Die Rothenburger waren „ganz aus dem Häuschen“, wie man einen Zustand der freudigen Ekstase umgangssprachlich bezeichnet. Ein solches Verhalten ist jedenfalls der Zeitung vom 1. August 1944 zu entnehmen. Ob sie tatsächlich so freudig erregt waren, mag dahingestellt sein. Vermutlich steckte wieder die aufgeblähte Propagandamaschinerie der Nazis hinter der Berichterstattung, die zu diesem Zeitpunkt, als die Fronten näher an die deutschen Grenzen rückten, verstärkt von Siegen an allen Fronten berichtete. In dieses Bild passte ein Ritterkreuzträger aus den eigenen Mauern bestens hinein; zumal der 27-jährige Hermann Buchner der erste so Ausgezeichnete aus Rothenburg ob der Tauber war – und der einzige bleiben sollte. Andere Orden hatte Buchner bereits: die Eisernen Kreuze I und II, das Deutsche Kreuz in Gold und die Goldene Nahkampfspange, weil er 62 Nahkampftage überlebte, „als sein junges Leben mit dem Tode Zwiesprache gehalten hatte“, wie NSDAP-Kreisleiter Erich Höllfritsch es formulierte. Lang lebte der SS-Sturmbannführer Buchner mit seinem Ritterkreuz am Hals nicht. In seinem Gefechtsstand an der Ostfront zerfetzte ihm vier Monate später, am 11. November, eine Granate Hals und Schulter. Und wieder sangen die Rothenburger in einer Feier das Heldenlied, in der sie von Sieg und Schicksal sprachen, von „Mannestreue zum selbstgewählten Führer Adolf Hitler“ und von der Ewigkeit des Ruhmes und Stolzes. „Diese Gedenkstunde“, so sprach der NSDAP-Kreisleiter Höllfritsch, „wird für alle Zeiten in die Geschichte unserer Stadt eingehen“.
Der Krieg richtet über Wert und Unwert des Mannestums
Der gelernte Drogist Hermann Buchner wurde 1917 als Sohn eines Werkmeisters in Nürnberg geboren und kam 1934 mit 17 Jahren freiwillig als Reichsarbeitsdienst-Mann nach Rothenburg ob der Tauber. Hier begeisterte er sich für die SS, absolvierte die SS-Junkerschule in Braunschweig, nahm an den olympischen Wettkämpfen in Berlin 1936 mit Auszeichnung teil und wurde schließlich in das SS-Führerkorps aufgenommen. „Der beginnende Krieg als unerbittlicher Richter über Wert und Unwert wahren Mannestums und soldatischer Führereigenschaften vollendet die Entfaltung seiner ganzen Persönlichkeit“, lobte der Kreisleiter den Ritterkreuzträger, der an den Fronten im Westen wie im Osten stand. Buchner heiratete zu Beginn des Krieges Elsbeth Haberer. Am 26. Juli wurde er wegen seines „kompromisslosen Denkens und Handelns“ zum SS-Sturmbannführer und zum Bataillonskommandeur befördert.
Den Verrätern vom 20. Juli das Handwerk legen
Als Hermann Buchner Ende Juli 1944 während eines Fronturlaubs Rothenburg besuchte, bereiteten Stadt, Partei und die Bevölkerung ihrem Ritterkreuzträger einen großen Empfang. Vor dem Rathaus trat der Ehrensturm der SA unter Führung von Obersturmbannführer Arlt an. Buchner und seine Frau fuhren in Begleitung des NSDAP-Ortsgruppenleiters Haas in einer vierspännigen Kutsche vor. Die Einwohner jubelten und am Rathausportal begrüßte der 1. Beigeordnete der Stadt, Heinrich Ehrhard, das Ehepaar Buchner. Arbeitsmaiden (weiblicher Arbeitsdienst) überreichten ihm Blumen und geleitete es in den Sitzungssaal, wo dem Ritterkreuzträger und seiner Frau ein Musikstück dargebracht wurde und Kreisleiter Erich Höllfritsch sie begrüßte. Buchner durfte sich sodann ins Goldene Buch der Stadt und in das Ehrenbuch der Partei eintragen, in das er schrieb: „Wir werden den Feind solange schlagen, bis er sich zum Frieden bequemt!“ In seiner Ansprache ging Hermann Buchner auf das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 ein. Buchner meinte, dass das Treiben dieser verbrecherischen Offiziersclique nicht zuletzt Ursache für die militärischen Rückschläge an der Ostfront sei. Doch den Verrätern sei durch die Tatkraft des Reichsführers-SS und des Reichsministers Dr. Goebbels das Handwerk gelegt worden, so dass die Front in Kürze wieder jene Stärke besitze, die notwendig sei, um den Kampf „zu unseren Gunsten zu entscheiden“. Der „Fränkische Anzeiger“ schrieb:
„Zum Schluss gab der Ritterkreuzträger seiner festen Überzeugung und seinem unerschütterlichen Glauben Ausdruck, dass das deutsche Volk unter der Führung Adolf Hitlers den Sieg erringen werde, wenn Front und Heimat ihre ganze Kraft für dieses Ziel einsetzen. … Dieses Bekenntnis fand seine Bekräftigung durch den Gruß an unseren geliebten Führer Adolf Hitler.“ – Danach gab es ein Essen im Hotel Eisenhut.
Trauerfeier als propagandistisches Mittel der Verlogenheit
Vier Monate später trafen sich alle wieder im Sitzungssaal des Rathauses. Nur einer fehlte: Hermann Buchner. Er war gefallen. Stadt und Partei richteten die Trauerfeier aus, in der Kreisleiter Höllfritsch mit den üblichen Treuesprüchen und Lobreden auf den Führer und auf die siegreiche Zukunft Deutschlands, auf die nationalsozialistische Weltanschauung, tapferes Soldatentum und Männerkameradschaft, auf Tod, Unsterblichkeit und Fahnen die unsägliche Trauerrede hielt. Wie in einem Rollenspiel versetzte er sich in den toten Ritterkreuzträger und sprach so, als wäre er jener:
„Ich bin nicht sinnlos gefallen, denn ich bin kein Opfer des Schicksals, sondern sein Diener, Verkünder und Vollstrecker. … Mein Wesen war erfüllt von der Mannestreue zu meinem selbstgewählten Führer Adolf Hitler, dem ich den Fahneneid hielt bis zum letzten Hauch meiner Seele.“
Während im November der Balkan aufgegeben wurde, die Russen an der Weichsel und die Amerikaner in der Eifel standen, die Kriegsfronten sich immer enger um die Reichsgrenzen schlossen, schlug Kreisleiter Erich Höllfritsch mit den üblichen verlogenen Phrasen des nationalsozialistischen Sprachgebrauchs den Bogen zur siegreichen Zukunft:
„Der Kampf um Deutschland wird gewonnen werden. Das versprechen wir in dieser Stunde, die Deinem heldischen Leben gilt (gemeint Buchner, d. Verf.). In diesem Geiste, Kamerad Buchner, den unser Führer uns gelehrt hat, wollen wir nun Abschied nehmen von Dir … Die Fahnen wehen morgen wieder hoch über unsern Häuptern. Endlose Kolonnen junger Soldaten, in deren Reihen Du als der Tapfersten einer gestanden bist, werden unter diesen Fahnen marschieren. Die grauen Kolonnen aber werden in alle Zukunft hinein das einzige Marschziel haben: Deutschland! Und Du, Kamerad Buchner, marschierst, unsterblich geworden, in ihren Reihen mit.“
Die Zeitung kommentierte Die Trauerrede des Kreisleiters als einen „zutiefst (empfundenen) Ausdruck einer wahrhaft nationalsozialistischen Haltung und in ihrer Gedankentiefe besonders geeignet, die Herzen der Zuhörer anzusprechen“.
Zur Sache: Das Ritterkreuz, neu gestiftet 1939
Das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes wurde am 1. September 1939 anlässlich des Polenfeldzugs von Adolf Hitler gestiftet. Über 7000 Soldaten erhielten diesen Orden, der während des Kriegs in mehreren Stufen verliehen wurde. Während der Zeit des Nationalsozialismus galten die Inhaber des Ritterkreuzes, so genannte „Ritterkreuzträger“, als große Helden und genossen ein durch die NS-Propaganda erzeugtes Höchstmaß an Ansehen und Popularität, nicht selten besaßen sie eigene Autogrammkarten. Sie besuchten Schulen und hielten Vorträge auf Veranstaltungen der Hitlerjugend, ihre öffentlichen Auftritte waren stets von großen Ehrungen begleitet. Manche Kommunen schenkten „ihren“ Ritterkreuzträgern Grundstücke oder Häuser.