W. St. – Drei Monate musste der Rothenburger Fabrikarbeiter und evangelische Prediger Konrad Christenn, der im Alten Stadtgraben wohnte, im Gefängnis verbringen, weil ihn das Sondergericht Nürnberg wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz am 10. Februar 1942 dazu verurteilte. Vorsitzender Richter war Landgerichtsdirektor Dr. Oeschey, Beisitzer waren der Landgerichtsrat Dr. Meyer und der Amtsgerichtsrat Groben.
Die Lebensstationen von Konrad Christenn: 1889 in Windsheim als Apothekersohn geboren, dort zur Schule gegangen, in Ansbach als Fotograf gelernt, den Ersten Weltkrieg mitgemacht, danach zunächst als Hilfssekretär beim „Christlichen Verein junger Männer“ in Pforzheim gearbeitet, die Evangelistenschule in Barmen besucht, sich als Prediger in Nürnberg, Hof und Rothenburg ob der Tauber niedergelassen, 1926 geheiratet, sieben Kinder bekommen und zuletzt bei der Munitionsanstalt Oberdachstetten dienstverpflichtet. Er war kein Mitglied in der NSDAP, gehörte aber anderen NS-Organisationen wie NSV, DAF und RLB an; seine Kinder waren in der Hitlerjugend und beim Jungvolk.
Mit Schlagern geistliche Lieder übertönt
In der Munitionsanstalt war er Fahrdienstleiter eines Omnibusses, mit dem Arbeiter und Arbeiterinnen täglich von Rothenburg nach Oberdachstetten fuhren. Im Rahmen des Verfahrens gegen ihn wurde ihm auch vorgeworfen, seine Dienststellung ausgenutzt zu haben, um im Bus Kirchenlieder anzustimmen, was bei seinen mitfahrenden Arbeitskollegen und -kolleginnen Missfallen hervorrief. Mitunter führte dieses dazu, dass zur Übertönung des Kirchengesangs von den im Bus sitzenden Frauen und Männern Schlager angestimmt wurden.
Zur Anzeige kam es, als sich Konrad Christenn Mitte Juni 1941 auf einer solchen Fahrt unter Bezugnahme auf die verordnete Einschränkung von Papierverbrauch kritisierte, dass damit auch der Druck kirchlicher Schriften reduziert würde. Zu dem Busfahrer sagte er im vollbesetzten Bus, dass „Deutschland durch diese Maßnahme verarmen und sittlich verkommen werde.“
Nachdem er beim „Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS, SD-Außenstelle Ansbach“ denunziert worden war, gab Christenn im Verhör bei der Schutzpolizei Rothenburg seine Äußerung zu und verteidigte sie als nicht politisch. Sie sei ihm „ohne solche Tendenz so herausgefahren“. Natürlich habe er gewusst, dass seine geistlichen Lieder wie „Nur mit Jesus will ich wandern“ während der Busfahrt für schlechte Stimmung gesorgt hätten. Doch er sei in ernster Sorge gewesen, dass Sitte und Moral gefährdet seien, wenn weniger moralische und geistliche Erbauungsliteratur aus Papiermangel gedruckt werden würden. Das Gericht bewertete seine Ausführungen als Ausflüchte, die am „Kern der Dinge“ vorbeigingen.
„Seine Neigung, religiös christliche Tendenzen auch gegen den Willen anderer in den Vordergrund zu stellen, zeigt ja auch schon seine frühere Kritik an der Gemeinschaftsschule sowie der an sich wenig bedeutsame Vorgang mit dem Anstimmen geistlicher Lieder.“
Mit missionarischer Hartnäckigkeit versuchte der Prediger Konrad Christenn auch bei eindeutiger Ablehnung der Mitfahrer in mehreren Versuchen, das Singen kirchlicher Lieder im Bus zur Arbeit in die Munitionsanstalt durchzusetzen, wie die Zeuginnen Frl. Schenk (Erlbacher Straße), Yvonne Verda (Förstersgässchen), Marie Jung (Erlbacher Straße), Busfahrer Max Krämer (Neustadt a. d. Aisch), Hedwig Haag (Förstergässchen) dem Gericht schilderten. Daher unterstellte ihm das Gericht auch in Bezug auf seine Äußerung hartnäckiges Verhalten.
„Aus der gleichen hartnäckigen Gesinnung heraus ist nun auch seine Äußerung, Deutschland werde durch die Maßnahme, die zur Einstellung kirchlicher Druckschriften führte, verarmen und sittlich verkommen, geboren. Dass diese nur als ablehnende Kritik am nationalsozialistischen Staate und seinen Maßnahmen aufgefasst werden kann, ist dem Angeklagten bei seiner Vorbildung nach der Überzeugung des Gerichts durchaus geläufig. Die Äußerung des Angeklagten richtet sich gegen die kriegsnotwendige Maßnahme der Reichsregierung zur Einschränkung des Papierverbrauchs. Sie ist gehässig und hetzerisch, wie ihre Formulierung zeigt. Die Behauptung, Deutschland werde auf Grunde einer Maßnahme der nationalsozialistischen Staatsführung ,verarmen und sittlich verkommen’, soll die Vorstellung erwecken, dass Moral und Sitte eben nur unter maßgebendem Einfluss der Kirche, nicht aber unter nationalsozialistischer Führung möglich seien, eine Tendenz, die bei der Empfindlichkeit des deutschen Volkes und religiösem Gebiete eben die Auflehnung gegen solche staatlichen Maßnahmen nach dem Willen des Angeklagten herbeiführen sollte…“
Der „Abwegigkeit seiner weltanschaulichen Einstellung“ ausgesetzt
Bei der Strafzumessung bewertete das Sondergericht strafmildernd, dass Konrad Christenn nicht vorbestraft war, dass er sich im Ersten Weltkrieg wie auch als Dienstverpflichteter bei der Munitionsanstalt und im Leben als Familienvater bewährt habe. Zu seinen Gunsten bewertete das Gericht auch, dass Konrad Christenn der „Abwegigkeit seiner weltanschaulichen Einstellung“ ausgesetzt sei.
„Er ist deshalb auch nicht als ein grundsätzlicher Staatsfeind anzusehen, sondern vielmehr als ein Nörgler, der einen konkreten Vorgang, der seiner Meinung nach der Religionsgemeinschaft, der er angehört, nachteilig war, zu staatsabträglicher Kritik benutzte. Wenn die Auswirkung seiner Tat auch gering war, so stellt sie sich doch als konfessionspolitische Hetze dar, die deshalb eine fühlbare Ahndung verdient, weil das deutsche Volk in religiösen Angelegenheiten außerordentlich empfindlich ist und gerade im Kriege davor bewahrt werden muss, dass diese Empfindlichkeit von gewissen Elementen ausgenutzt und missbraucht wird. Unter Abwägung aller dieser Umstände erachtete das Gericht eine Gefängnisstrafe von drei Monaten als schuldentsprechend.“
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