts mit Lorbeerblättern geschmückt
Zur offiziellen Trauerfeier für ihren Ehrenbürger lud die Stadt Rothenburg ob der Tauber am 3. November, es war ein Dienstagnachmittag, in den Ratssaal ein, der mir einer Büste Ludwig Sieberts, umrahmt von Lorbeer, geschmückt war. Darüber berichtete anderntags der „Fränkische Anzeiger“:
„Hakenkreuzfahnen mit den Trauerwimpeln (wehten) im Herbstwind. Er kündet: Ludwig Siebert, Rothenburgs großer Freund ist nicht mehr! Auf ewige Zeiten aber wird der Name Ludwig Siebert mit der Geschichte der Stadt verbunden sein und bleiben als ein Symbol der Treue.“
Es versammelten sich Ratsherren und Vertreter der NSDAP, der Leiter der Ludwig-Siebert-Oberschule sowie Vertreter aller jener Organisationen und Vereine, deren Ehrenvorsitzender bzw. Ehrenmitglied der Verstorbene war. Nach dem vom Stadtorchester vorgetragenen „Ave verum“ von Mozart hielt Beigeordneter Heinrich Erhard (NSDAP) die Trauerrede. Er ging auf das Leben Ludwig Sieberts, auf dessen Zeit als Rothenburger Bürgermeister ein und erinnerte an die wohlwollende Förderung, die Siebert als Ministerpräsident aus der Staatskasse Rothenburg angedeihen ließ.
Soll ein Nazi auch heute noch Mahner und Vorbild sein?
„Mit uns trauert die ganze Stadt und jeder einzelne Bewohner …, mit uns trauert die Partei, das bayerische und deutsche Volk, denn ein Nationalsozialist der Tat ist aus diesem Leben geschieden. Der treueste Gefolgsmann des Führers, von diesem als Mitarbeiter hoch geschätzt und mit wichtigen Aufgaben betraut, ist nicht mehr.“
Seine Arbeit, so der Redner weiter, seien sichtbare Zeichen seiner Liebe zur Stadt. Sein Bekenntnis zum Führer und zum Dritten Reich spreche eine deutliche und eindrucksvolle Sprache.
„Unvergesslich wird sein Andenken sein, sein Name wird fortleben und unsere Nachkommen werden stets mit Dank und Stolz dieses Mannes gedenken. Der Ehrenbürger Ludwig Siebert wird uns auch für die Zukunft Mahner und Vorbild sein und bleiben.“ –
Die nationalsozialistische Zukunft, der diese Worte galten, erstickte im Krieg und war bereits nach zweieinhalb Jahren beendet. Doch die nachfolgende Generation der Rothenburger hielt sich – was die Straßenbenennung betrifft – an die nationalsozialistisch in die Zukunft gerichteten Worte des damaligen NSDAP-Vertreters und Stadtbeigeordneten Rahn – bis heute. Adolf Hitler ordnete für den verstorbenen Ministerpräsidenten ein Staatsbegräbnis an, zu dem auch eine Abordnung der Stadt Rothenburg sowie Vertreter von Vereinen fuhren.