Sondergericht (5): Kritik am Lohnsystem des NS-Regimes brachte den 24-jährigen Rothenburger Waldemar Heldt 1936 für fünf Monate ins Gefängnis

Haftbefehl

Anklageschrift (Ausriss)

Von Wolf Stegemann

„Man darf es nicht sagen, die heutige Regierung hat noch nichts geleistet, dagegen wo die andere Regierung am Ruder war, hat man mehr verdient und mehr Unterstützung bekommen.“ Der dies im Juni 1936 seinem Arbeitskameraden Friedrich Lechner in Rothenburg unter vier Augen und vertraulich sagte, war der 24-jährige Rothenburger Schreinergehilfe Waldemar Heldt, den sein Freund bei der Gestapo denunzierte. Daraufhin kam Heldt am 9. Juli 1936 in Untersuchungshaft nach Nürnberg. Am 17. November 1936 machte ihn das Sondergericht Nürnberg unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Greiner sowie den beisitzenden Landgerichtsräten Dr. Binner und Dr. Müller wegen eines Vergehens nach dem „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutze der Parteiuniformen“ den Prozess. Die Anklage vertrat Erster Staatsanwalt Dr. Engert. Das Gericht verurteilte ihn zu fünf Monaten Gefängnis.

Waldemar Heldt wurde 1912 in Tarutino (Rumänien bzw. Russland) geboren und war in Rothenburg ob der Tauber verheiratet. Seine Eltern Alwin und Justine Heldt waren Deutsche. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Familie aus Russland ausgewiesen. Sie ließ sich zuletzt in Rothenburg nieder und wohnte im Sülzengässchen 2/0. Waldemar Heldt war in Rothenburg Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei und bis zur Machergreifung Hitlers Angehöriger des Reichsbanners. Bis 1936 arbeitete Heldt als Hilfsarbeiter auf dem Flugplatz Ansbach-Neukirchen. Dort erzählte er über sein Leben in Russland, wo er mit seinen Eltern nach Sibirien verbannt war, dass es ihnen dort zuerst schlecht, dann aber geordnet gut gegangen sei. Heldt sprach auch davon, dass man nicht alles glauben dürfe, was in den Zeitungen stehe. Dieser Sachverhalt wurde aufgrund des teilweisen Geständnisses Waldemar Heldts und des Ergebnisses der polizeilichen Ermittlungen festgestellt. Sein Arbeitskollege Friedrich Lechner beeidete seine Aussage. Das Gericht würdigt das Verhalten des Angeklagten als „niedere Gesinnung“:

„Die Äußerungen des Angeklagten richten sich gegen die Reichregierung, beziehungsweise gegen die diese verkörpernden Persönlichkeiten, denen sie mangelndes Verständnis für die Arbeiter und Unfähigkeit auf wirtschaftlichen Gebieten vorwerfen. … Die Äußerungen sind einer niederen Gesinnung entsprungen, also in böswilliger Absicht gebraucht, sie sind auch geeignet, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben. Dessen war sich der Angeklagte bewusst. … Der Angeklagte ist noch nicht vorbestraft, er hat sich sonst auch gut geführt und wird als guter Kamerad geschildert. Das soll zu seinen Gunsten berücksichtigte werden. Andererseits ist der Angeklagte auch noch Marxist, wenn auch nicht festgestellt werden konnte, dass er Kommunist ist, was man aus seiner Liebe für Russland annehmen könnte. Er ist ein Feind des nationalsozialistischen Staates und für seine Umgebung gefährlich. Solche Elemente wie der Angeklagte müssen mit aller Strenge angepackt werden, um ihnen die Lust am Hetzen zu vertreiben. Eine Gefängnisstrafe von fünf Monaten erschien als schuldangemessen.“

Die erlittene Untersuchungshaft wurde dem Angeklagten angerechnet.

______________________________________________________________

Quelle: Staatsarchiv Nürnberg, Bestand Anklagebehörde bei dem Sondergericht Nürnberg, Nr. 350

 

Dieser Beitrag wurde unter Denunziantentum, Justiz / Amtsgericht abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert