Von Wolf Stegemann
Immer wenn in Nürnberg die NSDAP-Reichparteitage stattfanden und sich dort die großen und kleinen Nationalsozialisten aus allen Ecken des Reiches versammelten, dann putzte sich auch das 80 Kilometer davon entfernte Rothenburg mit Hakenkreuzfahnen und Girlanden in der Erwartung des Besuchs prominenter Gäste besonders heraus. Und diese kamen dann auch: Reichsminister Göring, SS-Reichsführer Himmler, Frankens Gauleiter Streicher, Reichsarbeitsführer Ley, Reichsarbeitsdienst-Chef Hierl, Danzigs Gauleiter Forster und viele andere hochrangige Uniformträger des Dritten Reichs. Das gab mitunter Probleme an den Toren der Stadteinfahrten, wenn sich dort die Limousinen mit und ohne wichtigen Stander(?) stauten. Das uniformierte Volk hingegen kam in Bussen oder mit Sonderzügen von Nürnberg nach Rothenburg, wo alle, ob große Nazis oder kleine, von schneidigen Klängen irgendeiner Kapelle empfangen wurden, sei es vom HJ-Spielmannszug, von der SA- oder der Stadtkapelle oder einem anderen Musikgruppe, die Standkonzerte gaben. Die Stadt stand zu diesen Zeiten in ständiger Erregung, wie der „Fränkische Anzeiger“ am 5. September 1933 in der üblichen Überdrehtheit schrieb:
„Allüberall tauchte in der Bevölkerung der Wunsch auf, auch die obersten Führer möchten doch einmal unserer schönen alten Tauberstadt einen Besuch abstatten, In ein fortgesetztes Fragen und Erwägen: ,Kommt wohl der Führer, kommt wohl der eine oder andere Mitarbeiter?’ fällt plötzlich die Kunde, dass Stabschef Röhm mit seinem Stab unsere Stadt tatsächlich besuche. Im Nu herrschte eine ungeheuere Begeisterung. In Windeseile pflanzte sich die Kunde von Mund zu Mund. In einem ungeheuer kurzen Zeitraum war die SA und HJ sowie der Stahlhelm mit der Amtswalterkapelle am Rödertor zum Empfang ihres Führers angetreten. Die SS, die soeben nach Tagen anstrengenden Dienstes von Nürnberg zurückkehrte, schloss sich den Formationen ebenfalls gleich an. Auch die Pimpfe des Deutschen Jungvolks hatten sich alsbald mit dem Bund deutscher Mädels in ihrem braunen Ehrenkleid auf dem Marktplatz versammelt, um dort Spalier zu bilden. Die Begeisterung wuchs von Minute zu Minute.“
Zu Fuß durchs Rödertor zum Marktplatz
In diesem auch für damalige Verhältnisse unsäglichen Geschreibsel ging es spaltenweise weiter. Ernst Röhm traf gegen 15 Uhr ein. Dass auch der Reichsführer SS, Heinrich Himmler zur „Begleitung Röhms“ gehörte, erfährt der Leser so nebenbei in der Aufzählung von Röhms Entourage. Denn Himmler und seine SS waren damals noch der SA unterstellt. Neben Himmler waren noch dabei: Adjutant SA-Brigadeführer Bergmann, SA-Obergruppenführer und Regierungspräsident Hoffmann, der Chef des Sanitätswesens Hocheisen, ein Rechtsanwalt Dr. Luetgebrune, SA-Gruppenführer Kriebel, die Obergruppenführer Kraußer, Seidel und Meyer sowie etliche Sturmbannführer. Am Rödertor schritt der SA-Stabchef zuerst die angetretenen Formationen von HJ, BdM, SS, Stahlheim und SA ab. Dazu erklang der Badenweiler Marsch, der später nur noch gespielt werden durfte, wenn Hitler persönlich anwesend war. Komponiert hat ihn übrigens Georg Fürst, ein Verwandter der Rothenburger Familie Fürst (Babel). Danach marschierten SA-Stabschef Ernst Röhm und SS-Chef Heinrich Himmler an der Spitze eines Zuges zu Fuß in die Stadt. Die Zeitung:
„Beim Betreten der Stadt schwoll ihm (Röhm) ein hundertfältiges Heil Hitler entgegen, das sich beim Passieren der Röder- und Hafengasse immer mehr steigerte.“
Meistertrunk-Begrüßung und Schäfertanz
Am Rathaus wurden die anmarschierten Gäste von Oberbürgermeister Liebermann begrüßt, der den Besuch als eine große Ehre empfand und als besondere Wertschätzung. Röhm antwortete, dass er die ihm entgegengebrachte Ehrung mit Dank entgegennehme, „allerdings nicht für sich, sondern für die gesamte SA, über die er ausrief: „Ich möchte nur eines sagen, dass die Soldaten Hitlers, seine politischen Kämpfer, so gut sein müssen ,,wie zu allen Zeiten ein Soldat. Wir werden dafür sorgen, dass Deutschland stolz sein darf auf seine Kämpfer. Der stolzen Stadt Rothenburg Sieg-Heil!“
Besuch der Ausstellung „Tausend Jahre deutsche Stadt“
Oberbürgermeister Liebermann, Oberamtmann Fürst und Regierungsrat Heilmann geleiteten Röhm sodann in den Kaisersaal, wo ihm und seiner Begleitung der Kellermeister des historischen Festspiels „Der Meistertrunk“ mit poetischen Worten den Willkommenstrunk kredenzte. Die Schäfertänzer zeigten danach ihr Können und anschließend gingen alle ins Hotel Eisenhut. Die Rothenburger standen noch in den Gassen und auf dem Marktplatz, um Röhm, Himmler und den anderen bei ihre Abreise noch einmal sehen zu können.
Auf dem Weg in den Burggarten mussten Autogramme geschrieben werden. Danach besuchten sie die Ausstellung „Tausend Jahre deutsche Stadt“ in der Oberschule.
„Hocherfreut von dem Gebotenen und Gesehenentraten die Herren unter ungeheuerem Jubel der Bevölkerung die Weiterreise nach Feuchtwangen und von dort nach Dinkelsbühl an Bevor die Herren endgültig unsere Stadt verließen, unternahmen sie noch eine Fahrt durch das Taubertal und zur Engelsburg, um von dort noch einmal unser Kleinod zu bewundern.“(FA)
Der Artikel über den Röhm-Besuch schließt mit den Sätzen:
„Ein Freudentag, ein Tag des Ruhmes in der Geschichte Rothenburgs, war der 4. September. … Wir dürfen uns daher der Hoffnung hingeben, unseren Wunsch doch einmal in Erfüllung gehen zu sehen, den Herrn Reichskanzler Adolf Hitler, des deutschen Volkes Führer, in unseren Mauern willkommen heißen zu dürfen.“
Hitler kam am 16. April 1935 für lediglich eine Stunde nach Rothenburg, um im Hotel Eisenhut zu speisen. Danach kam er nie wieder. Allerdings gab in den folgenden Jahren der Fränkische Anzeiger in vielen Artikel die Hoffnung nicht auf, dass Hitler doch noch einmal zu einem längeren Besuch kommen möge.
Ernst Röhm 1934 als Staatsfeind ermordet
Himmler, mit dem Ernst Röhm am 5. September 1933 noch so einträchtig nebeneinander durch die Röder- und Hafengasse in die Stadt marschierte, ließ zehn Monate später, am 30. Juni 1934, durch seine SS-Mordkommandos die SA-Führerschaft in Bad Wiessee wegen angeblicher Putschpläne Röhms erschießen. Ernst Röhm wurde verhaftet und im Gefängnis München-Stadelheim liquidiert. Hitler ließ es sich nicht nehmen, in Bad Wiessee selbst dabei zu sein und erklärte die Bluttat am 3. Juli als „Staatsnotwehr“ für rechtens. Die SA wurde dadurch insgesamt entmachtet und Heinrich Himmler und seine SS mächtiger (siehe „Die Röhm-Affäre“ – Forderungen der SA stürzten das Dritte Reich in eine tiefe Krise“).
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Quellen sind im Text angegeben.