Von Wolf Stegemann
Wegen der Feststellung des Gerichts, dass der 1890 in Rothenburger geborene und in der Muna Oberdachstetten arbeitende ledige Hilfsarbeiter Leonhard Berg von 1931 bis zum Verbot eingeschriebenes Mitglied der KPD war, konnte er keine Milde erwarten. Das Sondergericht Nürnberg verurteilte ihn am 13. September 1944 wegen „Vergehens gegen das Heimtückegesetz“ zu zwei Jahren Gefängnis. Die Anklage vertrat Staatsanwalt Dr. Müller, Die Richter waren Amtsgerichtsrat Dr. Pfaff als Vorsitzender, Oberlandesgerichtsrat von Axthalb und Landgerichtsrat Dr. Hoffmann als Beisitzer.
Leonhard Berg war der Sohn eines Lackierers, wuchs in Rothenburg auf, besuchte die Volksschule, trat 1931 in die KPD ein und arrangierte sich nach 1933 mehr oder weniger mit dem NS-Regime, denn von der Gestapo wurden dem Gericht keine Auffälligkeiten gemeldet. Leonhard Berg arbeitete zuletzt als Hilfsarbeiter in der Munitionsanstalt Oberdachstetten, die schließlich „Tatort“ wurde. Der Vorwurf, gegen das Heimtückegesetz verstoßen zu haben, begründet das Gericht in seinem Urteil:
„Am 24. 11. 1943 ging der Angeklagte mit mehreren Arbeitskameraden im Werksgelände zur Frühstückspause nach dem Vesperraum. Auf dem Weg dorthin kam ihnen der Verwaltungsinspektor Hiller entgegen. Die dem Angeklagten vorausgehenden Arbeiter grüßten Hitler mit dem deutschen Gruß. Der Angeklagte bemerkte dazu laut: ,Ihr braucht die Hände hinauftun, die gehören Euch abgehackt.“
Arbeitskollegen widersprachen dem Angeklagten vor Gericht
Der Angeklagte bestreitet diese Äußerung. Er behauptet, der Arbeiter Baumann habe nachlässig mit der linken Hand gegrüßt; das habe er kritisiert. Er habe gesagt: ,Wenn Du das beim Militär gemacht hättest, dass Du mit der linken Hand gegrüßt hättest, würde Dir die Hand abgehackt worden sein’.“
Da seine Kollegen Baumann, Hetzel und Gerlinger bei ihrer Aussage vor der Gestapo blieben, die der Einlassung des Angeklagten widersprach, bewertete das Gericht Bergs Aussage als „eine offenbare Ausrede“. Weiter heißt es im Urteil:
„Der Angeklagte hat damit den Deutschen Gruß in übelster Weise beschimpft. Seine Äußerung war der typische Ausbruch eines minderwertigen, niedrig gesinnten Charakters. Der Angeklagte griff damit eine vom Führer geschaffene Einrichtung an, durch die sich das deutsche Volk täglich erneut zum Nationalsozialismus bekennt. Seine Äußerung war geeignet, das Vertrauen zur politischen Führung zu untergraben, wenn auch nicht festgestellt werden kann, dass der Angeklagte bewusst zersetzend wirken wollte.“
Verunglimpfung des Grußes war „öffentlich“ und„ heimtückisch“
Das Gericht stellte dann fest, dass eine unbestimmte Zahl von Arbeitern die Worte von Leonhard Berg hören konnten. Somit fiel die Äußerung öffentlich“. Damit hatte sich Berg eines Vergehens nach § 2 Absatz I des Heimtückegesetzes schuldig gemacht. Das Sondergericht ordnete Strafverfolgung an und sah in der Strafbewertung einen Zusammenhang zwischen dem Verhalten Leonhard Bergs und seiner früheren KPD-Zugehörigkeit:
„Die völlig unveranlasste Verunglimpfung des deutschen Grußes verlangt eine empfindliche Bestrafung. Es kann unter keinen Umständen geduldet werden, dass dieser Gruß, der in allen Schichten des deutschen Volkes zu einer gemeinsamen Selbstverständlichkeit geworden ist, von einem minderwertigen Menschen beschimpft wird, der innerlich sich der Volksgemeinschaft nicht anschließt. Wenn auch nicht gesagt werden kann, dass der Angeklagte mit seinen Worten in Erinnerung an seine Vergangenheit eine kommunistische Parole ausgeben wollte, so ist doch der innere Zusammenhang zwischen … seiner mehrjährigen Angehörigkeit zur KPD und seiner heutigen Haltung unverkennbar. Es wird deshalb zwei Jahre Gefängnis als angemessen erkannt.“
Volksbeunruhigung durch eine erfundene Geschichte!
Dennoch zehn Monate Gefängnis
Zehn Monate musste die 26-jährige Dienstmagd Wilhelmine Sessler aus Pfetzendorf wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz ins Gefängnis. Sie hatte Anfang März 1944 in einem Postauto auf der Fahrt nach Wiederbach vor mehreren Fahrtteilnehmern behauptet, dass eine amtliche Kommission tags zuvor alle Häuser in Pfetzendorf durchsucht hätte. Die Männer hätten alle Schränke geöffnet, Küchengeschirr und Wollsachen beschlagnahmt und zur Versorgung von Fliegergeschädigten mitgenommen. Bei ihrer Arbeitgeberin sogar die Anzüge ihres verstorbenen Mannes. Der Kommission hätten der Bürgermeister, der NSDAP-Ortsgruppenleiter und zwei Parteileute aus Rothenburg ob der Tauber angehört. Die Leute hätten über diese Aktion sehr geschimpft.
Das, was die 26-Jährige im Bus erzählt hatte, wurde der Polizei zugetragen. Die junge Frau wurde verhaftet und vor dem Sondergericht Nürnberg angeklagt. Am 30. Juni 1944 war die Verhandlung unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Dr. Oeschey. Der jungen Frau wurde vorgeworfen, eine „unwahre Behauptung über die Versorgung Fliegergeschädigter aufgestellt“ zu haben. Das Gericht verurteilte sie wegen eines vorsätzlichen, öffentlich begangenen Vergehens gegen das Heimtückegesetz zu zehn Monaten Gefängnisstrafe. In der Begründung heißt es:
„Wilhelmine Sessler ist geständig. Sie gibt an, die Erzählungen frei erfunden zu haben; sie habe, so wendet sie ein, ,dumm und unüberlegt dahergeredet’. Die Erfindung volksbeunruhigender Gerüchte ist frivol und gefährlich, weil es immer wieder Leute gibt, die darauf etwas geben.“
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Quelle: Staatsarchiv Nürnberg, Bestand: Anklagebehörde bei dem Sondergericht Nürnberg, Nr. 2648 (Berg)Nr. 2585 (Sessler).